ArbG Krefeld, Beschluss vom 30.11.2016 - 3 BV 3/16
Fundstelle
openJur 2019, 23410
  • Rkr:

Die Zustimmung des Betriebsrats ist nicht analog § 103 Abs. 3 S. 1 BetrVG erforderlich, wenn eine betriebliche Umorganisation im Sinne des § 21a Abs. 1 S. 1 BetrVG bei einer in Anlehnung an § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 2 BetrVG vereinbarten Betriebsratsstruktur zum Verlust des Betriebsratsamts gemäß § 24 Nr. 4 BetrVG wegen Zuordung des Betriebsratsmitglieds zu einer anderen betrieblichen Einheit nach § 3 Abs. 5 S. 1 BetrVG führt.

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über den Verlust von Betriebsratsämtern.

Bei der Beteiligten zu 5) besteht eine Gesamtbetriebsvereinbarung vom 06.03.2014 (Bl. 10 d.A.) über abweichende Betriebsratsstrukturen. Es sind fünf bundesweite Einheiten gebildet, die jeweils gemäß § 3 Abs. 5 BetrVG einen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes darstellen sollen (vgl. Übersicht zur Betriebsratsstruktur auf Bl. 11 d.A.). Es handelt sich unter anderem um die Einheiten "Service / Support Organisationen", "Shared Functions" und "Vertrieb BIG & PPG incl. Sales Support, Marketing und SBSD". Am 21.05.2014 fanden entsprechende Betriebsratswahlen statt. Der Beteiligte zu 1) ist der in der Einheit "Service / Support Organisationen" gewählte Betriebsrat. Die Beteiligte zu 2) bis 4) sind zu Mitgliedern des Beteiligten zu 1) gewählt worden. Der Beteiligte zu 6) ist der Gesamtbetriebsrat.

Die Beteiligte zu 2) bis 4) arbeiteten vor dem 01.02.2016 in der Abteilung "Contract Management", dies die Beteiligte zu 2) bis zu ihrer Freistellung ab dem 21.05.2014. Die Abteilung "Contract Management" gehörte bis zum 31.01.2016 zur Einheit "Service / Support Organisationen".

Die Beteiligte zu 5) richtete zum 01.02.2016 in Umsetzung einer Entscheidung von D. für das Gebiet EMEA eine neue Abteilung "Business Operations" ein, dies mit Zuordnung zu der betrieblichen Einheit "Shared Functions". Dieser Einheit wurden die Abteilung "Contract Management" mit ihren 56 Arbeitnehmern und zehn Arbeitnehmer aus der betrieblichen Einheit "Vertrieb BIG & PPG incl. Sales Support, Marketing und SBSD" sowie 61 Arbeitnehmer aus der betrieblichen Einheit "Shared Function" und weitere Arbeitnehmer zugeordnet. Insgesamt wurde die Abteilung "Business Operations" mit etwa 140 Arbeitnehmern ausgestattet.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) meinen, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) weiterhin Mitglieder des Betriebsrats der Einheit "Service / Support Organisationen" seien. Jedenfalls aber sei die Beteiligte zu 5) verpflichtet, die Beteiligten zu 2) bis 4) zurück in diese Einheit zu versetzen, damit diese ihr Betriebsratsamt dort ausüben könnten. Die Beteiligten zu 2) bis 4) seien von der Beteiligten zu 5) versetzt worden. Diese Versetzungen seien mangels der nach § 103 Abs. 3 BetrVG erforderlichen Zustimmung des Beteiligten zu 1) unwirksam. Versetzungen seien bereits deswegen anzunehmen, weil die Beteiligten zu 2) bis 4) durch den Wechsel zur Einheit "Shared Functions" ihr Betriebsratsamt verlören. Außerdem seien Versetzungen gegeben, weil sich der Arbeitsbereich der Beteiligten zu 2) bis 4) geändert habe. Die Beteiligten zu 1) bis 4) behaupten, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) andersartige Arbeitsaufgaben zugewiesen bekommen hätten. Sie meinen, dass auch zu berücksichtigen sei, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) sie in der Einheit "Shared Functions" in anderen Teams und unter neuen Vorgesetzten arbeiteten. Dasselbe gelte für die Änderung des Arbeitsorts.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) beantragen,

1.festzustellen, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) weiterhin in ihrer Funktion Betriebsratsmitglieder des Bereichs Services & Support der Firma D. GmbH sind,

2.die Antragsgegnerin/Beteiligte zu 5) zu verpflichten, die Versetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) aufzuheben.

Die Beteiligten zu 5) bis 6) beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 5) meint, dass die Änderung der betrieblichen Zuordnung der Beteiligten zu 2) bis 4) keine Versetzungen bedeutet habe. Sie behauptet, dass sich die Arbeitsaufgaben und teilweise auch der Arbeitsort nur geringfügig geändert hätten, die Beteiligten zu 3) und 4) seien lediglich in ein anderes Büro am selben Standort umgezogen. Unabhängig hiervon meint die Beteiligten zu 5), dass, wenn von Versetzungen auszugehen sei, eine Zustimmung des Beteiligten zu 1) gemäß § 103 Abs. 3 BetrVG nicht erforderlich gewesen sei, weil die Beteiligten zu 2) bis 4) einverstanden gewesen seien. Dies habe sich daran gezeigt, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) ab dem 01.02.2016 in der betrieblichen Einheit "Shared Functions" ohne Vorbehalt tätig geworden seien. Im Übrigen könnten sich die Beteiligten zu 1) bis 4) nicht auf die fehlende Zustimmung des Beteiligten zu 1) berufen, weil ein Grund, der zur Verweigerung der Zustimmung berechtigen würde, fehle, so dass die Zustimmung gerichtlich zu ersetzen sei.

Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässigen Anträge sind unbegründet.

1.

Die Beteiligten zu 1) bis 4) können nicht die Feststellung verlangen, dass die Beteiligten zu 2) bis 4) weiterhin Mitglieder des Betriebsrats "Service / Support Organisationen" sind. Sie sind es nicht.

Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben ihr Betriebsratsamt gemäß § 24 Nr. 4 BetrVG am 01.02.2016 verloren. Nach der genannten Vorschrift erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat durch den Verlust der Wählbarkeit. Voraussetzung für die Wählbarkeit ist gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 BetrVG die Angehörigkeit zum Betrieb. Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben ihre Betriebsangehörigkeit im Hinblick auf die Einheit "Service / Support Organisationen" zum 01.02.2016 verloren, weil sie seither der betrieblichen Einheit "Shared Functions" zugeordnet sind.

Hieran ändert der Umstand, dass der Beteiligte zu 1) dieser Änderung nicht gemäß § 103 Abs. 3 BetrVG zugestimmt hat, nichts. Seine Zustimmung war nicht erforderlich. Es kann insoweit offen bleiben, ob die Beteiligten zu 2) bis 4) im Sinne des § 95 Abs. 3 S. 1 BetrVG versetzt worden sind. Die Änderung der betrieblichen Zuordnung ergibt sich nämlich unabhängig von etwaigen Versetzungen aus der betrieblichen Umorganisation. Es liegt eine Betriebsspaltung im Sinne des § 21a Abs. 1 S. 1 BetrVG vor. Die Abteilung "Contract Management" mit den Beteiligten zu 2) bis 4) ist von der Einheit "Service / Support Organisationen" abgespalten und in die Einheit "Shared Functions" eingegliedert worden. Zu einem Übergangsmandat aus § 21a Abs. 1 S. 1 BetrVG ist es nicht gekommen, weil in der Einheit "Shared Functions" ein Betriebsrat gebildet ist. Ein Restmandat nach § 21b BetrVG besteht nur im Hinblick auf das vorliegende Beschlussverfahren. Im Übrigen sind keine Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Beteiligten zu 1) im Zusammenhang mit der Abspaltung und Eingliederung von den Beteiligten vorgetragen worden oder sonst wie ersichtlich.

Die Abspaltung der Abteilung "Contract Management" und deren Eingliederung in die Einheit "Shared Functions" verstoßen auch nicht gegen die Schutzvorschrift aus § 78 BetrVG. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber den Betriebsrat bei der Ausübung seiner Tätigkeit nicht stören oder behindern. Eine solche Störung oder Behinderung liegt nicht vor. Die Beteiligte zu 5) hat die Abteilung "Business Operations" aufgrund von Vorgaben von D. eingerichtet. Dass die Maßnahme erfolgt ist, gerade damit die Beteiligten zu 2) bis 4) ihr Betriebsratsamt verlören, behaupten die Beteiligten zu 1) bis 4) selber nicht.

Ein Zustimmungserfordernis des Beteiligten zu 1) ist auch nicht auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 103 Abs. 3 BetrVG anzunehmen. Voraussetzung hierfür wäre eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz und eine vergleichbare Interessenlage. Beides liegt nicht vor. Eine planwidrige Regelungslücke kann schon deswegen nicht angenommen werden, weil das Betriebsverfassungsgesetz den Fall der Betriebsspaltung in § 21a Abs. 1 BetrVG regelt, ohne ein Zustimmungserfordernis des Betriebsrats vorzusehen. Auch die Interessenlage ist nicht vergleichbar. Zwar kann der Arbeitgeber bei der von der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 06.03.2014 vorgesehenen Betriebsratsstruktur in den Grenzen des § 78 BetrVG leicht Betriebsspaltungen herbeiführen, die zum Verlust von Betriebsratsämtern führen, dies jedenfalls sofern der Beteiligte zu 6) wie vorliegend seine Mitbestimmungsrechte aus § 111f. BetrVG nicht wahrnimmt. Der geringere Schutz von Mandatsträgern bei der von der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 06.03.2014 vorgesehenen Betriebsratsstruktur hat aber einen einfachen Grund. Die Gesamtbetriebsvereinbarung verstößt gegen das Betriebsverfassungsgesetz. Die Beteiligten zu 5) und 6) konnten wegen der in § 3 Abs. 1 und 2 BetrVG vorgesehenen Tarifsperre die abweichende Betriebsratsstruktur nicht wirksam vereinbaren. Zuständig wären die Tarifvertragsparteien gewesen. Es kann dabei hier offen gelassen werden, ob und inwieweit die von der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 06.03.2014 vorgesehene Betriebsratsstruktur wegen Ablaufs der Fristen aus § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG zur Anfechtung der Betriebsratswahlen vom 21.05.2014 nun für die laufende Amtsperiode rechtswirksam ist.

2.

Die Beteiligte zu 5) ist nicht verpflichtet, die Versetzung der Beteiligten zu 2) bis 4) aufzuheben.

Auch insoweit kann die Frage offen bleiben, ob überhaupt Versetzungen vorliegen.

Auch bei Vorliegen von Versetzungen fehlt es nämlich an einer möglichen Anspruchsgrundlage.

Ein etwaiger allgemeiner Unterlassungsanspruch (vgl. LAG Nürnberg v. 31.01.2014 - 8 TaBVGa 1/14, LAGE § 103 BetrVG 2001 Nr. 16, zu II 1 der Gründe [Tz. 29]) setzt nämlich einen Verstoß gegen § 103 Abs. 3 BetrVG voraus. An einem solchen Verstoß fehlt es hier.

Nach § 103 Abs. 3 BetrVG bedürfen Versetzungen, die zu einem Verlust des Amts oder der Wählbarkeit führen würden, der Zustimmung des Betriebsrats.

Eine solche Versetzung kommt hier nicht in Betracht. Die Beteiligten zu 2) bis 4) haben ihre Wählbarkeit und damit auch ihr Betriebsratsamt nicht aufgrund einer Versetzung, sondern aufgrund einer betrieblichen Umorganisation verloren. Die Änderungen ihrer Arbeitsaufgaben, ihres Büros und ihres unmittelbaren Kollegenkreises sowie ihres unmittelbaren Vorgesetzten hätten ohne die betriebliche Umorganisation nicht zum Verlust des Betriebsratsamts geführt. Umgekehrt hätte die betriebliche Umorganisation in Form der Einrichtung der Abteilung "Business Operations" in der Einheit "Shared Functions" mit Zuordnung der Abteilung "Contract Management" auch ohne jede Änderung in den Arbeitsbereichen der Beteiligten zu 2) bis 4) zum Amtsverlust geführt.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Die Beteiligten zu 1) bis 4) können gegen diesen Beschluss Beschwerde einlegen.

Die Beteiligten zu 5) und 6) haben gegen diesen Beschluss kein Rechtsmittel.

Die Beschwerde muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Ludwig-Erhard-Allee 21

40227 Düsseldorf

Fax: 0211 7770-2199

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein qualifiziert signiertes elektronisches Dokument gewahrt, das nach Maßgabe der Verordnung des Justizministeriums über den elektronischen Rechtsverkehr bei den Arbeitsgerichten im Lande Nordrhein-Westfalen (ERVVO ArbG) vom 2. Mai 2013 in der jeweils geltenden Fassung in die elektronische Poststelle zu übermitteln ist. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.egvp.de.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Beschwerdeschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Dr. Jansen

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