LG Hagen, Urteil vom 03.07.2015 - 9 O 379/14
Fundstelle
openJur 2019, 21693
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. I-9 U 158/15
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen einer behaupteten Verkehrssicherungspflichtverletzung in Anspruch.

Die Beklagte betreibt in der F-Straße in XXX ein Ladenlokal.

Der Eingangsbereich des Ladenlokals ist überdacht und mit Steinplatten ausgelegt. Auch vor diesem überdachten Eingangsbereich sind Gehwegplatten verlegt, die an die Platten zum überdachten Eingangsbereich angrenzen. Links neben dem Eingangsbereich befindet sich ein Treppenaufgang, der mit einer Betonmauer zu den Gehwegplatten und dem Q abgegrenzt ist. Zwischen dem Ende dieser Betonmauer und einem Betonpfeiler befindet sich ein Durchgang durch welchen man nach links hin den Treppenaufgang und nach rechts hin - hinter dem Betonpfeiler - den Eingang des Ladenlokals erreichen kann. Zwischen den Platten im Eingangsbereich und den Gehwegplatten des Q-Platz besteht eine Kante, die jedenfalls teilweise eine Höhendifferenz aufweist, deren konkretes Maß zwischen den Parteien streitig ist.

Zwischen den Parteien ist ebenfalls streitig, ob der Kläger unter Benutzung dieses Durchgangs das Ladenlokal betreten wollte und aufgrund der Höhendifferenz zu Fall gekommen ist und sich hierbei verletzt hat.

Das Universitätsklinikum Bergmannsheil führt in einem Schreiben vom 27.05.2013 an den den Kläger behandelnden Arzt aus, dass dieser in der Zeit vom 22.05.2013 bis zum 28.05.2013 dort stationär aufgenommen worden sei. Als Diagnose sei eine Oberarmschaftfraktur links mit Humeruskopfluxation gestellt worden. Zur Therapie wird ausgeführt, dass am 23.05.2013 eine Plattenosteosynthese linker Oberarm sowie eine osteosynthetische Schraubenversorgung des Glenoids und eine Neurolyse des Nervus radialis stattgefunden habe. Unter dem Stichwort "Anamnese" wird sodann weiter ausgeführt, dass der Patient am 22.05.2013 auf dem Q bei Netto gestolpert und daraufhin gestürzt sei, wobei er sich die oben angegebene Verletzung zugezogen habe. Die Erstversorgung sei im evangelischen L gGmbH, Hagen erfolgt. Nach nativradiologischer Sicherung der oben angegebenen Frakturen sei die Verlegung in die Klinik Bergmannsheil zur weiteren Versorgung erfolgt.

Als Aufnahmebefund wird sodann angegeben, dass der linke Oberarm in einer Kammerschiene ruhig gestellt sei bei Schwellung und Druckschmerz im Bereich des Oberarschaftes links. Bei nativgesicherter Fraktur erfolge die stationäre Aufnahme zur operativen Versorgung. Der postoperative Verlauf habe sich komplikationslos gestaltet. Für 6 Wochen sei das Bewegungsausmaß eingeschränkt.

Der Kläger behauptet, er habe das Ladenlokal links von der zum Q gelegenen Betonsäule betreten wollen. Er sei an einer Kante zwischen den Plattensteinen, die in ihrem Verlauf einen Höhenunterschied zu den Platten von 1,8-3 cm aufweise, ins Straucheln gekommen und mit der linken Körperseite vor die dort befindliche Hauswand gestoßen.

Die Platten wiesen die gleiche Farbgestaltung auf. Eine optische Abgrenzung liege zwar vor, da die Fläche im Eingangsbereich aber dunkler sei, sei die Kante hierdurch schlecht zu sehen und keinesfalls bestens zu erkennen. Sie könne auch nicht mit einem beiläufigen Blick bemerkt werden.

Ein Mitverschulden sei ihm nicht zuzurechnen, er sei kein Anwohner und habe die Unfallörtlichkeit als Ortsunkundiger erstmalig aufgesucht.

