OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.02.2015 - I - 1 U 71/14
Fundstelle
openJur 2019, 22559
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 14e O 119/13
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. Januar 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14 e. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die anspruchsbegründenden Voraussetzungen weder für eine Schadensersatzverpflichtung des Beklagten zu 1) als Straßenbahnfahrer noch für eine solche der Beklagten zu 2) als Halterin des Straßenbahnzuges und Arbeitgeberin des Beklagten zu 1) schlüssig dargetan. Aus diesem Grund gab es für das Landgericht keine Veranlassung, in eine Sachaufklärung durch die seitens der Klägerin beantragte Zeugenvernehmung einzutreten.

Im Ergebnis kann dahinstehen, ob sich der fragliche Vorfall der Behauptung der Klägerin entsprechend im Bereich der Haltestelle ,,A. Straße‘‘ der Straßenbahnlinie ... oder dem Verteidigungsvorbringen der Beklagten gemäß kurz hinter der vorgelagerten Haltestelle ,,B.‘‘ zugetragen hat. Von Bedeutung ist vielmehr, dass es der Klägerin unabhängig von dem Schadensort auch in der Berufungsinstanz nicht gelingt, ein Verschulden des Beklagten zu 1) an ihrem Sturz in der Straßenbahn schlüssig darzulegen.

Eine Haftung der Beklagten zu 2) vermag die Klägerin unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen ebenfalls nicht schlüssig darzutun. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Gefährdungshaftung, die den Betriebsunternehmer einer Schienenbahn nach Maßgabe des Haftpflichtgesetzes trifft. Zwar steht außer Zweifel, dass die Entstehung des Schadensereignisses nicht auf höherer Gewalt beruhte. Die von dem Straßenbahnzug ausgegangene Betriebsgefahr fällt indes entsprechend der Würdigung des Landgerichts aufgrund der Tatsache nicht mehr haftungsbegründend ins Gewicht, dass die Klägerin in vorwerfbarer Weise als stehender Fahrgast nicht ihrer Verpflichtung zur Eigensicherung in hinreichender, schadensvermeidender Weise nachgekommen ist. Ihre Behauptung, sie wäre infolge der heftigen Abbremsung des Straßenbahnzuges auch dann zu Sturz gekommen, wenn sie sich mit dem geboten gewesenen doppelten Handgriff an der Haltestange einen sicheren Stand verschafft hätte, ist unschlüssig, und mangels hinreichender Anknüpfungstaten ohnehin nicht beweiszugänglich.

Soweit die Klägerin mit ihrem Rechtsmittelvorbringen erstmals wesentliche Einzelheiten des Hergangs des fraglichen Geschehens, die in erster Instanz unstreitig waren, in Abrede stellt, ist ihr Berufungsangriff unzulässig. Gleiches gilt hinsichtlich ihrer erstmals in zweiter Instanz aufgestellten Behauptung, wegen der heftigen Abbremsung des Straßenbahnzuges sei dem Beklagten zu 1) der Vorwurf eines Fahrfehlers zu machen, weil dieser nur noch durch eine Vollbremsung auf ein vorausfahrendes oder stehendes Fahrzeug habe reagieren können.

Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen:

I.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber ausschließen (BGH NJW 2006, 152 mit Hinweis auf BGHZ 152, 254, 258).

Derartige Zweifel sind im Hinblick auf die ausführlichen und in jeder Hinsicht zutreffenden Darlegungen des Landgerichts zum Hergang des fraglichen Geschehens und der daraus abgeleiteten Feststellung der Alleinverantwortlichkeit der Klägerin für die Entstehung ihres Sturzes nicht gegeben. Insbesondere hat die Klägerin erstinstanzlich nicht die Voraussetzungen für eine Verschuldenshaftung der Beklagten aufgrund eines Fahrfehlers des Beklagten zu 1) schlüssig dargetan. Deshalb hat das Landgericht entgegen der Beanstandung des Klägers nicht in verfahrensfehlerhafter Weise die Aufklärung des fraglichen Geschehens durch Einholung des angebotenen Zeugenbeweises unterlassen.

Einer Gefährdungshaftung ist der Beklagte zu 1) als Straßenbahnfahrer ohnehin nicht ausgesetzt. Der zu Lasten der Beklagten zu 2) als Straßenbahnhalterin einschlägige Gefährungshaftungstatbestand führt im Ergebnis zu keiner Schadensersatzverpflichtung, weil die Beklagte zu 2) in anspruchsvernichtender Weise den Einwand des Mitverschuldens der Klägerin an ihrem Sturz wegen der Missachtung des Gebotes zu einer hinreichenden Eigensicherung erhebt. Dabei kann dahinstehen, ob die Klägerin gehalten war, für die restliche Fahrtstrecke zwischen den Haltestellen "B." und "A. Straße" einen Sitzplatz einzunehmen. Entscheidend ist jedenfalls, dass sie - wie nunmehr in der Berufungsinstanz unstreitig ist - sich als stehender Fahrgast nicht durch die erforderlich gewesene doppelhändige Sicherung den nach den Beförderungsbedingungen geboten gewesenen festen Halt verschafft hat.

Es steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin aufgrund einer unzureichenden Eigensicherung der einzige Fahrgast war, der infolge der plötzlichen Abbremsung des Straßenbahnzuges zu Sturz kam. Die Bremsung war ohne ein dem Beklagten zu 1) anzulastendes Mitverschulden durch eine plötzliche Gefahrensituation im Straßenverkehr auf der Cstraße. herausgefordert worden war.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Soweit neues Vorbringen der Klägerin zum Hergang des streitigen Geschehens nicht schon ohnehin der Verspätungszurückweisung des § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO unterliegt, vermag ihr Tatsachenvortrag in zweiter Instanz ebenfalls keine Haftung der Beklagten schlüssig darzulegen. Insbesondere geht der Versuch der Klägerin fehl, einen auf Fahrlässigkeit beruhenden Fahrfehler des Beklagten zu 1) als Ursache für ihren bedauerlichen, jedoch eigenverschuldeten Sturz darzulegen.

II.

Zur Haftung des Beklagten zu 1)

1 )

Die Klägerin macht ohne Erfolg geltend, in dem Unfallgeschehen habe sich die typischerweise die mit dem Betrieb einer Straßenbahn verbundene Gefahr verwirklicht, für welche auch der Beklagten zu 1) unabhängig von dem Grad eines Verschuldens im Rahmen der Gefährdungshaftung einzustehen haben (Schriftsatz vom 22. August 2013, S. 1; Bl. 15 d.A.).

a )

Die Klägerin verkennt, dass der Beklagte zu 1) in seiner Eigenschaft als Straßenbahnfahrer nicht aus dem Gefährdungshaftungstatbestand des § 1 HPflG in Anspruch genommen werden kann. Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn bei dem Betrieb einer Schienenbahn der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, allein der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (Abs. 1). Der Bahnführer kann nicht aus der Gefährdungshaftung in Anspruch genommen werden; eine dem § 18 StVG entsprechende Regelung fehlt im Haftpflichtgesetz (Lemcke, Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, S. 2 Rdnr. 470).

b )

Es kommt nur eine Verschuldenshaftung des Bahnführers in Betracht - und zwar dann, wenn die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB als Ursache für die Schädigung eines Fahrgastes feststehen. Vertragliche Ansprüche sind von vornherein ausgeschlossen, da der Beklagte zu 1) nicht an dem mit dem Fahrgast geschlossenen Beförderungsvertrag beteiligt ist.

2 )

Eine schuldhafte Herbeiführung des Sturzes der Klägerin in der Straßenbahn der Linie ... auf der C.Straße zwischen den Haltestellen "B." und "A. Straße" lässt sich nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil nicht feststellen. Unstreitig ist, dass der Beklagte zu 1) auf dem Streckenabschnitt so stark bremste, dass die Klägerin als stehender, betagter Fahrgast zu Fall kam und sich infolge des Sturzes eine Verletzung des linken Beins und des linken Ellenbogens zuzog. So bedauerlich dieser Vorfall auch ist, rechtfertigt er gleichwohl nicht den Rückschluss auf ein fahrlässiges Fehlverhalten des Beklagten zu 1) als Straßenbahnführer wegen einer unnötig heftigen Verzögerung.

a )

Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, obliegt dem Geschädigten die Beweislast für den tatsächlichen Geschehensablauf und dessen Unfallursächlichkeit (KG, Urteil vom 28. Oktober 2010, Az: 12 U 62/10 VRR 2011, 64, Rdnr. 11 - zitiert nach juris). Allein aus der Tatsache, dass ein Fahrgast zu Fall gekommen ist, ergibt sich kein Anzeichen- oder Anscheinsbeweis für eine sorgfaltswidrige Fahrweise des Busfahrers (Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az: I - 1 U 50/12 mit Hinweis auf KG a.a.O. sowie KG VM 1996, 45 , Nr. 61). Der Senat vertritt im Gegenteil die Ansicht, es entspreche der Erfahrung des täglichen Lebens, dass dann, wenn ein Fahrgast beim Abbremsen des Busses zu Sturz komme, dieser Gleichgewichtsverlust auf einer Unachtsamkeit des Fahrgastes beruhe, falls nicht besondere Umstände dieser Annahme entgegen stünden (Senat a.a.O. mit Hinweis auf KG NZV 2012, 182 sowie OLG Bremen NJW-RR 2011, 1245). Indes bedarf es im vorliegenden Fall noch nicht einmal der Heranziehung der Grundsätze über den Anscheinsbeweis. Denn nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts steht fest, dass die Klägerin ihren Sturz dadurch eigenverschuldet hat, dass sie vor dem Gleichgewichtsverlust ihrer Obliegenheit zuwider gehandelt hat, sich während der Fahrt festen Halt zu verschaffen.

b )

Richtigerweise ist in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin nicht schlüssig im Hinblick auf die Behauptung eines Fahrfehlers des Beklagten zu 1) ist (Bl. 5 UA, Bl. 28 d.A.).

aa )

Denn die Klägerin hat sich auf das Vorbringen beschränkt, der Beklagte zu 1) habe bei der Einfahrt in die Haltestelle ,,A. Straße‘‘ plötzlich und stark gebremst, so dass sie sich als Fahrgast nicht mehr habe festhalten können (Klageschrift S. 2; Bl. 2 d.A.). Zu der Ursache der heftigen Verzögerung der Straßenbahn hat die Klägerin keine Angaben gemacht. Dieser Umstand gereicht ihr indes nicht zum Nachteil, weil sie wahrscheinlich als stehender Fahrgast mit Blick durch die Seitenscheiben der Straßenbahn keine Kenntnis von dem Verkehrsgeschehen hatte, welches sich unmittelbar vor dem Straßenbahnzug abspielte.

bb )

