OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2016 - I-3 W 122/15
Fundstelle
openJur 2019, 22961
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 4 O 326/14
Tenor

Das Rechtsmittel wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Streitwert: 811,20 €.

Gründe

I.

Das gemäß §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO als sofortige Beschwerde statthafte und auch im Übrigen zulässige (§§ 567 Abs. 2; 569 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 ZPO) Rechtsmittel der Beklagten ist in der Sache unbegründet. Der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluss ist nicht zu beanstanden.

1.

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Beklagten gegen das der Kostenausgleichung zugrunde liegende Rechenwerk im angegriffenen Beschluss allein insoweit, als dort eine bestimmte Anrechnung unterblieben sei; anderweitige Bedenken gegen die sachliche und rechnerische Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung sind auch nicht ersichtlich. Bezüglich der Anrechnung ist (trotz missverständlicher Formulierungen am Anfang der Rechtsmittelbegründung) zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass sie diese – gestützt auf Vorbem. 3 (4) Satz 1 RVG-VV – lediglich hinsichtlich der Hälfte der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr von netto 1.622,40 € und nicht im Umfang der Hälfte der gesamten ursprünglich als vorgerichtliche Anwaltskosten eingeklagten Summe von 1.954,46 € erstreben.

Dieses Begehren ist jedoch nicht gerechtfertigt.

2.

Zu Recht hat das Landgericht davon abgesehen, auf Klägerseite eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vorzunehmen. Denn die Voraussetzungen des § 15 a Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Nach dieser Vorschrift kann sich ein Dritter – also ein außerhalb des Rechtsverhältnisses zwischen Anwalt und Mandant Stehender – auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Keines dieser Erfordernisse ist im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen nach einem im Rechtsstreit geschlossenen „Gesamtvergleich“ der Parteien über die Hauptforderung und die als Nebenforderung mit eingeklagte vorprozessual entstandene anwaltliche Geschäftsgebühr die Anrechnung dieser Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen sei, war seit Inkrafttreten des § 15 a RVG in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im kostenrechtlichen Schrifttum stark umstritten (zum Meinungsstand: OLG Zweibrücken NJW-RR 2011, 502 ff. sowie Zöller-Herget, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 104 Rdnr. 21 – Stichwort: „Geschäftsgebühr“, lit. g); jeweils m.w.Nachw.). Nach der klärenden Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 7. Dezember 2010 (NJW 2011, 861 f.; dem folgend beispielsweise OLG Bamberg Rpfleger 2014, 108 f.), der sich auch das erkennende Gericht anschließt, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass eine Anrechnung nicht in Betracht kommt, wenn der Prozessvergleich keine ausdrückliche Regelung dazu enthält, inwieweit die vom Kläger mit eingeklagte Geschäftsgebühr vom Beklagten zu zahlen ist oder inwieweit eine solche Geschäftsgebühr in der vom Beklagten zu zahlenden Vergleichssumme enthalten sein soll. Daher obliegt es einem Beklagten, bei Abschluss eines Prozessvergleichs für eine eindeutige Regelung dahin zu sorgen, dass und in welchem Umfang mit eingeklagte Anwaltskosten der vorgerichtlichen Vertretung in die Vergleichssumme einbezogen sein sollen. Eine derartige prozessuale Obliegenheit anzunehmen, ist für die belastete Partei jedenfalls Anfang des Jahres 2015 – der in Rede stehende Vergleich wurde am 26. Januar 2015 geschlossen – auch ohne Weiteres zumutbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt war das Anrechnungsproblem angesichts zahlreicher Entscheidungen der Oberlandesgerichte und des bereits 2011 veröffentlichten Beschlusses des Bundesgerichtshofes seit vielen Jahren bekannt und musste jedem Anwalt geläufig sein (OLG Koblenz NJW-RR 2014, 768).

Im Einzelnen gilt zu den Voraussetzungen des § 15 a Abs. 2 RVG im Anschluss an die Erwägungen des Bundesgerichtshofes das Folgende:

a)Im Kostenfestsetzungsverfahren haben materiellrechtliche Einwendungen grundsätzlich unbeachtlich zu bleiben. Die nach § 15 a Abs. 2 Fall 1 RVG zulässige Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr im Fall der Erfüllung lässt ausnahmsweise eine materiellrechtliche Einwendung zu. Im Hinblick auf die begrenzte Prüfungsbefugnis des Rechtspflegers im Kostenfestsetzungsverfahren ist hierfür aber Voraussetzung, dass die Erfüllung unstreitig und ohne weiteres feststellbar ist, inwieweit einer Leistung des Vergleichsbetrages Erfüllungswirkung hinsichtlich der Geschäftsgebühr zukam. Das ist bei einer fehlenden Bezifferung des auf die Geschäftsgebühr entfallenden Zahlungsbetrages im Vergleich nicht gegeben. In einem derartigen Fall hilft auch eine im Vergleich enthaltene Abgeltungsklausel nicht weiter. Aus dieser folgt nämlich lediglich, dass die Geschäftsgebühr durch den Vergleich erledigt worden ist und daher im Verhältnis der Prozessparteien nicht mehr geltend gemacht werden kann, nicht jedoch, dass sie in der Vergleichssumme zumindest teilweise enthalten ist (Riedel/Sußbauer-Ahlmann, RVG, 10. Aufl. 2015, § 15 a Rdnr. 14 m.w.Nachw.). Die Abgeltungsklausel bedeutet lediglich, dass der Kläger auf die Forderungen, die die Vergleichssumme der Höhe nach übersteigen, bei Erfüllung des Vergleichs verzichtet; dies ist insbesondere denkbar, wenn der im Vergleichswege titulierte Betrag geringer ist als die klageweise geltend gemachte Hauptforderung für sich genommen (Ahlmann a.a.O.).

Hier ist weder der Zahlungsvereinbarung in Ziffer 1. noch der „Rabatt“-Abrede in Ziffer 2. des Vergleichs zu entnehmen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der Beträge Berücksichtigung gefunden hat. Dass in diese Summen die Kostenforderung von 1.954,46 € neben der Hauptforderung von 51.500 € eingeflossen ist, ist möglich, aber keineswegs zwingend. Auch die Abgeltungsklausel bezieht sich nur auf die Erledigung sämtlicher „streitgegenständlichen Forderungen“; ein hierdurch zum Ausdruck gebrachter vollständiger Verzicht des Klägers auf den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten erscheint umso eher denkbar, als der Vergleichsbetrag hinter der Hauptforderung zurückbleibt, und zwar selbst ohne Berücksichtigung des „Rabatts“ sowie um mehr als die Summe jener Anwaltskosten. Mag es angesichts des zuvor Gesagten hierauf auch nicht mehr entscheidungstragend ankommt, sei doch bemerkt, dass den Beklagten der in der Abgeltungsklausel verwendete Plural („streitgegenständlichen Forderungen“) schon deshalb nicht weiterhilft, weil auch unabhängig von den vorgerichtlichen Anwaltskosten mehr als eine einzige Forderung eingeklagt gewesen war, nämlich neben der Hauptforderung auch ein Zinsanspruch.

b)

Der Vergleich vom 26. Januar 2015 stellt auch keinen die Anrechnung gemäß § 15 a Abs. 2 Fall 2 RVG rechtfertigenden Vollstreckungstitel bezüglich der Geschäftsgebühr dar. Die Abgeltung der klageweise geltend gemachten Forderungen durch eine vergleichsweise vereinbarte Teilleistung kann nicht mit der Titulierung der Gesamtforderung gleichgesetzt werden.

Es kann dahingestellt bleiben, ob durch eine in einem Vergleich vereinbarte Abgeltungsklausel überhaupt eine Titulierung der als abgegolten bezeichneten Forderungen erfolgt. Jedenfalls stellt der Vergleich einen Vollstreckungstitel für die Geschäftsgebühr gegen den Dritten nur dann dar, wenn er eine unmissverständliche Regelung enthält, wonach die entsprechende Gebühr in einer bestimmten Höhe abgegolten werde. Dies folgt schon daraus, dass nur dann, wenn der Vergleich die Geschäftsgebühr als eigenen bezifferten Gegenstand ausweist, konkret festgestellt werden kann, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr auf die entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Auch der Wortlaut des § 15 a Abs. 2 Fall 2 RVG macht das Erfordernis einer betragsmäßigen Bezifferung des Anspruchs deutlich, indem sich danach ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen kann, „soweit wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht“.

Im gegebenen Fall ist nur die Verteilung der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs zwischen den Parteien tituliert. In welchem Umfang die vorgerichtlichen Kosten mit dem Vergleichsschluss erledigt werden sollten bzw. in der an den Kläger zu zahlenden Vergleichssumme eingeschlossen sind, lässt sich daraus nicht entnehmen. Auch kann – entgegen der Auffassung der Beklagten – zur Bestimmung des Inhalts des Vergleichs nicht auf die Prozessakten und die im Rechtsstreit vor Vergleichsschluss angekündigten Anträge zurückgegriffen werden; da es sich um einen Vollstreckungstitel handelt, ist allein der protokollierte Inhalt des Vergleichs maßgebend (vgl. BGH a.a.O. m.w.Nachw.).

c)Schließlich kann eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr auch nicht nach § 15 a Abs. 2 Fall 3 RVG erfolgen.

Sollte der dort verwendete Begriff „in demselben Verfahren“ so zu verstehen sein, dass beide Gebühren im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht sein müssen, scheidet die genannte Alternative von vornherein aus, denn im hiesigen Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger die Geschäftsgebühr nicht geltend gemacht.

Aber auch dann, wenn man im Sinne der besagten Vorschrift den Rechtsstreit zur Hauptsache und das Kostenfestsetzungsverfahren als einheitliches Verfahren versteht, ist nach Sinn und Zweck der Regelungen in § 15 a Abs. 2 RVG die Anrechnung jedenfalls daran gebunden, dass die Geschäftsgebühr im Hauptsacheverfahren erfolgreich geltend gemacht worden ist. Denn nur dann kann die Geschäftsgebühr vom Rechtspfleger betragsmäßig im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren zur Anrechnung auf die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht werden.

Im vorliegenden Fall aber haben die Parteien auf eine betragsmäßige Festlegung der Geschäftsgebühr im Vergleich verzichtet, und auch im Übrigen lässt sich – wie zuvor gezeigt – dem Vergleich nicht entnehmen, ob die Geschäftsgebühr von ihm umfasst ist.

II.

Die Kostenentscheidung für das vorliegende Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Streitwert ergibt sich unmittelbar aus demjenigen Betrag, um den die Beklagten ihre Kostenschuld infolge Anrechnung verringert sehen wollen.

Aus den Ausführungen zuvor unter I. folgt zugleich, dass die Voraussetzungen einer Verfahrensübertragung auf den vollbesetzten Senat (§ 568 Satz 2 ZPO) oder einer Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

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