OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.02.2016 - I-1 U 48/15
Fundstelle
openJur 2019, 22549
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 15 O 39/13
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 27.02.2015 verkündete Urteil des Einzelrichters der 15. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz werden der Klägerin zu 62% und der Beklagte zu 1) zu 38% auferlegt. Die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz trägt allein die Klägerin.

Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Hinsichtlich des Sachverhaltes wird zunächst auf den im Urteil des Landgerichtes enthaltenen Tatbestand Bezug genommen.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 12.11.2012 in Stadt 1 ereignete: Mit einem VW Transporter der Klägerin befuhr deren Geschäftsführer die B-Straße in Richtung Innenstadt. Hinter ihm fuhr die von der Beklagten zu 2) gesteuerte Straßenbahn der Rheinbahnlinie ... der Beklagten zu 1). Die Schienen der Straßenbahn verlaufen dort auf dem Straßenbett.

Der Geschäftsführer der Klägerin beabsichtigte, nach rechts in die dort befindliche Einfahrt des Hauses Nr. ... einzufahren. Dort stand aber der Pkw A der Zeugin Z1, welche dasselbe Ziel hatte und vor dem geschlossenen Einfahrtstor zum Stehen gekommen war. Der Geschäftsführer der Klägerin konnte sein Fahrzeug daher nur ein kleines Stück weit nach rechts führen und hielt dann hinter dem dort stehenden Fahrzeug der Zeugin Z1 an. Ein deutlicher Teil des Fahrzeuges der Klägerin verblieb dabei auf den Gleisen der Straßenbahn.

Die Beklagte zu 2) bremste die Straßenbahn. Dennoch kollidierte diese mit dem Fahrzeug der Klägerin.

Die der Klägerin durch den Unfall entstandenen Schadenspositionen hat die Beklagte zu 1) im Umfang von 70% reguliert.

Die Klägerin hat vorgetragen: Die Beklagten müssten weitere 30% des Schadens bezahlen, da der Unfall für sie bzw. ihren Geschäftsführer unabwendbar gewesen sei. Als dieser den Abbiege-Vorgang eingeleitet habe, sei die Straßenbahn der Beklagten für ihn noch gar nicht zu sehen gewesen. Es sei daher nicht zu beanstanden, dass er auf den Schienen zum Halt gekommen sei. Eine Pflicht zum Räumen der Schienen habe für ihn nicht bestanden.

Die Beklagten haben vorgetragen: Das Fahrzeug der Klägerin sei nur 20-25 Meter vor der Straßenbahn hergefahren, als es dann plötzlich und ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers auf den Schienen zum Stillstand gekommen sei. Die Beklagte zu 2) habe noch unverzüglich eine Notbremsung eingeleitet, den Unfall jedoch nicht mehr verhindern können.

Das Landgericht hat - nach Vernehmung von Zeugen und persönlicher Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin - der Klage (bis auf einen geringen Teilbetrag) stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt:

Der Anspruch gegenüber den Beklagten sei aus §§ 7, 18 StVG herzuleiten. Die Beklagten treffe eine 100%ige Haftung. Der Unfall sei für die Klägerin ein unabwendbares Ereignis gewesen. Denn die alleinige Unfallursache liege darin, dass die Beklagte zu 2) unaufmerksam gewesen sei und irrtümlich angenommen habe, der Geschäftsführer der Klägerin wolle geradeaus weiterfahren, obwohl letzterer den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe.

Nicht bewiesen sei für das Landgericht hingegen, dass die Distanz zwischen VW Transporter und Straßenbahn lediglich 20-25 Meter betragen habe (wie der Zeuge Z2 bekundete). Denn die dahingehende Schätzung des Zeugen Z2 sei ohne Grundlage und nicht zuverlässig. Unabhängig davon hätte die Beklagte zu 2) in dem Falle, sollte dieser Abstand doch zutreffend sein, jedenfalls einen zu geringen Abstand zum VW Transporter eingehalten und sei zudem mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren.