Verbunden mit der Behauptung, der fragliche Vorfall habe sich wenige Meter nach der Haltestelle "B." zugetragen, haben die Beklagten sich in ihrer Klageerwiderung darauf berufen, entsprechend dem Inhalt der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Düsseldorf zu dem Aktenzeichen 40 U Js 926/13 habe die Abbremsung des Straßenbahnzuges einen verkehrsbedingten Grund gehabt. Dieser habe sich daraus ergeben, dass ein unbekannt gebliebener Pkw-Fahrer, der die nahegelegene D.Straße verlassen habe, dem Beklagten zu 1) die Vorfahrt genommen habe (S. 2 der Klageerwiderung vom 24. Juli 2012; Bl. 11 d.A.). In ihrem replizierenden Schriftsatz vom 22. August 2013 hat die Klägerin den seitens der Beklagten vorgetragenen verkehrsbedingten Grund für die Abbremsung des Straßenbahnzuges nicht bestritten und es dahingestellt sein lassen, wo sich genau der Unfall ereignet habe. Haftungsbegründend hat die Klägerin allein auf die Tatsache der plötzlichen starken Abbremsung mit ihrer Sturzfolge abgestellt und eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten - ausdrücklich unabhängig von dem Grad des Verschuldens - allein mit dem Tatbestand der Gefährdungshaftung begründet (Bl. 15 d.A.).

cc )

Folglich war in erster Instanz die Tatsache unstreitig, dass der Beklagte zu 1) nicht wegen eines ihm anzulastenden Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschuldens den Straßenbahnzug stark verzögern musste, sondern dass sich der Grund allein aus einer Verkehrssituation ergab, mit welcher der Beklagte zu 1) auf der CStraße.in dem Streckenabschnitt zwischen den Haltestellen "B." und "A. Straße" plötzlich konfrontiert wurde.

dd )

In zutreffender Würdigung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes ist das Landgericht deshalb im Hinblick auf die Vorschrift des § 138 Abs. 3 ZPO zu der richtigen Erkenntnis gelangt, das Vorbringen der Klägerin lasse keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass sie von einem grundlosen, nicht verkehrsbedingten Abbremsvorgang ausgehe (Bl. 5 UA; Bl. 28 d.A.). Dem steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin in ihrer Klageschrift auf die Aussage der Zeugin E. berufen hat, welche diese unter dem Datum des 23. April 2013 für die Beklagte zu 2) gefertigt hatte (Anlagenband). Der schriftlichen Darstellung der Zeugin gemäß soll sich der Vorfall auf der C.Straße im Bereich der Haltestelle "A. Straße" ereignet haben - und zwar in einer Phase, in welcher die Bahn "schon halb in der Haltestelle war". Die Zeugin schaute nach vorne, um sich zu vergewissern, "ob jemand vor die Bahn gelaufen war". Allein aus der Tatsache, dass die Zeugin keinen unachtsamen Fußgänger bemerken konnte, folgt jedoch nicht, dass der Beklagte zu 1) aus einem nicht verkehrsbedingten Grund den Straßenbahnzug abbremste. Die Haltestelle im Bereich der Einmündung der A. Straße in die C. Straße ist senatsbekannt. Die Örtlichkeit zeichnet sich an Werktagen durch dichten Fahrzeug- und Fußgängerverkehr aus. Auch wenn die Zeugin E. bei ihrer Nachschau kein unachtsames Verhalten eines Fußgängers als Grund für die plötzliche Abbremsung der Straßenbahn zu erkennen vermochte, schließt dies die Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens der Beklagten nicht aus, demzufolge es ein unachtsamer, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer war, der den vorfahrtberechtigten Beklagten zu 1) zu einer spontanen Abbremsung zwang.

c )

Die schriftliche Aussage des weiteren Augenzeugen des fraglichen Geschehens, des Zeugen F., die unter dem Datum des 5. März 2013 Eingang in die Ermittlungsakte gefunden hat (Bl. 15 d.A.), lässt darauf schließen, dass sich der Sturz der Klägerin entsprechend dem Vorbringen der Beklagten kurz hinter der Haltestelle "B." zugetragen hat. Denn der Zeuge, der als Polizeibeamter zufällig Fahrgast in der Straßenbahnlinie ... war, wusste zu berichten, dass die starke Abbremsung der Bahn mit einem "starken Ruck" erfolgte, "sehr kurz" nachdem der Straßenbahnzug die Haltestelle "B." verlassen gehabt habe (Bl. 15 BA).

d )

Legt man diese Darstellung zugrunde, ist von der Richtigkeit der Annahme auszugehen, dass sich entsprechend dem Inhalt der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige (Bl. 1 ff. BA) in Verbindung mit der Verkehrsunfallskizze (Bl. 7 BA) das fragliche Geschehen kurz hinter dem Haltestellenbereich "B." in Höhe der spitzwinkligen Einmündung der Dstraße. in die Cstraße.ereignete. Die Polizei ist von einem "vermutlichen Unfallhergang" ausgegangen, wonach die Straßenbahn nach dem Verlassen der Haltestelle "direkt wieder abbremsen musste‘‘, da ein Pkw aus der Dstraße. vor der Bahn in die Cstraße. einbog. Eine Nahbereichsfahndung auf der Cstraße. zwischen den Haltestellen "A. Straße" und "Dstraße.", die einen "kleinen weißen Pkw" betraf, blieb ergebnislos (Bl. 3 BA).

e )

Wie die Klägerin in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 22. August 2013 richtig dargelegt hat, kann im Ergebnis dahinstehen, auf welchem Streckenabschnitt der Cstraße. zwischen den beiden Haltestellen sich der Unfall ereignet hat. Entscheidend ist jedenfalls, dass in erster Instanz der Grund für die plötzliche Abbremsung des Straßenbahnzuges durch den Beklagten zu 1) unstreitig war. Er war wegen eines plötzlichen verkehrsbedingten Hindernisses vor ihm zu einer spontanen Abbremsung gezwungen, denn ein unachtsamer, wartepflichtiger Verkehrsteilnehmer hatte bei dem Verlassen einer Seitenstraße sein Vorfahrtrecht missachtet.

f )

Allein aus der Tatsache, dass der Beklagte zu 1) darauf mit einer heftigen Abbremsung des Straßenbahnzuges reagierte, lässt sich nicht der Vorwurf eines fahrlässigen, haftungsbegründenden Fehlverhaltens ableiten. Insbesondere ist kein Raum für die Feststellung, dass der Beklagte zu 1) mit der Verzögerung überreagiert hat.

aa )

Die Klägerin trifft die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen einer Haftung aus unerlaubter Handlung nach Maßgabe des § 823 Abs. 1 BGB. Nach ihrem Vorbringen bleibt jedoch offen, welche Geschwindigkeiten der Straßenbahnzug einerseits und der aus der Seitenstraße herausgekommene Pkw andererseits jeweils hatten, wie dicht sich die beteiligten Fahrzeuge bereits einander angenähert hatten und welcher zeitliche und räumliche Reaktionsspielraum dem Beklagten zu 1) noch verblieb.

bb )

Nicht widerlegt ist somit die Darstellung des Beklagten zu 1), dass er keine andere Wahl hatte, als zwecks Vermeidung einer Kollision die Bremsung des Straßenbahnzuges einzuleiten. Von ihm war nicht zu erwarten, dass er allein aus Rücksichtnahme auf seine Fahrgäste von der verkehrsbedingten Notbremsung auf die Gefahr hin absah, in eine Kollisionssituation mit dem unachtsamen Pkw-Fahrer zu geraten. Ganz abgesehen davon, dass die Fahrgäste der Bahn dann ebenfalls durch die anstoßbedingte Erschütterung einer erheblichen Ruckwirkung ausgesetzt gewesen wären, versteht es sich von selbst, dass der Fahrer eines öffentlichen Verkehrsmittels pflichtgemäß darum bemüht sein muss, einen Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer zu vermeiden.

3 )

Ohne Erfolg versucht die Klägerin, in der Berufungsinstanz einen haftungsbegründenden Fahrfehler des Beklagten zu 1) darzulegen. Sie stellt dazu erstmals die Behauptung auf, seine Darstellung, er habe verkehrsbedingt an der Einmündung der Dstraße. bremsen müssen, sei lediglich eine Schutzbehauptung (Bl. 71 d.A.). Im Gegensatz dazu habe die Zeugin E. beobachtet, dass er eine Vollbremsung habe vornehmen müssen, um nicht auf ein vorausfahrendes oder stehendes Fahrzeug aufzuprallen. Die damit verbunden gewesene Bremswirkung sei so stark gewesen, dass auch der Zeuge F. Schwierigkeiten gehabt habe, sich auf seinem Sitz zu halten (Bl. 70 d.A.).

a )

Das streitige Berufungsvorbringen läuft auf die erstmals aufgestellte Behauptung hinaus, die Abbremsung des Straßenbahnzuges sei allein darauf zurückzuführen, dass der Beklagte zu 1) schuldhaft nicht rechtzeitig die Geschwindigkeit wegen eines Verkehrshindernisses reduziert habe. Dieser neue Tatsachenvortrag stellt ein Angriffsmittel dar, welches nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO in der Berufungsinstanz unzulässig ist. Wie bereits ausgeführt, war in erster Instanz unstreitig, dass die Verzögerung der Straßenbahn ihren Grund allein in der Vorfahrtverletzung eines unerkannt gebliebenen Verkehrsteilnehmers hatte. In einem diametralen Gegensatz dazu steht das streitige Berufungsvorbringen, der Beklagte zu 1) habe unnötigerweise stark abbremsen müssen, weil er zu schnell in den Haltestellenbereich "A. Straße" einfahren sei und nur um den Preis einer heftigen Verzögerung des Straßenbahnzuges eine Kollision mit einem vorausfahrenden oder stehenden Fahrzeug habe vermeiden können. In Wahrnehmung ihrer Prozessförderungspflicht (§ 282 Abs. 1 ZPO) hätte die Klägerin diese angebliche Ursache für die Entstehung ihres Sturzes bereits in erster Instanz in den Rechtsstreit einführen können und müssen.

b )

Sie vermag auch nicht darzulegen, dass die Verspätung des Vorbringens nicht auf einer Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO beruht. In diesem Zusammenhang dringt sie nicht mit ihrem Einwand durch, ihr Prozessbevollmächtigter habe sich vor Abfassung der Berufungsbegründung telefonisch mit der Zeugin E. in Verbindung gesetzt und erst aufgrund dieser persönlichen Kontaktaufnahme erfahren, wo und wie sich der Unfall ereignet habe (Bl. 128 d.A.). Die Zeugin E. hatte bereits unter dem Datum des 23. April 2013 für die Beklagte zu 2) eine schriftliche Sachverhaltsschilderung gefertigt, die keine konkreten Anhaltspunkte für die Feststellung eines Annäherungsverschuldens des Beklagten zu 1) bot. Sollte die Klägerin diesbezüglich Zweifel gehabt haben, so hätte sie über ihren Prozessbevollmächtigten bereits vor Abfassung der Klageschrift vom 13. Juni 2013 sachdienliche Rückfragen an die Zeugin richten und das Ergebnis dieser Informationsbeschaffung mit der Klageerhebung in den Rechtsstreit einführen können. Spätestens nachdem sich die Beklagten auf ein verschuldensneutrales Annäherungsverhalten des Beklagten zu 1) als Straßenbahnführer berufen hatten, hätte die Klägerin Veranlassung gehabt, eine durch sie als erforderlich erachtete Informationsbeschaffung über die Zeugin E. vorzunehmen und zum Gegenstand ihres Prozessvortrages zu machen. Für die Annahme einer Nachlässigkeit im Sinne des § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO reicht bereits die Feststellung einfacher Fahrlässigkeit (Zöller/Heßler, Kommentar zur ZPO, 30. Aufl., § 531 Rdnr. 30 mit Hinweis auf Begr BTDrs 14/4722 S. 102).

