LG Essen, Urteil vom 09.11.1999 - 22 a 19/98
Fundstelle
openJur 2019, 26413
  • Rkr:
Tenor

Die Angeklagten S, S1 und S2 sind der gefährlichen Körperverletzung schuldig, der Angeklagte A des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.

Der Angeklagte A wird zu zehn Jahren, der Angeklagte S2 zu sechs Jahren, der Angeklagte S zu fünf Jahren und der Angeklagte S1 zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen desNebenklägers.

Bestimmungen

S S2 und S1: § 224 Abs.1 Nr.4 StGB

A: §§ 211, 224 Abs.1 Nr.2 und 4, 21, 22, 52 StGB

Gründe

(Gliederung am Ende des Urteils)

A. Zur Person der Angeklagten

I. Der Angeklagte S2

Der Angeklagte S2 wurde als Zwillingskind geboren; er hat vier ältere Geschwister. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er zwei Jahre alt war. Er wuchs beim Vater auf, der sich neun Jahre nach der Scheidung wiederverheiratete. Mit sieben Jahren wurde der Angeklagte eingeschult. Ab der siebten Klasse der Hauptschule bereitete er Schwierigkeiten. Er schwänzte häufig den Unterricht, rauchte und trank Alkohol innerhalb einer Clique Gleichgesinnter. Seine schulischen Leistungen ließen nach; trotzdem erreichte er den Hauptschulabschluß und begann eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Nach einem Unfall wurde er für längere Zeit krank; dann wurde ihm gekündigt. Bis 1995 diente er bei der Bundeswehr. Dort beging er einen Waffendiebstahl. Dies wurde aber erst nach seiner regulären Entlassung entdeckt und abgeurteilt. Im Anschluß an die Bundeswehrzeit war er ein Jahr arbeitslos und nahm nur Gelegenheitstätigkeiten wahr. Im Jahr 1996 begann er eine Erfolg versprechende Umschulung zum Bürokaufmann, die er nicht abgeschlossen hat, weil er in dieser Sache verhaftet wurde.

Bereits seit seinem 13. Lebensjahr ist der Angeklagte passionierter Anhänger des Fußballvereins I. Wie sein Zwillingsbruder U gehört er dort seit 1991 zur Gruppe gewaltbereiter Fußballanhänger, den sog. Hooligans, deren Mitglieder sich selbst "I1 Ultras" nennen. Spiele seines Vereins besuchte er seitdem auch in der Absicht, sich bei dieser Gelegenheit mit Fans gegnerischer Vereine zu prügeln. Seit etwa 1991 konsumiert er auch Haschisch. Zu Gewaltaktivitäten dienen ihm seit 1996 nur noch Auswärtsspiele, die er fast alle besucht. Damit einher geht vermehrter Alkoholkonsum, den er bewußt einsetzt, um sich zu enthemmen; seit 1997/98 war er praktisch jedes Wochenende betrunken.

Der Angeklagte ist strafrechtlich öfter in Erscheinung getreten. ln den Jahren 1989 bis 1995 sind acht Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt worden. Soweit die Staatsanwaltschaft nicht bereits gem. § 45 JGG von einer Verfolgung abgesehen hat, sind sie gem. § 47 JGG durch den Richter eingestellt worden. Durch Urteil des Amtsgerichts I2 vom 22.3.1996 (...) wurde S2 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung auf 2 Jahre verurteilt; die Strafe wurde mit Wirkung vom 26.5.1991 erlassen. Durch ebenfalls rechtskräftiges Urteil vom 12.9.1996 wurde er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in Tateinheit mit Erwerb und Überlassen einer Selbstladewaffe zu acht Monaten Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung auf die Dauer von 2 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.

II. Der Angeklagte S

S wurde am ... in H als Sechsmonats-Kind geboren. Er hat drei ältere Geschwister, darunter seine Halbschwester Q, mit der er die Mutter gemeinsam hat. Seine Eltern ließen sich scheiden, als er zwei Jahre alt war. Sämtliche Geschwister außer Q kamen ins Heim, N" in O, wo S bis zu seinem 19. Lebensjahr untergebracht war. Nur für ein halbes Jahr lebte er im Alter von elf Jahren bei seiner Mutter. Mit dieser kam er aber nicht zurecht; er sah sich mißhandelt. Auf eigenen Wunsch kehrte er daher ins Heim zurück.

Der Angeklagte litt bis zum 10. Lebensjahr unter Enuresis. Seinen Vater, der etwa 1980 starb, hat er nach der Scheidung nur drei- oder viermal gesehen. S wurde regulär eingeschult. Trotz überdurchschnittlicher Intelligenz erreichte er in der zweiten Grundschulklasse das Klassenziel nicht. Er wurde aus der 9. Klasse der Hauptschule entlassen und absolvierte nach einjährigem Besuch einer Hauswirtschaftsschule eine dreijährige Bäckerlehre. Nach der Gesellenprüfung, die er im Alter von 20 Jahren ablegte, zog er zu seiner Schwester nach H. Elf Monate arbeitete er bei der Schnellimbißkette N1. Während der sich anschließenden zwölfmonatigen Bundeswehrzeit wurde er als Koch eingesetzt und mit Auszeichnung entlassen. Er arbeitete sodann in verschiedenen Bäckereibetrieben. Wegen Differenzen mit einem Vorarbeiter, von dem er sich schikaniert fühlte, wurde ihm gekündigt. Nach kurzer Arbeitslosigkeit war er bis zu seiner Verhaftung bei einer Frischdienstzentrale tätig. Als seine langjährige Freundin ihn Anfang 1995 verließ, verfiel er in Depressionen und unternahm einen Suizidversuch; er wurde eine Woche in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses behandelt. Seine Schwierigkeiten überwand er im Sommer 1995 durch die Bekanntschaft mit seiner jetzigen Frau; Mitte 1996 heiratete er sie.

Auch S war seit jeher leidenschaftlicher Fußballfan und spielte selbst erfolgreich im Verein. Seit 1992 gehört er zu den Anhängern des H Vereins G und hielt sich bei Heimspielen bei den etwa 250 Personen zählenden "Hooligans" auf. Aufkommende Gewalttätigkeiten ziehen ihn in Bann; häufig fotografiert er sie.

Er ist dreimal vorbestraft, davon einmal wegen Körperverletzung und einmal wegen Nötigung in Tateinheit mit Straßenverkehrsgefährdung.

III. Der Angeklagte S1

Der Angeklagte S1 wuchs als Einzelkind auf. 1991 erlangte er die mittlere Reife und begann eine Ausbildung als Energieelektroniker. Bis 1995 war er in dem Unternehmen seines Vaters tätig., 1996 lernte er seine jetzige Frau kennen, die er im Juli 1999 während seiner Untersuchungshaft heiratete.

S1 gehörte vor seiner Festnahme zu den Führern der Hooliganszene um den G1. An Wochenenden suchte er bei Fußballspielen gewalttätige Auseinandersetzungen mit gewaltbereiten Anhängern gegnerischer Mannschaften.

S1 ist unbestraft. Ein gegen ihn unter dem Aktenzeichen ... StA I3 eingeleitetes Verfahren ist im Hinblick auf die in diesem Prozeß zu erwartende Strafe gem. § 154 Abs.1 StPO vorläufig eingestellt worden. Jenem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine mit der Polizeimeisterin L und dem Polizeibeamten L1 - beide in Uniform - besetzte Funkstreife hatte am 21.2.1998 gegen 18.45 Uhr einen Einsatz in die I4 in I5 erhalten, weil dort angeblich Angehörige der rechtsradikalen Szene randalierten. Auf der Fahrt dorthin fiel ihnen eine verdächtige Personengruppe auf - darunter auch der Angeklagte -, die die Flucht ergriff, als das Dienstfahrzeug anhielt. S1 gelang es, seinen PKW- ein N2 der S-Klasse - zu erreichen und zu starten. Die Beamtin L riß die Tür auf, beugte sich in das Fahrzeug und forderte ihn zum Aussteigen auf. Gleichwohl fuhr er an; dadurch wurde die Beamtin mit dem Oberkörper in den PKW gezogen. Ihr gelang es zwar, den Schalthebel des Automatikgetriebes zu erreichen und ihn auf Parkposition zu stellen, doch er legte den Gang wieder ein und fuhr erneut an. Das wiederholte sich mehrfach. Er nahm dabei in Kauf, daß die Beamtin verletzt wurde. Erst als ein von L1 herbeigerufener weiterer Streifenwagen neben seinem PKW anhielt, stoppte er sein Fahrzeug und wurde überwältigt. Die Beamtin L erlitt bei dem Vorfall Prellungen am Handgelenk, eine Schädelprellung und Quetschungen; sie war zwei Tage dienstunfähig.

IV. Der Angeklagte A

Der Angeklagte wurde am ... in H in geordneten Familienverhältnissen geboren. Er hat eine ältere Schwester. Sein Vater ist Facharbeiter; auch seine Mutter nahm später nach seiner Geburt eine Berufstätigkeit auf. 1977 wurde er in die Grundschule eingeschult. Er wechselte 1981 zur Realschule und erlangte dort 1987 das Fachabitur. Bis 1991 absolvierte er eine Lehre als Werkzeugmechaniker. ln den Jahren 1991-92 leistete er seinen Wehrdienst bei der Marine in L2. Nach kurzfristiger Arbeitslosigkeit nahm er eine Arbeitsstelle bei der Fa. T an, jedoch wurde der befristete Arbeitsvertrag nicht verlängert. 1966 begann er eine Umschulung zum Industrie-Kaufmann, die er aber nicht abschloß, weil er die theoretische Abschlußprüfung am 19.6.1998 nicht bestand.

Seine Hobbies sind Sport, insbesondere Fußball. Auch er ist Anhänger des G. Zusammen mit Freunden besuchte er insbesondere die Heimspiele dieses Vereins; dabei stand er der H "Hooligan-Szene" nicht fern. Alkohol trank er nur an den Wochenenden.

A ist unbestraft. Ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren ... StA F wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung wurde gemäß § 153 a StPO gegen eine Geldbuße von 500,- DM eingestellt, die er auch gezahlt hat. Dem Verfahren lag folgendes zugrunde:

Am 20.6.1992 ereigneten sich bei einer Abiturfeier in der Gaststätte "L3" in H Schlägereien, bei denen sich auch A hervortat. Auf der Toilette kam es zu einer kurzen Rempelei zwischen ihm und dem Studenten O1. Als O1 den Raum bereits verlassen wollte, drehte A sich noch einmal um und schlug ihm heftig mit der Faust ins Gesicht. Dadurch fiel O1 zu Boden. Er zog sich eine 3 cm lange Rißwunde unter dem rechten Auge mit Einblutung ins Auge zu, die im Krankenhaus mit mehreren Stichen versorgt werden mußte und eine dauerhafte Narbe hinterließ. Seiner Personenfeststellung durch den Polizeibeamten M widersetzte der Angeklagte sich und wollte sich entfernen. Als ?ihm von dem Beamten Zwangsmittel und Festnahme angedroht wurden, nahm er eine drohende Haltung ein. Er äußerte: "Ich geh jetzt. Du hältst mich nicht auf. So einen Wichser wie dich habe ich schon mal umgehauen". A war bei diesem Vorfall angetrunken; eine entnommene Blutprobe ergab einen Mittelwert von 0,69%o.

8. Das Vorgeschehen

I. (Das Spiel in M1)

1998 wurde in G2 an verschiedenen Orten die Fußballweltmeisterschaft ausgetragen. Am 21. Juni 1998, einem Sonntag, fand in M1 die VorrundenBegegnung Deutschland gegen Jugoslawien statt, die um 14.30 Uhr im Stadion "C" begann. Schon bei vorangegangenen Spielen in anderen Städten war es zu Ausschreitungen von Fußballfans gekommen. Noch größere Krawalle wurden in M1 erwartet. Insbesondere wegen der relativ kurzen Anfahrtstrecke befürchteten die Sicherheitskräfte den massenhaften Besuch deutscher "Hooligans", also gewaltbereiter Fußballfanatiker, die sich mit ausländischen Fangruppen prügeln wollten. Dies war unter deutschen Hooligans auch so verabredet und von szenekundigen Beamten in Erfahrung gebracht worden. Um dieser Gefahr zu begegnen, waren verschiedene Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden.

Zum einen waren in M1 französische Ordnungskräfte zusammengezogen worden, und zwar Einheiten der D, einer Spezialtruppe der französischen Polizei, sowie Einheiten der "Gendarmerie Mobile". Eingesetzt war auch die Einheit des späteren Tatopfers O2, eine Schwadron der "Gendarmerie mobile" aus B, in der er den Posten eines leitenden Unteroffiziers (maréchal des Iogis) bekleidete.

Zum anderen waren für Spiele der deutschen Mannschaft szenekundige Polizeibeamte ("SKB") aus verschiedenen deutschen Bundesländern abgestellt worden, darunter aus 03 die Beamten T1 und H1, die die Entwicklung des Geschehens verfolgen, ihnen bekannte "Hools" durch persönliche Ansprache aus der Anonymität der Masse herausholen und möglichst schon im Vorfeld zur Deeskalierung beitragen sollten. Demselben Zweck diente auch die Entsendung von ca. 25 Betreuern durch die "Koordinierungsstelle Fanclubs" beim E.

Desweiteren war vor dem Bahnhof in M1, dem vermutetem Sammelpunkt der Fans, ein Doppeldeckerbus als sog. mobile Fan-Botschaft aufgestellt worden, die die Fußballbesucher mit Informationen versorgen und aufkommenden Mißstimmungen begegnen sollte.

Tatsächlich wurde der Bahnhofsvorplatz und die auf ihn zuführenden Straßen, insbesondere die S3 mit ihren zahlreichen Bars und Lokalen, der Treffpunkt der Fußballanhänger.

II. (Die deutschen Hooligans)

Bereits am Sonntagmorgen fanden sich dort hunderte von Fußballanhängern ein, darunter neben ausschließlich sportlich Interessierten auch viele "Problemfans", die in M1 in erster Linie Gelegenheit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit ausländischen, insbesondere jugoslawischen Fans suchten.

Als Problemfans werden solche Fußballanhänger bezeichnet, die die Austragung von Fußballspielen insbesondere "ihrer" Vereinsmannschaft als Gelegenheit zu eigener aggressiver Betätigung mißbrauchen. Von der deutschen Polizei wird ihr harter Kern unter der Kategorie "C-Fans" erfaßt. Demgegenüber handelt es sich bei der Kategorie A um den "normalen" Fan, der die Spiele "seines" Vereins aus Anhänglichkeit und Sportbegeisterung verfolgt. Die Kategorie B ist die der Mitläufer, die sich nur gelegentlich zur Teilnahme an Gewalttätigkeiten mitreißen läßt, sie aber nicht in erster Linie anstrebt. Häufig und geradezu typisch führen die gewaltbereiten Fans ein "Doppelleben": Im Alltag zeigen sie sich unauffällig und erfüllen ihre Pflichten im Beruf und gegenüber Familie und Partner. Beim Besuch von Fußballspielen an den Wochenenden weicht ihr angepaßtes Verhalten der Aggressivität und Gewalttätigkeit.

Bei nationalen Begegnungen richtet sich die Aggression der Problemfans auf die Anhänger des jeweils gegnerischen Vereins; nur selten sind Polizeibeamte oder sonstige Ordnungskräfte direktes Ziel der Aggression. Gelegentlich gelingt es szenekundigen Polizeibeamten, sich anbahnende Aggressionen im Vorfeld zu verhindern. Da die Fußballstadien und ihre Umgebung zunehmend von Ordnungskräften überwacht und gesichert werden, sind die Hooligans teilweise dazu übergangen, in räumlichem und zeitlichem Abstand zu den Spielen Treffen mit dem Gegner zu vereinbaren, die allein den Zweck haben, sich zu prügeln. Teilweise verstehen sie das als sportliche Auseinandersetzung. An Waffen gelten dabei "nur" Gürtel, Schirme, Leuchtstifte, Lederhandschuhe mit eingelassenem Bleistaub als legitim, zur eigenen Sicherheit wird ein Mundschutz getragen. Solche Treffen werden gleichsam logistisch geplant, wobei auf eine günstige Verkehrsanbindung geachtet wird, die eine schnelle Flucht vor eintreffender Polizei ermöglicht. Sie dauern meist nur kurze Zeit und wurden früher dann als beendet angesehen, wenn der Gegner aufgab, die Flucht ergriff oder am Boden lag. Der frühere Ehrenkodex, einen verletzten und/oder zu Boden geschlagenen Gegner nicht weiter zu attackieren, wird jedoch zunehmend aufgegeben. Es ist weitgehend üblich geworden, auch noch weiter nachzutreten. Das ist allgemein bekannt, auch den Angeklagten. Alkohol und Drogen spielen bei den Schlägereien eine enthemmende Rolle.

Die von Hooligans bei Auslandsspielen entwickelte Aggression unterliegt anderen Regeln und Bedingungen. Bei ihnen geht es jedenfalls nicht primär um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen ansonsten verfeindeten Fangruppen der Bundesligavereine, sondern mit Anhängern der gegnerischen/ausländischen Mannschaft.

Auch in M1 suchten die "Problemfans" Gelegenheit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit ausländischen, insbesondere jugoslawischen Fans. Die dazu schon in den Vorwochen in der "Szene" verbreitete "Stimmung" und erwartete Gewalt bewog auch die Angeklagten S2, S und S1 mit zur Anreise nach M1.

III. (Die Anreise der Angeklagten)

S2 war zusammen mit seinen Freunden T2 und B1 in einem Mietauto nach M1 gefahren und war dort samstags morgens angekommen. Im Kreis weiterer 20-30 "I1 Ultras", die am Samstagabend eingetroffen waren, wurde in der Nacht auf Sonntag bis gegen 5 Uhr gefeiert und gezecht. S2 trank hauptsächlich Q1 und Bier in unbekannter Menge. Nachdem er im Auto einige Stunden geruht hatte, nahm er Sonntags (21.6.1998) ab etwa 10.00 Uhr weiter Bier zu sich, bis etwa gegen 16.00 Uhr nach eigenen Angaben zehn halbe Liter.

S fuhr im Auto mit seinen Bekannten T3 und Q3 - ebenfalls "Mitläufer" der H "Szene" - nach M1, gefolgt von einem weiterem PKW mit den Insassen F1, Q3 und einem "K", und kam dort zwischen 9.00-9.30 Uhr an.

A hatte sich bereits am Wochenende zuvor in Q4 aufgehalten. Auch für das dortige Spiel hatte er keine Eintrittskarten bekommen. Der Polizei war er wegen Trunkenheit aufgefallen und zur Ausnüchterung vorübergehend arrestiert worden. Ursprünglich hatte er nicht beabsichtigt, sich das Spiel in M1 anzusehen. Er war bedrückter Stimmung, weil seine Großmutter, zu der er ein gutes Verhältnis gehabt hatte, am Freitag beerdigt worden war. Außerdem war er am selben Tag, dem 19.6.1998, durch die Abschlußprüfung gefallen. Erst Samstagabend bzw.endgültig erst Sonntagmorgens auf telefonische Rückfrage seines Freundes Q5 entschloss er sich, zusammen mit diesem und seinem weiteren Bekannten T4 im Auto nach M1 zu fahren. Gegen 6.00 Uhr war man in H aufgebrochen und gegen 10.00 Uhr in M1 angekommen, wo man das Fahrzeug in Bahnhofsnähe geparkt hatte. Bereits auf der Fahrt hatte A eine 0,5 I Dose Bier getrunken, im Laufe des Tages weiter Bier in größeren Mengen, möglicherweise auch weiteren Alkohol. Er wog damals 82 kg.

S1 war mit 3 Freunden, darunter T5, von C1 nach Q4 geflogen. Mit einem Mietwagen war man nach M1 gefahren. Dort stellte sich heraus, daß die von Deutschland aus reservierten Eintrittskarten für das Spiel nicht zur Verfügung standen - dies wird zugunsten des Angeklagten als wahr unterstellt.

Karten zum regulären Preis waren in M1 nicht mehr erhältlich. Auf dem Schwarzmarkt wurden sie stark überteuert angeboten und sollten mindestens 600,- DM kosten. Auch S, S2 und A Bemühungen um für sie erschwingliche Karten blieben erfolglos.

IV. (Die Krawalle in M1)

1.

Die Angeklagten gelangten nicht in die Nähe des Stadions, weil die Zuwegungen zum C-Stadion an Polizeisperren gründlich kontrolliert wurden. Nur Besucher, die im Besitz gültiger Eintrittskarten waren, durften die Kontrollen passieren.

Solche Kontrollen fanden insbesondere an der Kreuzung C2 statt, die auf halbem Weg zwischen dem "T6" und dem Bahnhof liegt. Es handelt sich um eine sternförmige, als Kreisverkehr (rond point) ausgebildete Kreuzung, wo die Hauptstraße C3 in die B2 übergeht und die S4, S5 und S6 zusammentreffen.

Nach kleineren Zwischenfällen deshalb verärgerter Fans formierten sich dort am Sonntag bereits um die Mittagszeit mehrere hundert deutscher Problemfans zu einem Angriff auf die Polizeisperre. Sie stimmten "Schlachtgesänge" an wie: "Wir haben euch was mitgebracht: Haß, Haß, Haß", "Wir sind wieder einmarschiert", "Auf die Bullen". Dabei bewegten sich die Hooligans in gewohnter Manier in geschlossenen Reihen auf die Sperre zu, um kurz vor ihr anzuhalten und langsam wieder zurückzuweichen. Stühle, Flaschen und Coladosen wurden aus der Menge gegen die Polizeikette geworfen, bis sie wieder erneut angegangen wurde. Dieses "Vor und Zurück", in Hooligankreisen das "Katz- und Maus"-Spiel genannt, dauerte etwa 15 Minuten.

Beendet wurden die Aktionen durch ein plötzliches Eingreifen der Polizei (schnelle Eingreiftruppe). Es kam zu einzelnen Festnahmen. Die "Hooligans" verstreuten sich oder mischten sich in Cafes unter friedliche Gäste, um einer Verfolgung zu entgehen.

2.

Bis zum Beginn und zunächst auch während des Spiels war es wieder ruhig. Es kam zu keinen größeren Zwischenfällen. Viele Angereiste verbrachten den warmen Sommertag in Gaststätten, in Straßencafes oder in Parks, wobei viel Alkohol konsumiert wurde. Auch S2 und A nahmen weiterhin alkoholische Getränke zu sich.

Für die Besucher, die das Spiel mangels Karten nicht im Stadion verfolgen konnte, wurde es auf einer Großleinwand in einer am Rande der Stadt gelegenen Turnhalle übertragen. Auch S sah es sich dort bis zum Ende der ersten Halbzeit an und fuhr sodann mit einem Taxi wieder zurück in die Innenstadt, wo er den größten Teil der zweiten Halbzeit auf einem Fernsehgerät in einer Bar verfolgte.

Das Spiel begann um 14.30 Uhr. Als die jugoslawische Mannschaft mit 2:0 in Führung ging, befürchteten die deutschen Fans, daß "ihre" Mannschaft das Spiel verlieren würde. Die Unruhe in den Cafes und Lokalen nahm gegen Spielende immer mehr zu und schlug in turbulente "Feierstimmung" um, als die deutsche Elf schließlich den Ausgleich zum 2:2 erzielte.

Man verließ die Lokale und versammelte sich auf den Straßen und vor Cafes. Rufe "Wir sind deutsch" kamen auf. Ahnlich wie schon morgens wurden Stühle, Sonnenschirme, Steine, Flaschen und Gläser auf Polizeibeamte geworfen und Leuchtspurmunition verschossen. Manche Inhaber schlossen aus Angst vor Krawallen ihre Bars. Es kam zu Festnahmen einiger Randalierer.

Nach Spielende formierte sich auf das von mehreren Hooligans gerufene Kommando "Auf geht' s" eine große Gruppe, zog - wobei sie mehr und mehr Zustrom erhielt - vom Bahnhofsviertel auf dem C4 östlich in Richtung Stadion, auf der Suche nach jugoslawischen Gegnern. Auch jetzt noch sperrte eine Polizeikette die Kreuzung C2, um Auseinandersetzungen mit zurückströmenden jugoslawischen Besuchern des Spiels zu verhindern. Aus der Gruppe heraus wurden Autos beschädigt, Antennen abgebrochen, Dosen und Flaschen geworfen, Passanten attackiert, Telefonzellen demoliert. Die Gruppe wuchs auf mehrere hundert Personen an und näherte sich, wie dies bereits am Vormittag geschehen war, in aggressiver Haltung und "Schlacht-Formation" der Polizeikette, einige Hooligans mit vermummtem Gesicht. Insbesondere auch der aus C5 stammende L4 tat sich dabei in vorderster Linie als Rädelsführer hervor.

ln der Menge befanden sich - unabhängig voneinander - auch die Angeklagten S1, S und S2, letzterer bereits erheblich alkoholisiert. S hielt die Szenen, wie bereits am Mittag, fotografisch fest.

Ein brasilianischer Kameramann filmte auf dem C4 den Aufmarsch und die Angriffe der Hooligans. Deshalb wurde er selbst attackiert und zu Boden geschlagen. Etwa zehn Hooligans schlugen oder traten abwechselnd auf ihn ein und ergriffen erst die Flucht, als sich Polizeibeamte mit Hunden näherten. Unter den Angreifern befand sich auch L4. S1 warf bei dieser Gelegenheit mit einer Flasche.

Der Angriff auf die Polizeisperre konnte durch Einsatz von Knüppeln und Hunden abgewendet werden; einzelne Gewalttäter wurden herausgegriffen, indem sich jeweils mehrere Polizei- oder Gendarmieriebeamte auf sie stürzten und sie festnahmen.

C. Das Tatgeschehen

I. Der Zug zur S7

Die nach Spielende durch Zustrom aus anderen Straßen zuletzt auf mehrere hundert Personen angewachsene Gruppe auf dem C4 konnte gegen die Übermacht der bewaffneten Sicherheitskräfte nichts ausrichten. Ihr Ziel, das Stadion C, war auf diesem Weg nicht zu erreichen. Sie zog sich von der Polizeikette zurück und teilte sich auf. Ein Teil bewegte sich auf dem C4 in östlicher Richtung auf das Rathaus zu und bog teilweise nach Norden in die S8 ab. Ein anderer Teil begab sich vom C4 in die nach Süden abzweigende S9 und rückte dort zunächst bis zur Kreuzung mit der S10 vor.

Die schmale S7 führt von dort in östlicher Richtung auf die S3 die ihrerseits in südlicher Richtung zum Bahnhof führt. ln westlicher Richtung überquert die S7 zunächst nach ca. 30-40 m die breite S4, die den Bahnhofsvorplatz (Q6) in nordwestlichem Verlauf mit der Kreuzung C2 verbindet, und geht dann nach ca. 80 m rechtwinklig in die S5 über, die ihrerseits nach etwa 60 m in den Kreisverkehr C6 einmündet und sich jenseits des Kreisverkehrs breiter ausgebaut fortsetzt. An das Eckhaus S11/S7 schließen sich in westlicher Richtung zunächst zwei Garagen und eine Einfahrt an, sodann fünf Mehrfamilienhäuser mit den Hausnummern 66 bis 74. Die Häuser S7 66-72 sind jeweils 9-11 m breit, zwischen den Häusern Nr. 72 und 74 befindet sich eine Toreinfahrt, an die sich ein eingeschossiger Anbau des Hauses Nr.74 anschließt.

Im Bereich der Kreuzung S7 /S9 kam es zu einer kleineren Prügelei mit jugoslawischen Fans, die wegen ihrer Unterlegenheit aber schnell die Flucht ergriffen. Nur wenige Meter von diesem Geschehen entfernt hielt sich auch A auf und beobachtete es aus nächster Nähe.

II. Der Tatort: Die S7 und ihre Sicherung

Auf der S7 waren zwischen der S11 und der S12 die Gendarmen O2, E1 und A1 postiert. Mit ihrer in B stationierte Gendarmerie-Einheit waren sie seit 8.00 Uhr in M1 im Dienst.

Etwa gegen 16.00 Uhr hatten sie den Befehl erhalten, Beamte einer Polizeieinheit abzulösen, an ihrer Stelle die an der Kreuzung C2 postierte Polizeisperre rückwärtig zu sichern und die zwischen dem Ende der S7 und der Kreuzung C2 auf der S12 abgestellten Polizeifahrzeuge unter Kontrolle zu halten.

Im Anschluß an die Polizeifahrzeuge waren sowohl auf der südlichen Seite der S7 als auch auf einem hinter einer aufsteigenden Böschung südlich angrenzenden Privatparkplatz PKWs von Besuchern geparkt, unter anderem die Fahrzeuge des Deutschen X, des Franzosen B3 und des aus England angereisten C7.

Die drei Gendarmen waren mit Helmen, einem Schienbein und Knie bedeckenden Beinschutz, sowie feuer- und stoßhemmenden Westen ausgestattet, ferner mit G3-Gewehren (G4) des Typs ... Daneben waren O2 und A1 auch mit Granatwerferaufsätzen des Typs "..." ausgerüstet, die dem Abfeuern von Tränen- bzw. Reizgasgranaten dienten und die mit ihrem Unterteil auf die Gewehrmündung aufgesteckt und dort durch eine Feder gehalten werden.

O2 verfügte über ein Funkgerät. Als er über Funk von der sich zuspitzenden Situation an der Kreuzung C2 erfuhr, setzten er und seine Kollegen die bis dahin am Gürtel getragenen Helme auf. Ungeklärt geblieben ist, ob O2 dabei den Kinnriemen ordnungsgemäß befestigte. Er und A1 steckten die Granatwerferaufsätze auf die Läufe ihrer Gewehre.

Die sich auf der Straße befindliche Zeugin D1 warnten sie: "Gehen Sie nach Hause, es wird einen Sturm geben"

III. Der Angriff auf die Gendarmen

1. Der Ablauf im Allgemeinen

Gegen 16.40 Uhr erreichte die nunmehr aus mindestens 50 Personen bestehende Gruppe der Hooligans die Kreuzung S7/S12 und hielt dort zunächst kurz inne, als sie der drei Gendarmen gewahr wurden. Zu ihnen gehörten auch die Angeklagten.

Nach wie vor war es die Absicht aller Mitglieder der Gruppe, unter Umgehung der gesperrten Kreuzung C2 einen Weg zum Stadion zu finden, um dort doch noch auf jugoslawische Fans zu treffen und sich mit ihnen zu schlagen. Gerüchteweise hatte man ferner vernommen, daß sich auch in dem zwischen dem Kreisverkehr C6 und dem Stadion liegenden Park (K1) englische Hooligans versammelt hatten und auf eine Konfrontation mit ihren deutschen Gegnern warteten.

ln dem sie erregenden Gefühl, daß der erhoffte Kampf nun unmittelbar bevorstand, entschloß sich der überwiegende Teil der Gruppe, den Weg durch die S7 fortzusetzen. Es ertönte an der Spitze der Gruppe der Ruf: "Hier können wir durch, da sind nur drei!". S vernahm ihn, möglicherweise aber nicht alle anderen in der Gruppe. Jedenfalls aber ließ sich der weitaus überwiegende Teil der Gruppe, darunter auch die übrigen Angeklagten, veranlassen, sich der in Bewegung setzenden Masse in dem Bewußtsein, es gebe hier ein Durchkommen, anzuschließen. Dabei rechneten auch diejenigen, die den Ruf nicht gehört hatten, damit, daß die S7 oder die sich anschließende Strecke von Polizeikräften gesichert war und ihnen ein ungehinderter Vorstoß auf die feindlichen Hooligans nicht ohne weiteres möglich war. Doch man erachtete einen etwaigen Widerstand als gering und wähnte sich im Bewußtsein der eigenen Stärke jedenfalls nur drei Angehörigen der Sicherheitskräfte gegenüber überlegen, eine Einschätzung, die von einer gesteigerten aggressiven "Stimmung" genährt wurde. Wirkungsvolle Gegenwehr erwartete man nicht und gedachte, sich den Weg, falls er nicht freiwillig geräumt werde, gewaltsam durch Um- oder Überrennen der Beamten zu bahnen und ihren etwaigen weiteren Widerstand notfalls in der für Hooligans typischen Weise zu brechen, indem man dem Gegner Faustschläge oder Fußtritte gegen den Körper versetzte. Dabei waren sich alle Beteiligten darüber im Klaren, daß eine etwaige Auseinandersetzung in typischer Hooligan-Art stattfinden könnte, also auch mit Gewalttätigkeiten gegenüber bereits zu Boden Geschlagenen. Hingegen rechneten sie nicht mit einer derartigen Eskalierung der Gewalt, daß die Beamten dabei schwer verletzt oder gar getötet werden könnten. Für die Angeklagten lag eine solche Möglichkeit außerhalb ihrer Erfahrung, die sie bislang vom Verhalten der Hooligans gewonnen hatten.

Es waren aus der Gruppe heraus aber auch Bedenken geäußert worden, bei einem Angriff auf die Gendarmen werde sogleich massive Verstärkung eintreffen. Jedoch ließen sich nur wenige aus der Gruppe, darunter die Zeugen S13 und Q7, hiervon beeindrucken und setzen sich ab.

Die übrigen setzten sich auf der Kreuzung zunächst langsam in Bewegung, um gemeinsam die dünne Polizeikette zu sprengen. Die Gendarmen standen nunmehr, die schmale Straße blockierend, in einer Linie, O2 auf der nördlichen, den Häusern der dort nur einseitig bebauten S7 zugewandten Straßenseite hin. Mit Worten (,,Gesperrt, Halt") oder entsprechenden Gesten bedeuteten sie den Anrückenden, daß es hier kein Durchkommen für sie gebe.

Aber hierdurch ließen sich die Angreifer nicht beeindrucken. Drei an ihrer Spitze marschierende Anführer, u.a. der anderweitig verfolgte X1 und neben ihm vermutlich auch F2, griffen sich Schilder/Werbetafeln, die an der sich an das Eckhaus anschließenden Garagen- bzw. Werkstattfront lehnten oder dort angebracht waren. Sie trugen den Schriftzug der bis vor kurzem dort residierenden Fa. S14 und bestanden aus Preßholz mit seitlichen Stützen aus Massivholz-Latten. So ausgerüstet rückten sie, die Schilder mit ausgestreckten Armen vor sich hertragend, erst bedrohlich ruhig auf die Gendarmen zu, dann wurde ihr Schritt immer schneller und ging schließlich in ein Laufen über.

Die Gendarmen, auch O2, wichen angesichts dieser Bedrohung einige Schritte zurück. O2 griff an sein Gewehr, ohne daß auch dies die Angreifer beeindrucken konnte. X1 griff zunächst O2 an. Mit seiner Werbetafel führte er schräg von oben einen heftigen Schlag aus und traf O2 an der linken Gesichtshälfte. Dessen Helm flog beiseite, die Tafel zerbrach durch den Aufprall. O2 kam durch den Schlag zu Fall. Er schlug auf dem Gehweg auf und kam dort in Seiten- oder Rückenlage zum Liegen, wobei er zunächst die Hände noch schützend vor sein Gesicht hielt. X1 wandte sich von ihm ab und E1 und A1 zu, die sich angesichts der Übermacht weiter zurückgezogen hatten; auch sie brachte er durch Umrempeln zu Fall. Sodann zog er sich über den Privatparkplatz auf den angrenzenden Gleisbereich zurück, wo er später von der Polizei entdeckt und festgenommen wurde.

Dem "Stoßtrupp" der drei Anführer war - mit wenigen Ausnahmen - die übrige Gruppe gefolgt, darunter auch die Angeklagten. Mehrere Hooligans scharten sich um den am Boden liegenden O2, unter ihnen S und S2. Sie versetzten ihm von allen Seiten Schläge und Fußtritte.

Andere ergriffen auf dem Boden liegende, bei dem ersten Ansturm benutzte Schilder oder Schildteile und näherten sich damit O2.

S1 warf aus größerer Entfernung ein Stück Reklametafel in die Richtung O2, möglicherweise ohne den am Boden Liegenden zu treffen.

Desweiteren wurden, wobei sich genauer Zeitpunkt, Abfolge und Täter nicht ermitteln ließen, entweder ein oder mehrere weitere Schildteile gegen den liegenden O2 geworfen und mit solchen - zumindest von einer Person - mehrfach auf ihn eingeschlagen oder gestoßen.

Auch als einer der Umstehenden - wohl L4 - sinngemäß rief: "Hört auf, der hat genug", ließ man nicht von O2 ab. Man hielt vielmehr nur kurz inne, um sogleich mit den Mißhandlungen fortzufahren.

O2 lag längs auf dem Gehweg, zwischen der zweistufigen Eingangsschwelle des Hauses Nr. 74 und dem Bordstein, mit dem Kopf zum Ende der Straße hin und mit der Körpervorderseite auf dem asphaltierten Boden. Sein rechter Arm lag quer unter dem Oberkörper, der abgewinkelte linke Unterarm vor Gesicht und Kopf. Seine rechte Kopfseite, vom Gebäude abgewandt, lag auf dem Boden auf. Es ist nicht bekannt, durch welche Einwirkung O2 das Bewußtsein verlor, wahrscheinlich aber durch kräftige Schläge mit Stücken der Reklametafel gegen den Kopf.

2. Die Beteiligung der Angeklagten

Inmitten der den ersten Angreifern nachfolgenden Menge waren auch die Angeklagten in die S7 gerannt. Sie hatten an dem gemeinsamen Lauf der Gruppe teilgenommen und die Aktionen des "Stoßtrupps" verfolgt. Sie hatten beobachtet, wie O2 in der geschilderten, ihnen bekannten Hooligan-Manier umgerannt und zu Boden gestoßen worden war.

S2 stand zur Tatzeit erheblich unter Alkoholeinfluß, ohne jedoch volltrunken zu sein. Er wog damals 72 kg und war bekleidet mit einem nicht in freiem Handel erhältlichen T-Shirt mit dem Aufdruck "I1 Ultras", der Gruppierung der I6 Hooligans, denen er sich freundschaftlich verbunden fühlte. Er trug schwere, hohe, schwarze Schuhe der Marke D2, die ein ca. 1 cm stark ausgeprägtes Profil aufwiesen. Er trat vor bis zu dem am Boden liegenden O2 und reihte sich in eine Gruppe von Hooligans ein, die aus allen Richtungen gegen O2 eintraten. Dabei stand er neben dem ihm bis dahin unbekannten S. Mit seinen Schuhen trat er mindestens zweimal von oben stampfend auf O2 Körper ein, jedoch möglicherweise nicht auf seinen Kopf. Nach den Tritten stieg er über den Körper O2 und lief zusammen mit den anderen weg.

S war bekleidet mit schwarzweißen Turnschuhen, Jeanshose, einem blauem T-Shirt und einer beigefarbenen Baseballkappe. Unmittelbar neben S2 stehend, versetzte auch er dem am Boden liegenden O2 mindestens zwei Fußtritte, die kraftvoll von oben nach unten geführt wurden und die ihn im Bereich der Beine und des Rumpfes trafen, möglicherweise aber nicht am Kopf.

Die beiden Angeklagten standen nebeneinander und sahen sich, wie sie zutraten; sie waren sich dabei bewußt, daß ihre Tritte zu Verletzungen führen konnten.

Auch S1 war in der Erwartung, die schwachen Polizeikräfte zu überwinden, gemeinsam mit den anderen in die Gasse gelaufen. Er war bekleidet mit einem dunklen T-Shirt und nunmehr einer sog. Basecap, einer Schirmmütze, die an der rechten Seite einen weißen Aufnäher trug und auf ihrer linken Seite andersfarbig gestaltet war.

Zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt des Geschehens, als O2 bereits zu Boden gebracht worden war, mehrere Hooligans um ihn herumstanden und sich ihm zwei weitere mit Schildern in den Händen näherten, hielt S1 sich auf der linken Straßenfahrbahn in einer Entfernung von etwa 8 m auf und beobachtete das Tatgeschehen. Dabei war er in der Sicht auf den am Boden liegenden O2 zunächst durch die umstehenden Hooligans behindert.

Er wollte sich nun auch persönlich und aktiv an den gemeinsamen Aktionen beteiligen. Deshalb ergriff er mit beiden Händen ein Schild oder Teile eines Schildes, das die Gestalt des Buchstabens "P" hatte und ca 40-50 cm hoch war; möglicherweise handelte es sich dabei um einen Teil des "R" aus dem Firmennamen "S14", der auf deren Werbeträger angebracht gewesen war und sich infolge eines bereits zuvor damit geführten Schlages abgelöst hatte. Mit diesem Stück in der Hand bewegte er sich einige Schritte auf die O2 umstehenden, unmittelbar gewalttätigen Hooligans zu und warf es mit einer weit ausholenden Bewegung seines rechten Arms in O2 Richtung.

Es ist nicht bekannt, ob der Wurf O2 getroffen hat. Später jedenfalls lag das Schildteil an O2 Füßen.

A hatte sich der vom C4 zurückziehenden Gruppe erst zu einem späteren Zeitpunkt angeschlossen, war jedoch bereits bei der Rangelei mit den jugoslawischen Fans in der S7 zugegen. Mit der Gruppe rannte er von der Kreuzung S7/S11 weiter mit in die Gasse hinein.

Zu diesem Zeitpunkt stand er erheblich unter Alkohol, ohne jedoch volltrunken zu sein. Er wog damals 82 kg und war von kräftiger untersetzter Statur. Bekleidet war er u.a. mit einem blauen T-Shirt. Möglicherweise war es ein anderes als das, das er im Laufe des Tages getragen hatte und das den Aufdruck "GE-walttäter" trug.

A näherte sich dem am Boden liegenden O2 und hob den Gewehraufsatz vom Boden auf, den dieser verloren hatte oder der durch einen seiner Angreifer von seinem Gewehr abgerissen worden war.

Der zum Abfeuern von Gasgranaten bestimmte Gewehraufsatz aus Hartaluminium bestand aus 2 miteinander verschraubten Teilen mit einer Länge von insgesamt 47 cm und einem Gewicht von 775 g. Das zylindrische Oberteile hat einen äußeren Querschnitt von 6,2 cm, das Unterteil läuft trichterförmig aus und hat am Ende einen Querschnitt von 22 cm.

Mit dem keulenartigen Gewehraufsatz in der rechten Hand bahnte sich A einen Weg durch die Gruppe zu O2, indem er die Umstehenden, unter anderem L4, beiseite drängte.

Er beugte sich über den regungslosen O2, holte mit dem rechten Arm aus und schlug von oben mit dem Gewehraufsatz (mindestens) zwei- bis dreimal kräftig auf seinen Kopf und Oberkörper. Dabei hielt er es für möglich, dadurch O2 tödliche Verletzungen beizubringen, was er in Kauf nahm. Veranlaßt wurde er hierzu, weil er sich vor den anderen in besonderer Weise hervortun wollte und weil er Lust an der Mißhandlung eines am Boden liegenden Polizeibeamten empfand.

Einer der Schläge traf O2 mit großer Wucht am Hinterhauptbein links und verursachte einen Biegungsbruch mit sternförmigen (Berstungs-) BruchausIäufern. Es ist unbekannt, ob und wohin auch andere Schläge getroffen haben.

E1 gelang es nun, einen Tränengasgranate abzufeuern, die mit lautem Knall detonierte. ln der Furcht, nunmehr werde Polizei eintreffen - wandten sich die Hooligans ab - möglicherweise bis auf L4, der noch zögerte - und ergriffen die Flucht. A schloß sich ihnen an. Ihm war bei der Wucht seines Schlages gegen den Kopf O2 klar, daß er diesen in unmittelbare Lebensgefahr gebracht hatte und, daß es dem Glück überlassen war, ob dieser überleben würde.

Möglicherweise war es A, der auf der Flucht sinngemäß äußerte: "Den habe ich (oder "haben wir") kaputt gemacht"; auch er floh, um sich drohender Festnahme zu entziehen.

Die Fähigkeit der Angeklagten, das Unrecht ihrer Tat einzusehen, war zur Tatzeit nicht beeinträchtigt. A und S2 Fähigkeit hingegen, nach dieser Einsicht zu handeln, war unter dem Einfluß von Alkohol im Zusammenwirken mit der von der Gruppe ausgehenden Dynamik möglicherweise erheblich vermindert. Aufgehoben war sie bei beiden nicht.

3. Die Rettung O2 und die Folgen der Tat für ihn

Der Notarzt E2 wurde gegen 16.45 Uhr von dem Notfall benachrichtigt und traf ca. 5 Minuten später in der S7 ein; der Rettungsdienst der Feuerwehr mit den Beamten I7 und D3 war bereits dort. Er fand O2 mit offenen Augen in schwerem Koma vor.

Der damals 43-jährige O2 trug zahlreiche, lebensgefährliche Verletzungen, insbesondere auch Schädelfrakturen davon:

(1) Er erlitt eine linksseitige Schädeldachfraktur (Knocheneinbruch des Hinterhauptbeins links auf einem Areal mit einem Durchmesser von 4 cm) mit Verlagerung von Knochensegmenten ins Schädelinnere, davon auslaufende Frakturen (Berstungsbrüche) mit Bruch des linken Felsenbeins und des linken Scheitelbeins seitlich hinten. Weitere Bruchausläufer zogen sich zur linken Schläfenbeinschuppe und zum Hinterrand des großen Hinterhauptlochs links seitlich; eine lange Berstungsbruchlinie erstreckte sich vom Hinterhauptbein links bis an die rechte Schläfenbeinschuppe.

Mit diesen Brüchen korrespondierten weitere Verletzungen: Kopfhaut- und Kopfschwartenquetschungen, eine Hirnquetschung des linken Hinterhaupt- und Schläfenhirnlappens sowie eine Kleinhirnquetschung. Kleine punktförmige Einblutungen zeigten sich im Marklager der rechten Gehirnhälfte.

(2) Unabhängig davon erlitt O2 Mittelgesichtsbrüche, nämlich des linken Wangenknochens, der äußeren Wand der linken Augenhöhle und der rechten Kiefernhöhle.

(3) Durch weitere Brüche betroffen waren die rechte Stirnhöhle, die Siebbeinplatte und die rechten Seitenwände von Kiefer- und Augenhöhle.

Bewußtlos wurde O2 zunächst in das Universitäts-Krankenhauszentrum von M2 eingeliefert. Nachdem er erst am 31.7.1998 aus seinem Koma erwacht war, wurde er am 12.8.1998 in das Armee-Krankenhaus Q8 in D4 verlegt. Dort wurde der vorgenommene Luftröhrenschnitt zwei Tage später geschlossen. Später erfolgte eine Weiterverlegung in das Rehabilitationszentrum I8 in S15.

Noch 4 Monate später litt O2 unter schwerwiegenden neurologischen Störungen, die trotz fortgeführter Rehabilitationsmaßnahmen teilweise noch fortbestehen: Gleichgewichtsstörungen, Wahrnehmungs-, Berührungs- und Sehstörungen, eine rechtsseitige Halbseitenlähmung mit Auswirkungen auf die rechte Hand und das Gesicht und eine posttraumatische Neurose mit Angst- und Unruhephasen. Die Sehkraft auf dem rechten Auge hat er verloren, die des anderen Auges ist verringert. Sein Geschmacks- und Geruchssinn ist stark herabgesetzt, sein Hörvermögen ist gestört.

Durch die Gewalttat erfuhr O2 Leben einschneidende Veränderungen, auch im privaten Bereich. Sport und Autofahren und sonstige alltägliche Beschäftigungen wie Lesen; Schreiben und Zeichnen sind ihm ebenso unmöglich wie Basteln, was sein bevorzugtes Hobby gewesen war. Eine Kommunikation mit Ehefrau und Kindern ist weiterhin nur in engen Grenzen möglich. Komplexere Zusammenhänge eines Gespräches versteht er nicht, wesentlichere Entscheidungen müssen ihm abgenommen werden. Ob er seinen Dienst in der Gendarmerie unter diesen Umständen wieder wird aufnehmen und bis zur regulären Pensionierung im Alter von 55 Jahren fortführen können, ist unwahrscheinlich.

IV. Die Einlassungen der Angeklagten

1. S2

S2 hat eingeräumt, sich regelmäßig als Hooligan betätigt zu haben. Er sei nach M1 auch deswegen gefahren, um sich mit gegnerischen Fans - etwa Anhängern des Vereins S16 - zu prügeln. An den Ausschreitungen auf dem C4 und im Bereich der Polizeisperre habe er sich jedoch mittags nicht beteiligt.

Nach Spielende habe er sich innerhalb einer Gruppe von 100-150 Personen zum C4 aufgemacht, um jugoslawische Fans aufzuspüren und sich mit ihnen zu schlagen. Dort sei man von der Polizei auseinandergetrieben worden. Im letzten Drittel einer kleineren Gruppe sei er in eine Seitenstraße und von dort aus in die S7 gelaufen, weiterhin in der Erwartung, dort oder im Stadionsbereich auf jugoslawische Fans zu treffen. Daß auch die S7 von Polizisten gesichert gewesen sei, habe er nicht gewußt. Vor ihm in der Straße habe er ein Gerangel und heftige Bewegungen wahrgenommen. Er habe angenommen, daß es zu einer Schlägerei mit gegnerischen Fans oder dem Versuch eines Durchbruchs zum Stadion gekommen sei. Erst beim Weiterlaufen habe er erkannt, daß ein Polizist zu Boden gebracht worden und von 12-15 Fans umgeben gewesen sei. Kurz vor ihm habe er abgestoppt und sich dazu hinreißen lassen, ihn ebenfalls zu treten; er sei gleichsam Mitglied der um ihn herumstehenden "Traube" geworden. Zunächst habe er ihm einen Tritt gegen die Beine oder ins Gesäß versetzt. Er habe gesehen, wie O2 sich an einen Gegenstand, wohl sein Gewehr, geklammert habe, habe ein Klacken vernommen und angenommen, O2 wolle einen Schuß abgeben. Nach einem weiteren Schritt nach vorn habe er dem Beamten einen zweiten Tritt in den Rücken versetzt. Von hinten habe ihn jemand gestoßen und ein anderer ihn von der Seite an seinem T-Shirt gezogen. Um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, sei er über den Körper des Beamten gestiegen und habe dann mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe die Flucht ergriffen. Von Schlägen mit einem Brett im Anschluß an seine und S Tritte habe er nichts bemerkt. Sein durch einen "Adrenalinstoß" hervorgerufener rauschähnlicher Zustand habe plötzlich aufgehört und er sei nach dem Vorfall schlagartig wieder "nüchtern" geworden.

2. S

Auch S schildert den Angriff auf die Gendarmen ähnlich wie S2. Nach Spielende habe er sich einer Gruppe ihm unbekannter Hooligans angeschlossen, um auch im Stadionsbereich Fotos aufzunehmen. Weil an der Polizeisperre auf der Kreuzung C2 kein Durchkommen gewesen sei und aus der anderen Richtung weitere Polizeikräfte angerückt seien, habe er sich von der Gruppe trennen und allein einen Weg zum Stadion suchen wollen. Der Durchgang durch eine Seitenstraße sei ihm jedoch von einem Polizisten auf einem Motorrad verweigert worden. Deswegen habe er sich wieder der Masse angeschlossen. An der Schlägerei mit jugoslawischen Fans hätten sich aus der Gruppe nur etwa zehn Personen beteiligt, er selbst nicht.

ln die S7 sei er auf den Ruf "Da stehen nur drei, da kommen wir durch" nur mitgelaufen, um an den Polizeibeamten vorbei zu gelangen und das Stadion zu erreichen. Als O2 durch den Schlag mit einem Holzbrett zu Boden gebracht worden sei und mehrere Hooligans auf ihn eingetreten hätten, habe auch er wie elektrisiert mitgetreten. Sein erster Tritt sei gegen O2 Beine gegangen, wohin der zweite Tritt gegangen sei, wisse er nicht mehr. Im Anschluß daran habe ein ihm Unbekannter sich auf den Polizisten gekniet und mit einem Brett so kräftig auf O2 Kopf geschlagen, daß es dadurch zerbrochen sei. Der Beamte habe erst durch diesen Schlag das Bewußtsein verloren und die bis dahin schützend vor den Kopf gehaltenen Arme und Hände fallen lassen. Mit dieser Brutalität habe er nichts zu tun haben wollen, sei einen Augenblick wie gelähmt gewesen und habe dann die Flucht ergriffen.

3. S1

S1 hat eingeräumt, auch er habe zur Hooliganszene gehört, jedoch nie zu rechtsradikalen Kreisen. Er sei in der Mitte der Gruppe mit in die Gasse gelaufen. Jedoch habe er O2 nicht geschlagen, sondern immer eine Entfernung von mindestens 7-8 m zu ihm eingehalten. Deswegen habe er Schläge und Tritte anderer auch nicht so genau beobachten können, daß er sie schildern könne.

4. A

A hat erklärt, er gehöre nicht zu Hooligankreisen und besuche nur selten Auswärtsspiele des G. Er stellt in Abrede, sich mit L4 anläßlich eines Spiels in C5 geprügelt zu haben, wie dieser vor der Polizei angegeben habe. Er kenne L4 gar nicht.

An die Vorfälle in M1 könne er sich wegen seiner Trunkenheit nur schwach erinnern. Schon auf der Fahrt nach M1 habe er drei 0,5 I-Dosen Bier getrunken, in M1 selbst im Verlaufe des Sonntags zwei bis drei Becher Bier a 0,3-0,4 I, vier weitere Dosen a 0,3 I und eine 0,5 I Flasche (insgesamt in M1 also zwischen 2,3 und 2,9 I Bier). Aus einer herumgereichten Schnapsflasche habe er einen großen Schluck genommen. Vor einem Cafe habe er "U1-Bier", eine Mischung aus Bier und U2, konsumiert. Es müßten 4-5 kleine Flaschen a 0,25 oder 0,3 I gewesen sein; jedenfalls hätten solche Flaschen neben seinem Tisch gestanden. Ferner habe er sich in einer Gaststätte eine 0,7 I Flasche Rotwein besorgt. Ob er diese geleert habe, wisse er infolge seiner Trunkenheit nicht mehr genau. Im Lauf des Tages habe er sich von L5 ein anderes T-Shirt geben lassen und es angezogen, weil sein eigenes durch verschüttetes Bier verschmutzt gewesen sei.

Nachmittags sei er auf einem Rasenstück eingeschlafen und durch ein Gegröle geweckt worden. Er habe sich der rennenden Gruppe angeschlossen, ohne zu wissen, warum. Erinnern könne er sich nur noch, inmitten der Gruppe in eine kleine Straße gerannt zu sein. Als alle angehalten hätten, habe er dort eine Person mit einer blauen Jacke liegen sehen, auf die man eingeschlagen habe. Er selbst habe einmal mit einem Gegenstand, den er immer nur als eine grüne Bierflasche in Erinnerung gehabt habe, auf deren Oberkörper oder Oberarm eingeschlagen. Nach dem Schlag sei er hinter den andern mit weggelaufen.

Q5 habe ihn in Bahnhofsnähe aufgegriffen und zum Auto verbracht. Später habe Q5 ihm erzählt, er habe nur noch lallen können und sei im Auto sofort eingeschlafen.

E. Beweiswürdigung

Die Kammer ist den Einlassungen der Angeklagten S2 und S zum äußeren Tatablauf weitgehend gefolgt. Soweit S und S2 allerdings behauptet haben, sie hätten die Gendarmen nicht attackieren wollen und sich dazu lediglich durch Tritte und Schläge anderer Täter hinreißen lassen, ist dies zur Überzeugung der Kammer widerlegt. Aufgrund der im Rahmen der folgenden Beweiswürdigung (zu IV) noch darzulegenden Umstände ist die Kammer vielmehr davon überzeugt, daß sämtliche Angeklagte, also auch S1 und A, zusammen mit der sie umgebenden Gruppe den Angriff auf die Gendarmen als gemeinschaftliche Aktion von vorneherein in Betracht gezogen und für den Fall des erwarteten Widerstandes auch gewollt haben. Nicht zu widerlegen hingegen sind S2 und S Einlassungen, ihre Tritte hätten sich ausschließlich gegen O2 Körper und nicht gegen seinen Kopf gerichtet.

Die Einlassung des Angeklagten S1, er habe sich passiv verhalten und das Tatgeschehen lediglich unbeteiligt aus größerem Abstand verfolgt, ist widerlegt. Die Kammer ist sich sicher, daß auch er sich insofern aktiv an dem Angriff beteiligt hat, als er mit einem Schild nach dem bereits am Boden liegenden O2 geworfen hat. Diese Überzeugung gründet sich auf die Fotos vom Tatgeschehen und den mit ihnen übereinstimmenden Angaben des Zeugen T5 bei seiner polizeilichen Vernehmung, wie sie von den Vernehmungsbeamten G5 und I9 berichtet worden sind.

Das Teilgeständnis A, mit dem er seine Anwesenheit am Tatort und seine Beteiligung an den Gewalttätigkeiten einräumt, wird durch die übereinstimmenden Bekundungen der Zeugen L4, F3 und T7, die Angaben des Mitangeklagten S bei seiner polizeilichen Vernehmung und durch die Fotos der Zeugen F3 und T7 gestützt. Soweit er sich dahin einläßt, er habe lediglich einmal mit einer Flasche auf O2 Oberkörper oder Arm eingeschlagen, ist dies zur Überzeugung der Kammer widerlegt. Die über das Teilgeständnis hinausgehenden Feststellungen gründen sich auf die genannten Beweismittel und das Gutachten des Sachverständigen I10.

Dagegen gibt es keinen verläßlichen Anhalt dafür, daß die Angeklagten von vorneherein auch den Tod oder eine schwere Körperverletzung der Beamten in Kauf genommen haben, auch nicht dafür, daß S, S2 und S1 mit dem Verhalten A einverstanden waren.

Im einzelnen:

I. Tritte S2 und S

Die Feststellungen zu den Tatbeiträgen der Angeklagten S2 und S beruhen im wesentlichen auf ihren Einlassungen, denen weitgehend zu folgen war.

1.

An der Glaubhaftigkeit des Geständnisses beider Angeklagten, am Ort des Geschehens gewesen zu sein und jeder zweimal auf O2 eingetreten haben, bestehen keinerlei Zweifel. Sie gestehen es. Ihre Anwesenheit am Tatort wird durch das Lichtbild L XXI 5 (Lichtbild 5 der Fotomappe M1 XXI) belegt. Der Zeuge F3 hat er es - ebenso wie seine nachfolgenden Fotos L XXI 7 und XXI 8 - während des Geschehens aufgenommen. Hierauf sind die Angeklagten S und S2 von der Kammer wiedererkannt worden. Gleiches gilt von dem Foto L XXI 6 (= L I A 10 A), das der Zeuge T7 nach seiner Bekundung vom Tatgeschehen aufgenommen hat. Auch in den dort am linken Bildrand abgebildeten beiden Personen hat die Kammer S und S2 erkannt.

Was die Anzahl der Tritte angeht, vermag die Kammer weitere als die von den beiden Angeklagten jeweils eingeräumten zwei Tritte nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen. F3 hat zwar - in Bezug auf S2 - schon bei seiner polizeilichen Vernehmung von drei bis vier Tritten gesprochen, sich aber bereits damals nicht sicher festlegen können. Als Zeuge in der Hauptverhandlung konnte er dazu ebenfalls keine näheren Angaben machen. Eine plausible Erklärung dafür findet sich darin, daß das Foto L XXI 5 die erste seiner Aufnahmen vom Tatgeschehen ist, er nach eigenem Bekunden den Fotoapparat erst hervorholen mußte und dadurch vermutlich abgelenkt war.

Von der Glaubhaftigkeit der Angaben L4 zur Anzahl der Tritte S und S2 ist die Kammer nicht überzeugt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter vom 14.7.1998 gab er in Erläuterung des ihm vorgelegten Fotos L XXI 5 lediglich an, "der mit der Kappe", also S, habe mehrfach Draufgetreten. Erst am nächsten Tag vor dem Haftrichter konkretisierte er dies und gab nunmehr an, beide hätten "so 5-6 mal" getreten. Diese Schilderung erscheint der Kammer nicht zuverlässig genug. L4 selbst hat sich in M1 als Hooligan betätigt. Er ist mit der Gruppe der Hooligans in die S7 gelaufen und hat an dem Angriff auf O2 teilgenommen; auf dem Foto LXXI 5 hat er sich selbst als diejenige Person identifiziert, die unmittelbar vor O2 steht und die Arme nach S2 ausstreckt. Auch an den Krawallen und Angriffen gegen die Polizeisperre am Kreisverkehr C6 hatte er bereits teilgenommen. Vor dem Haftrichter hat er dies selbst eingeräumt. Seine Beteiligung daran ist zudem durch weitere Fotos des Zeugen T7 (Lichtbildmappe I) belegt, die dieser nach seiner Bekundung auf dem C4 aufgenommen hatte. Auf dem Lichtbild L I A 12 a, das auch nach der Erläuterung des Zeugen Q9 den Angriff auf den brasilianischen Kameramann zeigt, hat die Kammer L4 als Person Nr. 12 erkannt, desweiteren in vorderster Front zur Polizeisperre, auf den Bildern B 17 (Nr.2) und C 22 a (Nr.3).

Mochte L4 eine eigene Gewalteinwirkung gegen O2 auch nicht nachzuweisen sein, so hatte er doch Grund, sich von dem Vorwurf der aktiven Teilnahme an den Gewalttätigkeiten in M1 zu entlasten. Dies hat er durch seine Erklärung versucht, gerade die Tritte der Angeklagten hätten ihn veranlaßt, zur Beendigung der Mißhandlungen aufzufordern und/oder S2 von O2 weg zu zerren. Dazu verwies er auf das Foto L XXI 5, das ihn mit zu S2 ausgestreckten Händen zeigt, und erklärte diese Haltung damit, er habe "irgendwie eingreifen" wollen. Um diesen Versuch plausibel zu machen, bedurfte es für L4 der Schilderung einer von ihm als besonders gewalttätig empfundenen Szene. Aus diesem Grund vermag die Kammer nicht auszuschließen, daß L4 die Tatbeiträge S1 und S übertrieben darstellt, um sich selbst durch sein angebliches Mäßigungsgebot in ein besseres Licht setzen zu können.

2.

Die Kammer ist nicht überzeugt davon, daß S und S2 zielgerichtet auf O2 Kopf eingetreten haben. Zwar glaubt die Kammer ihnen nicht, daß sie O2 gleichsam nur beiläufig getreten haben. Doch kann ihre Einlassung, sie hätten lediglich gegen seinen Körper (Beine, Gesäß, allenfalls Rücken) getreten, nicht widerlegt werden.

a) Aufgrund der Bekundung des Zeugen F3 hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, daß S und S2 stampfend von oben auf O2 eingetreten haben. Zwar hat F3 den Angeklagten S am Tatort nicht erkannt. Doch hat er berichtet, er habe zwei Personen gesehen, die gemeinsam auf O2 stampfend eingetreten hätten; in einem dieser beiden Täter hat er S2 erkannt. Daran, daß S der andere Täter war, bestehen keine Zweifel. Dies wird durch das Foto L XXI 5 belegt. S hat sich dort wiedererkannt und angegeben, dort sei eine sich unmittelbar an seine und S2 Tritte anschließende Situation dargestellt.

Zu den von F3 berichteten stampfenden Tritten passen die räumlichen Gegebenheiten, wie sie sich auf dem Foto L XXI 5 darbieten. Beide Angeklagte wollen O2 erst einen Tritt gegen die Beine bzw. in das Gesäß versetzt haben, dann jeweils einen weiteren Tritt, S2 in den Rücken O2. Das Foto zeigt, daß O2 auf dem Bürgersteig mit dem Rücken zu Häuserfront lag. Der Freiraum zwischen O2 Rumpf und der Häuserwand reicht zwar dafür aus, daß eine Person dort stehen kann; er ermöglicht aber schwerlich noch ein Ausholen mit dem Bein und ein seitliches Treten gegen O2 Rücken.

b) Tritte der Angeklagten auf O2 Kopf sind nicht erwiesen.

L4 hat seine Angabe, S habe gegen O2 Kopf getreten, schon bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung vom 14.7.1998 dahin abgeschwächt, dies sei "seiner Meinung nach" der Fall gewesen. Bei seiner im Beisein des Zeugen C8 nur einen Tag später durchgeführten richterlichen Vernehmung vom 15.7.1998 war er - möglicherweise im Bewußtsein, daß dieser Aussage größere Bedeutung zukomme als der polizeilichen - in dieser Hinsicht bereits vorsichtiger. Dort hat er als Ziel der Tritte nur den "ganzen Körper" angegeben, also nicht mehr ausdrücklich den Kopf.

Auch Tritte S2 auf oder gegen den Kopf O2 sind nicht erwiesen. Aus dem Foto L XXI 5 ergeben sich dafür keine Anhaltspunkte. Es zeigt zwar S2 mit erhobenem linken Bein über dem Körper O2. Aus seiner dort eingenommenen Körperstellung (Beinhaltung und verdrehte Hüftstellung) vermag die Kammer jedoch nicht herzuleiten, daß er in diesem Moment auf O2 eintritt. Die abgebildete Stellung S2 bestätigt vielmehr seine Einlassung, er habe die Flucht ergreifen wollen und sei deswegen über O2 hinweg gestiegen, wobei er sich wegen Behinderung durch umstehende Personen habe bemühen müssen, das Gleichgewicht zu halten. Hierfür spricht auch die weitere Abfolge des Geschehens. T7 nur wenig später aufgenommenes Foto (LXXI 6) zeigt S2, wie er bereits seitlich neben dem Kopf von O2 steht, der Straße zugewandt; S, neben S2 am linken Bildrand sichtbar, befindet sich bereits auf der Straße, parallel zu ihrem Verlauf und in Bewegung zurück zur S11.

F3, der S2 auf dem von ihm aufgenommenen Foto LXXI 5 zuverlässig wiedererkannt hat, hat bei seiner polizeilichen Vernehmung lediglich berichten können, daß S2 O2 mindestens drei bis vier stampfende Tritte auf/in den oberen Körperbereich versetzt hat; gegen den Kopf gerichtete Tritte hat er nicht wahrgenommen. Daß er S2 gerade insoweit schonen wollte, läßt sich nicht annehmen.

Der Zeuge T7 hingegen hat in der Hauptverhandlung berichtet, S2 habe - wie gegen einen Fußball - mehrfach getreten, dabei auch gegen den Kopf. Dem vermag die Kammer nicht zu folgen; die Unzuverlässigkeit der Aussage zeigt sich insbesondere auch in ihrer Entwicklung. T7 ist mehrfach polizeilich vernommen worden. Die Vernehmungsprotokolle sind verlesen und ihm vorgehalten worden, wobei er die richtige Protokollierung seiner damaligen Aussagen bestätigt hat.

Bei seiner Vernehmung am 24.6.1998 hat T7 zu dem auf seinem Foto L XXI 6 links abgebildeten S2 angegeben, dieser habe dem auf dem Boden liegenden O2 entweder einen Fußtritt oder Faustschlag versetzt; genau wisse er das nicht mehr. Bei der Vernehmung am 21.7.1998 hat er in der Vorzeigemappe "Hooligans allemands" S2 wiedererkannt als denjenigen, der auf seinem Foto (LXXI 6) links neben O2 Kopf stehe. Zweimal hat er in diesem Zusammenhang angegeben, er könne wegen der Vielzahl der Beteiligten und der Schnelligkeit des Geschehens dessen Tatbeitrag und Rolle bei dem Angriff nicht näher beschreiben. Erst als ihm am 21.7.1998 erstmals F3 inzwischen zu den Akten gelangtes Foto LXXI 5 vorgelegt wurde, gab er an, sich an die Beobachtung dieser Szene erinnern zu können und gesehen zu haben, daß diese Person (S2) den Fuß auf den Bauch des Gendarmen gesetzt habe, ihn dann leicht angehoben und den Absatz erneut auf den Gendarmen gesetzt habe. Abgesehen davon, daß diese Umschreibung wenig auf ein Treten schließen läßt, erweckt T7 Wiedergabe Zweifel, weil er - wie das Foto, von T7 bestätigt, ebenfalls zeigt - in einiger Entfernung auf der gegenüberliegenden Straßenseite abseits stand, seine Sicht auf O2 und die dicht bei diesem stehenden Angeklagten S und S2 durch davor stehende Personen, zumindest A und L4, beinträchtigt war und er sich überdies nach eigener Aussage und seiner auf dem Foto erkennbaren zurückgelehnten Körperhaltung mit erhobenem Fotoapparat um eine Aufnahme vom Geschehen bemühte.

Bei seiner Vernehmung am folgenden Tag, dem 22.7.1998 ist T7 dann noch einen Schritt weiter gegangen und hat zum Foto LXXI 5 (= LVII 1) erstmals angegeben, S2 habe über dem Polizisten gestanden und dabei auf ihn eintreten. Dies macht deutlich, daß T7 auch in diesem Zusammenhang zur Interpretation ihm vorgelegter Bilder tendiert.

Hatte T7 bei der Vernehmung am 22.7.1998 noch einschränkend, ja beinahe entschuldigend angeführt, das sei ja alles so schnell gegangen, hat er in der Hauptverhandlung derartige Einschränkungen nicht mehr vorgebracht. Vielmehr hat er das Geschehen ein weiteres mal ergänzt und konkretisiert: S2 habe schon anfangs mit Fäusten zugeschlagen, als O2 noch gestanden habe. Später habe er auf den am Boden Liegenden "draufgehalten", in gebückter Haltung geschlagen und mehrfach, so wie gegen einen Fußball, gegen Becken, Halsbereich, Brust und auch gegen O2 Kopf getreten. Die Kammer hat Bedenken gegen die Annahme, daß diese weitere Ergänzung und Präzisierung auf seiner wiedererweckten Erinnerung beruht. Denn bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung lag der Vorfall bereits fast ein Jahr zurück. Das Bild eines Trittes wie gegen einen Fußball ist zu anschaulich, um es zunächst zu vergessen. Obwohl er in zeitnahem Abstand zum Geschehen mehrfach und intensiv befragt worden ist, hat er es damals aber nicht zur Sprache gebracht.

T7 Aussage erfährt eine weitere Entwertung: Bei der Vernehmung vom 22.7.1998 hat er berichtet, Q10 und auch S2 seien dabei gewesen, als O2 zu Boden gebracht worden sei. Bezüglich Q10 ist das nachweislich falsch. Dies wird durch die Fotos L XXI 2 und 3 belegt, deren Authentizität unzweifelhaft feststeht. Sie sind - wie auch die Fotos LXXI 1 und 4 - von einem unbekannten Fotograf aufgenommen und vom Verteidiger X1 zu den Ermittlungsakten gereicht worden. Daß sie den Angriff auf O2 zeigen, erschließt sich aus der Abfolge der Bilder und einem Vergleich des Fotos LXXI 4 mit dem ersten Foto F3 (LXXI 5); S2 hat sich überdies auch auf den Bildern L XXI 1 und 2 jeweils als die rechts außen abgebildete Person wiedererkannt.

Das Foto LXXI 3 zeigt Q10 auf der rechten Bildseite mit seinem um die Hüfte geschlungenen Pullover noch in der Annäherung zum Tatort; während O2 dort - im Bildhintergrund rechts zu erkennen - bereits auf dem Boden liegt. Somit ist die Darstellung T7 zur Beteiligung Q10 unzutreffend.

Auch bezüglich S2 begegnet T7 Schilderung zumindest Bedenken. Denn auf dem Foto LXXI 2 befindet sich S2 auf der Höhe zwischen den Häusern Nr.68 und 70, noch auf der rechten Seite kurz hinter Q10. Falls T7 Schilderung zuträfe, müßte er Q10sehr schnell überholt und sich der O2 attackieren Spitze der Gruppe angeschlossen haben. Die Kammer hält dies für unwahrscheinlich. Denn wie das Foto L XXI 1 zeigt, hatten die ersten Angreifer den Tatort vor dem Haus Nr. 74 bereits erreicht, als sich S2 erst in Höhe des Hauses Nr.68, also noch rd. 30 m entfernt befand.

Insgesamt ist die Kammer davon überzeugt, daß T7 wegen seiner Beachtung in den Medien und seiner noch ungefestigten Persönlichkeit zu Übertreibungen und Ausschmückungen neigt, sich des öffentlichen Interesses erfreut und unter dem Eindruck des Fotomaterials eine Kontinuität und Plausibilität der Abfolge des Tatgeschehens herzustellen versucht, ohne - angesichts des Turbulenzgeschehens verständlich - tatsächlich eine eigene Erinnerung an Einzelheiten zu haben.

T7 unbekümmerter Umgang mit der Wahrheit und seine Tendenz, unüberlegt all das zu "erzählen", was ihm gerade in den Sinn kommt, wird auch bei einem Vorfall deutlich, der sich nach X1 Gegenüberstellung u.a. mit T7 und Q10 am 16.10.1998 ereignet hat und in einem Vermerk des Untersuchungsrichters K2 in dem französischen Vernehmungsprotokoll vom 12.4.1999 niedergelegt ist. Danach hat T7 seine ursprüngliche, am 16.10.1998 zu Protokoll gegebene Aussage, er habe Q10 schlagen sehen, in einem anschließenden Gespräch mit diesem weitgehend relativiert. Auf Vorhalt hat er dies dem Untersuchungsrichter selbst bestätigt, weitere Erklärungen dazu jedoch verweigert und sich auf die von ihm unterschriebene Aussage zurückgezogen ("was unterschrieben wurde, wurde unterschrieben"). Dabei hat er rechtfertigend und nahezu trotzig darauf hingewiesen, auch G2 habe schließlich seine Hooligans.

Auch den gem. § 251 Abs.2 S.1 StPO verlesenen Aussagen Q10 kann die Kammer keinen sicheren Anhaltspunkt für Tritte der Angeklagten gegen den Kopf O2 entnehmen. Bei seinen Vernehmungen vom 7.9.1998 und 12.4.1999 hat Q10 einen Fußtritt S2 bzw. Tritte in den Nacken erwähnt. Bei der Vernehmung vom 8.9.1998 hat er diese als besonders stark und als auf den "Kopfbereich" gezielt charakterisiert. Bei keiner seiner Vernehmungen hat er von gezielten Tritten gegen den Kopf selbst gesprochen.

Tritte gegen den Kopf O2 hat auch der Zeuge I11 nicht bekundet. Er hat vor den Zeugen G5 und U3 bei seiner Vernehmung vom 4.11.1998 lediglich angegeben S2 habe noch aus dem Lauf in die Magengegend getreten. I11 hat in der Hauptverhandlung die Auskunft verweigert.

Die medizinischen Befunde lassen ebenfalls zur Überzeugung der Kammer nicht den Schluß zu, daß O2 Kopfverletzungen von Fußtritten stammen, schon gar nicht solchen der Angeklagten. Charakteristische Spuren, die auf Fußtritte hindeuten könnten, hat die Sachverständige N3 nicht vorgefunden, wie sie der Kammer berichtet hat. Die hintere Schädelverletzung resultiert nach sicherer Beurteilung des Gerichtsmediziners I10 vielmehr aus punktueller Gewalteinwirkung mit einem stumpfen Werkzeug. Die Mittelgesichtsbrüche könnten zwar aus einen stampfenden Tritt mit einem festen Schuh herrühren. Zwingend ist diese Annahme jedoch nicht. Das Verletzungsbild ist unspezifisch; als gleichrangige Ursache kommen auch Schläge mit einem Brett in Betracht. Diese Annahme liegt deswegen nicht fern, weil sich auch auf O2 Stirn Verletzungen (Hautschürfungen und oberflächliche kleinere Wunden) fanden, wie sie nach Einschätzung des Sachverständigen wahrscheinlich von dem Schlag mit der flachen Seite eines rauhen Bretts hervorgerufen worden sind. Die Tatsache, daß Rumpf und Extremitäten von O2 keine Verletzungen oder auch nur größere Hämatome zeigten, bedeutet ebenfalls nicht, daß festere Tritte sich ausschließlich gegen den Kopf gerichtet haben müssen. Denn sein Oberkörper war nach der Bekundung seiner Kollegen E1 und A1 durch stark wattierte und stoßhemmende Schutzkleidung geschützt.

Die Beweisaufnahme hat somit nicht den sicheren Nachweis erbracht, daß einer der Tritte der Angeklagten sich gegen bzw. auf den Kopf O2 gerichtet hat.

3.

Aus diesem Grund konnte die Kammer auch nicht feststellen, daß S und S2 bei der Ausführung der Tritte den Tod von O2 als mögliche Folge gesehen und ihn billigend in Kauf genommen haben.

4.

Dem Hilfsbeweisantrag der Verteidiger S2 auf Beiziehung und Verlesung des Protokolls über Q10 Vernehmung vom 24.6.1998 in dem Verfahren gegen X1 und F2 brauchte nicht nachgegangen zu werden. Er ist darauf gerichtet, Widersprüche Q10 bei seinen S2 belastenden Aussagen aufzuzeigen und für den Fall gestellt, daß S2 Einlassung mit Hilfe der bisher eingeführten Aussage Q10 als widerlegt angesehen wird. Dies ist nicht der Fall. Denn auch aus Q10 Aussage hat die Kammer nicht hergeleitet, daß S2 auf O2 Kopf getreten hat. Die Beweistatsache ist somit für die Entscheidung ohne Bedeutung (§ 244 Abs.3 S.2, 2. Alt. StPO).

II Die Beteiligung A

1.

Das Teilgeständnis A, mit dem er seine Anwesenheit bei dem Geschehen und seine Identität mit der auf T7 Foto (L XXI 6) abgebildeten Person einräumt, ist trotz seiner damaligen Alkoholisierung glaubhaft. Es wird durch L4 und S gestützt.

L4 stand - wie aus den Fotos LXXI 3, 5 und 7 zu ersehen ist - in unmittelbarer Nähe A. Bereits bei seiner ersten Vernehmung hat er ihn, wie die Kriminalbeamtem N4 und U4 als Zeugen berichtet haben, auf den Fotos LI A 10 a (=LXXI 6) und LVII 3 (=LXXI 8) erkannt. Er kannte A von einer früheren Prügelei mit ihm. Soweit A die Begegnung in Abrede stellt, sieht die Kammer dies als Schutzbehauptung an und ist davon überzeugt, daß er damit den Vorwurf früherer Gewalttätigkeit in Hooligankreisen abwenden will. A Einwand läßt sich nicht darauf stützen, daß er schon seit Jahren keine Auswärtsspiele seines Vereins G mehr besucht haben will. Daß die Prügelei zwischen ihm und L4 sich in C5 und nicht bei einem Heimspiel in H ereignet hat, ist L4 Aussage nicht zu entnehmen. Der Ort der Prügelei ist vielmehr offengeblieben. Auch ist es nicht zwingend ein Widerspruch, wie die Verteidigung vorgebracht hat, daß L4 zunächst angegeben hat, sich in einem Cafe A Gesicht "gemerkt" zu haben, und erst wenig später im Laufe der Vernehmung vom 14.7.1998 erwähnt hat, sich mit ihm einmal geprügelt zu haben. Im Gegenteil: Es wäre unerklärlich, weshalb sich ihm bei erstmaligem Sehen in einer belanglosen, durch keinerlei besonderes Vorkommnis geprägten Situation A Gesicht eingeprägt haben sollte. A muß ihm - davon ist die Kammer überzeugt - in diesem Moment deswegen aufgefallen sein, weil er sich wegen des früheren Vorfalls nun an sein Gesicht erinnerte.

Auch S hat , wie er einräumt, bei seiner polizeilichen Vernehmung berichtet, er habe gesehen, wie A sich als letzter Täter über den bewußtlosen O2 gebeugt und mit einem stockähnlichen Gegenstand in Richtung dessen Kopf geschlagen habe. Diese auch von den Vernehmungsbeamten U4 und N4 bestätigte Aussage hält er zwar nunmehr nicht aufrecht und erklärt, sie beruhe darauf, daß der Vernehmungsbeamte ihm - bereits aus den Medien bekannte - Lichtbilder der Situation vorgehalten und angedeutet habe, eine Bestätigung der Täterschaft A könne für ihn, S, vorteilhaft sein. Aus Angst, Nervosität und in der Hoffnung, er könne in diesem Fall nach Hause gehen, habe er das erzählt, was die Polizei habe hören wollen. Tatsächlich habe er nicht konkret gesehen, was am Tatort passiert sei.

Die Kammer ist davon überzeugt, daß S damals die Wahrheit gesagt hat und zu Beginn der Hauptverhandlung davon nur abgerückt ist, um A zu schützen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingelassen hatte. S kannte A aus der Zugehörigkeit zum selben Verein und muß ihn wegen der durch die Fotos L XXI 6,7 dokumentierten unmittelbaren räumlichen Nähe auch am Tatort gesehen haben.

Daß sich L4 und der Angeklagte S der gewaltbereiten Gruppe angeschlossen hatten, auch L4 bereits deswegen der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt und S überdies an den Mißhandlungen O2 beteiligt war, steht der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen nicht entgegen. Weder L4 noch S brauchten sich für die auf den Fotos LXXI 6 und 7 abgebildete Situation zu entlasten und einen anderen (A) zu belasten, da sie dort an anderer Stelle und nicht als Täter dieser Gewalthandlung abgebildet sind.

2.

Die Einlassung A, er habe O2 lediglich einen einmaligen Schlag mit einer Flasche gegen den Arm oder den Oberkörper versetzt, ist widerlegt. Zur Überzeugung der Kammer steht fest, daß er mit einem Granatwerferaufsatz mehrere Schläge geführt hat, einen kräftigen davon gegen den Kopf O2.

An das Schlagwerkzeug hatte der Zeuge F3 eine zuverlässige Erinnerung. Er bezeichnet es als "Kartusche" und erinnerte sich daran, daß es sich um einen Teil von O2 Waffenausrüstung handelte, den dieser beim Zurückweichen verloren und den A aufgehoben hatte. Auch der Zeuge D5 spricht von einem Teil aus "Eisen", der Zeuge X anschaulich von einem schwarzen Teil in Form einer Coladose, einem zylindrischen Gegenstand mit einem Griff, wie ein Teil eines Auspufftopfes. Letzte Gewißheit, daß es sich um den Gewehraufsatz O2 handelte, verschafft das Foto LXXI 7. Der dort von A in der rechten Hand gehaltene Gegenstand entspricht nach Form und Größe dem Aufsatz, wie er er auf dem Foto LXXI 9 - nach T7 Bekundung das letzte seiner Fotos am Tatort - zwischen O2 Füßen liegt. Ein anderer Gegenstand mit ähnlicher Form oder Scherben einer Flasche sind am Tatort nach den Berichten der Zeugen I7 und D3 auch nicht vorgefunden worden und überdies auf dem Foto L XXI 9 auch nicht zu sehen.

Auch aus dem Umstand, daß sich genetische Spuren am Granatwerferaufsatz nicht finden ließen, lassen sich keine Schlüsse gegen dessen Benutzung durch A herleiten. Wie die mit der Untersuchung beauftragte Sachverständige C9 dazu ausgeführt hat, hinterläßt ein Anfassen mit der Hand nicht notwendigerweise Spuren. Im übrigen können, so die Sachverständige, zunächst vorhandene Spuren auch verloren gegangen oder überlagert worden sein. Diese Annahme liegt deswegen nicht fern, weil das Asservat bis zur Übergabe an das Labor der Sachverständigen nicht in einer schützenden Hülle verwahrt worden, nach ihrer Vermutung deswegen, weil sich das Ermittlungsinteresse zunächst nur auf Blutspuren richtete.

Die Feststellungen zu Form, Maßen und Gewicht des benutzten Tatwerkzeugs beruhen auf einer Augenscheinseinnahme durch die Kammer, einem Vermessen und Wiegen. Die Zeugen E1 und A1 haben zweifelsfrei bestätigt, daß es sich bei dem in der Hauptverhandlung vorliegenden Granatwerferaufsatz um das gleiche Modell handelte, das O2 und A1 am Tattage mit sich führten.

3.

Aus den Aussagen F3 und L4 hat die Kammer auch die Gewißheit gewonnen, daß A mehrfach und als letzter auf O2 eingeschlagen hat. F3 hat zwei bis drei schnelle Schläge gesehen. L4 hat bei seiner polizeilichen Vernehmung zur Zahl der Schläge keine genauen Angaben machen können, aber berichtet, A habe "wie ein Wahnsinniger" auf O2 eingeschlagen, was - auch in Anbetracht einer Tendenz zum Übertreiben - für mit Wucht ausgeführte Schläge spricht.

A Schläge mit dem Granatwerferaufsatz waren die letzte Tathandlung. Dies hat auch S bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 14.7.1998 berichtet. Soweit er nunmehr hiervon abrückt und stattdessen als letzte Tathandlung einen Schlag mit einem Schild durch einen anderen Täter angibt, will er nach Überzeugung der Kammer auch hierdurch A entlasten. Ein derartiger Schlag im Anschluß an S und S2 Tritte ist von keinem Zeugen berichtet worden, S2 hat davon nach seiner Einlassung ebenfalls nichts wahrgenommen. Auch mit den Fotos wäre eine solche Annahme nicht zu vereinbaren. F3 Foto L XXI 7 zeigt A noch mit dem Granatwerferaufsatz in der Hand, vor O2 stehend, während S2 und S1 sich bereits abgewandt haben, um den Tatort zu verlassen. Andere Hooligans standen zwar noch O2 zugewandt, jedoch in einiger Entfernung. Keinem von ihnen stand mehr Zeit zur Verfügung, in der er - von S bemerkt - zu einem Schild hätte greifen, sich O2 nähern und ihm Schläge versetzen können. Dies zeigt sich an einem betrachtenden Vergleich des Fotos L XXI 7 mit dem nachfolgenden Bild L XXI 8. Beide zeigen Q10 mit seinem um die Hüfte gebundenen weißen Pullover auf dem Bürgersteig wegrennen. Seine zwischen den beiden Aufnahmen zurückgelegte Wegstrecke beträgt höchsten 6 m. ln der Nähe von O2 ist auf dem Foto L XXI 8, das den ebenfalls bereits flüchtenden A zeigt, im Hintergrund lediglich noch eine Person mit weißem T-Shirt zu sehen. Auch diese kommt für einen Schlag mit einem Schild nicht in Betracht, weil auf T7 letztem Foto (L XXI 9) abgebildet ist, wie sie an O2 vorbeiläuft.

4.

Zur Gewißheit der Kammer steht fest, daß einer dieser Schläge mit großer Wucht O2 Hinterkopf getroffen hat:

Zwar war sich F3 bei seiner polizeilichen Vernehmung sicher, daß die Schläge nur O2 Oberkörper bzw. Brust getroffen haben. Insoweit ist die Kammer aber überzeugt davon, daß er die Zielrichtung der Schläge nicht zuverlässig beobachten konnte und die Perspektive ihn getäuscht hat. Er stand, wie seine Fotos L XXI 5 und 7 belegen, etliche Meter entfernt, O2 lag längs zu seiner Blickrichtung, so daß die Perspektive verkürzt war. Dementsprechend hat F3 in der Hauptverhandlung nunmehr seine ursprüngliche Aussage auch dahin eingeschränkt, es habe für ihn damals so ausgesehen, daß O2 Oberkörper getroffen worden sei.

Demgegenüber haben L4 und S bei ihren polizeilichen Vernehmungen von Schlägen in Richtung Kopf bzw. gegen den Kopfbereich gesprochen. Auch der übervorsichtige, in seinem Aussageverhalten schon fast skrupulöse Zeuge X hat bekundet, daß die Schläge jedenfalls in Richtung des Kopfes O2 gingen. Dabei hatte er Hemmungen, dem Gericht seine Beobachtung unbefangen zu schildern. Anschaulich zeigt das seine Äußerung: "Wenn ich das vor Bekannten und nicht vor Gericht schildern müßte, würde ich sagen: Vor den Kopf." Die Kammer hält diese Beobachtung für zuverlässig. Der Zeuge war nicht in das Turbulenzgeschehen verwickelt und hat sich auf den dem Tatort gegebenüberliegenden Bahndamm zurückgezogen. Von da hat er die Szene aus sicherer Distanz beobachtet.

Mag der Fotograf T7 zu Einzelheiten des Geschehens im übrigen auch unzuverlässig sein, so hat auch er aber - insoweit glaubhaft - geschildert, daß A den Aufsatz aufgehoben, mehrfach damit auf O2 geschlagen und Kopf und Halsbereich getroffen hat.

Bestätigt wird die Zielrichtung des Schlages gegen den Kopf zur Gewißheit der Kammer letztlich durch T7 Foto L XXI 6. Es zeigt aus idealer Perspektive den Schlag in dem Moment, als sich das Tatwerkzeug dicht über dem Kopf O2 befand, sei es in der Schlagbewegung nach unten oder in der Rücknahme. Dem entspricht auch die Verletzung des - A mit der linken Seite zugewandten - Schädels links hinten, eine Verletzung, die praktisch nicht durch Schläge mit einem kantigen Werkzeug wie einem Brett, der Kante einer Reklametafel oder deren Stütze verursacht worden sein kann, sondern zwangslos durch einen Schlag mit dem Gasgranatenaufsatz zu erklären ist, wie der Sachverständige I10 überzeugend ausgeführt hat. Einen punktgenauen Sturz auf einen in der Nähe des Bordsteins liegenden Stein hält der Sachverständige demgegenüber theoretisch zwar für möglich, aber nach seiner langjährigen Erfahrung für so fernliegend, daß er als Ursache ausscheiden muß. Ein Sturz auf die seitliche Oberkante der Treppenstufe kommt ebenfalls nicht als Verletzungsursache in Betracht, da O2 am Bordstein zu Fall gebracht worden ist und sich seine Lage nach dem Sturz nicht mehr wesentlich verändert hat. Denn ansonsten hätten auch an anderer Stelle des Gehwegs Blutspuren vorhanden sein müssen, was nicht der Fall war. Der Zeuge E2 hat vielmehr glaubhaft berichtet, nur einen Blutfleck unterhalb von Kopf und Ohr des Opfers vorgefunden zu haben. Dadurch ist nachgewiesen, daß O2 die Verletzung zugefügt worden ist, als er bereits an dieser Stelle lag.

5.

Nach dem Gutachten I10 sind die schweren Dauerfolgen für O2 entweder durch den Schlag A gegen den linken Hinterkopf entstanden oder durch die Verletzungen des Gesichtsschädels links. Eindeutig zu klären war dies nicht.

6.

Soweit L4 bei seiner Vernehmung vom 14.7.1998 nach dem Bericht des Zeugen U3 die Äußerung eines Flüchtenden "Den habe ich kaputt gemacht" A zugeschrieben hat, ist die Kammer von der Richtigkeit dieser Darstellung nicht überzeugt. Bei derselben Vernehmung - auch dies hat der Zeuge U3 bestätigt - hatte L4 diesen Ruf zunächst der Person Nr. 4 auf dem Foto L I A 10 a (=L XXI 6), also Q10, zugeschrieben, obwohl auch A auf diesem Bild abgebildet ist. Vor dem Haftrichter (Vernehmung vom 15.7.1998) hat er die Äußerung sodann aber auch inhaltlich relativiert. Demnach könnten auch die Worte gefallen sein: "Den haben wir plattgemacht" oder "Der Typ ist fertig". An einen genaueren Wortlaut hatte L4 also bereits damals keine zuverlässige Erinnerung mehr. Im übrigen vermag die Kammer nicht ausschließen, daß L4 mit der zunächst wiedergegebenen Äußerung ("Den habe ich kaputt gemacht") die von ihm erkannten schweren Folgen der Tat einem einzelnen Täter anzulasten und sich selbst dadurch zu entlasten suchte; dazu hatte er deswegen Anlaß, weil er selbst an dem Angriff der Gruppe auf O2 teilgenommen hatte. Für eine derartige Tendenz L4 spricht eine Äußerung am Schluß seiner polizeilichen Vernehmung vom 14.7.1998. Danach hat er seine Beteuerung, den Vorfall nunmehr vollständig und richtig geschildert zu haben, damit bekräftigt, er habe alles getan, "um das Schwein zu überführen", weswegen er so "in der Klemme sitze".

7.

Gleichwohl schließt die Kammer aus den festgestellten Umständen, daß A O2 töten wollte. Der Schlag richtete sich gezielt gegen O2 Hinterkopf. Er wurde mit einem schweren, keulenartig geformten Gegenstand ausgeführt; der Schlag war mit so großer Kraft ausgeführt, daß der Sachverständige I10 sogar mutmaßte, er sei mit beiden Händen und in einer weit ausholenden und stark beschleunigenden Bewegung ausgeführt worden. Die grob gewalttätige Handlungsweise barg, wie die Schwere des Primärbruchs mit seinen zahlreichen Berstungsbrüchen zeigt, die überaus große Gefahr tödlicher Folgen durch innere Blutungen des Kopfes. Daß A die allgemein bekannte äußerste Gefährlichkeit und Bedrohung lebenswichtiger Organe trotz seiner Trunkenheit und seines Gefühlsausbruchs erkannt hat, unterliegt in der Zusammenschau aller Umstände keinem vernünftigen Zweifel, zumal O2 bereits schwer verletzt war und wehrlos und regungslos am Boden lag. Unter diesen Umständen ist der Schluß zumindest auf die billigende lnkaufnahme des Todes gerechtfertigt. A hat daher mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Angesichts des Zusammenhangs, in dem er handelte, kommt praktisch als einziger Beweggrund nur in Betracht, daß er die anderen in der Gewalt übertrumpfen wollte und Gefallen daran hatte, den wehrlos am Boden Liegenden zu mißhandeln.

8.

Die Feststellungen zum Vorfall vom 20.6.1992 beruhen auf dem Zeugnis O1, dem verlesenen Protokoll über die Blutentnahme vom 20.6.1998 und dem ebenfalls verlesenen BAK-Gutachten vom 22.6.1992, ferner dem durch Verlesung gemäß § 251 Abs.2 S.2 StPO eingeführten Bericht des Polizeiobermeisters M3 vom 20.6.1992.

Eine aktive Betätigung A im Kreis der H Hooliganszene vermochte die Kammer nicht festzustellen. Der Zeuge N5, Leiter des T8 Fanprojekts, konnte dazu konkrete Angaben nicht machen; gleiches gilt von seinen Mitarbeitern, den Zeugen N6 und E3. Daß A bei der Tat in der S7 ein T-Shirt mit der Aufschrift "GE-walttäter" trug, ist keinem der Fotos aus der Lichtbildmappe L XXI zu entnehmen. Zwar räumt er - bestätigt von den Zeugen L5, S17 und Q5 - selbst ein, ein derartiges Hemd im Laufe des Tages getragen zu haben. Jedoch war seine Einlassung, er habe es sich von L5 ausgeliehen, weil sein eigenes T-Shirt von Bier durchnäßt gewesen sei, nicht zu widerlegen; L5 hat dies vielmehr bestätigt. Aus der Tatsache, daß er dieses Hemd trug, lassen sich daher keine zuverlässigen Schlüsse auf die Zugehörigkeit zu den H Hooligans ziehen.

Indes steht aufgrund der Berichte der szenekundigen Beamten aus H fest, daß A den H Hooligans jedenfalls nicht fernsteht. Beiden war er - obwohl als Gewalttäter nicht aufgefallen - aus ihrer Kenntnis der H Gewaltszene bekannt. Daß A Gewalttätigkeit nicht fremd ist, zeigt seine Prügelei mit L4 anläßlich eines Fußballspiels, ferner auch der gem. § 153 a StPO eingestellte Vorfall vom 20.6.1992.

III. Die Beteiligung S1

1.

S1 hat seine Anwesenheit am Tatort eingeräumt. Bestätigt wird sie durch die unten näher zu erörternden - Fotos L XXI 3 und 5, auf denen S1 abgebildet ist. Die Kammer konnte jedoch nicht feststellen, daß S1 mit einem Schild oder Teilen davon auf O2 eingeschlagen hat. Allein T7 belastet ihn damit, aber auf dessen Aussage läßt sich eine solche Feststellung nicht stützen.

T7 hat bei seiner - nach Verlesung von ihm als richtig protokolliert anerkannten - Vernehmung am 24.6.1998 Schläge mit einem Schild oder einem Stück davon anhand seines Fotos L XXI 6 zunächst dem dort abgebildeten S zugeordnet. Erst als ihm am 21.7.1998 die inzwischen eingegangenen Fotos F3 vorgelegt wurden, hat er dem dort links auf dem Bild XXI 5 (= Bild Nr.3 der französischen Fotomappe 98/990, dort mit C bezeichnet) abgebildeten S1 auch die Schläge auf den am Boden liegenden O2 zugewiesen. Hinzugefügt hat er gleichzeitig, er würde diese Person wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Daß er gleichwohl bei der früheren Vernehmung auf seinem eigenen Foto L XXI 6 S als Schild-Schläger identifiziert hat, ließe sich nur durch eine Verwechslung der beiden Personen erklären. Das ist jedoch deswegen unwahrscheinlich, weil T7 die beiden schon bei früheren Szenen wahrgenommen haben will: Bei S erinnert er sich an dessen Kamera, S1 hat er selbst auf dem C4 beim Werfen fotografiert (Foto L I A 12 A). Beide waren auf den ihm vorliegenden eigenen Fotos abgebildet.

Die Belastung S1 erst nach Vorlage der Fotos F3 läßt besorgen, daß T7 der Suggestionskraft seiner eigenen und dann der Fotos F3 vom Tatgeschehen erlegen ist und er seine Erinnerung auf der Grundlage der Fotos "rationalisiert", ein Prozeß, der möglicherweise durch den starken Erwartungsdruck verstärkt wurde, unter dem T7 damals als einziger aussagewilliger Zeuge stand.

Zweifel weckt seine Belastung S1 auch insofern, als er am 2.7.1998 bei einem Telefonat mit dem Leiter der Mordkommission in I5, dem Zeugen U3 erklärt hatte, die Gewalt gegen O2 sei für ihn so turbulent verlaufen und so schrecklich gewesen, daß er einzelnen Personen keine bestimmten Tathandlungen zuordnen könne. Damit nahm er also die anfängliche Belastung S zurück, ohne aber zugleich S1 zu belasten. Zu dessen Belastung kam es erst Wochen später, nämlich bei der Vernehmung vom 21.7.1998. Erst in der Hauptverhandlung hat T7 seine Angabe gegenüber U3 damit zu erklären versucht, U3 habe ihn mit seinem Anruf gerade beim Fischen auf einem See in P gestört. Das ist wenig einleuchtend. Es hätte dann nahegelegen, U3 um einen späteren Anruf zu bitten. T7 war sich der Tragweite seiner Erklärung bewußt; dennoch hat er sich nicht bemüht, sie U3 gegenüber zurückzunehmen. Erst auf Vorhalt in der Hauptverhandlung hat er diesen Erklärungsversuch unternommen.

Daß T7 auch insoweit auf eine nicht zutreffende Erinnerung zurückgreift und den den auf dem Foto L XXI 5 abgebildeten Schild-Wurf S1 (dazu unten) nunmehr ohne eigene Wahrnehmung mit dem Schlag eines Schildes assoziiert, wird durch ein weiteres bestätigt:

T7 hat bei seiner Vernehmung vom 21.7.1998 angegeben, auch die auf dem Lichtbild L XXI 5 abgebildete, einen Handschuh aufhebende Person müsse S1 Schläge gesehen haben, weil sie sich zu dieser Zeit in unmittelbarer Nähe befunden habe. Das ist zu widerlegen durch die wiederum erst später eingegangenen weiteren Bilder L XXI 3 und 4 des unbekannt gebliebenen Fotografen. Sie zeigen eben diesen Unbekannten, wie er sich der Szene um den bereits am Boden liegenden O2 erst nähert. S1 befindet sich dabei links in größerer Distanz von O2, die Schildteile haltend (Foto L XXI 3). ln der zwischen den Aufnahmen L XXI 3 und L XXI 5 verstrichenen Zeit kann er, wie der Bewegungsablauf auch der Person mit dem Handschuh zeigt, nicht auf O2 zugegangen sein, geschlagen haben und dann wieder auf etwa die frühere Position zurückgewichen sein. Auch der rechts auf beiden Fotos im Laufen abgebildete Q10 hatte in der zwischen den beiden Aufnahmen liegenden Zeitspanne nur eine Strecke von etwa 10 m zurückgelegt.

ln der Hauptverhandlung hat T7 seine Schilderung ein weiteres mal mit Details angereichert. Er hat angegeben, S1 habe die Leute vor ihm auseinandergedrängt, sei regelrecht in sie reingesprungen und habe viermal im Wechsel zwischen Schildfläche und -kante zugeschlagen. Dies ist ein Detail, das T7 in dieser Form bei früheren Vernehmungen nicht vorgebracht hat. Angesichts der seit der Tat in M1 verstrichenen Zeit hätte die Wiederkehr dieses Erinnerungsstücks einer plausiblen Begründung bedurft, aber T7 konnte keine Angaben dazu machen, warum er sich nunmehr an das anschauliche Detail wieder erinnern kann. Insofern hat die Kammer auch in diesem Punkt Zweifel an der Richtigkeit von T7 Darstellung.

2.

Widerlegt ist jedoch S1 Einlassung, er habe sich am Tatort ausschließlich passiv verhalten. Die Kammer ist überzeugt davon, daß er sich insofern an dem gemeinschaftlichen Handeln anderer beteiligt hat, als er ein Schild oder ein Schildteil in O2 Richtung geworfen hat. Wenn sich auch ein darüber hinausgehender Beitrag nicht feststellen ließ, manifestiert sich hierin sein gemeinsam mit den anderen Tätern gefaßter Entschluß, Gewalt gegen die sich der Gruppe entgegenstellenden Ordnungskräfte auszuüben. Ein derartiger Entschluß ist zur Überzeugung der Kammer auch für die übrigen Angeklagten bewiesen (dazu unten zu IV).

a) Daß sich außer den ersten Angreifern und den Angeklagten S2, S und A auch eine Vielzahl weiterer Personen an den Mißhandlungen O2 beteiligt und ihm Fußtritte sowie Schläge, mit Fäusten und Schildteilen versetzt hat, ist für einen solchen Geschehensablauf typisch und wird durch die gem. § 251 Abs.2 S.1 StPO verlesenen Protokolle über die Vernehmungen der unbeteiligten Zeugen C7, M4 und O4 bestätigt. Ohne - verständlicherweise - Einzelheiten des Turbulenzgeschehens mitteilen zu können, haben sie übereinstimmend ausgesagt, daß viele der angreifenden Hooligans mit Fäusten oder Schildern auf O2 eingeschlagen und mit den Füßen auf ihn eingetreten haben. Die Kammer hat die Zeugen zwar selbst nicht hören können, da sie im Ausland wohnen und schriftlich erklärt haben, der Ladung nicht nachkommen zu wollen. Sie folgt ihren Aussagen aber, da sie den Darstellungen der Angeklagten S2 und S selbst entsprechen, die weitere Personen treten und schlagen gesehen haben und sich dadurch angeblich zu eigenen Tritten haben hinreißen lassen. A hat nach seinen Angaben ebenfalls mehrere Personen, um O2 stehen und auf ihn einschlagen gesehen. Gleiches hat D5 unmittelbar nach dem Vorfall nach deren Bekundung der Zeugin D1, seiner Großmutter, berichtet.

Daraus, daß O2 Kollegen A1 und E1 nach ihren Bekundungen ähnliches nicht beobachtet haben, lassen sich keine gegenteiligen Schlüsse ziehen. Daß sie dies nicht wahrgenommen haben, ist dadurch erklärlich, daß sie sich zurückgezogen haben, sich Angriffen auf sie selbst erwehren mußten und deswegen nach ihren Schilderungen auf das weitere Geschehen um O2 nicht geachtet haben.

b) Eine über die eingeräumte bloße Anwesenheit hinausgehende Beteiligung S1 - das Werfen eines Schildes oder eines Teils davon - ist erwiesen durch die Fotos L XXI 3 und 5 und den damit übereinstimmenden Angaben T5 am 13.10.1998. T5, so wenig er auch ansonsten zur Aufklärung beigetragen hat, wollte S1, wie die Vernehmungsbeamten G5 und I9 übereinstimmend aufgrund sicherer Erinnerung bekundet haben, erklärtermaßen entlasten, indem er ihm nur einen gleichsam beiläufigen und folgenlosen Wurf zuordnete.

Bestätigt wird dieser Wurf durch die in Augenschein genommenen Fotos. ln der auf dem Foto L XXI 3 links von der Bildmitte abgebildeten Person mit "Basecap" hat die Kammer, ebenso wie auf dem Foto L XXI 5, S1 wiedererkannt. Zu sehen ist dort auch, daß S1 zwei flache Gegenstände in den Händen hält, von denen der oberste in Form eines "P" erscheint. An die dargestellte Situation schließt sich nicht nur das vom selben Fotografen aufgenommene Fotos L XXI 4 an, auf dem S1 lediglich aufgrund einer links neben F3 schwach sichtbaren Kappe nicht sicher zu identifizieren ist, sondern auch das von F3 aufgenommene Bild L XXI 5. Daß zwischen den Aufnahmen der Bilder XXI 3, 4 und 5 nur jeweils eine knappe Zeitspanne verstrichen war, erschließt sich aus einem Vergleich der Bewegung, die die hochgewachsene Person mit blauem T-Shirt und knielangen hellen Jeans (I11) zwischen den Aufnahmen XXI 3 und 4 vollzogen hat, ferner an der nur kurzen Laufstrecke Q10 (Aufnahmen XXI 3 und 5). Das Foto L XXI 5 zeigt S1 links am Bildrand mit ausgestrecktem rechtem Arm. Daß er damit eine Wurf- oder Schleuderbewegung nach vorne vollzieht, zeigt sich an der fotografischen Bewegungsunschärfe seines Arms. Ebenso unscharf erscheint auf dem Foto über S1 Arm das in der Luft fliegende P-Schild. Eine Zuordnung dieses Schildes zu S1 Bewegung erschließt sich durch die räumliche Nähe des auf dem Foto sichtbaren Schattens des "P" zu dem Schattenwurf von S1 Arm.

Durch die Beweisaufnahme konnte nicht zur hinreichenden Überzeugung der Kammer geklärt werden, ob das Schild O2 getroffen hat. Der Zeuge F3 hat zwar in der Hauptverhandlung bekundet, es habe O2 Beine getroffen. Zugleich hat er diese Schilderung aber mit den Worten "meines Erachtens" eingeschränkt. Im Gegensatz dazu hatte er bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, das Schild sei zwei bis drei Meter an O2 Körper vorbeigeflogen. Auf Vorhalt dieser Aussage hat er sich außer Stande gesehen, die Richtigkeit einer dieser beiden Schilderungen aus seiner jetzigen Erinnerung zu bestätigen. Aus der Tatsache, daß auf den Fotos L XXI 6 und L XXI 9 an O2 Füßen ein Schildteil zu sehen ist, das der Form des von S1 geworfenen ähnelt, lassen sich ebenfalls keine sicheren Schlüsse ziehen. Denn möglicherweise ist es erst später dorthin gelangt, etwa durch einen Anstoß mit einem Fuß.

c) Daß vor dem gemeinsamen Angriff auf die Gendarmen aus der Gruppe der Hooligans eine Aufforderung "Die machen wir zu Brei" oder ähnliches laut geworden und von den Angeklagten auch vernommen worden ist, steht nicht fest. Sie ist zwar von T7 bei seiner Vernehmung am 23.6.1998 wiedergegeben worden. Die Richtigkeit dieser Angabe vermag die Kammer angesichts der häufigen und bereits aufgezeigten Tendenz zur Ausschmückung seiner Aussagen nicht festzustellen. Bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung hat er von einer derartigen Äußerung auch nicht mehr berichtet, sondern angegeben, lediglich einen Ruf gehört zu haben: "Hier sind drei allein, laßt uns da drauf!". Nichts anderes ist auch von S und zudem nach dem Bericht des Zeugen G5 von T9 wiedergegeben worden. Daß diese Äußerung indes auch von S1 oder - mit Ausnahme S - von den übrigen Angeklagten vernommen worden ist, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Nahe läge dies, wenn die Gruppe zu diesem Zeitpunkt in sich geschlossen gewesen wäre, wofür allerdings keine Anhaltspunkte bestehen. Im übrigen herrschte, wie es bei dem Geschehen und der großen Gruppe nicht anders zu erwarten war und auch von dem Zeugen Q7 berichtet worden ist, lautstarker Tumult, so daß es unwahrscheinlich erscheint, daß einzelne Äußerungen oder Rufe durchweg gehört worden sind.

d) Auch ohne eine ausdrückliche verbale Verständigung feststellen zu können, ist die Kammer überzeugt davon, daß sich die Gruppe und damit auch S1 bereits beim Hineinlaufen in die S7 bewußt war, daß sie dort auf Ordnungskräfte stoßen würde, und die Mitlaufenden entschlossen waren, deren Widerstand, wenn nötig, gemeinsam unter Gewaltanwendung zu brechen. Diese Überzeugung gewinnt die Kammer aus folgenden Umständen:

aa) der engen Verbundenheit S1 mit der Hooliganszene

bb) der in M1 gesuchten Gewalt

cc) der Beteiligung S1 an den Angriffen auf die Polizeisperre

dd) S1 sonstiger Gewaltbereitschaft

ee) der Richtung des Laufs in der S7

ff) der vorangegangenen Prügelei mit jugoslawischen Fans

gg) der Ritualisierung des Angriff auf die Gendarmen

hh) der Distanzierung anderer Gruppenmitglieder

zu aa)(enge Verbundenheit S1 mit der Hooliganszene)

S1 hat einräumt, Hooligankreisen zuzugehören; das wird von dem Zeugen I12 bestätigt. Der Zeuge ist seit langer Zeit als szenekundiger Beamter in C1 tätig; die Hooliganszene ist ihm vertraut. Er hat berichtet, daß S1 zu der Führungsgruppe der Szene um den G1 gehörte. Seine Kenntnis ist für die Kammer zuverlässig. Er hat sie sowohl aus Gesprächen mit Hooligans dieser Szene gewonnen, als auch aus eigener Beobachtung S1 und der Tatsache, daß ihm von anderen Gruppenmitgliedern Respekt entgegengebracht wird. Gerade auch von der C1 Szene hat der Zeuge berichtet, daß deren "Sprecher" öfter abseits der Stadien Treffen mit Gruppierungen anderer Vereine organisieren, die allein der Prügelei dienen.

zu bb)(die in M1 gesuchte Gewalt)

Die Kammer ist auch davon überzeugt, daß S1 - ebenso wie S2 und S - nach M1 auch deswegen gefahren sind, weil dort Gewalt zu erwarten war. Entsprechende Parolen waren in der deutschen Hooligan-Szene verbreitet worden und sind von dort aus auch den szenekundigen Polizeibeamten bekannt geworden. Das haben die Zeugen T1 und H1 glaubhaft bekundet; S2 selbst hat dem Sachverständigen T10 von solchen Absprachen unter den Hooligans berichtet. Ihn und S hat diese "Stimmung" nach ihren eigenen Einlassungen zur Fahrt nach G2 bewogen; gleiches hat T7 über den Grund seines Besuchs in M1 berichtet. Die Kammer schließt aufgrund der engen Bindung S1 an die Hooligan-Szene aus, daß dies bei ihm anders war und er sich spontan in die Auseinandersetzungen eingeschaltet hat. Dem steht nicht entgegen, daß er sich auch das Spiel selbst ansehen wollte und - wie zu seinen Gunsten unterstellt worden ist - deswegen Karten vorbestellt hatte. Denn sein Aufenthalt im Stadion während des Spiels schließt eine Beteiligung an Gewalttätigkeiten am Rande des Fußballgeschehens nicht aus.

Zu cc) (Beteiligung S1 an den Angriffen auf die Polizeisperre)

Die Beteiligung des Angeklagten S1 an den Krawallen in M1 und und den Angriffen auf die Polizeisperre steht aufgrund der in Augenschein genommenen Fotos fest. S1 ist mit heller Schirmmütze und Sonnenbrille auf den von T7 aufgenommenen Fotos LI A 13a (Nr.10) u. A 12a (Nr.11) zu erkennen, auf dem Foto L I A 12 a mit ausgestrecktem rechtem Arm beim Werfen einer Flasche. (Szene nachmittags, Angriff auf den brasilianischen Kameramann). Ebenso bekleidet erscheint er als Nr.16 auf dem Foto L II 12 B (C12-Zeitung mittleres Bild) in unmittelbarer Nähe einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Auf dem ebenfalls eine von Gewalt geprägter Situation darstellenden Bild L II 4 (aus NP v. 23.6.1998) ist er als Nr.9 abgebildet; dort trägt er nunmehr einen blauen Stoffhut mit umlaufender Krempe und links sichtbarem Aufnäher. Dieselbe Kopfbedeckung trägt er auch auf den Fotos L XXVII 13-15. Sie zeigen ihn - mit einem Pfeil markiert und auf Bild L XXVII 15 im Profil - ebenso wie S2 auf den vorhergehenden Bildern - in vorderer Linie bei einem Angriff auf die Polizeisperre am Kreisverkehr C6.

Die Authentizität der Bilder ist gesichert. Daß es sich bei den Fotos der Lichtbildmappe XXVII um Bilder von den Ausschreitungen in M1 handelt, steht aufgrund der Stellungnahme S2 fest. Auf den Fotos XXVII 11-15 ist, mit Blick auf den Kreisverkehr C6, dieselbe Örtlichkeit abgebildet, wie sie auch auf T7 Foto LA 20 a erscheint. Das Pressefoto L II 12 B zeigt fast die gleiche Szene, wie sie auf T7 Foto L I A 13 a abgebildet ist und die nach seinen Angaben beim Angriff auf den brasilianischen Kameramann aufgenommen wurde.

zu dd) (S1 sonstige Gewaltbereitschaft)

Auch sonst ist S1 Gewalttätigkeit nicht fremd, wie sich an dem Vorfall vom 21.2.1998 zeigt. Die Feststellungen dazu beruhen auf den Bekundungen der Zeugen L1 und L, an deren Glaubhaftigkeit kein Zweifel besteht. Trotz Dunkelheit hat S1 erkannt, daß es sich um eine Polizeibeamtin handelte. Denn bei dem Streifenwagen handelte es sich um ein Polizeifahrzeug, die Zeugin L trug Uniform und hat sich S1 als Polizeibeamtin zu erkennen gegeben.

Zu ee) (Richtung des Laufs in der S7)

S1 hatte sich an dem Angriff auf die Polizeisperre beteiligt, so daß ihm die starke Absicherung des Stadionbereichs bekannt war. Mit der Gruppe lief er in der S7 gleichwohl in die Richtung des abgesicherten Stadions und nicht in die entgegengesetzte Richtung zum Bahnhof. Es ist kein Anhaltspunkt dafür vorhanden, daß S1 im kleinen Zentrum der Stadt etwa die Orientierung verloren hatte; dies gilt auch für die übrigen Angeklagten. Im Gegenteil: S2 hatte nach seinen Angaben vor dem Sachverständigen T10 in der S7 das Gefühl, daß jetzt etwas passieren werde.

zu ff) (vorangegangene Prügelei mit jugoslawischen Fans)

Von dem dem Tatgeschehen unmittelbar vorausgegangenen Angriff auf jugoslawische Fußballfans in der S7 haben S und auch der Zeuge T11 berichtet. Die Fotos L I A 11 a und L XXIII 1 zeigen diese Situation. Aufgrund ihres Vergleichs der Fotos hat die Kammer keinen Zweifel, daß beide, von verschiedenen Fotografen stammenden Fotos dieselbe Szene wiedergeben. Daß sein Foto L I A 11 a eine Prügelszene in der S7 wiedergibt, hat der Zeuge T7 bestätigt. Seine diesbezüglichen Angaben unterliegen nicht den Bedenken, die die Kammer ansonsten gegen die Zuverlässigkeit seiner Schilderungen hegt. Denn hier geht es lediglich um Umstände zur zeitlichen und örtlichen Einordnung der Aufnahme, nicht um die ansonsten vielfach unzuverlässige Erinnerung des Zeugen an Ablauf und Einzelheiten des Geschehens selbst.

Nach ihren eigenen Einlassungen waren sämtliche Angeklagten bereits zu diesem Zeitpunkt in der Gruppe zugegen, so daß ihnen die Prügelei nicht verborgen geblieben sein kann. Auch S1 wußte daher, daß sich die Aggressionsbereitschaft zugespitzt hatte.

zu gg) (Ritualisierung des Angriffs auf die Gendarmen)

Die Hooligans haben eigene Gesetze und Rituale entwickelt. So haben die szenekundigen Beamten I12 und H1 etwa von einem - allerdings kaum mehr noch eingehaltenen - "Ehrenkodex" berichtet, wonach auf einen am Boden liegenden Gegner nicht mehr eingeschlagen wird und Waffen im engeren Sinn nicht benutzt werden dürfen. T7, insofern glaubhaft, und der französische Polizeibeamte Q9 haben geschildert, daß die Angriffe auf die Polizeisperre am Kreisverkehr C6 einem bestimmten, ritualisierten Muster folgten. Die Angreifer rückten zunächst langsam, dann zunehmend schneller auf die Polizeikette zu, hielten in gleichmäßigem Abstand vor ihr inne, um dann wieder zurückzuweichen und diese Attacke zu wiederholen. T7 hat dies als das von Hooligans bekannte "Katz- und Maus-Spiel" bezeichnet. Ein ähnliches Ritual hat sich bei dem Angriff in der S7 abgespielt: Nachdem die Gruppe sich an der Kreuzung S7/S11 gesammelt hatte, formierte sich ein "Stoßtrupp", der erst mit erhobenen Schildern langsam auf die Gendarmen zuschritt, dann immer schneller wurde und schließlich rannte. Dies hat der Zeuge X1 anschaulich berichtet. Zwar ist ihm gegenüber große Skepsis angebracht, weil er als erster Angreifer O2 zu Boden gebracht hat und dies auf zynische Weise als Mißgeschick verharmlost. Gleichwohl folgt die Kammer ihm in seiner Darstellung des Anfangsgeschehens, weil dies seinen eigentlichen Tatbeitrag nicht berührt. Auch der Kollege O2, der Zeuge A1, hat es ähnlich geschildert. Die Kammer ist überzeugt davon, daß S1 dieses Vorgehen nicht unbemerkt geblieben ist.

Zu hh) (Distanzierung anderer Gruppenmitglieder)

Auch aufgrund des Verhaltens anderer Zeugen ist die Kammer davon überzeugt, daß neben den übrigen Angeklagten auch S1 die Absicht der auf die Gendarmen zulaufenden Gruppe erkannt hat. Q7, der sich noch auf der Kreuzung S7/S11 inmitten der Gruppe befand, hat sich wegen des von ihm erkannten Vorhabens der Gruppe schon nach wenigen Metern abgesetzt. Obwohl viele Personen vor ihm liefen, hat er die Gendarmen in der Gasse stehen sehen. Dies hat er in der Hauptverhandlung berichtet. Gleiches gilt von S13. Er hat berichtet, sofort die am Ende der Gasse stehenden Gendarmen erkannt und deswegen innegehalten zu haben, weil er ein Weiterlaufen für sinnlos hielt. Selbst der Zeuge T11, der ebenso wie Q7 und S13 den Ruf "Dort stehen nur drei" nicht vernommen haben will und angeblich auch schlecht sehen konnte, ist nach eigener Aussage deswegen mitgelaufen, weil er mitbekommen hatte, daß es "da eine Pöbelei gab". Er befand sich auch nicht etwa im vorderen Teil der Gruppe, sondern das Bild L XXI 1 zeigt ihn - bestätigt durch seine eigene Identifizierung - als zweite Person von rechts, nur wenige Schritte vor S2 (erste Person von rechts).

Aus den aufgezeigten Umständen ergibt sich für die Kammer nur die Erklärung, daß die Gruppe insgesamt und damit auch S1 beim Hineinlaufen in die S7 nunmehr in den Gendarmen ein Ziel erkannt hat, an der sich die aufgebaute Aggression entladen würde, sollten sie nicht zurückweichen.

3.

Den Hilfsbeweisanträgen S1 war nicht zu entsprechen.

a) S1 Behauptung, er habe bereits in einem deutschen Reisebüro Karten für das Spiel in M1 bestellt und Übernachtungen gebucht, hat die Kammer zu seinen Gunsten als wahr unterstellt (§ 244 Abs.3 S.2, letzte Alt. StPO). Soweit mit dieser Beweistatsache auch der Nachweis erbracht werden soll, daß S1 allein deswegen nach M1 gefahren ist, um sich das Spiel anzusehen, ist sie dafür ungeeignet. Denn die Teilnahme als Zuschauer schließt die Verfolgung gewalttätiger Absichten am Rande des Fußballgeschehens nicht aus.

b) Dem Antrag, die Fotos L XXI 3 und L XXI 4 in Augenschein zu nehmen, ist im Laufe der Hauptverhandlung bereits entsprochen worden. Zum Nachweis der Behauptung, daß nicht S1, sondern andere auf den Fotos abgebildete, Schilder in den Händen haltende Personen damit auf O2 geworfen haben, ist das Beweismittel überdies nicht geeignet. Selbst wenn Schilder auch von anderen Personen geworfen worden sein sollten, wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß auch S1 ein Schild oder ein Teil davon geworfen hat.

c) Die weitere Beweistatsache, daß der Zeuge T7 in seiner Wohnung ständig Fotoaufnahmen aus M1 vor Augen hatte, ist für die Entscheidung ohne Bedeutung (§ 244 Abs.3 S.2, 2. Alt. StPO). Die Kammer hat bei der Beweiswürdigung kritisch berücksichtigt, daß der Zeuge sich mit seinen Fotos vielfach beschäftigt hat und deswegen die Gefahr besteht, daß sich seine Schilderungen des Tatgeschehens auf eine Interpretation von Fotoaufnahmen anstatt auf eigene Erinnerung gründen. Ob zusätzlich Fotos an den Wänden seiner Wohnung hängen, ist dafür ohne Belang.

IV. Die Beteiligung der übrigen Angeklagten am gemeinschaftlichen Angriff

Die Kammer hat die willentliche Beteiligung von S, S2 und A an der gemeinschaftlichen Aktion aus folgenden Umständen geschlossen:

1.

S2 ist nach eigener Einlassung, bestätigt durch den Zeugen U5, den Hooligans zuzuordnen. Der Zeuge U5 hat berichtet, daß S2 - ebenso wie sein Zwillingsbruder - seit 1991 der I6 Hooliganszene angehört, sich aber seit 1996 nur noch außerhalb I13 gewalttätig zeigt. S2 ist nach M1 gefahren, um sich dort an gewalttätigen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Dies hat er den Sachverständigen C10 und T10 berichtet und die Richtigkeit dieser Angaben in der Hauptverhandlung bestätigt. Zwar will er sich an den Auseinandersetzungen auf dem C4 nicht aktiv hervorgetan haben, doch hat er eingeräumt, nachmittags in der von der Polizei auseinandergetriebenen Gruppe zugegen gewesen zu sein. Passiver Zuschauer war er dabei nicht, wie die in ihrer Authentizität schon erörterten Fotos L XXVII 11 und 12 zeigen. Die Fotos zeigen eine der Attacken auf die Polizeisperre an der Kreuzung C2 und das Werfen von Stühlen. Auf ihnen hat die Kammer im Vordergrund S2 identifiziert, auf dem Foto L XXVII 11 als dritte Person von links und auf dem Foto L XXVII 12 als zweite Person von rechts.

2.

Auch der Angeklagte S hatte sich nach seiner eigener Einlassung inmitten der gewalttätigen Menge beim Angriff auf die Polizeisperre als Fotograf betätigt und war im Zentrum der Krawalle zugegen. Wie dies in Hooligankreisen vielfach üblich ist, hat auch er bei dieser Gelegenheit nach eigenen Angaben fotografiert oder sich mit seiner Kamera fotografieren lassen, um später belegen zu können "dabei gewesen" zu sein. Die Bilder der Fotomappe L XIII stammen von seinem Film und sind von ihm als authentisch anerkannt worden. Zwei davon (L XIII 4 und 5) zeigen ihn mit Sonnenbrille und T-Shirt mit zwei weißen Streifen auf Schultern und Ärmel, wie er inmitten der auf dem C4 marschierenden Menge mit erhobenen bzw. ausgebreiteten Armen posiert. Nachfolgende von ihm selbst aufgenommene Bilder zeigen gewalttätige Szenen im Bereich der Kreuzung C2, insbesondere geworfene Stühle und Plastiktische. Dafür, daß diese Bilder von einem Dritten mit S Fotoapparat aufgenommen worden sind, bestehen keine Anhaltspunkte, auch S bringt das nicht vor.

Die Feststellungen zum bereitwilligen Aufenthalt S in Hooligankreisen und dem häufigen Fotografieren von Gewaltszenen gründen sich wiederum wie bei S2 auf seinen in der Hauptverhandlung von ihm autorisierten Angaben gegenüber den Sachverständigen C10 und T10. Er selbst hat sich als Mitläufer bezeichnet, der an Gewaltauseinandersetzungen interessiert ist und dadurch "AIItagsstreß" abbaut. Sein häufiger Aufenthalt in H Hooligankreisen ist zudem durch das Zeugnis der szenekundigen Beamten U6 und L6 belegt.

Nach eigener Einlassung hat S den Ruf "Da stehen nur drei, da können wir durch" vernommen.

3.

Die Intention der Gruppe hat nach Überzeugung der Kammer auch A erkannt, obwohl er - wie zu seinen Gunsten anzunehmen ist - erst später zu der Gruppe gestoßen war. Bei dem Angriff auf die jugoslawischen Spielbesucher war er jedoch bereits zugegen und hat ihn aus nächster Nähe beobachtet, wie die Fotos LI A 11 a und L XXIII 1 zeigen.

Darüberhinaus war ihm die Gewaltbereitschaft der in M1 versammelten Hooligans auch schon aus den Geschehnissen im Laufe des Tages bekannt. Zwar ist nicht bewiesen, daß er sich selbst an den Angriffen gegen die Polizeisperre oder sonstigen Gewalttätigkeiten beteiligt hat. Auf den diesbezüglichen Lichtbildern war er nicht sicher zu identifizieren. Auf seinem Foto L I A 13 a, welches den Angriff auf den brasialischen Kameramann zeigt, wähnt der Zeuge T7 ihn zwar abgebildet als die mit Nr. 5 gekennzeichnete Person. Zu erkennen vermochte die Kammer ihn dort jedoch nicht, da das Foto nur eine Körperhälfte dieser Person zeigt und ihr Gesicht verdeckt ist. Indes räumt A selbst ein, er habe in der Stadt ein "riesiges Gedränge" wahrgenommen; irgendwie habe es dort auch eine Schlägerei gegeben. Die Gewalttätigkeiten waren ihm also nach eigener Einlassung nicht verborgen geblieben. Im übrigen wäre es auch lebensfremd anzunehmen, daß A von den massiven Krawallen im Verlaufe des Tages nicht zumindest durch Berichte seiner Bekannten erfahren hat. Mit C11 hat er sich nach eigener Schilderung wiederholt getroffen, mit L5 das T-Shirt getauscht. Zumindest L5 steht den Kreisen der gewalttätigen H Hooligans nahe. Das zeigt sich daran, daß er mit einem - später A ausgeliehenem - T-Shirt nach M1 gefahren war, das den Aufdruck "GE-walttäter" trug. Der Erklärung L5, daß er mit diesem Aufdruck keine besondere Bewandtnis habe und er nicht wisse, woher er das Hemd habe, kann die Kammer keinen Glauben schenken. Auch wenn es sich dabei, wie einer der H Fanbetreuer, der Zeuge N6, angegeben hat, möglicherweise nicht um das "offizielle" T-Shirt der H Hooliganszene handelt, ist es ihr nach der Bedeutung seines Aufdrucks eindeutig zuzuordnen: "GE" steht für das Autokennzeichen von H.

Daß auch A selbst Gewalttätigkeiten nicht völlig fern steht, zeigt sich an der bereits erörterten Prügelei mit L4 und dem Vorfall vom 20.6.1992.

V. Die Verletzungen O2

Die Feststellungen zu den Verletzungen O2, seiner Behandlung und den gegenwärtig noch vorhandenen Beeinträchtigungen beruhen auf den Bekundungen der Zeugen D3 und I7, der Sachverständigen N3 und E2, den verlesenen Gutachten des Sachverständigen B4 vom 11.1. und 18.2.1999 sowie der Bekundung seiner Ehefrau O5.

Daß die schweren Dauerfolgen für O2 gerade durch einen der Schläge A herbeigeführt worden sind, ließ sich nicht feststellen. Nach dem Gutachten des Rechtsmediziners I10 ist dies zwar möglich, jedoch nicht zwingend. Der neurologische Sachverständige B4 führt die traumatischen Gehirnverletzungen und die daraus resultierenden Folgen in seinem gemäß § 251 Abs.2 S.1 StPO verlesenen Ergänzungsgutachten vom 10.2.1999 auf die - nicht A zuzuschreibende und vermutlich durch den Schlag mit einem Schild verursachte - Gewalteinwirkung im linken Stirn-/Schläfenbereich zurück. Also ist die Frage der Ursächlichkeit der Schläge A offengeblieben; für das Bestehen weiterer Aufklärungsmöglichkeiten boten sich keine Anhaltspunkte.

F. Rechtliche Würdigung

I.

Der Gesichtspunkt des schweren Landfriedensbruchs ist angesichts dessen, daß die Tat außerhalb des Geltungsbereichs des StGB geschah, durch Beschränkung ausgeschieden worden.

II.

Alle Angeklagten haben sich als Mittäter einer gefährlichen Körperverletzung strafbar gemacht (§§ 224 Abs.1 Nr.4, 25 Abs.2 StGB); das gilt auch für S1, dem - im Gegensatz zu den übrigen Angeklagten - ein eigenhändiges Einwirken auf das Opfer nicht nachgewiesen ist. Für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 224 Abs.1 Nr.4 StGB ist dies nicht erforderlich. Es reicht vielmehr aus, daß ein objektiv förderlicher Tatbeitrag geleistet wurde, der auch in der psychischen Bestärkung des die Körperverletzung unmittelbar ausführenden (Mit-)Täters bestehen kann (BGH v. 5.2.1986, GA 86, 229). Über seine bloße Anwesenheit und die schon dadurch willentlich erfolgte Bestärkung der übrigen Gewalttäter hat S1 ein weiteres getan, sich durch das Werfen des Schildes aktiv beteiligt, dadurch die Aggression der Gruppe geschürt und sich deshalb erkennbar den Gruppenwillen zu eigen gemacht.

Auch er hat somit die Straftat bewußt und gewollt gemeinschaftlich zusammen mit weiteren Gewalttätern begangen (§ 25 Abs.2 StGB) und muß sich, ebenso wie die übrigen Angeklagten, im Rahmen seines Vorsatzes die Handlungen der Mitangeklagten und der anderen Gewalttäter zurechnen lassen.

Alle Angeklagten haften als Täter und nicht wegen bloßer Beihilfe zur Tat anderer. Für S2, S und A folgt das daraus, daß sie sich selbst durch wesentliche Tatbeiträge vor den übrigen Gruppenmitgliedern hervorgetan haben. Gleiches gilt aber auch für S1. Denn mit dem Werfen des Schildteils, mag es O2 auch nicht getroffen haben, wollte er nicht nur die fremde Tat anderer durch bloße Anwesenheit fördern, sondern aktiv am "Gruppenerlebnis" teilhaben.

Die Angeklagten sind daher strafrechtlich verantwortlich dafür, daß O2 niedergerannt, mit Fäusten geschlagen und mit Schuhen getreten wurde, wie das unter Hooligans typisch ist und deshalb auch durch die Angeklagten voraussehbar war und als möglich erkannt wurde, denen die Gepflogenheiten der Hooligans bekannt waren.

Allerdings haften die Angeklagten als Täter für die gemeinsame Attacke gegen O2 und die Tatbeiträge anderer nur insoweit, als gegen ihn in typischer und damit zu erwartender Weise Gewalt angewandt wurde. Ihr gemeinsamer Entschluß erfaßte ein Niederrennen von Polizeibeamten, auch noch ein Nachtreten, wie es üblich geworden ist bei verrohenden Sitten und bei schwindenden Resten von "Moral" oder "Sportgeist", wie er zunächst auch in Hooligankreisen noch vorhanden gewesen sein mag. Sie haften daher als Mittäter für die Schläge und Stöße, die O2 trafen, als er noch stand, und für die Tritte und Schläge, die ihm am Boden liegend versetzt wurden. Nicht einzustehen haben sie dagegen für die schweren Schläge mit der Holztafel auf den noch aufrecht stehenden und später am Boden Liegenden sowie A Schläge mit dem Gewehraufsatz. Diese Handlungen waren vom gemeinsamen Vorsatz nicht mehr umfaßt und stellen sich daher als Exzeß dar.

III.

Den Tatbestand des § 224 Abs.1 Nr.4 StGB haben S2 und S darüber hinaus auch in eigener Täterschaft (eigenhändig) erfüllt, indem sie selbst durch eigene Tritte auf O2 Körper eingewirkt und ihn mißhandelt haben. Dabei handelt es sich nicht um eine eigenständige Straftat, da sich ihr Tun in der S7 bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitliche Handlung darstellt und sich in ihren individuellen Tatbeiträgen lediglich der bereits zuvor gemeinschaftlich mit anderen gefaßte Entschluß manifestiert.

IV.

Einer schweren Körperverletzung (§ 226 Abs.1 StGB) sind die Angeklagten nicht schuldig. Denn zu Gunsten aller Angeklagten, auch des Angeklagten A, ist von der Möglichkeit auszugehen, daß es heftige Schläge oder Stöße mit der Reklametafel waren, die zu den schweren Folgen geführt haben, und für die sie nicht einzustehen haben. Nach dem Gutachten I10 sind die schlimmen Folgen für O2 entweder durch den Schlag A gegen dessen linken Hinterkopf entstanden oder durch die Verletzungen des Gesichtsschädels links. Eindeutig zu klären war dies nicht. Der Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" gebietet es daher, diese Folgen auch A nicht anzulasten.

V.

Ein versuchtes Tötungsdelikt seitens der Angeklagten S2, S und S1 war nicht zu erkennen. Die Tritte S2 und S1 richteten sich - jedenfalls kann das nicht festgestellt werden - nicht gegen den Kopf, sondern nur gegen den Körper, wo sie zumindest keine wesentlichen Verletzungen verursacht haben. Also umfaßte ihr Vorsatz nicht einen Angriff auf das Leben O2. Das würde selbst dann gelten, wenn eine Äußerung wie "Den/die machen wir zu Brei" gefallen und von ihnen auch vernommen worden wäre. Denn auch daraus ließe sich nicht hinreichend sicher auf eine Absicht schließen, die Beamten zu töten. Mit einer Ausuferung der Gewalttätigkeiten in Angriffe auf das Leben O2 konnten sie auch in diesem Fall nicht rechnen; eine derartige Eskalierung lag außerhalb ihrer Vorstellung und Erfahrungen, die sie in Hooligankreisen gemacht haben.

VI.

Einer gefährlichen Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs.1 Nr.2 StGB) hat sich lediglich A schuldig gemacht, indem er mit dem keulenartig geformten, schweren Granatwerferaufsatz auf O2 eingeschlagen hat. Diese Schläge sind den übrigen Angeklagten nicht anzulasten, da A insofern im Exzess gehandelt hat.

VII.

Der heftige Schlag A mit dem keulenartig geformten Gasgranatenaufsatz gegen den auf dem Boden ruhenden Kopf des bereits bewegungsunfähigen O2 stellt sich als versuchter Mord dar (§§ 211, 23 Abs.1 StGB).

Von diesem Tötungsversuch, der überdies beendet war, ist A nicht strafbefreiend zurückgetreten. Mit den anderen bzw. im Anschluß an sie ist auch er allein aus Furcht vor dem Eintreffen der Polizei weggelaufen.

Es liegt das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes vor. Für die Gewalttat A gibt es keine Provokation oder sonstigen Anlaß. Somit bleibt als einziger Beweggrund nur der, daß er die Peiniger O2 in ihrer Gewalttätigkeit noch übertrumpfen, einen besonderen eigenen Beitrag hinzufügen wollte und Freude an der körperlichen Mißhandlung des am Boden liegenden Gendarmen empfand. Dieses Gefallen an der Verletzung eines wehrlos und verletzt am Boden Liegenden, auch um sich vor den Mittätern hervorzutun, steht sittlich auf niedrigster Stufe und ist niedriger Beweggrund iSd § 211 Abs. 2 StGB.

Tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) einher geht damit sowohl eine mit einem gefährlichen Werkzeug ausgeführte (§ 224 Abs.1 Nr.2 StGB) als auch eine gemeinschaftliche Körperverletzung (§ 224 Abs.1 Nr.4 StGB).

G. Die Schuld der Angeklagten

I. (Gruppendynamik)

Allein wegen gruppendynamischer Einflüsse, die auf die Angeklagten eingewirkt haben, ergibt sich keine erheblich geminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Da es sich bei gruppendynamischen Einflüssen weder um krankhafte seelische Störungen, Schwachsinn oder eine andere Form seelischer Abartigkeit (§ 20 StGB) handelt, könnten sie allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung relevant sein. Eine derartige Bewußtseinsstörung lag jedoch bei keinem der Angeklagten vor.

Zwar gingen von der sie umgebenden Gruppe Impulse aus, die auf sie eingewirkt und ihre Entschließungen beeinflußt haben. Beeinflussungen und Interaktionen prägen jedoch jedes individuelle Verhalten innerhalb einer Gruppe. Zu einer erheblichen Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit können sie nur in Extremsituationen beim Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führen. Weder die Tatumstände noch die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten rechtfertigen eine solche Annahme.

Wie die Sachverständigen T10 und C10 aufgezeigt haben, waren die Einzelhandlungen der Täter zwar interaktiv bedingt, aber nicht fremdbestimmt in dem Sinn, daß keine Eigenaktivitäten mehr von ihm ausgingen. Das gilt trotz seiner Alkoholisierung auch für S2. ln seiner Motorik hat er kontrolliert agiert. Nach eigener glaubhafter Aussage wollte er nicht ein drittes Mal zutreten, sondern ist über O2 herüber gestiegen, um ihn nicht zu verletzen. Gegen einen bewußtseinsverändernden Affekt spricht auch, daß sich sein Gedächtnis intakt gehalten hat. Er hat keine wesentlichen Erinnerungslücken, sein Denken blieb erhalten, ebenso seine Fähigkeit zu angemessenen Reaktionen. Er hat geschildert, daß er ein Klicken vernommen, es als versuchte Abgabe eines Schusses durch O2 gedeutet hat und dies durch einen erneuten Tritt verhindern wollte. Auch einen Weckreiz oder späteren Erschöpfungszustand hat er nicht berichtet. Ebenso wie S hat er sofort die Flucht ergriffen, als die anderen sich vom Tatort entfernten, und auch damit situationsangepaßt reagiert.

Für S gilt ähnliches, obwohl er nach der Beurteilung des Sachverständigen T10 emotional viel leichter erregbar ist als S2, sein Gruppengefühl infolge langjährigen Heimaufenthaltes ausgeprägter ist und er über ein geringeres Selbstgefühl verfügt. Auch bei ihm bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß er sich zu seiner Tat weitgehend von Außeneinflüssen hat bestimmen lassen und sein Handeln - im Sinn einer Bewußtsseinsstörung - persönlichkeitsfremd war. Sein Wahrnehmungs- und Erinnerungsvermögen blieb gewahrt, er hat Einzelheiten des Tatablaufs registriert, etwa den Schlag A. Psychomotorisch hat er koordiniert gehandelt, seine Gewalttätigkeiten blieben begrenzt, so daß eine überschießendenthemmte Aggressionsmotorik auszuschließen war. Auch er hat auf die Flucht der anderen sofort reagiert und sich ihnen angeschlossen.

Hinzu kommt ein weiteres:

Gruppendynamische Einflüsse wirken umso stärker, je unvermittelter sie auf den Einzelnen einwirken. Dies ist bei keinem der Angeklagten der Fall. Sie sind von der Situation nicht plötzlich überrascht worden. Vielmehr haben sie sich der Gruppe zu einem Zeitpunkt angeschlossen, als es noch nicht zu gefährlichen Gewaltexzessen gekommen war. Gleichwohl haben sie die allgemeine Gewaltbereitschaft erkannt, sich ihr bewußt ausgesetzt und sogar den Reiz des "Gruppenerlebnisses" geradezu gesucht.

II.(Alkoholisierung)

S2 und A standen bei der Tat deutlich unter Alkoholeinfluß. Bei beiden läßt sich eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit deswegen nicht ausschließen. Bei A führt dies zu einer Strafmilderung, bei S2 hingegen nicht.

1. (zu S2)

a) lnfolge des von S2 konsumierten Alkohols ist nicht auszuschließen, daß er in seiner Steuerungsfähigkeit iSd. § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war. Unwiderlegt gibt er an, im Verlauf des Sonntags fünf Liter Bier getrunken zu haben. Läßt man den - von S2 nicht näher zu spezifizierenden - Alkoholkonsum in der Nacht zum Sonntag außer Acht und unterstellt für das Bier einen Alkoholvolumenanteil von 5%, so ergibt sich eine Alkoholaufnahme von (5.000 x 5% =) 250 ml. Unter Berücksichtigung des spezifischen Gewichts von Alkohol (0,8) entspricht dies einer Alkoholmenge von (250 x 0,8 =) 200 g. S2 hat damals 72 kg gewogen, so daß ein mit dem Faktor 0,7 reduziertes Körpergewicht zu veranschlagen ist, was eine theoretische maximale Blutalkoholkonzentration von [200 : (72 x 0,7)=] 3,968 Promille ergäbe. Zusätzlich ist noch einem Resorptionsdefizit Rechnung zu tragen, das zwischen 10% und 30% oder mehr schwanken kann. Unterstellt man ein Resorptionsdefizit von lediglich 10%, so ergibt sich eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,572 Promille. Ab Trinkbeginn um 10.00 Uhr wären dann bis zur Tatzeit (gegen 16.45 Uhr) stündlich 0,1 Promille Abbau in Rechnung zu stellen, mithin ein Gesamtabbau von (0,1 x 6% = ), so daß sich für die Tatzeit eine Blutalkohlkonzentration von rd. 2,9 %o ergäbe.

Bei dieser Blutalkoholkonzentration kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war. Ein Vollrausch zur Tatzeit scheidet indessen aus. S2 selbst hat keine Ausfallserscheinungen geschildert. Vor dem Sachverständigen T10 hat er seinen Zustand so denn auch als "ein bißchen mehr als nur angetrunken" bzw. "etwas mehr als etwas" charakterisiert. Auf den Fotos L XXI 1 und 2 hat er sich selbst am rechten Bildrand identifiziert. Beide Fotos zeigen ihn in schnellem und in der Bewegung kontrolliertem Lauf, mit für einen Läufer typisch angewinkelten Armen; dementsprechend hat er auch vor dem Sachverständigen T10 angegeben, er habe normal und ohne Unsicherheiten laufen können. Seine ihm zur Verfügung stehende Körperbeherrschung zeigt sich auch auf dem Tatfoto L XXI 5 beim Hinübersteigen über den Körper O2. Auch das dort gezeigte Leistungsbild ist jedenfalls nicht das eines Volltrunkenen.

b) Die möglicherweise erheblichen Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) hat sich allerdings für die Strafzumessung nicht ausgewirkt. Nach § 21 StGB kann die Strafe gem. § 49 Abs.1 StPO gemildert werden. Zu versagen ist die Milderung jedoch, wenn die erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch schulderhöhende Umstände (besondere Tatschwere im übrigen) aufgewogen wird oder der Ausnahmezustand schuldhaft herbeigeführt worden ist, der Täter etwa weiß, daß er unter Alkohol zu Straftaten neigt, diesem aber dennoch erheblich zuspricht. Letzteres war bei S2 der Fall. Er hat sich den ganzen Tag über einer als gewaltbereit erlebten Gruppe angeschlossen, er hat tagsüber Alkohol getrunken, um seine "Stimmung" aufzubauen, er war Alkohol gewohnt und nach seinen Angaben an jedem Wochenende betrunken.

Auch unter Einbeziehung etwaiger gruppendynamischer Einflüsse ergibt sich nichts anderes. Denn gerade S2 hat sich dem auf ihn den ganzen Tag über ausgeübten Gruppeneinfluß nicht widersetzt, obwohl er hierzu in den ruhigen und nicht von Auseinandersetzungen geprägten Momenten Gelegenheit hatte, sich abzugrenzen. Er hat das "Gruppenerlebnis" vielmehr bewußt gesucht und sich ihm bereitwillig ausgesetzt.

2. (zu A)

Auch bei dem Angeklagten A geht die Kammer davon aus, daß seine Schuldfähigkeit infolge Alkoholkonsums im Sinn des § 21 StGB erheblich vermindert war; auszuschließen ist jedoch, daß sein Alkoholkonsum zu einem Zustand der Volltrunkenheit geführt hatte.

a) Der Angeklagte A hat am Samstag (20.6.1998) nach eigenen Angaben nicht nennenswert Alkohol zu sich genommen, so daß von nicht abgebautem Restalkohol nicht auszugehen ist. Seine eigenen Angaben zur Trinkmenge am Sonntag (21.6.1998) schwanken und sind unzuverlässig. Soweit er angibt, auf der Fahrt nach M1 drei Halbliterdosen Bier gekauft und getrunken zu haben, steht das in Widerspruch zu Q5 Zeugenaussage, wonach er an einer Tankstelle nur eine Dose gekauft hat. Ferner ist es nur spekulativ anzunehmen, daß A überhaupt Rotwein und U1-Bier getrunken hat; letzteres schließt er nur aus Flaschen, die er in einer Gaststätte neben seinem Stuhl gesehen haben will. Ob und wieviel er daneben auch aus der Flasche mit Rotwein getrunken hat, weiß er ebenfalls nicht genau. Insgesamt können seine Angaben zum Alkoholkonsum keine ernsthafte Grundlage für Feststellungen oder auch nur Möglichkeiten bilden.

Unterstellt man aber den gesamten von A für möglich gehaltenen Konsum normalen Bieres in M1 (2,9 I) als richtig und geht man von einem während der Fahrt getrunkenen halben Liter Bier aus, ergäbe sich folgende Berechnung:

Bei einem unterstellten Alkoholvolumenanteil des Bieres von 5 % ergäbe sich unter Berücksichtigung des spezifischen Alkoholgewichts insofern eine Alkoholmenge von (3.400 x 5% x 0,8 =) 136 g. Bei einem unterstellten Alkoholvolumenanteil des Schnaps von 40% und einer einem großen Schluck entsprechenden Trinkmenge von 4 cl ergäben sich weitere (40 x 40% x 0,8=) 12,8 g Alkohol. Das mit U2-Aroma versetzte Bier hat nach den Brauereiangaben auf einer in der Hauptverhandlung vorliegenden Flasche, wie sie nach Angaben A auch in M1 serviert worden ist, einen Alkoholvolumenanteil von 5,9 %. Für die maximal getrunkene Menge von 1,5 I (5 Flaschen a 0,3 I) ergäbe sich eine Alkoholmenge von (1.500 x 5,9% x 0,8 =) 70,8 g, für eine Flasche Rotwein mit einem unterstellten Alkoholvolumenanteil von 12% eine solche von (700 x 12% x 0,8 =) 67,2 g, insgesamt somit eine Alkoholmenge von 286,8 g. Bei dem von A angegebenen Körpergewicht von damals 82 kg wäre das reduzierte Körpergewicht mit (82 x 0,7 =) 57,4 kg zu veranschlagen, was zu einer Blutalkoholkonzentration von (286,8 : 57,4 =) 4,996 Promille führen würde. Unterstellt man zu seinen Gunsten ein Resorptionsdefizit von lediglich 10%, ergäbe dies eine maximale theoretische Blutalkoholkonzentration von 4,5 Promille. Dieser Wert reduziert sich um den Alkoholabbau in der Zeit zwischen Trinkbeginn (7.00 Uhr) und Tatzeit (16.45 Uhr), also bei einem Abbauwert von mindestens 0,1% Promille pro Stunde um einen Gesamtabbau von (0,1 x 9 3/4 =) 0,975 %o auf 3,525 Promille.

Eine solche Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit hält die Kammer für unrealistisch. Sie beruht auf den unsicheren Angaben A. Geht man davon aus, daß er zwar U1-Bier, jedoch keinen Rotwein getrunken hat, verbleiben folgende Trinkmengen: 2,3 I normales Bier zuzüglich auf der Fahrt getrunkener 0,5 Liter, 4 cl Schnaps, ein Liter U1-Bier (4 Flaschen a 0,25 l). Daraus folgt eine aufgenommene Alkoholmenge von (112 +12,8 + 47,2 =) 172 g und unter Berücksichtigung des reduzierten Körpergewichts eine Blutalkoholkonzentration von (172 : 57,4 =) rund 3 Promille. Stellt man ein Mindest-Resorptionsdefizit von 10% in Rechnung, führte dies zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von (3,0 - 0,3 =) 2,7 Promille. Bei einem unterstellten Abbauwert von stündlich 0,1 Promille und einer Gesamtabbauzeit von 9 ¾ Stunden verbliebe zur Tatzeit (2,7- 0,975 =) nur eine Blutalkoholkonzentration von 1,725 Promille.

Insgesamt gesehen sind A Angaben zum Alkoholkonsum nicht verläßlich; auf sie lassen sich Feststellungen nicht gründen. Sicheres Kriterium ist daher nur sein Verhalten am Tattag.

Die Kammer ist überzeugt davon, daß A zur Tatzeit nicht volltrunken war und seine Blutalkoholkonzentration jedenfalls nicht mehr als 3 %o betragen hat. Dies schließt sie aus seinem Leistungsverhalten. Den Schilderungen seiner Freunde T4 ("schwankte von einer Straßenseite zur anderen"), Q5 ("noch nie so besoffen gesehen") und O6 ("konnte kaum mehr laufen") konnte die Kammer keinen Glauben schenken. Bei O6 fiel seine starke Unsicherheit auf. Er fragte häufiger nach, stellte sich zunächst unwissend, räusperte sich zunächst auf Fragen oder stellte Gegenfragen. Soweit er A bereits vor Spielbeginn in einem Zustand gesehen haben will, in dem dieser nur noch lallen und kaum mehr laufen konnte, steht dies in Widerspruch zur Aussage L5, der einen schwankenden Gang und ein lallendes Sprechen erst später wahrgenommen haben will. Der A weniger nahestehende S17 hat auch nach Spielende ähnliche Ausfälle nicht bemerkt und in der H Szene davon später auch nicht berichten gehört. Auch L5, der A tagsüber öfter gesehen hat und ihm etwa gegen Ende der 1. Halbzeit, also gegen 15.15 Uhr, sein Shirt geliehen haben will, hat, anders als T4, von einem Torkeln nicht berichtet, sondern lediglich von einem schwankenden Gang.

Die Darstellung insbesondere der Zeugen T4 und Q5 sind mit anderen Umständen (A Erscheinungsbild und Leistungsverhalten) unvereinbar, wie es sich auch nach der Einlassung A darbietet. Nach seiner eigenen Schilderung konnte A noch inmitten der Gruppe "mitrennen"! Er ist dabei nicht gestrauchelt. Auf den Fotos sieht man ihn koordiniert handeln. Mit ausgestrecktem linken Arm verschafft er sich, wie das Foto L I XXI 5 zeigt, Zugang zu O2. Sein kräftiger Schlag und die dabei eingenommene Körperhaltung erforderten eine Körperbeherrschung, wie sie für einem Volltrunkenen ganz unwahrscheinlich ist. Das Tatfoto L XXI 6 zeigt ihn in Knie- und Hüftgelenken eingefedert, den Oberkörper nach unten gebeugt und den linken Arm als Balance nach hinten ausgestreckt. Auf dem Schlußbild L XXI 8 startet er gewissermaßen wie zu Beginn eines Spurts aus gebückter Haltung heraus (andere noch überholend). Das gesamte Leistungsbild widerlegt daher seine Behauptung, volltrunken gewesen zu sein. Bestätigt wird dies auch dadurch, daß der Angeklagte selbst in der ihm fremden ·Stadt allein zum PKW seines Freundes Q5 zurückgefunden hat. Seine gegenteilige Behauptung, Q5 habe ihn in Bahnhofsnähe aufgegriffen, ist widerlegt. Q5 hat sie nicht bestätigt.

b) Nicht auszuschließen ist dagegen, daß A Steuerungsfähigkeit bei einer realistisch mit 1,7 bis 3 %o anzunehmenden BAK erhebIich eingeschränkt war; alle hierzu gehörten Zeugen sind sich darin einig, daß er stark angetrunken war. Insoweit glaubt die Kammer ihnen.

c) Eine Strafmilderung gem. §§ 21, 49 StGB hält die Kammer im Fall des Angeklagten A für angebracht. Hierfür ausschlaggebend war, daß A sich durch den Tod seiner Großmutter, offenbar eine Bezugsperson für ihn, und die nicht bestandene Prüfung in einer besonderen Belastungssituation befand, er zunächst nicht vorhatte, mit nach M1 zu fahren und sich zur Mitfahrt, ohne zunächst an Gewalt zu denken, entschlossen hat, um sich abzulenken. Dies mag auch mit ein Grund für seinen - ihm allerdings grundsätzlich nicht fremden - Alkoholmißbrauch an diesem Tag gewesen sein. Im Gegensatz zu S2 hat er den Alkohol am Tattage nicht in dem Sinn instrumental eingesetzt, daß er sich im Hinblick auf erwartete Gewaltaktivitäten enthemmen wollte.

Die von A ebenfalls unter Alkoholeinfluß entfaltete Gewalttätigkeit im Jahre 1992 liegt demgegenüber zu lange zurück, um ihm deswegen die Strafmilderung unter dem Gesichtspunkt schuldhaften Vorverhaltens zu versagen. Allein dieser Vorfall rechtfertigt nicht die Annahme, daß A um eine für ihn besonders ungünstige Wirkung des Alkoholkonsums wußte. Ähnliches gilt für den Vorfall in Q4 am Wochenende vor der Tat in M1. Dort war er lediglich wegen Trunkenheit aufgefallen, ohne daß sich feststellen läßt, er habe sich in diesem Zustand etwas zuschulden kommen lassen. Auch hieraus läßt sich also nicht herleiten, daß er mit der Begehung von Straftaten unter Alkoholeinfluß rechnen konnte.

H. Die Strafe

Gemeinschaftlich mit anderen begangene Körperverletzung wird gem. § 224 Abs.1 Nr. 4 StGB mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft. Anhaltspunkte für einen minder schweren Fall liegen bei allen Angeklagten nicht vor.

Für S2 reduziert sich der Strafrahmen nicht wegen eingeschränkten Steuerungsvermögens. Die Kammer vermag ihm den Alkoholeinfluß nicht gem. §§ 21, 49 StGB mildernd anzurechnen. Denn er hat ihn instrumental zum Zwecke der Stimulierung eingesetzt, mindestens aber im Bewußtsein, bei den kommenden Gewalttätigkeiten enthemmter zu sein.

Zu Lasten aller Angeklagten fällt ins Gewicht, daß die begangene gemeinschaftliche Körperverletzung dadurch geprägt war, daß sie nicht von wenigen, sondern von einer Vielzahl von Menschen begangen wurde, die alle von vornherein gewaltbereit waren, wie sie das den ganzen Tag über schon gezeigt hatten, und die Angeklagten um diese Gewaltbereitschaft wußten.

Zwar galt das Aggressionspotential der gewaltbereiten Gruppe und auch der Angeklagten nicht in erster Linie den drei Gendarmen, sondern den ebenfalls aggressionsbereiten gegnerischen Fans. Jedoch waren sie auch in M1 gewaltsamer Auseinandersetzungen mit Ordnungskräften nicht aus dem Wege gegangen, sondern haben Freude daran empfunden. S2 ist auch in der Vergangenheit als Hooligan hervorgetreten. Wegen seiner besonders aktiven Beteiligung an den Auseinandersetzungen während des Tattages mußte er, obwohl deutlich alkoholisiert, härter als S bestraft werden. S hat sich zwar auch an den Krawallen beteiligt, jedoch mehr als Zuschauer und Fotograf. Auch er fühlt sich in Hooligankreisen wohl, ohne sich aber bei Gewalttaten in der Vergangenheit aktiv hervorgetan zu haben.

Zugunsten S und S2 hat die Kammer bei der Strafzumessung bewertet, daß sie ein frühes Geständnis abgelegt, ernsthaft Reue gezeigt und sich gegenüber O2 und seinen Angehörigen für ihre Tat entschuldigt haben. S aufrichtiges Bedauern und sein Bestreben um Wiedergutmachung zeigt sich auch daran, daß er sich in einem Brief an den E4 nochmals von der Tat distanziert und an die Hooligans appelliert hat, von Gewalttätigkeiten abzulassen. Desweiteren ist auch berücksichtigt worden, daß S bei der Arbeit während der Untersuchungshaft einen Unfall erlitten hat, der sich in seinem Befinden erheblicher ausgewirkt hat, als dies in Freiheit der Fall gewesen wäre.

Danach ist bei Abwägung aller Umstände bezüglich S2 eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und bezüglich S eine solche von fünf Jahren ein gerechter Schuldausgleich.

S1 hat im Gegensatz zu S2 und S nicht selbst auf O2 eingewirkt. Deswegen mußte die Strafe deutlich niedriger ausfallen als bei diesen. Aber auch er hat sich - wie S2 - den ganzen Tag über an den Auseinandersetzungen mit den französischen Polizeikräften in vorderster Front beteiligt und sich zudem auch in der Vergangenheit als Hooligan hervorgetan. Daß ihm überdies auch Aggression gegen Polizei nicht fremd ist, zeigt der Vorfall in I5. Dabei hat er sich - nur kurze Zeit vor den Ereignissen in M1 - eines erheblichen Fehlverhaltens gegenüber einer Polizeibeamtin schuldig gemacht und auch deren Verletzungen in Kauf genommen. Er wußte, daß gegen ihn deswegen ermittelt wurde.

lngesamt ist deswegen für S1 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten schuldangemessen.

Hinsichtlich des Angeklagten A waren für die Kammer folgende Überlegungen maßgebend:

Mord wird gem. § 211 Abs.1 StGB mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Weil die besonders nachteiligen Folgen für die Gesundheit O2 dem Angeklagten A nicht sicher zugeschrieben werden können, hat die Kammer von der Milderungsmöglichkeit des § 23 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht. Der sich daraus ergebende Strafrahmen beträgt drei bis fünfzehn Jahre (§§ 49 Abs.1 Ziff.1, 38 Abs.2 StGB). Diesen Strafrahmen hat die Kammer wegen der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit A erneut reduziert, so daß er sich nunmehr auf 6 Monate bis 11 Jahre 3 Monate beläuft (§§ 21, 49 Abs.1 Ziff. 2 u.3 StGB).

Zu Lasten A war zu berücksichtigen, daß er nicht nur für den versuchten Mord an O2 einzustehen hat, sondern tateinheitlich hiermit wegen einer Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs, persönlich begangen, und wegen der Tritte und Schläge gegen O2, für die er unter dem Gesichtspunkt der gemeinschaftlichen Körperverletzung haftet. Deshalb mußte der nach doppelter Reduzierung zur Verfügung stehende Strafrahmen im oberen Bereich in Anspruch genommen werden, auch wenn man berücksichtigt, daß A zum Schluß durch sein Geständnis gezeigt hat, daß er sein Verhalten bereut.Eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren erscheint daher bei A angemessen.

I. Kosten und Auslagen

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs.1, 472 Abs.1 S.1 StPO.

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