Es habe auch keine Rechtspflicht des Geschäftsführers der Klägerin gegeben, wegen der hinter ihm fahrenden Straßenbahn den Schienenstrang zu räumen. Der Schienenstrang habe vom Fahrzeug der Klägerin vielmehr gleichberechtigt benutzt werden dürfen, weil er auf der Straße verlaufe. Es sei im Gegenteil die Pflicht der Beklagten zu 2) gewesen, den vorausfahrenden Verkehr sorgfältig zu beobachten und so viel Abstand einzunehmen, dass sie noch rechtzeitig hätte bremsen können.

Gegen dieses den Beklagten am 27.02.2015 zugestellte Urteil wenden sie sich mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit welcher sie die Verletzung materiellen Rechts rügen, da das Landgericht zu Unrecht von einer gleichberechtigten Teilnahme am Straßenverkehr von Autos und Straßenbahn ausgegangen sei und damit die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StVO übersehen habe. Zudem greifen die Beklagten auch die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichtes an: Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass die Straßenbahn in engem Abstand dem Fahrzeug der Klägerin gefolgt sei, wie der Zeuge Z2 dies auch bekundet habe.

Die Beklagten beantragen nunmehr,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt dem Berufungsvorbringen entgegen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Denn der Klägerin steht - über die bereits regulierten Teilbeträge hinaus - kein weitergehender Schadensersatzanspruch gegenüber den Beklagten mehr zu. Eine Abwägung aller Verursachungsbeiträge der Parteien und Unfallbeteiligten rechtfertigt keine höhere Haftungsquote als die von den Beklagten bereits vorgerichtlich angenommenen 70%. Der Unfall war für die Klägerin nämlich kein unabwendbares Ereignis; vielmehr hatte der Geschäftsführer der Klägerin damals gegen die Vorschriften der § 2 Abs. 3 StVO sowie § 9 Abs. 3 Satz 1, 5 StVO verstoßen.

Dazu ist im Einzelnen Folgendes auszuführen:

A.

Zutreffend geht das Landgericht zunächst davon aus, dass der Klägerin ein Anspruch gegenüber der Beklagten zu 1) auf Schadensersatz zusteht. Dieser beruht allerdings nicht, wie das Landgericht meint, auf §§ 7, 18 StVG, sondern auf § 1 Abs. 1 HaftPflG. Denn der Unfall ist nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, sondern beim Betrieb einer Schienenbahn verursacht worden, wozu auch Straßenbahnen zu rechnen sind. Gemäß der Legaldefinition des § 1 Abs. 2 StVG kann von einem Kraftfahrzeug nämlich nur die Rede sein, wenn es nicht an Bahngleise gebunden ist.

B.

Der Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) ist auch nicht ausgeschlossen, da keine höhere Gewalt im Sinne des § 1 Abs. 2 HaftpflG ersichtlich ist. Auch war der Unfall für die Beklagte zu 1) nicht unabwendbar im Sinne des § 13 Abs. 3 HaftpflG. Denn den Beweis dafür, dass sich die Beklagte zu 2) damals wie eine Idealfahrerin verhalten hatte, vermag die Beklagtenseite nicht zu führen. Dies wird auch von ihr selbst nicht in Anspruch genommen.

C.

Steht mithin die grundsätzliche Haftung der Beklagten zu 1) fest, bestimmt sich das Ausmaß der Mithaftung der Klägerin gemäß § 17 Abs. 4 StVG nach der Vorschrift des § 17 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 StVG, welche der Regelung des § 13 HaftpflG vorgeht (Senat, Urteil vom 14.10.1991, I-1 U 280/90, abgedruckt in: NZV 1992, 190; BGH NJW-RR 1994, 603; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 17 Rdn 37).

1.

