OLG Hamm, Beschluss vom 19.04.2016 - 9 U 205/15
Fundstelle
openJur 2019, 21947
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen, von denen abzuweichen das Berufungsvorbringen keinen Anlass gibt. Die Berufungsbegründung veranlasst lediglich zu den nachstehenden Ausführungen.

Die Klägerin selbst hat ihre Ansprüche nicht damit begründet, sie sei aufgrund eines Fahrfehlers des Beklagten zu 1) mitgerissen und zu Fall gekommen. Allein ausgewirkt habe sich, dass der Beklagte zu 1) mit nicht verkehrstüchtigen Inlinern gefahren sei, und ihm dies bei einer gehörigen Kontrolle hätte auffallen müssen.

Dass, und aufgrund welcher Tatsachen, die von dem Beklagten zu 1) benutzten Inliner nicht verkehrstüchtig gewesen seien, und dass dem Beklagten zu 1) als Laien dieser verkehrsuntüchtige Zustand bei einer Überprüfung hätte auffallen müssen, ist von der Klägerin darzulegen und zu beweisen. Die Klagebegründung kann die Klägerin mangels konkreter Tatsachenkenntnis nur auf die von ihr geäußerte Vermutung stützen, die Bremsklötze der von dem Beklagten zu 1) benutzten Inliner seien wegen Überalterung porös gewesen, so dass sie der mit der Bremsprobe einhergehenden Belastung nicht standgehalten und gebrochen seien. Den Beweis dieser Tatsachenbehauptung kann die Klägerin - mangels zur Verfügung stehender Zeugen - durch ein insoweit allein zur Beweisführung geeignetes Sachverständigengutachten nicht erbringen, weil der Beklagte zu 1) die Inliner ca. 5 bis 6 Wochen nach dem Unfall entsorgt hat und sie daher für eine Begutachtung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Die der Klägerin obliegende Beweisführung ist weder nach einem ihr günstigeren Maßstab zu beurteilen, noch greift gar eine vollständige Beweislastumkehr ein mit der Folge, dass es dem Beklagten zu 1) obliegt, den verkehrstauglichen Zustand der Inliner oder die Nichterkennbarkeit eines den Betrieb ausschließenden Mangels zu beweisen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt in Anwendung des Rechtsgedankens aus §§ 427, 441 Abs. 3 Satz 3, 444, 446, 453 Abs. 2, 454 Abs. 1 ZPO und § 242 BGB eine Beweisvereitelung vor, wenn eine Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Dies kann vorprozessual oder während des Prozesses durch gezielte oder fahrlässige Handlungen geschehen, mit denen bereits vorhandene Beweismittel vernichtet oder vorenthalten werden. Das Verschulden muss sich dabei sowohl auf die Zerstörung oder Entziehung des Beweisobjekts als auch auf die Beseitigung seiner Beweisfunktion beziehen, also darauf, die Beweislage des Gegners in einem gegenwärtigen oder künftigen Prozess nachteilig zu beeinflussen. Als Folge der Beweisvereitelung kommen in solchen Fällen Beweiserleichterungen in Betracht, die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können (vgl. BGH U.v. 23.11.2005, - VIII ZR 43/05 -, OLG Hamm, U.v. 26.01.2015, - 2 U 86/14 -, juris).

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen, die zur Annahme einer Beweisvereitelung berechtigten, hat das Landgericht mit sorgfältiger Begründung verneint. Es fehlt in jedem Fall daran, dass sich nicht feststellen lässt, dass der Beklagte zu 1) die Inliner zumindest fahrlässig in Verkennung ihrer Eigenschaft als der Klägerin günstiges Beweismittel im Sinne eines Augenscheinsobjekts ca. 5 bis 6 Wochen nach dem Unfall entsorgt hat.

Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt der Beklagte zu 1) von der Klägerin selbst bzw. deren Ehemann darauf angesprochen worden ist, dass dieser seinen Haftpflichtversicherer informieren solle, ob dies also, wie die Klägerin behauptet, noch in derselben Woche durch deren Ehemann anlässlich eines Handballspiels erfolgt ist, oder ob, wie es der Beklagte zu 1) vorträgt, die Klägerin den Beklagten zu 1) erst Ende September/Anfang Oktober telefonisch nach Empfehlung ihres Versicherers um Einschaltung des Haftpflichtversicherers gebeten hat. Ob zu diesem letztgenannten Zeitpunkt der Beklagte zu 1) die Inliner bereits in den Müll gegeben hatte, lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen. In diesem Zusammenhang ergibt sich jedenfalls aus den Akten, dass der hinter dem Beklagten zu 1) stehende Haftpflichtversicherer mit Schreiben v. 04.10.2013 bereits Ansprüche der Klägerin zurückgewiesen hat.

Von einer Beweisvereitelung kann nur gesprochen werden, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet, vorenthält oder ihre Benutzung erschwert. Deshalb ist eine Beweisvereitelung nicht anzunehmen, wenn es der beweisbelasteten Partei möglich gewesen wäre, den Beweis - etwa im Wege eines selbstständigen Beweisverfahrens - zu sichern (BGH, U. v. 11.06.2015 - I ZR 226/13 -, Rn. 44, juris).

Es kann daher dahin gestellt bleiben, ob der Beklagte zu 1) allein nach der von der Klägerin behaupteten, noch im August 2013 erfolgten Aufforderung ihres Ehemannes, den Haftpflichtversicherer zu benennen, ohne weitere Einzelheiten anzusprechen, eigene Überlegungen hätte anstellen müssen, aus welchen Gründen er der Klägerin schadensersatzpflichtig geworden sein könnte, und er daher in Betracht hätte ziehen müssen, dass es auf den Zustand der von ihm benutzten Inliner aus Beweisgründen im Interesse der Klägerin ankommen könnte. Offensichtlich hat die Klägerin zunächst selbst nicht daran gedacht, dass es auf den Zustand der Inliner zur Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche zu Beweiszwecken ankommen könnte. Entsprechende Überlegungen aber bei dem Beklagten zu 1) als selbstverständlich vorauszusetzen, ginge zu weit. Vorliegend hatte die Klägerin zudem bis ca. Ende September 2013 Gelegenheit, mit den ihr zustehenden Mitteln, so z. B. durch Aufforderung an den Beklagten zu 1), die Inliner nicht zu entsorgen, oder aber durch Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens den Zustand der Inliner durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen feststellen zu lassen. Dass die Klägerin, zunächst nicht anwaltlich beraten, möglicherweise von den Möglichkeiten der Beweissicherung nicht gewusst hat, entlastet sie nicht. Angesichts der bereits absehbaren schweren Folgen des Sturzes hätte sie sich frühzeitig um Rechtsbeistand bemühen können. Aber auch nach Einschaltung der jetzigen Prozessbevollmächtigten, die sich mit Schreiben vom 23.10.2013 bei dem Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1) gemeldet haben, ist die Bedeutung der Sicherung des Beweismittels nicht in den Fokus geraten, wenn auch zu diesem Zeitpunkt ein selbstständiges Beweisverfahren zu spät gekommen wäre.

Die Klägerin kann sich auch nicht zur Beweiserleichterung auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises stützen.

Nach dem Beweise des ersten Anscheins kann zwar dann, wenn der Geschädigte einer Gefahr ausgesetzt war, die typischerweise den von ihm erlittenen Schaden herbeizuführen geeignet ist, angenommen werden, dass diese Gefahr tatsächlich den Schaden herbeigeführt hat. Bestehen aber für die Entstehung des Schadens mehrere Möglichkeiten, von denen nur eine die Haftung des in Anspruch Genommenen begründet, dann kann nicht der Beweis des ersten Anscheins dazu führen, die eine oder die andere Möglichkeit als die tatsächlich eingetretene anzusehen. Die danach geforderte Typizität des zugrunde liegenden Geschehens, die die Anwendung des Anscheinsbeweises rechtfertigt, kann vorliegend nicht festgestellt werden. Es steht nicht fest, dass es erfahrungsgemäß nur einen Grund, nämlich die Porosität eines Bremsklotzes infolge Materialermüdung, für das Abbrechen eines Bremsklotzes unter Belastung geben kann. Keines Falles steht nach Anscheinsbeweisgrundsätzen infolge einer Typizität des Geschehens fest, dass eine solche Materialermüdung von dem Laien auch nach intensiver Inaugenscheinnahme entdeckt werden kann.

Auch eine Inanspruchnahme der Beklagten zu 2) scheitert aus den vom Landgericht aufgezeigten Gründen.

Zu Unrecht wirft die Klägerin der Beklagten zu 2) vor, diese hätte das Bremsmanöver wegen der mangelnden fahrerischen Fertigkeiten des Beklagten zu 1) nicht zulassen dürfen. Ob man die Klägerin nach 15 Jahren Fahrpraxis und den Beklagten zu 1) nach 4 Jahren Fahrpraxis überhaupt noch als Anfänger bezeichnen kann, erscheint mehr als fraglich. Im Ergebnis hat sich das von der Klägerin aufgezeigte Risiko allerdings auch nach eigenem Vortrag nicht ausgewirkt. Denn ursächlich für den Sturz war das Brechen des Bremsklotzes.

Die Klägerin dehnt die Pflichten der Beklagten zu 2) als Kursleiterin einer 90-minütigen Übungseinheit für Erwachsene im Anfängerbereich über Gebühr aus. Auch nach Auffassung des Senats durfte sich die Beklagte zu 2) auf die Überprüfung beschränken, dass die bekannten Sicherheitsmaßnahmen (Anlegung von Gelenkschutz an Handgelenk, Knie und Ellenbogen) beachtet worden sind. Über die ausreichende Stärke der Bremsklötze konnte sich die Klägerin durch einen Blick überzeugen, ohne das jeweilige Inliner Paar intensiv in Augenschein nehmen zu müssen. Ob die Inliner ausreichend Halt gaben, musste jeder Erwachsene selbst beurteilen. Solcherlei Ursachen haben sich bei der Entstehung des Unfalls auch nicht ausgewirkt.

Ungeachtet dessen, kann die Klägerin aus den oben genannten Gründen nicht beweisen, dass die Inliner des Beklagten zu 1) wegen poröser Bremsklötze nicht mehr verkehrstauglich waren, und dies der Beklagten zu 2) bei einer visuellen Prüfung hätte auffallen müssen. Ob die Beklagte zu 2) daher zu Beginn des Kurses Äußerungen des Beklagten zu 1) oder anderer Kursteilnehmer aufgefangen hat, dass die Inliner des Beklagten zu 1) schon alt gewesen seien, ist kein Anhalt, die Bremsklötze der Inliner des Beklagten zu 1) über eine visuelle Prüfung hinaus kritisch auf Porosität hin zu überprüfen.

In gleicher Weise überspannt die Klägerin die an die Beklagte zu 2) als Kursleiterin gestellten Anforderungen, diese hätte stets so nah bei dem Gespann aus Klägerin und Beklagten zu 1) sein müssen, dass sie jederzeit hätte eingreifen können, um einen Sturz der Klägerin zu verhindern. Die Klägerin hat schon nicht bewiesen, dass die Angaben der Beklagten zu 2) im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO, sie sei in einem seitlichen Abstand von ca. einem Meter neben dem Übungspaar hergefahren, unzutreffend ist, und ein solcher Seitenabstand zu groß ist. Denn die benannten Zeuginnen C und W konnten keine Angaben hierzu machen. Wohl aber hat die Zeugin C ausgesagt, der Vorfall habe sich so schnell ereignet, dass sie - an Stelle der Beklagten zu 2) - nicht hätte eingreifen können. Das ist ohne weiteres nachvollziehbar, weil die Beklagte zu 2) den Bruch des Bremsklotzes erst wahrnehmen und dann nach Ablauf der Reaktionszeit noch unfallvermeidend hätte eingreifen müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 2) einen Mindestabstand einhalten musste, um das Trainingspaar nicht zu behindern oder zu gefährden. Auf welche Art und Weise die Beklagte zu 2) die Klägerin mit einem Gewicht von 86 kg und den Beklagten zu 1) mit einem Gewicht von 104 kg hätte auffangen sollen, ohne sich selbst dabei einer nicht zu vernachlässigenden Gefährdung auszusetzen, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin sich letztlich freiwillig zur Durchführung der Übung mit dem Beklagten zu 1) bereit erklärt hat. Dass der Inlinersport, ebenso wie der Eiskunstlauf- oder der Rollschuhsport die naheliegende Gefahr von Stürzen mit sich bringt, zu deren Abwehr schließlich gegebenenfalls Schutzkleidung getragen werden kann, ist allgemein, insbesondere den Ausübenden dieser Sportarten bekannt. Sofern die Beklagte zu 2) die Förderung des Entschlusses zum selbstgefährdenden Tun und die aktive Teilnahme an der Übung bei der Klägerin gefördert haben sollte, so fehlt es jedenfalls an dem für eine Haftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Dass die Beklagte zu 2) durch Inanspruchnahme einer übergeordneten Rolle als "Experte" o.ä. der Klägerin gegenüber eine Garantenstellung für die gefahrlose Durchführung der Übung übernommen oder durch ihr Verhalten einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung der Klägerin eröffnet hätte (vgl. Senat, B. v. 20.10.2015, - 9 U 142/14 -, juris), ist nicht ersichtlich.

Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senates auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).

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