SG Aachen, Urteil vom 06.09.2016 - S 12 VG 28/14
Fundstelle
openJur 2019, 25063
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin führte in der Vergangenheit eine 18-monatige Beziehung mit dem am 00.00.0000 geborenen Herrn X. H ... Diese Beziehung endete am 02.07.2011. Gleichwohl stellte Herr H. der Klägerin in der Folgezeit weiter nach, woraufhin die Klägerin einen Beschluss des Amtsgerichts Heinsberg vom 23.08.2011 erwirkte (30 F 262/11), wonach es Herrn H. unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten wurde, sie zu bedrohen, zu belästigen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln, sich der Wohnung der Klägerin näher als 20 m zu nähern, sich der Klägerin näher als 20 m zu nähern, der Klägerin aufzulauern, ein Zusammentreffen mit der Klägerin herbeizuführen sowie mit ihr sonst Verbindung aufzunehmen. Gegen diese Unterlassungsverfügungen verstieß Herr H. wiederholt, so dass bereits mit Beschluss vom 20.10.2011 gegen ihn ein Ordnungsgeld in Höhe von 2.000 EUR durch das Amtsgericht Heinsberg festgesetzt wurde. Ausweislich der entsprechenden polizeilichen Ermittlungsakten stellte Herr H. der Klägerin auch im Anschluss mehrfach weiter nach und es wurden Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz gegen ihn eingeleitet.

Am 24.05.2012 ging bei dem Beklagten ein Antrag der Klägerin auf Leistungen nach dem Gesetz über Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz ? OEG) ein. Zur Begründung des Antrags gab die Klägerin an, sie sei am 16.03.2012 gegen 7:20 Uhr Opfer eines Raubüberfalls geworden. Aufgrund dieser Gewalttat leide sie unter Angstzuständen, Schlafstörungen und leichten Depressionen. Aufgrund vorhandener Angstzustände sei ihr ihre Arbeitsstelle zum 30.06.2012 gekündigt worden.

Der Beklagte zog die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten betreffend den Vorfall vom 16.03.2012 bei (StA Aachen 804 Js 628/12). Nach den dortigen Feststellungen meldete die Klägerin telefonisch der Polizei, dass sich Herr X. H. gewaltsam Zutritt zum Haus verschafft und ihr ein Handy sowie eine Handtasche geraubt habe. Der Täter habe der Klägerin beim Verlassen des Hauses an der Eingangstür aufgelauert und sie gewaltsam ins Haus gedrängt. Hierbei habe er mit seinen Händen ihre Handgelenke gefasst. Im Haus habe er sie wieder losgelassen und die Haustür geschlossen. Dort habe er von ihr die Herausgabe seines Computers gefordert. Die Klägerin habe erklärt, sie wolle die Polizei rufen. Daraufhin habe der Täter gesagt, dies interessiere ihn nicht. Er solle lieber sie beide erschießen, bevor die Polizei erscheine. Die Klägerin habe geäußert, seinen Computer nicht zu besitzen und habe sodann mit ihrem Handy die Polizei rufen wollen. Der Täter habe ihr daraufhin ihr Handy entrissen. Hierbei sei es zu einem Gerangel gekommen. Der Täter habe ebenfalls eine Handtasche mit Inhalt, die auf dem Wohnzimmersofa gelegen habe, an sich genommen. Hierbei habe er geäußert, die Sachen als Pfand bis zur Herausgabe des Computers zu behalten. Daraufhin sei er zu Fuß geflüchtet. Die Klägerin sei durch die Handlungen des Täters leicht verletzt worden. Sie habe Schmerzen am rechten Arm verspürt. Bei dem besagten Computer handele es sich tatsächlich um den PC des Herrn H ... Diesen habe sie seinerzeit aber nicht gehabt, sondern bei einem Bekannten abgestellt. Sie habe den Computer ihrerseits als Pfand zurückbehalten, da Herr H. noch ein Fahrrad ihres Ex-Ehemannes im Besitz habe. Dieses wolle sie zurück.

Die Klägerin legte bei der Polizei ein Attest des Allgemeinmediziner Dr. I. vor, wonach diese im Rahmen eines tätlichen Angriffs am 16.03.2012 wie folgt verletzt wurde: 1.) schwere Distorsion rechtes Handgelenk, 2.) massive Ängste, 3.) psychische Belastung.

Mit Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 12.11.2013 (5 Ds-804 Js 334/12-220/12) wurde Herr H. unter anderem wegen des Geschehens am 16.03.2012 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Der Beklagte holte Befundberichte der Diplom-Psychologin C. und des Allgemeinmediziner Dr. I. ein und wertete diese zusammen mit den Ergebnissen einer psychotraumatologischen Psychometrie und einem Arztbericht des Alexianer Krankenhauses Maria-Hilf in L. durch seinen ärztlichen Dienst aus. Dieser kam zu der Einschätzung, als Schädigungsfolge sei die Zerrung des rechten Handgelenkes zu berücksichtigen. Die ebenfalls bei der Klägerin bestehende psychoreaktive Störung resultiere demgegenüber aus der Summe der schädigenden Einwirkungen auf die Psyche im Rahmen der zahlreichen Stalking-Aktivitäten, denen die Klägerin in der Zeit von Juli 2011 bis Juli 2013 ausgesetzt gewesen sei. Dieses Stalking sei nach dem OEG indes nicht zu berücksichtigen.