Es lässt sich nämlich feststellen, dass auch die Klägerin ihrerseits kraft Gesetzes zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist. Diese ihre Haftung beruht auf § 7 StVG. Denn sie war im Unfallzeitpunkt Halterin ihres VW Transporters und der Unfall geschah auch bei dem Betrieb des Fahrzeuges.

2.

Für die Klägerin war der Unfall auch nicht unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG. Im Gegenteil trifft den Fahrer ihres Fahrzeuges, den Geschäftsführer der Klägerin, an dem Unfall eine Mitschuld, wie im Folgenden noch ausgeführt werden wird.

D.

Bei der nun vorzunehmenden Abwägung nach § 17 StVG kommt es nach dem Gesetz insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei ist nach dieser Vorschrift in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der Fahrzeuglenker nur einen Faktor der Abwägung darstellt, was auch bei Unfällen zwischen Kraftfahrzeugen und Schienenbahnen gilt (BGH NJW 2013, 3235; NJW-RR 2008, 335).

Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH NJW 2007, 506; Senat, Urteil vom 08.10.2011, I-1 U 17/11; KG NZV 2003, 201). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich herleiten will (BGH NZV 1996, 231).

1.

Hinsichtlich der Klägerin sind die nachfolgenden Verursachungsbeiträge zu berücksichtigen:

a.

Zum einen ging von dem Fahrzeug der Klägerin eine deutlich erhöhte Betriebsgefahr aus, da der Transporter bei dem Versuch, in eine Grundstückseinfahrt zu gelangen, im Schienenbereich einer Straßenbahn anhielt (Senat, Urteil vom 14.10.1991, I-1 U 280/90, abgedruckt in: NZV 1992, 190).

b.

Die Klägerin respektive ihr Geschäftsführer als damaliger Fahrer ihres Fahrzeuges hatte zudem gegen § 2 Abs. 3 StVO verstoßen.

aa.

Nach dieser Vorschrift besteht für andere Verkehrsteilnehmer die Pflicht, den Schienenraum soweit möglich nicht in Anspruch zu nehmen, wenn damit zu rechnen ist, dass eine Straßenbahn durchfährt (Geigel, Haftpflichtprozess, 27. Auflage 2015, Kap. 27 Rdn 77; Greger in: Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Auflage 2014, § 14 Rdn 203).

§ 2 Abs. 3 StVO begründet dabei zwar kein eigenes Vorfahrtrecht, wohl aber ein "beschränktes Vorrecht" (Senat, Urteil vom 14.10.1991, I-1 U 280/90, abgedruckt in: NZV 1992, 190; Urteil vom 18.08.2008, I-1 U 247/07; Geigel, a.a.O., Kap. 27 Rdn 77). Dieses gründet in der Eigenschaft der Straßenbahn als schienengebundenes Fahrzeug mit schwerer Bremsfähigkeit, das dem städtischen Massenverkehr dient und zu diesem Zwecke einen Fahrplan einzuhalten hat (Senat, Urteil vom 18.08.2008, I-1 U 247/07; Hentschel/König/Dauer, § 2 StVO Rdn 64).

Daher dürfen andere Verkehrsteilnehmer die Bahn nur dann in ihrer ungestörten Fahrt behindern, wenn etwas anderes für sie nicht möglich oder unzumutbar wäre (Senat, Urteil vom 14. Oktober 1991, I-1 U 280/90, abgedruckt in: NZV 1992, 190; Urteil vom 28.05.1990, I-1 U 25/90). Dass es zumutbar ist, angesichts einer herannahenden Straßenbahn seine Abbiege-Absicht zunächst für kurze Zeit zurückzustellen und auf der rechten Fahrbahnseite eine Wartemöglichkeit zu finden, um die Bahn passieren zu lassen oder - falls dies nicht möglich ist - ganz auf den Abbiegevorgang zu verzichten, hat der Senat bereits entschieden (Senat, a.a.O.; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Auflage 2014, § 2 StVO Rdn 115) und hält hieran fest. Diese Pflicht wird von der Berufung im Übrigen auch nicht in Zweifel gezogen.

Denknotwendige Voraussetzung für die Einhaltung dieser Pflicht des § 2 Abs. 3 StVO ist dabei die Aufgabe jedes Verkehrsteilnehmers, vor einem etwaigen Anhalten auf den Gleisen einer Schienenbahn sorgfältig den rückwärtigen Straßenraum im Auge zu behalten und sich zu vergewissern, dass sich - auch in der Ferne - keine Schienenbahn nähert (Geigel, a.a.O., Kapitel 27 Rdn 76), andernfalls das Blockieren der Gleise zu unterlassen.

bb.

Diese gewissenhafte Rückschau hatte der Geschäftsführer der Klägerin entweder ganz unterlassen oder nicht gewissenhaft genug ausgeführt, da ihm das Herannahen der Straßenbahn andernfalls aufgefallen wäre. Oder aber er hatte die Straßenbahn sogar gesehen, sich aber trotz dessen in Verkennung der Rechtslage zum Halten auf den Gleisen berechtigt gewähnt.

Hiervon ist der Senat nach der Beweisaufnahme überzeugt:

(1)

Zwar hat der Geschäftsführer der Klägerin im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zu Protokoll gegeben: "Als ich anhielt, [...] befand sich die Straßenbahn noch nicht hinter mir." (Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 09.01.2015, dort Seite 4, Bl. 92 GA), was er auch anlässlich des Verhandlungstermins im zweiten Rechtszug am 09.02.2016 wiederholte.

Dies traf jedoch nicht zu.

Der Senat kann auf Grund der weiteren Erklärungen des Geschäftsführers der Klägerin feststellen, dass die Straßenbahn bereits in Sichtweite gewesen sein muss. Denn der Geschäftsführer hatte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung selbst angegeben, dass sich der Unfall nur ganz kurze Zeit nach dem Anhalten des VW Transporters ereignet hatte.

Vor dem Landgericht hatte er im Termin vom 09.01.2015 präzisiert: "Ich habe fünf bis sechs Sekunden gestanden, bis es knallte." (Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 09.01.2015, dort Seite 4, Bl. 92 GA). Dass er bei einer nur so kurzen Zeitspanne die Straßenbahn hätte sehen müssen, war ihm damals offenbar selbst aufgefallen, weshalb er in seiner weiteren persönlichen Anhörung zu erklären versuchte: "Die Straßenbahn muss mit beachtlicher Geschwindigkeit herangenaht sein." (Protokoll vom 09.01.2015, a.a.O.). Im Verhandlungstermin vor dem Senat am 09.02.2016 hat der Geschäftsführer den Sachverhalt nunmehr deutlich anders geschildert und erklärt, es habe doppelt so lange bis zur Kollision gedauert, nämlich "10 Sekunden". Doch auch wenn man eine Zeitspanne von 10 Sekunden als richtig unterstellte, hätte er die Straßenbahn in der Entfernung bereits heranfahren sehen müssen, wenn er denn damals gewissenhaft hiernach Ausschau gehalten hätte. Denn die B-Straße führt vom Unfallort (auf der Höhe des Hauses Nr. ...) in der Richtung, aus welcher die Straßenbahn kam, über mehrere hundert Meter ohne jede Verschwenkung ausschließlich geradeaus. Binnen so weniger Sekunden hätte die Bahn aber nur eine deutlich kürzere Strecke zurücklegen können. Darüber hinaus war die Straßenbahn schon wegen ihrer Größe schwerlich zu übersehen.

(2)

Da der Senat schon nach den Erklärungen des Geschäftsführers der Klägerin den Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO feststellen kann, ist eine weitere Würdigung der Beweisergebnisse an sich nicht mehr erforderlich. Es muss daher nicht aufgeklärt werden, ob die Straßenbahn eventuell nicht nur in Sichtweite, sondern sogar verhältnismäßig dicht hinter dem Fahrzeug der Klägerin herfuhr.

Letzteres liegt allerdings nahe auf Grund der Aussage des Zeugen Z2 (Sitzungsprotokoll vom 21.02.2014, dort Seite 2, Bl. 68 GA). Dieser hat bekundet, dass der Abstand nur "etwa 20-25 m" betragen habe. Sicherlich sind Entfernungsschätzungen von Zeugen mit Vorbehalt anzunehmen. Jedoch war der Zeuge Z2 zum einen als Strecken-Einweiser für jüngere Straßenbahn-Fahrer tätig, dürfte mithin eine gewisse Berufserfahrung im Straßenverkehr aufgewiesen haben, und hatte zusätzlich noch recht plausibel darauf aufmerksam gemacht, "dass ich früher Handwerker war und Maße einigermaßen abschätzen kann." (a.a.a.O., Seite 3, Bl. 69 GA). Doch kam es hier im Rahmen der Beweiswürdigung ohnehin nicht auf die exakte Meterzahl, sondern nur darauf an, ob der Geschäftsführer der Klägerin die Straßenbahn hätte sehen können. Daran hat der Zeuge Z2 auf jeden Fall keinen Zweifel gelassen. Diese Aussage des Zeugen Z2 passt auch zu den diesbezüglichen Entfernungsangaben, welche die Beklagte zu 2) im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung abgegeben hatte (Sitzungsprotokoll vom 21.02.2014, dort Seite 1, Bl. 67 GA).

cc.

Doch selbst wenn der Geschäftsführer der Klägerin die Straßenbahn nicht hätte sehen können, als er seinen Wagen auf den Schienen anhielt, fiele ihm der Verstoß gegen § 2 Abs. 3 StVO zur Last. Denn seine Pflicht beschränkte sich nicht darauf, im Moment des Anhaltens auf den Gleisen nach der Straßenbahn Ausschau zu halten. Er war darüber hinaus verpflichtet, den rückwärtigen Verkehrsraum im Auge zu behalten, solange er die Gleise blockierte. Es war ihm auch zumutbar, bei der Annäherung einer Bahn die Schienen freizumachen. Daran ändert der Umstand nichts, dass er sich durch die bereits nach rechts eingeschlagenen Vorderräder des VW Transporters das Freimachen der Gleise selbst erschwert hatte. Denn er musste sein Fahrzeug von vornherein so positionieren, dass er bei einer herannahenden Straßenbahn rechtzeitig die Gleise räumen konnte.

c.

Der Geschäftsführer der Klägerin hatte zudem gegen die Pflichten der § 9 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 StVO verstoßen.

Nach § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO muss derjenige, der abbiegen will, Schienenfahrzeuge durchfahren lassen, welche in die gleiche Richtung wie er selbst fahren. Wenn dabei in ein Grundstück abgebogen werden soll, bedarf es nach § 9 Abs. 5 StVO zudem der äußersten Vorsicht und Sorgfalt (KG NZV 2007, 408; Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO Rdn 52), mit welcher eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden muss.

Hiergegen hatte der Geschäftsführer der Klägerin verstoßen (siehe bereits oben): Solange das von ihm beabsichtigte Abbiegen nicht möglich war, hätte er auf den Verkehrsraum hinter sich achten müssen und dann angesichts der sich nähernden Straßenbahn auf seinen Abbiegevorgang verzichten und weiterfahren müssen. Sein fortgesetztes Blockieren der Schienen führte nämlich notwendig zu einer Behinderung der Straßenbahn und damit auch - wie hier erwiesen - zu deren Gefährdung (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 18.04.1994, 6 U 243/93, abgedruckt in: OLGR Hamm 1994, 183).

2.

Hinsichtlich der Verursachungsbeiträge der Beklagtenseite gilt Folgendes:

a.

In erster Linie ist hier die hohe Betriebsgefahr der Straßenbahn berücksichtigt. In der Regel ist nämlich die von einer Straßenbahn ausgehende Betriebsgefahr gegenüber derjenigen eines Pkw messbar erhöht, da die Straßenbahn an Schienen gebunden, mithin unbeweglicher ist und durch das wesentlich höhere Gewicht vor allem einen längeren Bremsweg hat (Senat, Urteil vom 14.10.1991, I-1 U 280/90, abgedruckt in: NZV 1992, 190; OLG Brandenburg NZV 2009, 497; KG NZV 2005, 416; OLG Celle SP 2006, 272; Geigel, a.a.O., Kapital 26, Rdn 50; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, § 2 StVO Rdn 113), was sich auch im vorliegenden Fall ausgewirkt hatte.

Diese Betriebsgefahr erhöhte sich noch dadurch, dass die Bremsen der Straßenbahn damals zunächst nicht richtig griffen. Dies hat der Zeuge Z2 zur Überzeugung des Senates bekundet: "Sie [die Beklagte zu 2)] unternahm zunächst eine normale Bremsung. Als bemerkbar wurde, dass die Straßenbahn rutschte, unternahm sie eine Notbremsung." (Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 21.02.2014, dort Seite 2, Bl. 68 GA). Die Aussage ist in dieser Hinsicht auch glaubhaft: Der Zeuge war in seiner Eigenschaft als Straßenbahnfahrer in der Lage, das Bremsverhalten der Bahn zutreffend zu erkennen und einzuordnen. Zudem belastet dieser Aussageteil tendenziell die Beklagtenseite, was ebenfalls für eine um Neutralität bemühte Aussage des (insoweit sachverständigen) Zeugen spricht.

b.

Ob darüber hinaus ein Verstoß der Beklagten zu 2) gegen die Vorschriften der § 1 Abs. 2 StVO sowie § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO vorgelegen hat (wofür manches sprechen mag), muss der Senat nicht abschließend entscheiden.

3.

Denn auch wenn man solche Verstöße unterstellte, wäre nach der Abwägung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles die Haftungsquote der Beklagten zu 1) jedenfalls nicht größer ist, als es den von ihr bereits regulierten 70% der Unfallschäden entspräche. Durch die mehrfachen Verkehrsverstöße des Geschäftsführers der Klägerin verbietet sich eine vollständige Haftung der Beklagten. Insbesondere der Verstoß gegen die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO wiegt besonders schwer, da hierdurch von dem Verkehrsteilnehmer äußerste Sorgfaltspflichten verlangt werden (Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO Rdn 52).

E.

Die Beklagte zu 2) haftet (nach der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 823 BGB) jedenfalls nicht weitergehender als die Beklagte zu 1). Es kann auf die obigen Ausführungen zur Haftungsquote Bezug genommen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO: Die Kosten des gesamten Rechtsstreites fallen grundsätzlich der unterliegenden Klägerin zu Last.

Soweit allerdings das Landgericht im Verfahren erster Instanz die Kosten der Teil-Erledigungserklärung gemäß § 91a ZPO der Beklagten zu 1) auferlegt hatte, bleibt diese - nicht von der Berufung angegriffene und wegen verspäteter Zahlung der Beklagten auch in der Sache nachvollziehbare - Teilentscheidung bestehen. Dies betraf einen Umfang von 38%. Dieser Prozentsatz ergibt sich aus dem Urteil des Landgerichtes: "Die Beklagte zu 1) hat diese Kosten anteilig zu tragen [...]" (Seite 7 des Urteils, Bl. 109 GA). "Anteilig" bedeutete hier die ins Verhältnis zueinander gesetzten Beträge von Teilerledigungserklärung (6.937,96 Euro) zum insgesamt eingeklagten Betrag (11.261,58 Euro + 6.937,96 Euro = 18.199,54 Euro).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben ist.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.874,81 Euro.

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