Aufgrund des Sturzes habe er eine Oberarmschaftfraktur links mit Humeruskopfluxation erlitten. Die Erstversorgung sei im evangelischen L GmbH erfolgt, er sei dann in das Universitätsklinikum Bergmanns Heil nach Bochum verlegt worden, wo

eine Platten-Osteosynthese des linken Oberarmes sowie eine osteosynthetische Schraubenversorgung des Genozids und eine Neurolyse des Nervus radialis durchgeführt worden. Er habe sich in der Zeit vom 22.05.2013 bis zum 28.05.2013 stationär in dem Universitätsklinikum aufgehalten.; Er sei bis einschließlich September 2014 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen.

Der Kläger beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus dem Vorfall vom 22.05.2013 zu zahlen und dieses ab dem 19.11.2013 mit 5%-Punkten über den Basiszinssatz für verzinslich zu erklären.

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche Folgeschäden des Klägers aus dem Ereignis vom 22.05.2013 zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, der Feststellungsantrag sei unzulässig und unbegründet, weil nach Ablauf von fast 2 Jahren davon auszugehen sei, dass die Verletzung des Klägers zwischenzeitlich verheilt sei.

Sie bestreitet das gesamte Vorbringen des Klägers zu dem behaupteten Unfall mit Nichtwissen und widerspricht einer Parteivernehmung des Klägers.

Die Platten, die im unmittelbaren Eingangsbereich des Ladenlokals verlegt seien, hätten eine dunkelgraue Farbe und würden sich von den hellgrauen Platten, die in dem anderen Bereich verlegt sein, abgrenzen. Zwischen den Gehwegplatten im Eingangsbereich und den übrigen angrenzenden Platten verlaufe eine leicht abschüssige Kante, die auf der gesamten Breite der in Rede stehenden Verkaufsstelle verlaufe. Es handele sich nicht um scharfkantige Niveauunterschiede, vielmehr liege eine nur geringfügige Absenkung von weniger als 2 cm an der Stelle des größten Niveauunterschiedes vor. Die Kante sei aufgrund der unterschiedlichen Platten verarmen bereits aus der Entfernung bestens zu erkennen. Dies gelte auch für den Fall, dass sich der Kläger zwischen der Treppe und der dort vorhandenen Säule genähert habe.

Der Kläger müsse sich jedenfalls ein Mitverschulden anrechnen lassen, welches seinen Anspruch ausschließe. Er habe die Verkaufsstelle bereits häufig aufgesucht, er habe die örtlichen Gegebenheiten mit dem Niveauunterschied gekannt. Ein Überschreiten des höheren Versatzes sei für einen erwachsenen Menschen problemlos möglich gewesen

Falls der Kläger tatsächlich gestürzt sei, so sei er gedankenverloren gestolpert. Die Folgen habe er dann aber ausschließlich allein zu tragen.

Die Schmerzensgeldvorstellung des Klägers sei deutlich überhöht. Der Eingriff sei komplikationslos verlaufen. Gleiches gelte für den postoperativen Verlauf. Die Wohnverhältnisse hätten sich postoperativ reizlos gezeigt, so dass eine konservative Behandlung durch Einnahme von Schmerzmedikation erfolgen konnte.

Irgendein Dauerschaden sei bei dem Kläger nicht ersichtlich. Es seien auch keine weiteren operativen Eingriffe erfolgt.

Ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von allenfalls 5.000,00 EUR erscheine auch bei einer vollen Haftung angemessen und ausreichend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die überreichten Schriftsätze und die zu den Akten gelangten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage ist zulässig.

Der Feststellungsantrag ist zulässig. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist hier gegeben, Das Feststellungsverlangen ist bereits dann zulässig, wenn die bloße Möglichkeit von Zukunftsschäden besteht (vgl. nur BGH, NJW 1998, 160; BGH, NJW-RR 2007, 601). Diese Möglichkeit ist hier gegeben, weil der Kläger - wovon das Gericht aufgrund seiner persönlichen Anhörung und der Vorlage des Schreibens des Klinikums Bergmannsheil sicher überzeugt ist, eine Oberarmschaftfraktur erlitten hat, bei welcher etwa in Form einer später auftretenden Arthrose immer die Möglichkeit von Folgeschäden besteht.

II.

Die Klage ist aber nicht begründet.

1.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB auf Zahlung eines Schmerzensgeldes.

Die ohne Zweifel aufgrund eines Sturzes bei dem Kläger eingetretene Körperverletzung ist nicht durch ein Unterlassen der Beklagten verursacht worden. Diese hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein optimaler Straßenverlauf und der bestmögliche Zustand eines Weges oder einer der Allgemeinheit zugänglichen Verkehrsfläche von dem Verkehrssicherungspflichtigen gerade nicht geschuldet ist. Vielmehr muss der Benutzer die Verkehrsfläche so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet und sein Verhalten den gegebenen Verhältnissen anpassen (vgl. BGH vom 27. 10. 2005 - III ZR 176/04 - VersR 2005, 660). Der Verkehrssicherungspflichtige hat nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, für die ein echtes Sicherungsbedürfnis besteht und die im Rahmen der berechtigten Sicherheitserwartungen des in Betracht kommenden Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren von den Verkehrsteilnehmern abzuwehren. Die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht dürfen dabei nicht überspannt werden. Denn im praktischen Leben kann und muss nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (BGH vom 6. 2. 2007 - VI ZR 274/05 - VersR 2007, 659 = NJW 2007, 1683).

Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes war der von dem Kläger behauptete Höhenunterschied von maximal 3 cm, der nur in einem kurzen Bereich des Durchgangs vorlag, nicht geeignet, ein Sicherungsbedürfnis hervorzurufen. Zwar geht die Rechtsprechung häufig davon aus, dass ab einer Höhendifferenz von 2,5 cm eine Verkehrssicherungspflicht ausgelöst wird. Hier bestand aber nur eine geringfügige Überschreitung dieser Höhendifferenz und dies auch nur in einem "kleinen" Stück der Kante. Darüber hinaus wertet das Gericht gerade den engen Durchgang zwischen der Mauer, die die Treppe abgrenzt und der Betonsäule als "Warnung" an den Benutzer sich besonders umsichtig zu verhalten.

Letztlich kann dies aber dahin gestellt bleiben, da zur sicheren Überzeugung des Gerichts nicht feststeht, dass der Kläger gerade aufgrund der Höhendifferenz von maximal 3 cm am Rand der "Kante" gestürzt ist. Aus der persönlichen Anhörung des Klägers folgt zwar ohne Zweifel, dass der Kläger gestürzt ist und sich hierbei verletzt hat. Es ist aber nicht sicher davon auszugehen, dass die Höhe der Kante gerade im äußerst rechten Bereich des Durchgangs - gesehen in Richtung auf das Gebäude - Ursache des Stolperns und des Sturzes war. Der Kläger hat - als er im Zusammenhang berichtet hat - nicht konkret angegeben, woran er mit dem Fuß hängengeblieben ist. Es bleibt sogar möglich, dass es gar nicht die streitgegenständliche Kante war, an der er hängengeblieben ist. Erst recht bleibt möglich, dass er nicht in dem Bereich der Kante "hängengeblieben" ist, wo der Höhenunterschied mehr als 2,5 cm betrug. Erst nach Vorhalt eines Fotos und auf weiteren Vorhalt hat der Kläger angegeben, dass er am Ende der Mauer (gemeint ist die Mauer, die die Treppe abgrenzt) hängengeblieben und gestolpert ist. Es verbleiben unter diesen Umständen Zweifel, ob dies tatsächlich der Ort gewesen ist, an dem das Stolpern verursacht wurde.

2.

Der Feststellungsantrag ist dann mangels Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz ebenfalls unbegründet.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

IV.

Der Streitwert wird auf 8.500,00 EUR festgesetzt und setzt sich aus dem Wert des Schmerzensgeldantrages von 7.500,00 EUR und dem geschätzten Wert des Feststellungsantrages von 1.000,00 EUR zusammen.

O2

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