Mit Bescheid vom 07.07.2014 stellte der Beklagte fest, dass die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zerrung des rechten Handgelenkes" durch schädigende Einwirkungen im Sinne des §§ 1 OEG hervorgerufen wurde. Für diese Gesundheitsstörungen habe vom 16.03.2012 bis zur Abheilung für längstens sechs Monate ein Anspruch auf Heilbehandlung nach § 1 OEG i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) bestanden. Darüber hinaus lehnte er den Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG ab.

Mit Schreiben vom 04.08.2014 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den sie damit begründete, dass sie durch den Überfall am 16.03.2012 unter Angstzuständen und einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, was zu Unrecht in dem Bescheid nicht berücksichtigt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2014 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 01.10.2014 hat die Klägerin, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte, Klage erhoben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten des Allgemeinmediziner Dr. I. und der Dipl.-Psychologin C. sowie darüber hinaus ein neurologischpsychiatrisches Zusatzgutachten durch die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M.-M. einschließlich eines neuropsychologische Zusatzgutachtens des Diplom-Psychologen Priv.-Doz. Dr. L., welche gegenüber dem Gericht am 30.03.2016 erstattet worden sind. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2016 hat die Klägerin ausgeführt, sie sei weiter der Auffassung, dass ihr derzeitiger schlechter psychischer Zustand auf die Gewalttat vom 16.03.2012 zurückzuführen sei. Hierdurch sei es zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung gekommen, was ihre behandelnde Psychotherapeutin und die Ärzte des Alexianer-Krankenhauses bestätigt hätten. Sie habe seinerzeit gewusst, dass gegen Herrn H. Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes liefen. Dies habe sie bei dem Geschehen stark verängstigt. Das Stalking habe sie demgegenüber weitgehend unbeeindruckt gelassen.

Die Klägerin beantragt, vertreten durch ihre Prozessbevollmächtigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausdrücklich,

den Bescheid vom 07.07.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.09.2014 dahingehend abzuändern, dass dem Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund des Vorfalls vom 16.03.2015 entsprochen wird und ihr eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz zugesprochen wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren und nimmt überdies Bezug auf die Ergebnisse der gerichtlich eingeholten Gutachten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakte deren wesentliche Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in ihren Rechten verletzt, da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Feststellung einer bei ihr bestehenden psychischen Erkrankung als Schädigungsfolge nach dem OEG noch auf die von ihr ausdrücklich beantragte Beschädigtenversorgung unter Berücksichtigung einer Posttraumatischen Belastungsstörung.

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (Bundessozialgericht (BSG) ? Urteil vom 23.04.2009 ? B 9 VG 1/08 R = juris Rn. 27; BSG Urteil vom 17.04.2013 ? B 9 V 1/12 R = juris Rn. 25). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält eine Person, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG besteht damit aus drei Gliedern (tätlicher, rechtswidriger Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen wie " vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff", "gesundheitliche Schädigung" und "gesundheitliche bzw. wirtschaftliche Folgen" müssen hierbei nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen (BSG Urteil vom 29.06.2000 ? B 9 VG 3/99 R = juris; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 118 Rn. 6) zum Vollbeweis feststehen, dass zur Überzeugung des Gerichts von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder eines so hohen Grades an Wahrscheinlichkeit, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (BSG Urteil vom 29.06.2000 ? B 9 VG 3/99 R = juris; Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., 2014, § 103 Rn. 6a).

Bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des Opferentschädigungsrechts ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. BSG Urteil vom 17.04.2013 ? B 9 V 1/12 R = juris Rn. 27 ,m.w.N.; BSG Urteil vom 07.04.2011 ? B 9 VG 2/10 R = juris Rn. 32; vgl. dazu auch Bischofs, SGb 2010, 693 f.). Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs ist aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten zu beurteilen; sozial angemessenes Verhalten scheidet insoweit aus.

Ausgangspunkt ist dabei, dass ein tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraussetzt, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (BSG Urteil vom 17.04.2013 ? B 9 V 1/12 R = juris Rn. 27; BSG Urteil vom 29.04.2010 ? B 9 VG 1/09 R = juris Rn. 25). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (BSG Urteil vom 17.04.2013 ? B 9 V 1/12 R = juris Rn. 27; BSG Urteil vom 07.04.2011 ? B 9 VG 2/10 R = juris Rn. 36; BSG Urteil vom 16.12.2014 ? B 9 V 1/13 R = juris Rn. 18 f.).

Das Vorliegen eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen die Klägerin ist zwischen den Beteiligen unstreitig und auch das Gericht sieht es als nachgewiesen an, dass der ehemalige Freund der Klägerin, Herr X. H., am 16.03.2012 der Klägerin beim Verlassen ihres Hauses an der Eingangstür aufgelauert und sie gewaltsam ins Haus gedrängt hat. Hierbei hat er mit seinen Händen ihre Handgelenke gefasst. Im Haus hat er sie wieder losgelassen und die Haustür geschlossen und die Herausgabe seines Computers gefordert. Nachdem die Klägerin erklärt hatte, diesen nicht zu haben und die Polizei rufen wollte, hat er ihr das Handy entrissen. Hierbei ist es zu einem Gerangel gekommen. Der Täter hat neben dem Handy auch eine Handtasche mit Inhalt, die auf dem Wohnzimmersofa gelegen hat, an sich genommen und erklärt, er behalte die Sachen als Pfand bis zur Herausgabe seines Computers. Daraufhin ist er zu Fuß geflüchtet. Die Klägerin verspürte im Anschluss Schmerzen am rechten Arm. Der am gleichen Tag aufgesuchte Allgemeinmediziner Dr. I. stellte bei ihr eine schwere Distorsion des rechten Handgelenks, massive Ängste und eine psychische Belastung fest.

Dieses Geschehen steht für die Kammer fest. Sie stützt sich dabei auf die Schilderungen der Klägerin gegenüber der Polizei, den Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 12.11.2013 gegen Herrn X. H., der im Rahmen der dortigen Verhandlung unter anderem auch dieses Geschehen eingeräumt hatte (AG Heinsberg 5 Ds-804 Js 334/12-220/12) sowie auf das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Attest des Dr. I ...

Bei diesem Geschehen handelt es sich zweifellos um eine auf den Körper der Klägerin unmittelbar zielende gewaltsame Einwirkung in rechtsfeindlicher Willensrichtung, mithin um einen tätlichen Angriff. Dieser war auch rechtswidrig. Insbesondere die Tatsache, dass der Täter offenbar noch sein Eigentum im Besitz der Klägerin vermutete, ändert nichts an der Rechtswidrigkeit seines Tuns. Der Täter ist dementsprechend auch zutreffend u.a. wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden.

Die Klägerin erklärt darüber hinaus, sie habe sich bei dem Geschehen auch insbesondere dadurch bedroht gesehen, dass der Täter gesagt habe, er solle lieber sie beide erschießen, bevor die Polizei erscheine. Diese Erklärung habe sie ? so die Klägerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung ? auch deshalb sehr geängstigt, weil sie von einer Bekannten gehört habe, dass gegen den Täter unter anderem Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes liefen. So solle er versucht haben, eine Pistole zu verkaufen. Eine Waffe habe sie bei dem Geschehen beim Tä-ter jedoch nicht gesehen. Sie habe aber gedacht "Hoffentlich hat er die Pistole nicht bei sich".

Selbst wenn die Klägerin sich hier subjektiv bedroht gefühlt hat, so stellte dieses Geschehen für sich gesehen jedoch keinen eigenen tätlichen Angriff dar. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist ein tätlicher Angriff selbst für den Fall verneint worden, dass der Täter dem Opfer eine (objektiv ungefährliche) Schreckschusspistole vorgehalten hat (BSG Urteil vom 126.12.2014 ? B 9 V 1/13 R = juris). Die bloße Vermutung, der Kläger könne eine Schusswaffe bei sich haben erfüllt nach Auffassung der Kammer vor diesem Hintergrund erst recht nicht das Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs (so auch schon BSG Urteil vom 02.10.2008 ? B 9 VG 2/07 R = juris Rn. 20 a.E.).

Daneben ist es über einen langen Zeitraum zu Nachstellungen seitens des Herrn H. gekommen. Diese haben nach den Darstellungen der Klägerin unmittelbar nach der Trennung begonnen. So sei er noch am Tag der Trennung im Juli 2011 mit dem Bahnbus nach Heinsberg gefahren, sei einfach auf die Terrasse gekommen und habe da gesessen sowie auch da übernachtet. Sie habe ihm dann gesagt: "Wenn du jetzt nicht gehst, rufe ich die Polizei". Dann sei er auch gegangen, er habe gesagt, dass er noch anrufe, wobei sie erwidert hätte, dass für sie das Thema erledigt wäre. Er sei fast täglich bei ihr aufgetaucht, habe auch Telefonterror unternommen und auf der Terrasse "wie ein Häufchen Elend nach dem Motto: Hauptsache, ich bin in deiner Nähe" gesessen. Er habe ihr auch gesagt: Ruf doch die Polizei, ich sitz ja nur hier. Die Polizei sei dann gekommen und habe ihn auf eine mögliche Anzeige wegen Hausfriedensbruch hingewiesen, was ihm auch egal gewesen wäre. Sie hätten ihn dann von der Terrasse verwiesen, er sei trotzdem wiedergekommen. Er sei urplötzlich aufgetaucht. Die Polizei habe gefragt, ob sie eine einstweilige Verfügung hätte, woraufhin sie eine Rechtsanwältin ausgesucht habe und danach Tagebuch über die Anrufe und das Auftauchen geführt hätte. Am Telefon habe er ihr gesagt: er liebe sie, wolle sie zurück und habe ihr gedroht, dass ihrer Tochter etwas passieren würde. Sie sei sich nicht sicher, ob er die Adresse der Tochter kenne, sie war wohl einmal mit ihm dort zu Besuch, könne sich aber nicht vorstellen, dass er die Adresse realisiert habe. Einmal habe sie gesagt, sie mache ihn einen Kopf kürzer, als er ihr mit der Tochter drohte. Das habe er zur Kenntnis genommen. Er habe wohl ein lockeres Mundwerk: "Du wirst schon sehen, was du davon hast". Sie habe sich aber nicht davon einschüchtern lassen. Er habe jeden Tag mehrmals angerufen, 40 - 50 Mal, abwechselnd auf Handy, Festnetz etc. Sonst sei er bei ihr aufgetaucht. Sie habe schließlich den Beschluss bekommen, dann auch des Öfteren bei der Polizei angerufen. Er habe sich auch ins Haus geschlichen, als sie abends Altpapier rausgestellt habe und habe sich im Keller für zwei Tage versteckt. Sie habe sich gewundert, dass ihre Packung Kekse leerer geworden sei und habe das Bauchgefühl gehabt "Er ist hier im Haus." Sie sei dann im Haus auf die Suche gegangen, bis der Keller übrig war. Sie habe dann die Tochter angerufen und gebeten, dass sie am Telefon bleibe, da sie den Verdacht habe, dass der "Bekloppte" unten im Keller wäre. Sie sei mit dem Telefon in der Hand runtergegangen: und Herr H. habe im Keller im Dunkeln auf einem Höckerchen gesessen. Die Polizei habe dann zwei Beamte geschickt, die ihn nach Vorzeigen des Beschlusses mitgenommen hätten. Am nächsten Morgen habe er schon wieder auf der Terrasse gestanden. Dann habe sie ihn auch mal oben in der ersten Etage auf dem Balkon gefunden, wo er geschlafen habe. Sie habe die Polizei informiert und er habe gesagt: Schatz, du hast mich ja hier ausgesperrt. Die Polizei habe ihn mitgenommen und Anzeige erstattet. Das Auftauchen habe sie zwar gestört, aber keine Angst eingejagt.

Soweit die Klägerin diesen umfangreichen Nachstellungen des Herrn X. H. ausgesetzt gewesen ist, war dies nach Auffassung der Kammer ? auch wenn die Klägerin diesen Aspekt im vorliegenden Verfahren dissimuliert ? mit erheblichen psychischen Belastungen für die Klägerin verbunden (vgl. zu den Folgen von Stalking allgemein etwa Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 678 (680); vgl. auch Will/Hintz/Blättner, Gesundheitliche Folgen von Stalking, Das Gesundheitswesen 2012, 315 ff., abrufbar unter https://www.thiemeconnect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0031-1275715; Dreßing/Grass Psychiatrische Aspekte von Stalking Psychiatrie und Psychotherapie. Up2date 2008; S 117 ff., abrufbar unter https://www.thiemeconnect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-2007-986321.)

Gleichwohl begründen diese Nachstellungen keinen tätlichen Angriff im Sinne des OEG. Es fehlt auch insoweit an dem erforderlichen Nachweis der unmittelbaren (Gewalt-)Einwirkung auf den Körper (vgl. hierzu etwa BSG Urteil vom 09.04.2011 ? B 9 VG 2/10 R = juris, vgl. dazu auch Röhl, jurisPR-SozR 18/2012 Anm. 3). Hieran ändert auch nichts, dass seit dem 31.03.2007 der strafrechtliche Tatbestand der Nachstellung gilt (§ 238 Abs. 1 Strafgesetzbuch ? StGB). Solange der Gesetzgeber diesen Tatbestand nicht gesondert in den Schutzbereich des § 1 OEG einbezogen hat, sind die erfolgten Stalking-Handlungen daraufhin zu prüfen, ob jeweils nach den insoweit maßgeblichen Kriterien ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG vorliegt. Auch beim Stalking kommt es auf das Vorliegen einer mit Gewaltanwendung verbundenen vorsätzlichen Straftat an, denn nach dem Grundgedanken des OEG sollen nur Opfer von "Gewalttaten" entschädigt werden sollen (vgl. zur Gesetzesintention und Geschichte des OEG etwa Bischofs, SGb 2010, 693 ff. m.w.N.). Das Gleiche gilt im Hinblick auf etwaige Verstöße des Täters gegen Regelungen des Gesetzes zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (Gewaltschutzgesetz ? GewSchG). Auch insoweit ist der Nachweis einer Gewalttat für die Bejahung eines Anspruchs nach § 1 OEG unerlässlich. Ein entsprechender Nachweis ist aber hinsichtlich der unstreitig vorhandenen Nachstellungen nicht geführt. Er wurde bislang auch nicht einmal behauptet.

Maßgeblich für das hiesige Verfahren ist mithin allein die oben beschriebene Gewalttat vom 16.03.2012. Durch diese wurden auch kausal Schädigungsfolgen bei der Klägerin hervorgerufen.

Für die Frage der Kausalität gilt die sog. "Theorie der wesentlichen Bedingung". Eine Bedingung ist danach dann wesentlich - und damit im Entschädigungsrecht beachtlich - wenn sie neben anderen Bedingungen für den Eintritt der Rechtsfolge annä-hernd gleichwertig ist und innerhalb der Grenze liegt, die durch den Schutzzweck der Rechtsnorm gezogen wird (so Rohr/Sträßer/Dahm, Bundesversorgungsgesetz,7. Aufl., Stand: Oktober 2015, § 1-58, m.w.N.; Gelhausen, in: Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, Kommentar zum OEG, 5. Aufl. 2010, Anhang I 3. Rn. 24 ff.). Es genügt insoweit die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs, d.h. es muss nach der geltenden medizinischwissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang sprechen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R = juris). Dabei ist insbesondere bei seelischen Beeinträchtigungen, anders als bei körperlichen Beschwerden, in der Regel ? wie auch im vorliegenden Fall ? besonders problematisch, den rechtlich nach den jeweiligen Entschädigungsgesetzen entscheidenden Vorgang - also das die Entschädigungspflicht auslösende Ereignis - als die wesentliche medizinische Ursache festzustellen. Es verbleibt ? worauf das Bundessozialgericht in einschlägigen Fällen zu Recht hinweist - die Frage, ob nicht andere wesentlich mitwirkende Bedingungen, etwa eine bereits vorbestehende Anlage von Krankheitswert, für die Ausbildung einer seelischen Dauererkrankung vorhanden sind (BSG, Urteil vom 12.06.2003, B 9 VG 1/02 R = juris).

Bei der Klägerin lag unmittelbar nach dem schädigenden Ereignis eine schmerzhafte Verstauchung (Distorsion) des rechten Handgelenks vor. Dies steht für die Kammer aufgrund des Attestes des Dr. I. fest. Diese ist auch kausal auf die Gewalttat zurückzuführen. Indes ist zu berücksichtigen, dass insoweit keine bleibenden Schäden verblieben sind. Weder im eingeholten Befundbericht des Dr. I. noch im Gutachten der Frau Dr. M.-M. werden entsprechende wesentliche Beeinträchtigungen in diesem Bereich beschrieben.

Unmittelbar nach der Gewalttat bestanden bei der Klägerin zudem massive Ängste und eine psychische Belastung, was nach Auffassung der Kammer durchaus eine normale psychische Reaktion auf das Geschehen darstellt. Dies ergibt sich insbesondere auch aus den Darstellungen der Gutachterin Frau Dr. M.-M ... Sie beschreibt nach dem Überfall das Bestehen einer akuten Belastungssituation (ICD 10: F 43.0). Hierbei handelt es sich per definitionem um eine vorübergehende Störung, die sich bei einem psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine au-ßergewöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt, und die im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingt (vgl. dazu auch etwa Fleischhacker/Hinterhuber, Lehrbuch der Psychiatrie, S. 219 ff.; Arolt/Reimer/Dilling, Basiswissen Psychiatrie und Psychotherapie, 6. Aufl. 2006, S. 194). Die Gutachterin geht überzeugend davon aus, dass die Symptome dieser Belastungsreaktion bei Arbeitsbeginn der Klägerin am 19.03.2012 wieder abgeklungen waren. Damit bleibt diese Gesundheitsstörung gemäß Teil A Ziffer 2 lit. f) der Anlage nach § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung- VersMedV) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze) unbeachtlich.

Weitere Schädigungsfolgen auf psychiatrischem Gebiet sind nicht objektiviert. Dies ergibt sich nach Auffassung der Kammer aufgrund der im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Befund- und Arztberichte, sowie der Gutachten des PD. Dr. L. und der Frau Dr. M.-M ... Die Gutachten beruhen auf umfangreichen Untersuchungen erfahrener gerichtlicher Sachverständiger, die unter Einsatz von diversen Hilfsmitteln durchgeführt worden sind. Die Kammer hat keinen Anlass an der Richtigkeit der in dem Gutachten erhobenen medizinischen Befunde und gestellten Diagnosen zu zweifeln. Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung vollumfänglich den gut begründeten Ausführungen der Gutachter an und macht sie sich zu eigen.

Insbesondere steht vor dem Hintergrund der eingeholten Gutachten zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Klägerin ? anders als von der behandelnden psychologischen Psychotherapeutin C. angenommen - durch die Gewalttat nicht etwa eine posttraumatische Belastungsstörung kausal hervorgerufen worden ist. Soweit die Klägerin gegenüber dem Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen hat, auch das Alexianer Krankenhaus habe die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung gestellt, so sei darauf verwiesen, dass im Juni 2012 dies lediglich als "Arbeitsdiagnose" formuliert war. In späteren Berichten (23.12.2013) findet sich dies als Diagnose nicht mehr.

Nach dem medizinischen Diagnoseklassifikationssystem "International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, 10. Revision (ICD-10) ? German Modification Version 2016" entsteht die mit dem Diagnoseschlüssel F43.1 verschlüsselte Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

"als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über."

Etwas differenzierter erscheint die Beschreibung in der vierten Auflage des "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (DSM IV). Dieses beschreibt die Voraussetzungen für eine PTBS wie folgt: ""A. The person has been exposed to a traumatic event in which both of the following were present: (1) the person experienced, witnessed, or was confronted with an event or events that involved actual or threatened death or serious injury, or a threat to the physical integrity of self or others (2) the person s response involved intense fear, helplessness, or horror. ( ) B. The traumatic event is persistently reexperienced in one (or more) of the following ways: (1) recurrent and intrusive distressing recollections of the event, including images, thoughts, or perceptions. ( ) (2) recurrent distressing dreams of the event. ( ) (3) acting or feeling as if the traumatic event were recurring (includes a sense of reliving the experience, illusions, hallucinations and dissociative flashback episodes, including those that occur on awakening or when intoxicated) ( ) (4) intense psychological distress at exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event (5) physiological reactivity on exposure to internal or external cues that symbolize or resemble an aspect of the traumatic event C. Persistent avoidance of stimuli associated with the trauma and numbing of general responsiveness (not present before the trauma), as indicated by three (or more) of the following: (1) efforts to avoid thoughts, feelings, or conversations associated with the trauma (2) efforts to avoid activities, places, or people that arouse recollections of the trauma (3) inability to recall an important aspect of the trauma (4) markedly diminished interest or participation in significant activities (5) feeling of detachment or estrangement from others (6) restricted range of affect (e.g., unable to have loving feelings) (7) sense of a foreshortened future (e.g., does not expect to have a career, marriage, children, or a normal life span) D. Persistent symptoms of increased arousal (not present before the trauma), as indicated by two (or more) of the following: (1) difficulty falling or staying asleep (2) irritabilty or outbursts of anger (3) difficulty concentrating (4) hypervigilance (5) exaggerated startle response E. Duration of the disturbance (symptoms in Criteria B, C, and D) is more than 1 month. F. The disturbance causes clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning."

Hiernach sind mithin verschiedene Kriterien zu unterscheiden. Das Kriterium A1 setzt das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat oder die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat oder das Miterleben eines unerwarteten oder gewaltsamen Todes, schweren Leids, oder Androhung des Todes oder einer Verletzung eines Familienmitglieds oder einer nahestehenden Person (Kriterium A1) voraus. Hierauf muss die Person mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagieren (Kriterium A2). Darüber hinaus muss ein traumatisches Wiedererleben durch Intrusionen, Träume oder Flashbacks erfolgen (sog. Kriterium B). Außerdem kommt es bei den Betroffenen zu Vermeidungsreaktionen (Kriterium C), die sich in Erinnerungsverlusten, verminderter Teilnahme bzw. Interesse an wichtigen Aktivitäten oder ähnlichem äußern können, sowie zu einer Übererregbarkeit (Kriterium D) in Form von Ein- und Durchschlafproblemen, Konzentrationsstörungen, erhöhter Reizbarkeit oder ähnlichem äußern können. Mittlerweile liegt die 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) vor, von dem seit 2015 auch eine autorisierte deutsche Übersetzung existiert (siehe Falkai/Wittchen (Hrsg.): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, 2015). Kennzeichnend für das Diagnoseklassifikationssystem DSM-5 ist u.a., dass auf das sog. A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis verzichtet wird (Hessisches LSG, Urteil vom 25.08.2015 - L 3 U 239/10 = juris Rn. 43 f.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.10.2014 - L 17 U 709/11 = juris, Rn. 34; vgl. auch Dreßing, Hessisches Ärzteblatt 2016, 271 ff., abrufbar unter https://www.laekh.de/images/ Hessisches Aerzteblatt/2016/05 2016/CME Fortbildung PTBS 05 2016.pdf), sowie, dass zwischen negativen Veränderungen der Kognitionen und der Stimmung mit Beginn der Verschlechterung nach dem Trauma (Kriterium D) und deutlichen Veränderungen im Arousal und in der Reaktion im Hinblick auf das Trauma (Kriterium E) unterschieden wird (siehe die Übersicht bei Venzlaff/Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 564.). Hinsichtlich der Validität des DSM-5 werden in der Rechtsprechung und Literatur Bedenken erhoben (vgl. dazu etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2015 ? L 6 VS 4569/14 = juris, unter Hinweis auf National Institute of Mental Health, DSM-5 and RDoC: Shared Interests - "The diagnostic categories represented in the DSM-IV and the International Classification of Diseases-10 (ICD-10, containing virtually identical disorder codes remain the contemporary consensus standard for how mental disorders are diagnosed and treated." [Die diagnostischen Kategorien in DSM-IV und ICD-10 bleiben weiter der maßgebliche Code zur Einordnung psychischer Erkrankungen]), M. 13, 2013, und A. F., Normal, Gegen die Inflation psychiatrischer Diagnosen, 2013, siehe hierzu auch Stevens/Fabra MedSach 2015, 162 ff.). Die Kammer teilt im Ergebnis diese Bedenken. Hierauf kommt es vorliegenden Fall indes nicht an. Selbst wenn man mit der Gutachterin Dr. M.-M. davon ausgeht, dass die Klägerin sich am 16.03.2012 tatsächlich einer dem Kriterium A1 entsprechenden Situation gegenüber gesehen hat (hierzu bereits oben) so ist ? auch selbst wenn (entsprechend DSM-5) das Kriterium A2 nicht mehr als für die Diagnose erforderlich ansieht ? gleichwohl die Diagnose mit der Gutachterin nicht zu stellen. Das B-Kriterium ist jedenfalls weiterhin nicht als gegeben zu sehen. Im Erstbericht der psychotraumatologischen Ambulanz des Alexianer Krankenhauses in L. aus Juni 2012 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin nicht unter Albträumen, Intrusionen bzw. erhöhter Reizbarkeit, Wutausbrüchen und Dissoziationen leide und auch im Bericht von Dezember 2013 wird darauf hingewiesen, dass sie weiterhin nicht über Flashbacks oder Albträume klage. Über die später berichteten Erinnerungen an die "hasserfüllten Augen des Täters" wird in den Berichten des Alexianer Krankenhauses keine Mitteilung gemacht. Im Rahmen der Begutachtung durch Dr. M.-M. beschreibt die Klägerin erneut keine "Flashbacks". Auch das Kriterium der Vermeidung und Einengung der emotionalen Reagibilität, ist in diesem Zusammenhang nicht erfüllt. Die Ärzte des Alexianer Krankenhauses teilen in ihren Arztberichten zwar mit, dass die Klägerin ein starkes Gefühl der inneren Bedrängnis spüre, wenn sie sich dem Ort des Überfalls nähere und auch die Behandlerin C. weist auf diese Symptomatik hin. Beim Ort des Überfalls handelt es sich aber um das Wohnhaus der Klägerin, das sie auch nach dem Überfall weiter bewohnt hat. Eine Vermeidung wird lediglich auf die ehemalige Wohngegend des Täters bezogen, was jedoch keinen Zusammenhang mit dem Überfall in ihrem Wohnhaus bedeutet. Darüber hinaus wird eine Einengung der emotionalen Reagibilität nicht deutlich, insbesondere in der eigenen gutachterlichen Exploration wurde vielmehr ein erhebliches Ärgererleben spürbar. Angstsymptome, die insbesondere seitens des Hausarztes und des Alexianer Krankenhauses mitgeteilt werden, sind jedoch keine diagnostischen Kriterien für eine PTBS. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das psychotraumatologische Testergebnis des Alexianer Krankenhauses vom 13.08,2012 in der Posttraumatic Symptom Scale ein Ergebnis von 25 Punkten von maximal 60, wobei zwischen 34 und 35 Punkten der Verdacht auf eine PTBS bestehe, und somit zu diesem Zeitpunkt eine PTBS nicht gesichert werden konnte. Dagegen lag jedoch die Dimension "phobische Ängste" in einem stark erhöhten Bereich, wie sie auch von dem gerichtlich bestellten Zusatzgutachter PD Dr. L. genannt werden.

Nach den Überzeugenden Darstellungen der Gutachterin Dr. M.-M. liegen bei der Klägerin aber folgende dauerende Gesundheitsstörungen vor:

Rezidivierende depressive Störung, derzeit leicht- bis mittelgradige Episode (ICD 10: F 33.0) bei einer Persönlichkeitsakzentuierung mit schizoiden, anankastischen, selbstunsicher-ängstlichen und psychasthenischen Zügen sowie Sonstige Reaktion auf schwere Belastung (ICD 10: F 43.8) vom ängstlichen Verlaufstyp

Diese Gesundheitsstörungen sind indes nicht ursächlich auf die Gewalttat vom 16.03.2012 sondern auf das monatelange Stalking des Täters zurückzuführen und haben bereits vor dem Überfall vorgelegen bzw. sind ? in Bezug auf die Persönlichkeitsakzentuierung auch bedingt durch die bedingt durch die biografische Entwicklung der Klägerin.

Auch dies steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund der lege artis erstellen Gutachten der PD Dr. L. sowie der Frau Dr. M.-M. fest.

In diesem Zusammenhang ist mit der Gutachterin Dr. M.-M. zutreffend auch die psychiatrische Krankengeschichte der Klägerin sorgfältig zu betrachten. Auf neurologischem Fachgebiet gab die Klägerin gegenüber der Gutachterin eine Kopfschmerzsymptomatik seit 1988 an, als sie bei einem Treppensturz infolge des Erschre¬ckens durch eine Mitschülerin mit einer Ratte auf die Stirn gefallen wäre. Die damaligen Abklärungen (EEG, CCT) seien unauffällig gewesen, die Kopfschmerzen wurden in der Konsiliaruntersuchung während der orthopädischen Rehabilitation in der Klinik "B I" 2003 mit einer Frequenz von etwa alle zwei bis sechs Wochen angegeben. Bei einer CCT- Kontrolle 2003 wurde erneut ein unauffälliger Befund mitgeteilt, wobei der Hausarzt, Dr. I., ab diesem Zeitpunkt Kopfschmerzen und Migräne benennt. 2012 hat Dr. I. die Arbeitsunfähigkeit u. a. auch aufgrund der Kopfschmerzen attestiert. Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik "B I" 2003 dachte die Klägerin daran, eine Entlastung von der schweren Arbeit als Filialleiterin eines Lebensmittelmarktes zu erhalten und sei an berufsfördernden Leistungen zu einer Weiterbildung im kaufmännischen Bereich interessiert gewesen. Der Hausarzt Dr. I. beschreibt zum gleichen Zeitpunkt ebenfalls eine bestehende psychische Belastung, wobei er diese in seinem Befundbericht von 2015 nicht näher ausführt. Er bescheinigt des Weiteren, dass bei der Klägerin auch 2006 bereits Zukunftsängste aufgetreten seien. 2010 habe sie dann auch Depressionen entwickelt. Die Klägerin gab im Rahmen ihrer Exploration durch die Gerichtsgutachterin an, dass sie 2003 im Zusammenhang mit einer Mobbingsituation am Arbeitsplatz auch ein Antidepressivum (Wirkstoff: Citalopram) erhalten habe. Eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung habe seinerzeit jedoch nicht stattgefunden. Im Zusammenhang mit dem Tod der Tante 2007 habe sie seitens Dr. I. erneut kurzfristig ein Antidepressivum verschrieben bekommen, da dieses Ereignis für sie sehr belastend gewesen sei. Der Hausarzt Dr. I. benennt in seinem Befundbericht seit 2010 auch Depressionen und im April 2014 seit Jahren eine Angsterkrankung, Verdacht auf Reaktionen auf schwere Belastung vom ängstlich depressiven Typ, eine depressive Erschöpfung sowie psychovegetative Erschöpfung und Neurasthenie. Er fasst in seinem Befundbericht von 2015 auch für den Zeitraum von 2012 - 2014 zusammen, dass die Klägerin über massive Ängste und Unruhe geklagt habe aufgrund der massiven Belästigungen des letzten Partners, so dass sie auch in ihrer Wohnung keine Ruhe finde.

Mit der Gutachterin Dr. M.-M. geht die Kammer vor diesem Hintergrund davon aus, dass bereits vor der Gewalttat im März 2012 eine psychische Alteration vorgelegen hat, die jedoch fachpsychiatrisch nicht diagnostiziert wurde. Soweit der Hausarzt hierbei den Begriff der Neurasthenie verwendet, versteht man ? worauf die Gutachterin in ihrem Gutachten hinweist ? hierunter eine Symptomatik mit einer gesteigerten Ermüdbarkeit sowie auch eine Symptomatik mit Muskelschmerzen, Schwindel, Spannungskopfschmerzen, Schlafstörungen oder Reizbarkeit, wobei nach dem ICD 10 darauf hingewiesen wird, dass viele früher so diagnostizierten Zustandsbilder heute die Kriterien für eine depressive oder Angststörung erfüllen würden. Dementsprechend war der Klägerin auch bereits damals ein Antidepressivum (Wirkstoff: Citalopram) verordnet worden. Maßgeblich und wesentlich war zum damaligen Zeitpunkt bereits das längere Bestehen der "Stalking"-Situation. So weist die Gutachterin unter Bezugnahme auf einschlägiges Schrifttum zutreffend darauf hin, dass Stalkingopfer infolge des durch das Stalking verursachten chronischen Stresserlebens häufiger an psychischen Störungen erkranken. Die psychischen Störungen können dabei persistieren, auch wenn die aktuelle StaIkingsituation bereits beendet ist. Bei der Klägerin lag bereits vor der Gewalttat ein monatelanges Stalking vor, gegen das sie sich auch zur Wehr gesetzt hat und das amtlich bestätigt und verfolgt wurde. Hierin ist - mit der Gutachterin ? eine erhebliche psychische Belastung zu sehen. Zudem legt die biografische Entwicklung eine entsprechende Vulnerabilität der Klägerin nahe, so dass bereits vor dem Überfall von einer psychischen Alteration ausgegangen werden muss. In diesem Zusammenhang sind auch die Ausführungen seitens des Zusatzgutachters PD Dr. L. zu sehen, der in seiner neuropsychologischen Zusatzbegutachtung auch sehr ausgeprägte Auffälligkeiten in Bezug auf unterschiedliche Persönlichkeitsdimensionen sowie auf psychometrisch/psychopathometrischer Befundebene vorfand. Er weist zunächst auf eine depressive Störungssymptomatik hin, wobei jedoch die entsprechenden Selbstauskünfte inkonsistent erschienen, darüber hinaus identifizierte er jedoch auch eine chronifizierte Fehlentwicklung psychischer Funktionen, auch im Sinne erlebnisbedingter Persönlichkeitsveränderungen, wobei jedoch besonders kombinierte Persönlichkeitsakzentuierungen deutlich würden. Bei den Persönlichkeitsakzentuierungen stehen schizoide, anankastische und selbstunsicher-ängstliche Merkmaisausprägungen im Mittelpunkt, auch eine psychasthenische Komponente sei auffallend. Diese Prägungen sind als Vulnerabilitätsfaktor für spätere psychische Störungen heranzuziehen.

Mit der Gutachterin Dr. M.-M. ist vorliegend davon auszugehen, dass die bei der Klä-gerin vorliegenden ? und zweifellos nicht unerheblichen psychischen Beeinträchtigungen ? entgegen der subjektiven Einschätzung der Klägerin, eben nicht auf die einmalige Gewalttat im März 2012 sondern auf dem langen Stalkingprozess, dem sich die Klägerin ausgesetzt gesehen hat, zurückzuführen ist. Dies rechtfertigt indes, wie oben ausführlich dargelegt, keinen Anspruch nach dem OEG.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Zitate12
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte