ArbG Krefeld, Urteil vom 31.01.2018 - 1 Ga 1/18
Fundstelle
openJur 2019, 23409
  • Rkr:

1. Ob die Zahlung einer Zulage für eine bestimmte Gruppe von Teilzeitbeschäftigten, die ihre Arbeitszeit nur vorübergehend reduzieren, während andere Teilzeitbeschäftigte mit gleicher Arbeitszeit diese Zulage nicht erhalten, gem. § 4 Abs. 1 TzBfG durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, hängt von einer umfangreichen Prüfung ab. Maßgeblich ist, ob tatsächlich Gründe wie z. B. die Fachkräftegewinnung oder die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Differenzierung bestehen.

2. Die Untersagung eines auf die Zahlung einer solchen Zulage gerichteten Streiks im einstweiligen Rechtsschutz kommt mangels Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs nicht in Betracht, wenn nicht eindeutig ist, dass tatsächliche Gründe für die Differenzierung fehlen. Bloße Annahmen genügen nicht.

3. Die Untersagung eines nach durchgeführten Warnstreiks für die Dauer von einem Tag vorgesehenen Streik setzt jedenfalls die Glaubhaftmachung voraus, dass die Streikfolgen zu einer unter Berücksichtigung der grundgesetzlichen Garantie des Streikrechts unverhältnismäßigen Schädigung führen würden (hier verneint).

Tenor

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Verfügungsklägerin zu tragen.

3. Der Streitwert beträgt 400.000 €.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Unterlassung einer Streikmaßnahme.

Die Verfügungsklägerin (im Folgenden "Klägerin") betreibt einen Betrieb in W. und ist Mitglied der Unternehmerschaft der Metall- und Elektroindustrie zu N. e. V., die wiederum Mitglied von METALL NRW ist. Verfügungsbeklagte (im Folgenden "Beklagte") sind die J., der Bezirksleiter des Bezirks O. der J., der Erste Bevollmächtigte der Industriegewerkschaft Metall in N. und örtliche Streikleiter (im Rubrum als Verfügungsbeklagter zu 3) und 4) bezeichnet) und der betriebliche Streikleiter.

Seit dem 16.11.2017 führen METALL NRW und die J. Bezirksleitung NRW vor folgendem Hintergrund Tarifverhandlungen: Das ERA-Entgeltabkommen vom 13.05.2016 wurde mit Schreiben vom 27.10.2017 fristgerecht zum 31.12.2017 gekündigt. Zugleich wurde seitens des Beklagten zu 2) gegenüber dem Verband METALL NRW folgende Forderungen aufgestellt:

"1. Entgelte und Ausbildungsvergütungen:

Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 6 % ab 01.01.2018 bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

2. Einen Anspruch zur Reduzierung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden für eine Zeitdauer von bis zu 24 Monaten. Dieser Anspruch kann in Stunden oder Blöcken genommen werden, erfordert keine Begründung und schließt ein Rückkehrrecht zur ursprünglichen Arbeitszeit ein.

2.1 Für die Beschäftigten, in deren Haushalt Kinder unter 14 Jahren leben und die pflegebedürftige Familienangehörige haben, fordert die J. einen tarifdynamischen Zuschuss in Form eines Festbetrages von um die 200 € pro Monat, soweit sie ihre wöchentliche Arbeitszeit um 3,5 Stunden oder mehr reduzieren. Dieser tarifliche Zuschuss wird für bis zu 24 Monate für jedes Kind und für jeden Pflegefall für die Dauer der reduzierten Arbeitszeit gewährt.

2.2 Für die Beschäftigten im Schichtbetrieb und in anderen belastenden Arbeitszeitmodellen, die diese Wahloption nutzen, fordert die J. einen tarifdynamischen Zuschuss in Form eines Festbetrages von 750 € pro Jahr. Auf diesen Zuschuss besteht solange Anspruch, wie die Beschäftigten in belastenden Arbeitszeitmodellen tätig sind und ihre Arbeitszeit entsprechend reduzieren. Dies beinhaltet auch, wie in Ziffer. 2.1, einen Eigenbetrag der Beschäftigten."

Die Tarifvertragsparteien haben Verhandlungen über den Neuabschluss des gekündigten Tarifvertrags und gegebenenfalls damit im Zusammenhang stehende Themen am 16.11.2017 aufgenommen. Der Beklagte zu 2) kündigte mit Schreiben vom 27.11.2017 den Einheitlichen Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie O. (EMTV) zum 31.12.2017. Seit dem 08.01.2018 wurden die Verhandlungen von Warnstreiks der J. begleitet. Nach ergebnislosem Ende der fünften Verhandlungsrunde am 27.01.2018 genehmigte der Vorstand der Beklagten zu 1) in allen Tarifgebieten ganztägige Warnstreiks. Der Beklagte zu 2) kündigte am selben Tag an, dass in der nächsten Woche ganztägige Warnstreiks (sog. "Tagesstreiks") stattfinden sollten.

Im Betrieb der Klägerin sind die Arbeitnehmer durch den Beklagten zu 5) aufgefordert worden, von Donnerstag, den 01.02.2018, 06:00 Uhr, bis Freitag, 02.02.2018, 06:00 Uhr, die Arbeit niederzulegen.

Gegen die Streikmaßnahmen am Standort L. richtet sich die Antragsschrift der Klägerin vom 31.01.2018, die am selben Tag bei Gericht eingegangen ist und den Beklagten zugestellt wurde.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, der Streik sei rechtswidrig, da die Tarifforderung nach Zahlung eines Ausgleichs für Beschäftigte, die für die Zeit einer sog. "kurzen Vollzeit" einen Zuschuss erhalten sollen, die Gruppe von Teilzeitbeschäftigten, die aus Betreuungsgründen bzw. aufgrund einer Belastungssituation ihre Arbeitszeit auf Dauer reduziert haben bzw. reduzieren werden, unzulässig diskriminiere. Zudem verstoße der neuartige "Tagesstreik" gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, da er angesichts der für den 31.01.2018 anberaumten Verhandlungsrunde verfrüht erfolge und die Arbeitgeberin massiv belaste. Bei Ausfall der Produktion für einen Arbeitstag sei mit einem Umsatzverlust von 370.000 € bis 400.000 € zu rechnen.

Die Klägerin beantragt,

1.den Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu untersagen (§ 890 ZPO), ihre Mitglieder und sonstige Beschäftigte der Klägerin zu Arbeitsniederlegungen oder sonstigen Arbeitskampfmaßnahmen im Betrieb in W. am 01.02.2018 ab 06.00 Uhr bis zum 02.02.2018, 06.00 Uhr, aufzurufen;

2.die Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (§ 890 ZPO), zu verpflichten, ihren Streikaufruf vom 31.01.2018 durch entsprechend zu veröffentlichende Erklärungen, insbesondere durch Aushänge, zu widerrufen;

3.die Beklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 € für jeden Fall der Zuwiderhandlung, ersatzweise von Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu verpflichten (§ 890 ZPO), die im Betrieb W. der Antragstellerin beschäftigten Mitglieder der Klägerin und sonstige Arbeitnehmer aufzufordern, die Arbeit nicht niederzulegen bzw. die Arbeit wieder aufzunehmen.

Die Verfügungsbeklagten beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Beklagten tragen im Wesentlichen vor, dass eine Ausgleichszahlung für Beschäftigte in Teilzeit tariflich regelbar und in den Tarifverträgen für das Bankgewerbe sowie im TVöD üblich sei. Insofern sei eine Neujustierung der bestehenden tariflichen Arbeitszeitregelungen beabsichtigt. Die detaillierte Ausgestaltung sei Gegenstand der weiteren Tarifverhandlungen. Jedenfalls sei die Forderung nicht offensichtlich rechtswidrig. Der Tagesstreik sei im Vergleich zu einem Erzwingungsstreik die deutlich mildere Maßnahme und erforderlich, da die kürzeren Warnstreiks zu keinem Tarifergebnis geführt hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze einschließlich der vorgelegten Schutzschriften nebst Anlagen sowie auf die mündliche Verhandlung vom 31.01.2018 verwiesen.

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet.

I.

1.Das Arbeitsgericht L. ist örtlich zuständig. Die Klägerin hat von ihrem Wahlrecht nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 35 ZPO Gebrauch gemacht und den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO gewählt. Aus § 32 ZPO folgt, dass das Gericht des Ortes zuständig ist, an dem die unerlaubte Handlung begangen worden oder der schädigende Erfolg eingetreten ist (vgl. GMP/Germelmann/Künzl, Arbeitsgerichtsgesetz, 9. Auflage 2017, § 48 Rn. 47, 52). Vorliegend ist der Betrieb der Klägerin in W. der Ort, an dem die Schädigung durch die Arbeitskampfmaßnahmen eintreten soll, deren Unterlassung die Klägerin begehrt.

2.Der Antrag ist unbegründet.

a)Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch im Arbeitskampf möglich. Ein Antrag auf Unterlassung einer Streikmaßnahme erfordert im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund, § 62 Abs. 2 ArbGG, § 940 ZPO.

b)Der Anspruch auf Unterlassung einer Streikmaßnahme folgt grundsätzlich aus den §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 14 GG. Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sind. Ein Anspruch auf Unterlassung einer Arbeitskampfmaßnahme besteht daher nur dann, wenn diese rechtswidrig ist (LAG Hessen 22. November 2016 - 16 SaGa 1459/16 - Rn. 55).

c)Für den heranzuziehenden Prüfungsmaßstab ist zu beachten, dass eine Unterlassungsverfügung, die auf den Abbruch eines laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Streiks gerichtet ist, einer Befriedungsverfügung gleichkommt. Sie nimmt die Hauptsache regelmäßig vorweg. Deshalb ist an den Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung ein strenger Maßstab anzulegen. Von zentraler Bedeutung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Streiks ist dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn. Das Eigentumsrecht des Arbeitgebers, das ihm auch die Ausübung seines Gewerbebetriebs ermöglicht, ist mit der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit in Ausgleich zu bringen (BAG 19. Juni 2007 - 1 AZR 396/06 - Rn. 22). Eine weitere Grenze eines rechtmäßigen Streiks ist ferner die Wahrung der Friedenspflicht und die Verfolgung eines tariffähigen Ziels.

3. Nach diesen Grundsätzen ist nicht dargetan, dass der Streik rechtswidrig ist. Es kann deshalb dahinstehen, ob angesichts der bloß verminderten Richtigkeitsgarantie des Eilverfahrens und seines bloß summarischen Prüfungsumfangs für eine Untersagung sogar eine offenkundige Rechtswidrigkeit zu fordern ist (so mit nachvollziehbarer und überzeugender Begründung LAG Baden-Württemberg 3. August 2016 - 4 SaGa 2/16 - Rn. 63; LAG Hamm 13. Juli 2015 - 12 SaGa 21/15 - Rn. 40).

a)Die Streikforderung der Beklagten ist hinreichend bestimmt. Die Beklagte zu 1) hat die Kampfforderungen klar formuliert, so dass es der Klägerin bzw. ihrem Arbeitgeberverband möglich ist, den Inhalt des Arbeitskampfes zu erfassen und diesen gegebenenfalls durch Nachgeben zu beenden (vgl. ErfK/Linsenmaier, 18. Aufl., Art. 9 GG Rn. 117). Darüber hinaus war die Klägerin in der Lage, anhand der ihr übermittelten Streikforderung die Rechtmäßigkeit der Kampfmaßnahme zu prüfen. Dies zeigt bereits das aus dem Kreis der Arbeitgeberverbände der Metallindustrie in Auftrag gegebene Rechtsgutachten von Herrn Prof. Dr. Clemens Höpfner mit dem Titel "Die Rechtmäßigkeit vorübergehender Teilzeitbeschäftigung mit und ohne Entgeltzuschuss durch den Arbeitgeber" aus November 2017.

b)Ein Verstoß gegen die Friedenspflicht ist nicht ersichtlich, da sämtliche einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfristen gekündigt wurden. Verstöße gegen die in der Schlichtungs- und Schiedsvereinbarung für die Metallindustrie vereinbarten Grundsätze sind ebenfalls nicht ersichtlich.

c)Ob die Streikforderung rechtswidrig ist, kann im Rahmen der in einem einstweiligen Verfügungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden. Unerheblich ist, dass jedenfalls ein Teil der Streikforderungen (z. B. die Entgelterhöhung) tariflich regelbar ist. Ein Streik, dessen Kampfziel auch der Durchsetzung einer nicht rechtmäßigen (Teil-)Tarifforderung dient, ist insgesamt rechtswidrig (BAG 26. Juli 2016 - 1 AZR 160/14 - Rn. 67). Da es sich bei der Forderung nach einer Zulage für die sogenannten "kurze Vollzeit" um eine wesentliche Forderung handelt, kann dahinstehen, ob an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die Rechtsprechung des EGMR im Urteil vom 21. April 2009, Aktenzeichen 68959/01, festzuhalten ist.

aa)Problematisch ist in erster Linie, dass eine ungleiche Behandlung vorliegt, wenn Beschäftigte, die ihre Arbeitszeit befristet für maximal zwei Jahre auf bis zu 28 Stunden bzw. um bis zu 10 Schichten reduzieren, eine Zulage von ca. 200 € bzw. ca. 750 € bekommen und somit im Ergebnis mehr Geld erhalten als andere Teilzeitbeschäftigte, die in gleichem Umfang ihre Arbeitszeit bereits auf Dauer reduziert haben bzw. zukünftig reduzieren. Gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (BAG 22. September 2016 - 6 AZR 423/15 - Rn. 29). Dieses Diskriminierungsverbot gilt nach bisheriger Rechtsprechung des BAG auch bei unterschiedlicher Behandlung von Teilzeitbeschäftigten untereinander (vgl. BAG 28. Mai 2013 - 3 AZR 266/11 - Rn. 37). Es bedarf keiner Entscheidung, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist (vgl. hierzu BAG 31. Juli 2014 - 6 AZR 993/12 - Rn. 17). Sollte das Verbot nur im Verhältnis zu Vollzeitbeschäftigten gelten, läge eine Diskriminierung jedenfalls nach § 4 Abs. 1 TzBfG nicht vor.

bb)Entscheidend ist mithin, ob ein sachlicher Grund für die Differenzierung vorliegt. Auch § 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG steht trotz seines knappen Wortlauts einer Differenzierungsmöglichkeit aus sachlichem Grund nicht entgegen (vgl. BAG 26. Januar 2017 - 6 AZR 450/15 - Rn. 27 u. 34; ErfK/Preis, 18. Aufl., TzBfG § 4 Rn. 11 f.). Für die Frage des sachlichen Grundes kommt es darauf an, ob es legitime Zielsetzungen gibt, die die Zahlung einer Zulage und die daraus folgende unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Hier kommen insbesondere die Verringerung der Arbeitslosigkeit und adäquate Begegnung des Fachkräftemangels, die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Gesundheit in Betracht. Ob diese Ziele durch die von der Gewerkschaft geforderte Konstruktion erreicht werden können, hängt jedoch maßgeblich von subjektiven, nur schwer zu verobjektivierbaren Einschätzungen ab.

