LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.11.2018 - L 11 KR 727/17
Fundstelle
openJur 2019, 23977
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 45 KR 337/15
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.08.2017 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Beitragserstattung für die Zeit vom 01.10.2010 bis zum 31.08.2012.

Der Kläger ist seit dem 01.10.2010 selbständig. Mit Erklärung vom 09.09.2012 beantragte er die Mitgliedschaft bei der Beklagten. Diese setzte mit Bescheid vom 13.09.2012 erstmals die vom Kläger zu entrichtenden Beiträge fest. Danach ergab sich für die Zeit vom Eintritt der Versicherungspflicht bis zu deren Anzeige, d.h. vom 01.10.2010 bis 30.08.2012 (Nacherhebungszeitraum), ein rückständiger Betrag von 7.573,90 EUR.

Am 08.10.2012 und 17.04.2013 schloss der Kläger mit der Beklagten eine "Stundungs- und Teilzahlungsvereinbarung" für rückständige Beiträge aus dem Zeitraum 01.10.2010 bis 30.09.2012. Danach zahlte er auf rückständige Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge einen monatlichen Betrag von 500,00 EUR.

Am 06.12.2013 beantragte der Kläger, ihm bereits für den Zeitraum 01.10.2010 bis 30.09.2012 gezahlte Beiträge zu erlassen und zu erstatten. Nachdem die Beklagte dem Antrag für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.08.2012 entsprochen hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 12.12.2013 einen darüber hinausgehenden Erlass ab. Zwar umfasse der Nacherhebungszeitraum mehr als drei Monate und der Kläger habe in dieser Zeit keine Leistungen in Anspruch genommen. Die Beiträge für diesen Zeitraum seien jedoch bereits bezahlt. Erlass und Erstattung bereits gezahlter Beträge seien im Gesetz nicht vorgesehen. Mit Bescheiden vom 04.09.2014 und 21.10.2014 half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers teilweise ab. Aufgrund geänderter Zuordnung der Beitragszahlungen des Klägers (zugunsten des Klägers abweichend von § 252 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)) erstattete sie dem Kläger alle seit dem 01.08.2013 für den Nacherhebungszeitraum geleisteten, jedoch nicht die bis 31.07.2013 für den Nacherhebungszeitraum gezahlten Beiträge (4.000,00 EUR). Diese könnten nicht erlassen werden. Für den nachfolgenden Zeitraum seien 3.573,90 EUR erlassen worden. Dabei rechnete sie 2.955,88 EUR mit bisher für Dezember 2012 und Februar 2014 bis August 2014 nicht gezahlten Beiträgen auf. Sie zahlte einen Erstattungsbetrag von 1.074,12 EUR an den Kläger aus.

Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 05.05.2015 zurück. Der Kläger habe im Rahmen einer Teilzahlungsvereinbarung die jeweils ältesten Beitragsschulden beglichen, sodass diese nicht mehr fällig seien. Das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 01.08.2013 sähe eine Erstattung bereits gezahlter Beiträge nicht vor, so dass trotz Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Rückzahlung nicht in Betracht komme.

Dagegen hat der Kläger am 05.06.2015 Klage erhoben. Aus Art. 2 Buchst. d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung stehe ihm zumindest in analoger Anwendung ein Rückzahlungsanspruch zu. Nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) müsse analog zum Befreiungsanspruch auch ein Rückzahlungsanspruch bestehen. Andernfalls sei er rechtsgrundlos benachteiligt, weil zum Zeitpunkt der Beitragszahlungen die Voraussetzungen für den Erlass noch offener Beitragsschulden vorgelegen hätten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.12.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2015 zu verurteilen, an den Kläger 6.000,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie angeführt, dass ein Anspruch auf Rückzahlung bereits geleisteter Beiträge nicht bestehe. Dies ergebe sich aus der eindeutigen Formulierung des § 256a Abs. 2 SGB V. Danach solle die Krankenkasse den für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht nachzuzahlenden Beitrag erlassen. Ein bereits bezahlter Beitrag sei nicht mehr nachzuzahlen. Zudem laute der Gesetzestitel "Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung". Wer leistungsfähig sei, könne nicht mit Beitragsschulden überfordert sein. Der Kläger sei nicht überfordert gewesen, denn er habe Ausgaben zur Tilgung von Beitragsschulden erbringen können.

Das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen hat die Klage durch Urteil vom 31.08.2017 abgewiesen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den § 256 a SGB V bestünden nicht. Der Gesetzgeber habe einer sozialen Überforderung der betroffenen Personen durch Erlass oder Ermäßigung ausstehender Beträge entgegen wirken wollen. Der Kläger sei nicht sozial überfordert gewesen, da eine Ratenzahlungsvereinbarung für die Beitragsschulden getroffen worden sei. Außerdem handele es sich bei den bereits beglichenen Beiträgen nicht um ausstehende Beiträge, die die Beklagte hätte angemessen ermäßigen oder erlassen können. Es bestehe kein Anspruch auf Erstattung gezahlter Beiträge.

Gegen das am 04.10.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.11.2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. § 256a SGB V verstoße gegen Art. 3 GG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 31.08.2017 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.05.2015 zu verurteilen, an ihn 6.000,00 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Der Senat kann die Berufung durch Beschluss zurückweisen, da die Berufsrichter sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 12.12.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG). Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils des SG Gelsenkirchen, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend weist der Senat auf folgendes hin: Von der ursprünglichen Beitragsschuld für den Nacherhebungszeitraum in Höhe von 7.573,90 EUR hat die Beklagte dem Kläger insgesamt 3.573,90 EUR erlassen. Für diesen Zeitraum hat er somit keine Beiträge in Höhe der Klageforderung gezahlt, sondern lediglich 4.000,00 EUR. Die vom Kläger ab dem 01.08.2013 geleisteten Zahlungen hat die Beklagte nicht auf die nachzuzahlenden, sondern auf die ab 01.09.2012 fälligen Beiträge angerechnet. § 256a Abs. 2 Satz 2 SGB V sieht einen Erlass nur für zum Zeitpunkt der Einführung dieses Gesetzes noch ausstehende Beiträge vor. Die bereits gezahlten Beiträge in Höhe von 4.000,00 EUR waren daher nicht erfasst.

Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Norm bestehen nicht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Der dort normierte allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er verbietet sowohl ungleiche Belastungen wie auch ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten bleibt, ohne dass sich ausreichende Gründe für die gesetzliche Differenzierung finden lassen. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten oder Normbetroffenen im Vergleich zu einer anderen Gruppe unterschiedlich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 25.02.2008 - 2 BvL 14/05 - m.w.N.). Bei der Überprüfung, ob der Gesetzgeber in Fällen, in denen eine Leistung oder Vergünstigung nach dem Gesetz nur bestimmten Personengruppen zuerkannt, anderen Personen aber vorenthalten worden ist, zur Nachbesserung verpflichtet ist, haben die Gerichte zu beachten, dass es in erster Linie Aufgabe des Parlaments und der Regierung ist zu entscheiden, welche Maßnahmen zweckmäßig und geboten sind, um einen wirksamen Schutz der Grundrechte zu gewährleisten. Fehlt ein ausdrücklicher Auftrag des GG an den Gesetzgeber, so hängt die Entscheidung, ob die in den Grundrechten verkörperten Entscheidungen der Verfassung die Änderung eines Gesetzes gebieten, von zahlreichen wirtschaftlichen, politischen und haushaltsrechtlichen Gegebenheiten ab, die sich richterlicher Nachprüfung im allgemeinen entziehen. Nur in den Ausnahmefällen, in denen die Verbesserung einer bestimmten gesetzlichen Regelung die offensichtlich einzige Möglichkeit darstellt, verfassungsmäßige Zustände zu schaffen, die Nachbesserungspflicht also auch für den Gesetzgeber evident ist, kann das BVerfG die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes feststellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 - 1 BvR 612/72 -) und kommt ggf. eine Vorlage nach Art. 100 GG in Betracht (Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 20.06.1989 - VIII R 82/86 -).

Nach diesen Grundsätzen kann im Streitfall nicht angenommen werden, dass § 265a Abs. 2 SGB V verfassungswidrig ist. Für den unterschiedlichen Umfang der zu erlassenden Beiträge lassen sich sachliche Gründe anführen. Der im Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vorgesehene Beitragserlass sollte für alle bisher säumigen Personen einen deutlichen Anstoß geben, zeitnah ihre Mitgliedschaft feststellen und durchführen zu lassen und diente damit dem gesamtgesellschaftlichen Ziel eines Versicherungsschutzes für alle Einwohner. § 256a Abs. 2 Satz 1 SGB V hatte nicht das Ziel, die unterbliebene Meldung in der Vergangenheit zu belohnen; das Gesetz sollte vielmehr einen Anreiz für eine freiwillige Rückkehr in die Krankenversicherung setzen. Es suchte die beitragsrechtlichen Folgen einer freiwilligen Meldung zu mäßigen, um dem Versicherten eine Rückkehr zur Legalität zu erleichtern. Diese Brücke zur Legalität braucht derjenige nicht, dessen Mitgliedschaft bereits ordnungsgemäß durchgeführt wird (vgl. zum Steuererlass bei Selbstbezichtigung BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 BvL 3/89 -; BFH, Urteil vom 31.08.2010 - VIII R 11/08 -). Zusätzlich sollte die tatsächliche Einnahmesituation bei den Beiträgen positiv beeinflusst werden. Die verfassungsgemäße, als Ausnahme konzipierte rechtliche Privilegierung eines bestimmten Personenkreises in Bezug auf bestimmte Sachverhalte hat nicht die Verfassungswidrigkeit der allgemeinen Grundregeln zur Folge (BFH, Urteil vom 31.08.2010 - VIII R 11/08 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).