4 )

Selbst wenn man hilfsweise das verspätete Vorbringen der Klägerin zu der angeblichen Ursache ihres Fahrgaststurzes als zulässig erachtete, ergäbe sich daraus für den Senat keine Notwendigkeit des Versuchs einer Sachaufklärung durch Vernehmung der in der Berufungsbegründung benannten Zeugen E. sowie F.. Denn es ist schon im Ansatz nicht zu erkennen, dass sich aus der Behauptung, der Beklagte zu 1) habe zur Vermeidung eines Zusammenstoßes mit einem vorausgefahrenden oder stehenden Fahrzeug eine heftige Abbremsung einleiten müssen, sich die Schlussfolgerung auf einen Fahrfehler in Form eines Aufmerksamkeits- oder Reaktionsverschuldens wegen einer zu schnellen Einfahrt in den Haltestellenbereich ziehen lässt.

a )

Wie bereits ausgeführt, sind die Verkehrs- und Straßenverhältnisse auf der Cstraße. in Höhe der Haltestelle "A. Straße" senatsbekannt. Die Straßenführung ist dort im Zentrum des Stadtteils G. sehr eng und werktäglich ist durchgehend erhebliches Fahrzeug- und Fußgängeraufkommen zu beobachten. Das Vorbringen der Klägerin lässt die Möglichkeit offen, dass ein aus einer untergeordneten Seitenstraße kommendes oder aus anderen Gründen plötzlich auftauchendes Fahrzeug sich so dicht vor den Straßenbahnzug gesetzt hat, dass der Beklagte zu 1) nicht früher durch eine angemessene Verringerung der Annäherungsgeschwindigkeit hätte reagieren können. Da die Klägerin sich auf die Aussage der Zeugin E. beruft, hat sie aus eigenem Wissen keine eigene Kenntnis von dem Verkehrsgeschehen vor der Straßenbahn, das ihrem Sturz vorausging. Die Klägerin ist offenbar der rechtirrigen Ansicht, allein die Tatsache einer heftigen Abbremsung des Straßenbahnzuges mit der für sie nachteiligen Sturzfolge indiziere die Feststellung eines Fahrfehlers des Beklagten zu 1).

b )

Im Übrigen sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass sich aus der schriftlichen Ablaufschilderung der Zeugin E. vom 23. April 2013 keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit des neuen Vorbringens der Klägerin ergeben, die Abbremsung des Beklagten zu 1) habe nur der Vermeidung einer Kollision mit einem vorausbefindlichen Fahrzeug gedient. Ebenso wenig ergibt sich aus der schriftlichen Schilderung des Zeugen F. vom 5. März 2013, dass entsprechend dem neuen streitigen Vorbringen der Klägerin die durch den Beklagten zu 1) durchgeführte Verzögerung des Straßenbahnzuges so heftig ausgefallen sein soll, dass der Zeuge Schwierigkeiten gehabt habe, sich auf seinem Sitz zu halten. Der Zeuge hat unter dem Datum des 5. März 2013 lediglich ausgeführt, es habe bremsbedingt einen starken Ruck gegeben, den er selbst in seiner sitzenden Position noch deutlich verspürt habe (Bl. 15 BA).

5 )

Nach den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (Bl. 4 UA; Bl. 27 d.A.) war der Beklagte zu 1) nicht gehalten, die zum Unfallzeitpunkt über 80 Jahre alt gewesene Klägerin während der Fahrt im Auge zu behalten, um sich zu vergewissern, dass sie als Fahrgast an der Haltestange eine hinreichend gesicherte Standposition eingenommen hatte.

a )

Ein Fahrgast ist in modernen Großraumwagen einer Straßenbahn in aller Regel sich selbst überlassen und kann nicht damit rechnen, dass der Wagenführer, der mit Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer die äußeren Fahrtsignale beachten muss, sich um ihn kümmert (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1992, Az: VI ZR 27/92 Rdnr. 10 zitiert nach juris). Allein das Alter der Klägerin ist nach heutigem Verständnis kein Gesichtspunkt, welcher die Annahme einer Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit nahelegt (vgl. BGH a.a.O., Rdnr. 12 - zitiert nach juris). Die Klägerin hat in dieser Richtung auch nichts vorgetragen, sondern im Gegenteil ihre Rüstigkeit vor dem Unfall betont. Folglich muss sich der Bahnführer nur ausnahmsweise vergewissern, ob der Fahrgast einen sicheren Platz oder einen sicheren Halt im Wagen gefunden hat - etwa dann, wenn er bemerkt hat, dass ein gehbehinderter oder ein blinder Fahrgast den Wagen bestiegen hat (BGH a.a.O., Rdnr. 10 - zitiert nach juris). Da die Klägerin aber unstreitig an der Haltestelle "B." selbst einem gehbehinderten Fahrgast beim Einsteigen in die Straßenbahn Hilfestellung geleistet hatte, sprach nach Lage der Dinge nichts für die Annahme, dass sie selbst im Hinblick darauf hilfebedürftig gewesen wäre, sich eine gesicherte Sitz- oder Standposition in der Straßenbahn zu verschaffen.

III.

Zur Haftung der Beklagten zu 2)

Auch die Beklagte zu 2) ist unter keinem der in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte einem begründeten Schadensersatzanspruch der Klägerin ausgesetzt. Zu ihren Gunsten ist weder ein vertraglicher noch ein gesetzlicher Haftungstatbestand einschlägig.

1 )

Was den vertraglichen Aspekt der Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) anbelangt, ist Folgendes zu berücksichtigen:

a )

Zwischen beiden Parteien ist ein Beförderungsvertrag zustande gekommen. Im Falle einer Schutzpflichtverletzung des Beförderungsunternehmers kann der Fahrgast Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dies gilt nicht, wenn der Beförderungsunternehmer die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Bei einem Beförderungsvertrag muss der Unternehmer sicherstellen, dass die zu befördernde Person wohlbehalten am Bestimmungsort angelangt. Eine Schädigung des Fahrgastes beweist zunächst einmal eine Pflichtverletzung des Unternehmers (Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az.: I-1 U 50/12 mit Hinweis auf Palandt/Grüneberg, Kommentar zum BGB, 70. Aufl. -nunmehr 72. Aufl. - § 280, Rdnr. 35, dort mit Hinweis auf BGHZ 8, 242). Allerdings steht dem Unternehmer nach Maßgabe des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB der Gegenbeweis offen, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Der Entlastungsbeweis muss sich auch auf das Verschulden eines Erfüllungsgehilfen erstrecken (Palandt/Grüneberg a.a.O., § 280, Rdnr. 40 mit Hinweis auf BGH NJW 1987, 1938).

b )

Der Beklagten zu 2) gelingt der Gegenbeweis, dass den Beklagten zu 1), der als Straßenbahnfahrer für die ordnungsgemäße Erledigung der Beförderungspflichten ihr Erfüllungsgehilfe war, kein Verschulden im Hinblick auf die Notwendigkeit der Einleitung einer Gefahrenbremsung trifft. Denn nach dem erstinstanzlichen Sachstand hatte die spontane Verzögerung ihren Grund allein in einer Vorfahrtverletzung eines unbekannt gebliebenen Verkehrsteilnehmers, für die keine der beiden beklagten Parteien verantwortlich gemacht werden kann. Soweit die Klägerin in zweiter Instanz erstmalig und nicht schlüssig einen Fahrfehler des Beklagten zu 1. als Brems- und Schädigungsursache behauptet, bleibt dieses Angriffsmittel aus den dargelegten Gründen in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

3 )

Zugunsten der Klägerin ist auch nicht die Vorschrift des § 831 Abs. 1 BGB einschlägig.

a )

Zur Anspruchsbegründung nach dieser Norm genügt der Nachweis, dass der Verrichtungsgehilfe - hier der Beklagte zu 1. als Straßenbahnfahrer - objektiv den Tatbestand einer unerlaubten Handlung in rechtswidriger Weise erfüllt hat, ohne dass es insoweit grundsätzlich auf ein Verschulden ankommt (Palandt/Sprau a.a.O., § 831, Rdnr. 8 mit Hinweis auf BGH NJW 1996, 3205, 3207). Der Geschäftsherr - hier die Beklagte zu 2. - haftet für den vom Verrichtungsgehilfen in Ausführung der Verrichtung verursachten Schaden (§ 831 Abs. 1 Satz 1 BGB mit der Möglichkeit des Entlastungsbeweises gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB). Allerdings entfällt nach dem Schutzzweck der Norm die Haftung auch dann, wenn der Verrichtungsgehilfe objektiv fehlerfrei gehandelt hat, sich also so verhalten hat, wie jede mit Sorgfalt ausgewählte und überwachte Person sich sachgerecht und vernünftigerweise verhalten hätte. Denn unter diesen Voraussetzungen bestünde auch im Falle des eigenen Handelns des Geschäftsherrn kein Anspruch (Palandt/Sprau a.a.O. mit Hinweis auf BGH a.a.O.; OLG Bremen, NJW-RR 2011, 1245, Rdnr. 29 - zitiert nach juris; Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az.: I-1 U 50/12).

b )

Diese Ausnahme von der Haftung des § 831 Abs. 1 BGB ist zugunsten der Beklagten zu 2) einschlägig. Nach dem auch in der Berufungsinstanz als unstreitig zu behandelnden Sachverhalt hat der Beklagte zu 1. als Straßenbahnfahrer objektiv fehlerfrei auf die Vorfahrtverletzung des unbekannt gebliebenen Verkehrsteilnehmers durch Einleitung einer Gefahrenbremsung reagiert, auch wenn die Klägerin - wie noch darzulegen sein wird: als einziger Fahrgast - dadurch zu Fall gekommen ist. Die spontane Verzögerung bedeutete für den Beklagten zu 1. die einzige Möglichkeit zur Vermeidung einer Kollision.

4 )

Nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (S. 6-8 UA; Bl. 29-31 d.A.) scheidet letztlich auch eine Ersatzverpflichtung der Beklagten zu 2. aus dem Tatbestand der Gefährdungshaftung gemäß § 1 Abs. 1 HPflG aus. Denn die Klägerin trifft wegen einer unzureichenden Standsicherung ein Eigenverschulden an der Entstehung ihres Sturzes, welches die Haftung der Beklagten im Rahmen der Abwägung gemäß §§ 4 HPflG, 254 Abs. 1 BGB zurücktreten lässt. Das Eigenverschulden ergibt sich aus der in der Berufungsinstanz weiterhin unstreitigen Tatsache, dass die Klägerin nicht in hinreichender Weise ihrer Verpflichtung aus § 4 Abs. 3 Satz 5 der Verordnung über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Straßenbahn- und Omnibusverkehr sowie für den Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen nachgekommen ist, sich im Fahrzeug stets einen festen Halt zu verschaffen.

a )

Im Ansatz spricht schon Vieles für die Richtigkeit der Annahme des Landgerichts, die Klägerin habe es in vorwerfbarer Weise unterlassen, nach der Hilfeleistung für den behinderten zugestiegenen Fahrgast im Bereich der Haltestelle "B." für die Beförderung auf der 600 m langen Reststrecke bis zur Haltestelle "A. Straße" einen Sitzplatz einzunehmen. Eine sitzende Position schützt den Fahrgast in aller Regel vor einem Gleichgewichtsverlust mit Sturzfolge im Falle einer plötzlichen, gefahrbedingten Abbremsung einer Straßenbahn im Straßenverkehr. Erstinstanzlich ist das Vorbringen der Beklagten zu 2. in ihrer Klageerwiderung unwidersprochen geblieben, demzufolge es zum Zeitpunkt des fraglichen Geschehens in der Straßenbahn der Linie ... eine hinreichende Anzahl freier Sitzplätze gab (Bl. 11 d.A.). Denn in ihrem Folgeschriftsatz vom 22. August 2013 hat die Klägerin sich auf den Vortrag beschränkt, wegen des geringen Abstandes zwischen den beiden Haltestellen hätte sich die Einnahme eines Sitzplatzes nicht angeboten, zumal das Aufsuchen eines freien Sitzes während der Fahrt gefährlicher gewesen wäre als die Beibehaltung einer Standposition mit gleichzeitigem Festhalten (Bl. 16 d.A.). Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung erstmals das Vorhandensein eines freien Sitzplatzes in Abrede stellt (Bl. 71 d.A.), handelt es sich ebenfalls um ein Angriffsmittel, das nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO der Unzulässigkeitszurückweisung unterliegt.

b )

Im Ergebnis kann aber die Entscheidung der Frage dahinstehen, ob die Klägerin im Rahmen ihrer Obliegenheit, sich einen festen Halt zu verschaffen, verpflichtet gewesen wäre, auf der verbliebenen Reststrecke bis zum Erreichen des Ausstiegspunktes einen Sitzplatz einzunehmen. Eine grundsätzliche Verpflichtung für einen Fahrgast, einen Sitzplatz zu belegen, anstatt mit einem Stehplatz Vorlieb zu nehmen, gibt es weder nach den einschlägigen Beförderungsbedingungen, noch aus anderen Rechtsgründen (Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az.: I-1 U 50/12).

c )

Für den Fall der Stehplatzbelegung gilt allerdings in besonderem Maße die Verpflichtung, sich einen festen Halt zu verschaffen. Dazu ist es grundsätzlich erforderlich, sich mit beiden Händen an den vorhandenen Haltevorrichtungen festzuhalten (Senat, a.a.O. mit Hinweis auf Senat, VersR 1972, 171; Senat, Urteil vom 30. November 2010, Az.: I-1 U 31/10, NZV 2011, 393, Rdnr. 24 - zitiert nach juris; KG MDR 2010, 1111; weitere Rechtsprechungsnachweise bei Filthaut, Haftpflichtgesetz, 7. Aufl., § 4, Rdnr. 31). Dieser Verpflichtung ist die Klägerin unstreitig nicht nachgekommen, weil sie sich an der Haltestange nur mit einem einhändigen Griff gesichert hatte. Die Klägerin hatte insbesondere im Hinblick auf ihr fortgeschrittenes Alter allen Anlass, sich mit der erforderlichen Doppelhandsicherung festzuhalten, um auch bei ruckartigen Fahrt- oder Bremsbewegungen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Nach der Rechtsprechung des Senats muss ein Fahrgast im öffentlichen Personennahverkehr im Großstadtbereich jederzeit damit rechnen, dass plötzlich Gefahrensituationen auftreten, die einen abrupten Einsatz der Bremsen erforderlich machen (Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az.: I-1 U 50/12; so auch KG NZV 2010, 570, Senat, Urteil vom 30. November 2010, Az.: I-1 U 31/10, Rdnr. 26 - zitiert nach juris; KG NZV 2010, 570).

d )

Nicht stichhaltig ist das Argument der Klägerin, in der Straßenbahn sei kein Hinweis für ältere Personen dahingehend angebracht gewesen, eine einhändige Sicherung sei unzureichend. Sieht ein betagter Fahrgast davon ab, einen Sitzplatz zu belegen, so versteht es sich von selbst, dass er sich in einer Standposition die bestmögliche Sicherung an der Haltstange verschaffen muss. Diese gewährt aber nur eine Umklammerung mit zwei Händen. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass die Klägerin keinen Überblick über die Verkehrssituation vor der Straßenbahn hatte. Sie musste also fortlaufend Vorsorge im Hinblick auf die potentielle Gefahr eines Gleichgewichtsverlustes treffen.

e )

Die Klägerin dringt nicht mit ihrem Einwand durch, dass sie wegen der Heftigkeit der Abbremsung des Straßenbahnzuges auch dann zu Fall gekommen wäre, wenn sie sich mit zwei Händen an der Haltestange gesichert hätte (Bl. 71 d.A.). Sie bestreitet somit ohne Erfolg die durch das Landgericht angenommene Kausalität zwischen der ihr anzulastenden Verletzung der Obliegenheit zur Vornahme einer hinreichenden Eigensicherung und der Sturzfolge.

aa )

Gegen die Richtigkeit dieses Kausalitätseinwandes spricht bereits die Tatsache, dass die Klägerin der einzige stehende Fahrgast war, der durch die Abbremsung das Gleichgewicht verloren hat. Die Beklagten haben in ihrem Schriftsatz vom 24. Juli 2013 geltend gemacht, etliche andere Fahrgäste, die in der Straßenbahn einen Stehplatz eingenommen hätten, hätten die Verzögerung des Zuges unbeschadet überstanden (S. 3; Bl. 12 d.A.). Zwar hat die Klägerin in ihrer Replik vom 22. August 2013 die Richtigkeit dieses Vorbingens bestritten (S. 2, Bl. 16 d.A.). Die Tatsachenfrage aber, ob die Klägerin der einzige sturzbetroffene Fahrgast war oder ob auch andere Fahrgäste durch die Abbremsung zu Fall kamen, war Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung im Sinne des § 138 Abs. 4 ZPO. Von der Klägerin war deshalb zu erwarten, dass sie ihr Vorbringen nicht auf ein bloßes Bestreiten des gegnerischen Vortrages beschränkte, sich also konkret dazu äußerte, ob außer ihr noch andere mitbeförderte Personen hingefallen waren oder nicht.

bb )

Im Übrigen enthält weder die polizeiliche Verkehrsunfallanzeige noch der sonstige Inhalt der beigezogenen Ermittlungsakte irgendwelche Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Abbremsung des Straßenbahnzuges außer der Klägerin noch andere Fahrgäste aus dem Gleichgewicht brachte. Die an den Zeugen F. gerichtete schriftliche Anfrage der Beklagten zu 2. vom 4. April 2013, ob noch weitere Fahrgäste in der Straßenbahn gestanden hätten, hat dieser mit der kurzen schriftlichen Erläuterung "jede Menge!" beantwortet (Anlagenband). Da die übrigen stehenden Fahrgäste ausnahmslos die plötzliche Verzögerung der Bahn unbeschadet überstanden hatten, ist nach Lage der Dinge davon auszugehen, dass diese sich hinreichend mit Hilfe der Haltevorrichtungen gesichert hatten und die Klägerin die einzige beförderte Person war, die dies trotz ihres fortgeschrittenen Alters unterlassen hatte. Allein schon aus diesem Grund kann die Kausalität zwischen der Obliegenheitsverletzung der Klägerin und der eingetretenen Schadensfolge nicht zweifelhaft sein.

cc )

Unabhängig davon ist Folgendes zu berücksichtigen: Die Klägerin ist für die Richtigkeit ihrer Behauptung beweisbelastet, dass sie auch dann, wenn sie sich in der erforderlichen Weise als stehender Fahrgast einen sicheren Halt verschafft hätte, sie wegen der Heftigkeit der Abbremsung das Gleichgewicht verloren hätte. Dieser Beweis ist im Nachhinein auch mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens nicht zu führen. Denn die physikalischtechnische Frage, ob die Klägerin bei einer hypothetischen beidhändigen Sicherung die Notbremsung der Straßenbahn sturzfrei überstanden hätte, hängt von Parametern ab, die mangels einer hinreichenden Grundlage von Anknüpfungstatsachen im Nachhinein nicht mehr sicher zu rekonstruieren sind. So kommt u. a. maßgebliche Bedeutung den offenen Fragen zu, welche Ausgangsgeschwindigkeit der Straßenbahnzug bei Einleitung der Bremsung hatte, welcher Verzögerungswert mit dem Schienenfahrzug dabei erreicht wurde und wie weit im Moment des Eintritts der kritischen Situation der Pkw des vorfahrtverletzenden Verkehrsteilnehmers entfernt war. Die Klägerin räumt in ihrem Schriftsatz vom 31. Oktober 2014 ein, dass in Bezug auf die in Rede stehende Straßenbahn eine Fahrtenschreiberauswertung nicht in Betracht komme (S. 2; Bl. 129 d.A.).

IV.

Die Abwägung aller unfallursächlichen Umstände auf der Rechtsgrundlage der §§ 4 HPflG, 254 Abs. 1 BGB, bei der zu Lasten einer Partei nur der unstreitige, erwiesene oder zugestandene Tatsachen berücksichtigt werden dürfen, fällt zu Lasten der Klägerin aus. Hat der Fahrgast seine Verpflichtung, sich einen festen Halt zu verschaffen, fahrlässig verletzt, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in Übereinstimmung mit der Würdigung des Landgerichts seinem Verschulden ein so großes Gewicht beizumessen, dass demgegenüber die auf die einfache Betriebsgefahr gestützte Verantwortlichkeit des Straßenbahnunternehmers gänzlich zurücktritt (Senat, Urteil vom 27. November 2012, Az.: I-1 U 50/12; Senat, Urteil vom 30. November 2010, Az.: I-1 U 31/10, dort mit Hinweis auf OLG Bremen NJW-RR 2011, 1245; KG NZV 2012, 182; OLG Frankfurt NZV 2011, 199; LG Wiesbaden NZV 2011, 201).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für den Berufungsrechtszug beträgt 9.000 € (8.000 € + 1.000 €).

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.