(1)Die hierzu in dem Gutachten von Prof. Dr. Clemens Höpfner dargelegten Ausführungen (vergleiche Abschnitt D Teil 2 II 3 des Gutachtens, S. 18 - 27) können für sich genommen ebenso überzeugen wie die Darlegungen im Gutachten von Prof. Dr. Florian Rödl mit dem Titel "Tarifliche Ansprüche auf befristete "kurze Vollzeit" und pauschale Zuschusszahlungen" vom 16.01.2018. Nachvollziehbar ist beispielsweise, dass bei einem vorhandenen Fachkräftemangel die Reduzierung der Arbeitszeit der bereits beschäftigten Fachkräfte wenig sinnvoll erscheint. Hierdurch würde ein etwaig vorhandener Mangel vergrößert. Andererseits ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine attraktive Ausgestaltung der Konditionen für einen Arbeitsplatz dazu führen kann, dass sich mehr Fachkräfte für eine Tätigkeit gerade in der Branche der Beklagten entscheiden (vgl. Abschnitt C II 1 b des Gutachtens von Prof. Dr. Florian Rödl, S. 27). In erster Linie ist es die Aufgabe der Tarifvertragsparteien, hier zu einer gemeinsamen, für beide akzeptable Einschätzung und Lösung zu kommen. Soweit diese Frage gegebenenfalls zusätzlich einer juristischen Überprüfung bedarf, ist diese wegen der fehlenden Erkenntnismöglichkeiten im einstweiligen Verfügungsverfahren, das nur eine summarische Prüfung zulässt, nicht möglich. Ein einstweiliges Verfügungsverfahren eignet sich nicht, die für eine Rechtfertigung erforderlichen tatsächlichen Umstände, wenn diese sich - wie hier - als äußerst komplex darstellen, verbindlich zu klären, da stets die Gefahr besteht, dass die Tatsachengrundlage fehler- oder lückenhaft vorgetragen wird (LAG Hessen 7. November 2014 - 9 SaGa 1496/14 - Rn. 254). Wie ausgeführt, führt die gebotene kursorische Prüfung aufgrund der Gleichwertigkeit der Argumente zu keinem eindeutigen Ergebnis.

(2)Entsprechendes gilt für die weiteren Ausführungen zur Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Stellt man wie Prof. Dr. Clemens Höpfner darauf ab, dass gegenwärtig die Kinderbetreuung noch ganz überwiegend von Frauen geleistet wird (vgl. Gutachten Abschnitt D Teil 2 II 3 c, S. 22) könnte eine Reduzierung auf lediglich 28 Wochenstunden tatsächlich am Bedarf vorbeizielen, da diese Frauen dann in der Regel nicht von der Zulage profitieren könnten, wenn mit einer Arbeitszeit von 28 Wochenstunden eine Kinderbetreuung immer noch nicht sichergestellt werden kann. Andererseits mag es auch so sein, das sich gerade aufgrund der Möglichkeit, die Arbeitszeit zu reduzieren und hierfür einen teilweisen Ausgleich zu erzielen, mehr Männer für eine stärkere Betreuung entscheiden würden (vgl. Abschnitt C II 3 b (1) des Gutachtens von Prof. Dr. Florian Rödl, S. 33). Zudem könnten auch Frauen unmittelbar profitieren, wenn mit der Reduzierung von einer Stunde und 24 Minuten pro Tag eine Betreuung in einer Kindertageseinrichtung möglich werden könnte. Auch hier wird deutlich, dass die Entscheidung, ob die unterschiedliche Behandlung rechtswidrig ist, letztlich davon abhängt, inwieweit die jeweiligen Annahmen tatsächlich zutreffen.

(3)Hinsichtlich des Ausgleichs für körperliche und psychische Belastungen bei Schichtarbeit und anderen belastenden Arbeitszeitmodellen kommt auch das Gutachten von Prof. Dr. Clemens Höpfner zum Ergebnis, dass eine Zulage geeignet und erforderlich sein könnte. Soweit im Gutachten eine gleichwohl willkürliche und damit unzulässige Ungleichbehandlung angenommen wird (vgl. Gutachten Abschnitt D Teil 2 II 3 d, S. 25 bis 27), folgt die Kammer dieser Ansicht nicht. Denn es ist ohne weiteres zulässig, dass Tarifvertragsparteien im Interesse praktikabler, verständlicher und übersichtlicher Regelungen typisierende Bestimmungen treffen können. Im Rahmen solcher typisierender Regelungen können z. B. abweichende Arbeitszeiten besonderer Arbeitnehmergruppen vernachlässigt werden (BAG 28. Juli 1992 - 9 AZR 308/90 - Rn. 19). Eine minimale unterschiedliche Behandlung führt mithin nicht zur Rechtswidrigkeit.

cc)Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht ersichtlich, da dieser durch § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG konkretisiert wird (BAG 31. Juli 2014 - 6 AZR 993/12 - Rn. 17; BAG 25. April 2007 - 6 AZR 746/06 - Rn. 23). Im Übrigen kommt es auch insoweit letztlich auf die vorstehenden Erwägungen zur Berücksichtigung der legitimen Zwecke an. Entsprechendes gilt für alle weiteren ggf. einschlägigen Diskriminierungs- bzw. Gleichbehandlungsgebote gem. § 7 AGG, §§ 3, 7 EntgTranspG und Art. 157 AEUV.

d)Der Streik wahrt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Kammer verkennt nicht, dass durch den geplanten Streik hohe finanzielle Schäden bei der Klägerin eintreten werden. Die wirtschaftliche Schädigung ist aber Teil jeden Arbeitskampfes und von Verfassungswegen prinzipiell hinzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass eine Existenzgefährdung gegeben sein könnte, liegen nicht vor. Darüber hinaus ist zu Gunsten der Beklagten anzuführen, dass der Streik nicht etwa unbefristet geführt wird, sondern auf 24 Stunden begrenzt ist und die Beklagte im Vorfeld durch kurze Warnstreiks versucht hat, den erforderlichen Druck in den Verhandlungen zu erzeugen, was ihr jedoch nicht gelungen ist.

4.Die Unverhältnismäßigkeit folgt auch nicht aufgrund der Wahl einer neuen, bislang nicht angewendeten Streikvariante in Gestalt der sogenannten "Tagesstreiks". Es kann dahinstehen, ob der Klägerin bereits dem Grunde nach ein Verfügungsanspruch aufgrund einer etwaigen Unverhältnismäßigkeit von Tagesstreiks zustehen könnte. Denn jedenfalls vorliegend hat die Klägerin das Bestehen eines Verfügungsgrundes gerade nicht glaubhaft gemacht. Die Klägerin hat an Eides statt versichert, dass durch den Tagesstreik ein Umsatzausfall in der Größenordnung von 370.000 € bis 400.000 € droht. Weitere gravierende Folgen treten nach dieser eidesstattlichen Versicherung ein, wenn ein mehrtägiger Streik erfolgt. Gerade deshalb erscheint die Durchführung eines Tagesstreiks aber als eher zumutbar. Denn anderenfalls wäre nach Durchführung der ersten Warnstreiks unmittelbar in einen regelmäßig mehrtägigen Erzwingungsstreik zu wechseln, der dann die weitaus gravierenderen, an Eides Statt versicherten Folgen hätte. Angesichts des gebotenen Grundrechtsschutzes überwiegt mithin vorliegend das Interesse der Gewerkschaft daran, dass die Streikmaßnahme durchgeführt wird. Sollte diese rechtswidrig sein, kann ein etwaiger Schaden der Klägerin aufgrund des für einen Tag durchgeführten Streiks durch Zahlung von Schadensersatz kompensiert werden. Es ist anerkannt, dass bei einem rechtswidrigen Streik Schadensersatzforderungen gegen die streikverantwortende Gewerkschaft bestehen (BAG 26. Juli 2016 - 1 AZR 160/14 - Rn. 21). Umgekehrt wäre bei Untersagung des Tagesstreiks eine Kompensation so gut wie ausgeschlossen, da der Arbeitskampf gravierend beeinflusst würde.

5.Mangels Verfügungsanspruchs und Verfügungsgrundes bedarf es keiner Klärung, inwieweit die Beklagten zu 2) bis 5) neben der Beklagten zu 1) aufgrund der Organisationsstruktur der J. Adressat einer Unterlassungsverfügung sein können.

II.

1.Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbG i. V. m. § 91 ZPO.

2.Der Streitwert ist gem. § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO im Urteil festzusetzen.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei Berufung eingelegt werden. Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Ludwig-Erhard-Allee 21

40227 Düsseldorf

Fax: 0211 7770-2199

eingegangen sein.

Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite www.justiz.de

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigte zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

Hagen

Zitate10
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte