Hessischer VGH, Beschluss vom 03.12.2015 - 1 B 1168/15
Fundstelle
openJur 2019, 36662
  • Rkr:

1. Für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung über die Nichteinbeziehung eines Bewerbers in das Auswahlverfahren für ein Beförderungsamt gelten dieselben Maßstäbe wie für die Auswahlentscheidung selbst.

2. Ein Vermerk über die Nichteinbeziehung eines Bewerbers in die Auswahl für ein Beförderungsamt muss denselben formalen Anforderungen genügen wie ein Auswahlvermerk, d.h. es sind alle wesentlichen Gesichtspunkte für die Nichteinbeziehung zu nennen und ein Nachschieben von Gründen im gerichtlichen Verfahren ist unzulässig. 3. Wird die Entscheidung über die Nichteinbeziehung eines Bewerbers mit einem gegen ihn geführten Disziplinarverfahren begründet, muss erkennbar sein, dass die Entscheidung in zutreffender Kenntnis des disziplinarischen Vorwurfs und des wesentlichen Stands des Disziplinarverfahrens getroffen worden ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des VG Wiesbaden vom 3. Juni 2015 - 3 L 1615/14.WI - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zur Durchführung eines erneuten Auswahlverfahrens untersagt, die nach der Besoldungsgruppe A 13 bewertete Stelle der stellvertretenden Leitung der Sachrate Amtsdelikte/Interne Ermittlungen im Hessischen Landeskriminalamt mit dem Beigeladenen zu besetzen.

Die Kosten des Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und der Beigeladene zu je 1/2.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 15.528,22 € festgesetzt.

Gründe

Die gemäß §§ 146, 147 VwGO fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen.

Der Antragsteller hat nicht nur den vom Verwaltungsgericht zutreffend bejahten Anordnungsgrund, sondern auch einen Anordnungsanspruch für die begehrte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO glaubhaft gemacht.

Die getroffene Auswahlentscheidung des Antragsgegners für die Besetzung des Dienstpostens der stellvertretenden Leitung der Sachrate Amtsdelikte/Interne Ermittlungen im Hessischen Landeskriminalamt (Besoldungsgruppe A 13) ist rechtswidrig, weil die Ermessensentscheidung des Antragsgegners, den Antragssteller wegen des gegen ihn zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung noch anhängigen Disziplinarverfahrens nicht in das Auswahlverfahren einzubeziehen, nicht ermessensfehlerfrei getroffen und begründet worden ist. Das hat das Verwaltungsgericht verkannt und ist mit der Beschwerdebegründung zu Recht gerügt worden. Dadurch ist der Antragssteller in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt, der gebietet, dass der Dienstherr über seine Bewerbung um das Beförderungsamt ermessensfehlerfrei nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung entscheidet.

Bei seiner Einschätzung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung der Bewerber verfügt der Dienstherr über einen nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Beurteilungsspielraum (BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, juris). Es ist von diesem Beurteilungsspielraum grundsätzlich gedeckt, einen Bewerber wegen eines gegen ihn geführten Disziplinarverfahrens im Auswahlverfahren unberücksichtigt zu lassen (BVerwG, Urteil vom 13. Mai 1987 - 6 C 32/85 - und Beschlüsse vom 24. September 1992 - 2 B 56/92 - und vom 3. September 1996 - 1 WB 20/96, 1 WB 21/96, jeweils juris). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist dann anzunehmen, wenn der gegen den Beamten gerichtete Verdacht eines Dienstvergehens offensichtlich unbegründet ist oder das Disziplinarverfahren missbräuchlich eingeleitet wurde, um einen Beförderung zu verhindern (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. Februar 2005 - 6 - 1946/04 - und vom 3. September 2015 - 6 - 666/15 - , jeweils juris). Auch kann ein Disziplinarverfahren, welches kurz vor seiner Einstellung steht bzw. ohne Disziplinarmaßnahme enden wird, nicht zum Ausschluss eines Beamten aus dem Bewerberkreis führen (OVG Niedersachsen, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 5 ME 351/07 - juris). Regelmäßig nicht geboten ist es hingegen, die dem Beamten mit dem Disziplinarverfahren zur Last gelegten Vorwürfe vorgreifend zu bewerten und auf dieser Grundlage festzustellen, wie dieses ausgehen wird (OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 12. Dezember 2011 - 6 B 1314/11 - und vom 3. September 2015 - 6 B 666/15 -, Thüringer OVG, Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 2 EO 781/06 - jeweils juris).

All das hat das Verwaltungsgericht erkannt, das Vorliegen eines Ausnahmefalls nach diesem Maßstab selbst geprüft und verneint. Im Anschluss hieran hat es festgestellt, dass es sich bei der Entscheidung, einen Beamten wegen eines anhängigen Disziplinarverfahrens vom Beförderungsverfahren auszunehmen, zwar um eine Ermessensentscheidung im Sinne des § 40 HVwVfG handele, die aber ermessensfehlerfrei ergangen sei, weil ein laufendes Disziplinarverfahren der Beförderung eines Beamten regelmäßig entgegen stehe und der Antragsgegner in dem Vermerk zum Ausschluss des Antragstellers vom 10. September 2014 als auch im Widerspruchsbescheid zu erkennen gegeben habe, dass er sich bewusst gewesen sei, dass ihm bezüglich der Frage, ob der Kläger vom Beförderungsverfahren auszuschließen war, ein Ermessen zugestanden habe. Da der Antragsgegner zu Recht vom Regelfall eines Ausschlusses vom Auswahlverfahren bei gleichzeitig anhängigem Disziplinarverfahren ausgegangen sei, habe es keiner weiteren Erwägungen bedurft.

Diese Vorgehensweise verkennt, dass die vorstehenden, vom Verwaltungsgericht zutreffend wiedergegebenen Grundsätze nur die Grenzen aufzeigen, in denen sich eine Ermessensentscheidung des Dienstherrn über die Nichteinbeziehung eines Bewerbers um einen Beförderungsdienstposten als ermessensfehlerfrei darstellen kann, dies aber nicht notwendiger Weise tut. Da der Dienstherr bei seiner Einschätzung der Eignung über einen nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbaren Beurteilungsspielraum verfügt, kann er einen mit einem laufenden Disziplinarverfahren belasteten Beamten von einem (Beförderungs-)Auswahlverfahren ausschließen, muss dies aber nicht. Ihm kommt für die Gewichtung der einzelnen Gesichtspunkte für Feststellung, ob er einen Beamten aufgrund einer durchgeführten disziplinarischen Untersuchung wegen der dadurch begründeten Zweifel an seiner Eignung von einer möglichen Beförderung ausschließen möchte, ein weiter Beurteilungsspielraum zu (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. Dezember 2011, a.a.O., OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. März 2014 - 1 M 18/14 - juris Rdnr. 6 m.w.N.). Damit hat der Dienstherr, nicht das Gericht, in einem ersten Schritt über darüber zu entscheiden, ob ein mit einem Disziplinarverfahrens belasteter Bewerber in das Auswahlverfahren einbezogen wird. Da es sich insoweit ebenso um eine Ermessensentscheidung handelt wie bei der Auswahlentscheidung zwischen den für das Beförderungsamt in Betracht kommenden Bewerbern, übt der Dienstherr insofern gleichermaßen sein Auswahlermessen in Bezug auf den der weiteren Auswahlentscheidung zugrunde liegenden Bewerberkreis aus. Daher gelten die hierzu entwickelten Maßstäbe der gerichtlichen Überprüfung (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 1 M 1/11 -, juris) auch für den Ausschluss aus dem Bewerberkreis.

Maßgeblich für die Beurteilung des Gerichts hinsichtlich der Überprüfung, ob die schriftlich dokumentierte Ermessensentscheidung der Nichteinbeziehung eines Bewerbers in das Auswahlverfahren zu beanstanden ist, ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung (ebenso: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Dezember 2011, a.a.O., Rdnr. 10; a.A. für den Fall der Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach der Auswahlentscheidung: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. Mai 2015 - 10 B 10295/15 -, juris Rdnr. 8). Denn es kommt gerade auch in Bezug auf die Beurteilung der Frage des ermessensfehlerfreien Ausschlusses des Antragsstellers aus dem Auswahlverfahren wegen eines Disziplinarverfahrens auf die Erwägungen an, die der Dienstherr in Ausübung seines Verwendungsermessens und des ihm vorbehaltenen Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Eignung der Kandidaten angestellt hat. Mit dieser Entscheidung wird zugleich die Sach- und Rechtslage, die maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung ist, fixiert (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 1 WB 19/08 -, Hess. VGH, Beschluss des Senats vom 21. Oktober 2013 1 A 1512/13.Z, OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2011 - 1 M 1/11 -, OVG Sachsen, Beschluss vom 15. März 2010 - 2 B 516/09 -, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Dezember 2011, a.a.O., VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. April 2011 - 4 S 353/11 - alle Entscheidungen juris). Der Vermerk über die Nichteinbeziehung des Antragsstellers in die Auswahl muss damit denselben formalen Anforderungen genügen wie ein Auswahlvermerk, d.h. es sind alle wesentlichen Gesichtspunkte für die Nichteinbeziehung zu nennen und ein Nachschieben von Gründen insoweit ist im gerichtlichen Verfahren unzulässig. Nur durch eine schriftliche Fixierung der wesentlichen Auswahlerwägungen - deren Kenntnis sich der unterlegene Bewerber gegebenenfalls durch Akteneinsicht verschaffen kann - wird der Mitbewerber in die Lage versetzt, sachgerecht darüber befinden zu können, ob er die Entscheidung des Dienstherrn hinnehmen soll oder ob Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch auf faire und chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung bestehen und er gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will. Ein Verstoß gegen diese Begründungpflicht verletzt den Bewerber in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG.

Daran gemessen genügt die Begründung über die Nichteinbeziehung des Antragsstellers in das Auswahlverfahren nicht den sich aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Anforderungen.

Im Auswahlvermerk vom 26. August 2014 ist der Antragssteller trotz seiner fristgerechten Bewerbung um den Dienstposten schon überhaupt nicht als Bewerber aufgeführt, obgleich dies der Sache nach angezeigt gewesen wäre. Der Auswahlvermerk dient dazu, die ermessensfehlerfreie Auswahl des für den Dienstposten ausgewählten Bewerbers zu dokumentieren. Dazu gehört nicht nur die Darstellung des Leistungsvergleichs der im Verfahren verbliebenen Bewerber, sondern auch die Begründung für die Nichteinbeziehung eines Bewerbers aufgrund von Eignungszweifeln wegen eines anhängigen Disziplinarverfahrens.

Nichts anderes - Feststellung des Fehlens einer zureichend begründeten Ermessensentscheidung über den Ausschluss des Antragssteller aus dem Bewerbungsverfahren - ergibt sich auch unter Einbeziehung des Vermerks des Dienstherrn vom 10. September 2014, in dem die Entscheidung über die Nichteinbeziehung des Antragsstellers in Auswahlverfahren gesondert begründet worden ist, und auch unter Einbeziehung des zeitnah ergangenen Widerspruchsbescheides des Antragsgegners vom 24. Oktober 2014; wobei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. Juni 2015 - 2 BvR 161/15 - juris) bereits fraglich ist, ob dies im Widerspruchsbescheid mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann. Sowohl der Vermerk vom 10. September 2014 (Seite 1 bis Seite 2 oben) als auch der Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2014 (Seite 3 Mitte bis Seite 4, vorletzter Absatz) beschränken sich darauf, ausführlich, aber gleichwohl jeweils nur in allgemeiner Form die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze darzustellen, wann ein Bewerber wegen Anhängigkeit eines Disziplinarverfahrens von dem Auswahlverfahren ausgeschlossen werden kann. Ausführungen zur Begründung der eigentlichen Ermessensentscheidung, warum das konkret gegen den Antragssteller geführte Disziplinarverfahren in Ansehung des Inhalts und Stand des Verfahrens zum Ausschluss führt, fehlen bzw. sind nur floskelhaft in allgemeiner Form in der Begründung enthalten. So heißt es im Widerspruchsbescheid:

"Es ist auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn regelmäßig dem Beamten das daraus [aus der Führung eines Disziplinarverfahrens] resultierende Risiko auferlegt wird; denn Disziplinarverfahren beruhen in der Regel auf Umständen, die in der Person oder doch in der Sphäre des betreffenden Beamten liegen. Es ist dem Dienstherrn nicht zuzumuten, seinerseits ein Risiko einzugehen und eine Beförderung auszusprechen, wenn Zweifel an der uneingeschränkten Förderungswürdigkeit aufgetreten sindF(es folgt ein Rechtsprechungszitat)." (Hervorhebung durch den Senat).

Sodann findet sich als auf den konkreten Fall angewandte Begründung des Ergebnisses sowohl im Vermerk vom 10. September 2014 als auch im Widerspruchsbescheid Folgendes:

"Festzuhalten ist, dass das Gewicht der erhobenen Vorwürfe und die zu erwartende bzw. hier verhängte Sanktion für den Eintritt des Beförderungshindernisses ohne Bedeutung sind. Es ist allein von Belang, dass das Verhalten des Beamten Anlass gegeben hat, die Möglichkeit einer disziplinarischen Sanktion welcher Art auch immer in Betracht zu ziehen. Mit der Einleitung des Disziplinarverfahrens hat eine Behörde zu erkennen gegeben, dass jedenfalls ein Anlass zur Beanstandung des dienstlichen Verhaltens besteht, vor dessen abschließender Klärung eine Beförderung grundsätzlich ausscheidet (es folgt ein Rechtsprechungszitat)".

Zwar kann aufgrund dieser Darlegungen mit dem Verwaltungsgericht davon ausgegangen werden, dass sich der Dienstherr eines Ermessens zur (Nicht-)Berücksichtigung des Antragsstellers im Auswahlverfahren bewusst gewesen ist. Das genügt zur Darlegung einer ordnungsgemäßen Ermessenbetätigung hinsichtlich des Ausschlusses des Antragstellers aufgrund des in Rede stehenden Disziplinarverfahrens aber nicht. Eine ordnungsgemäße Ermessensbetätigung setzt voraus, dass sich der Dienstherr zunächst darüber Klarheit verschafft, welcher Vorwurf Gegenstand des Disziplinarverfahrens ist und wie der Stand dieses Verfahrens ist, um beurteilen zu können, ob ein zeitnaher Abschluss unmittelbar bevorsteht oder ein jetzt schon ein offenkundiges Verfahrensergebnis im Sinne einer offensichtlichen Begründetheit oder Unbegründetheit des disziplinarischen Vorwurfs prognostizierbar ist. Anderenfalls kann die Frage, ob abweichend vom Regelfall ausnahmsweise doch eine Einbeziehung des Bewerbers in das Auswahlverfahren geboten ist bzw. diese nach Abwägung der Umstände erfolgen soll, nicht auf sachlich tragfähiger Grundlage entschieden werden. Dass dies im vorliegenden Fall - rechtzeitig - erfolgt ist, ist aufgrund des Fehlens individualisierter Ausführungen gerade nicht erkennbar. An keiner Stelle des Auswahlvermerks, des Vermerks vom 10. September 2014 oder des Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2014 wird auf dieses auch nur im Ansatz konkretisierend eingegangen. Weder wird der dem Disziplinarverfahren (zur Zeit der Auswahlentscheidung noch) zugrunde liegende disziplinarische Vorwurf wiedergegeben oder auch nur stichwortartig bezeichnet, noch finden sich irgendwelche knapp gehaltenen Ausführungen zum Stand dieses Verfahrens. Vielmehr lässt sich der hier im Vermerk und Widerspruchbescheid verwandte allgemeine Begründungstext dem Inhalt nach gleichsam als "Standardtext" für die Ablehnung der Einbeziehung eines mit einem Disziplinarverfahrens belasteten Bewerbers jedweder Art und jedweden Verfahrensstandes des Disziplinarverfahrens gebrauchen, selbst wenn der Abschluss des Disziplinarverfahrens in wenigen Tagen zu erwarten gewesen wäre oder die disziplinarischen Vorwürfe auch ohne weitere Prüfung jetzt schon als offenkundig unbegründet zu bewerten wären. Auch in abstrakter Form ist der rechtliche Maßstab für einen möglichen Ausnahmefall nicht dargestellt worden. Es fehlt jede auf den konkreten Fall auch nur knapp Bezug nehmende Begründung dazu, warum gerade für den Antragssteller sinngemäß der "Regelfall" des Ausschlusses aufgrund des geführten Disziplinarverfahrens bejaht wurde. Demensprechend fehlen auch Ausführungen dazu, ob der Antragsgegner die Möglichkeit des Vorliegens eines Ausnahmefalls aufgrund des Inhalts und Stand des Disziplinarverfahrens überhaupt in Betracht gezogen hat. Die in den vorzitierten Textpassagen wiedergegebenen Formulierungen "regelmäßig" / "im Regelfall" ohne eine anschließende knapp inhaltlich begründete Feststellung, dass und warum ein Ausnahmefall vorliegend nicht gegeben ist, lassen vielmehr Raum für die Vermutung, dass dies nicht erfolgt ist, sondern trotz der verbalen Bekundungen des Vorliegens einer Ermessensentscheidung der Spielraum für das Treffen derselben im vorliegenden Fall verkannt worden und von einem "Automatismus" der Nichtberücksichtigungsfähigkeit des Antragsstellers im Auswahlverfahren aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Disziplinarverfahrens ausgegangen worden ist. Jedenfalls lässt sich dem Auswahlvermerk, dem Vermerks vom 10. September 2014 und dem Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2014 jeweils nicht entnehmen, ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt geprüft worden ist, welchen Stand das im Jahr 2010 eingeleitete Disziplinarverfahren hat und welcher disziplinarische Vorwurf nach mehreren Erweiterungsverfügungen und der im Juli 2014 inhaltlich weitgehenden Beschränkung des Disziplinarverfahrens zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch im Raum stand. Damit lässt sich nicht beurteilen, ob die Möglichkeit eines Ausnahmefalls überhaupt geprüft und ernsthaft in Erwägung gezogen worden ist.

Nähere individualisierende Ausführungen insoweit waren auch nicht wegen Offenkundigkeit des Gegenstands des Disziplinarverfahrens und der sich daraus für die Ermessensentscheidung der (Nicht-)Einbeziehung des Beamten in das Auswahlverfahren um den Beförderungsdienstposten ergebenden selbstverständlichen Folge entbehrlich. Dies ergibt sich daraus, dass das Disziplinarverfahren bereits im November 2010 eingeleitet, in den Folgejahren mehrmals um weitere Vorwürfe erweitert, und vor der Auswahlentscheidung (im Juli 2014) zum inhaltlich überwiegenden Teil beschränkt worden ist auf den Vorwurf der Erweiterungsverfügung vom 20. März 2013. Diese ist im Wortlaut weder dem Gericht, noch nach Lage der beigezogenen Akten den Amtswalter des Dienstherrn, der mit der Entscheidung über die Nichteinbeziehung des Antragsstellers in das Auswahlverfahren betraut gewesen ist, bekannt (gewesen). Der nachfolgenden gerichtlichen Korrespondenz ist zu entnehmen, dass allein der disziplinarische Vorwurf "übrig geblieben" ist, dass der Antragssteller einen Aktenvermerk nicht in die Original-, sondern in eine Duploakte geheftet und dadurch Vorgesetzte wahrheitswidrig informiert haben sollte. In Ansehung dieses beschränkten Gegenstands, der aufgrund der Unübersichtlichkeit des bisherigen Verfahrensgangs schon nicht offenkundig zu Tage trat und dessen Bewertung als Dienstvergehen als nicht offenkundig feststehend zu betrachten ist, zumal bis dahin die Mehrzahl der mit dem mehrfach erweiterten Disziplinarverfahren erhobenen Vorwürfe nicht zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme geführt hatte, sowie der langen Zeitdauer des Disziplinarverfahrens, welches für den Antragsteller seit Jahren ein potentielles Beförderungshindernis dargestellt hatte, schien die Annahme der Ausnahme von der Regel, dass die Führung des Disziplinarverfahrens zum Ausschluss des Antragssteller aus dem Beförderungsverfahren führt, nicht offenkundig ausgeschlossen. Nähere Ausführungen zur Begründung insoweit über die gegebene formelhafte Darstellung waren daher im vorliegenden Einzelfall erforderlich.

Nicht zu berücksichtigen waren die im gerichtlichen Verfahren gemachten Ergänzungen hinsichtlich der Begründung der Entscheidung über die Nichteinbeziehung. Zwar können Ermessenserwägungen sowie Einschätzungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum besteht, in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren ergänzt werden. Hierzu gehört aber nicht die vollständige Nachholung der die Entscheidung tragenden Gründe, die bei der gerichtlichen Kontrolle der Auswahlentscheidung nicht berücksichtigungsfähig sind (BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - Az.: 1 WB 19.08 -, a.a.O. Rdnr. 46). Darum handelt es sich bei dem im gerichtlichen Verfahren unterbreiteten Vortrag des Antragsgegners. Denn mit ihm wird erstmals auf konkreten disziplinarischen Sachverhalt bezogen vorgetragen, während bis dahin im Verwaltungsverfahren hierzu überhaupt kein Vortrag erfolgt war, sondern nur allgemeingültige Aussagen zur im Ergebnis möglichen Berücksichtigungsfähigkeit eines Disziplinarverfahrens nach der einschlägigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gemacht worden waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 3, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Da der Beigeladene in beiden Rechtszügen Anträge gestellt hat und er ebenso wie der Antragsgegner unterlegen ist, war er an der Kostentragungspflicht zu beteiligen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG und folgt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).