LG Düsseldorf, Beschluss vom 20.01.2016 - 8 S 67/15
Fundstelle
openJur 2019, 21038
  • Rkr:
Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. Oktober 2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet und die Voraussetzungen für die im - gebundenen - Ermessen der Kammer stehende Vorgehensweise der Beschlusszurückweisung liegen wie in dem Hinweisbeschluss der Kammer vom 10. Dezember 2015 dargelegt vor. Die von der Beklagten hierzu abgegebene Stellungnahme rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

I.

Die Berufung der Beklagten bietet keine Aussicht auf Erfolg:

- Der Einordnung der Abrede über den Individualbeitrag als allgemeine Geschäftsbedingung steht nicht entgegen, dass die Beklagte verschiedene Darlehensvertragsmodelle anbietet. Die Entscheidung des Kunden für eines dieser Vertragsmodelle (hier die Wahl eines Individualkredits anstelle eines Basiskredits) hat nicht zur Folge, dass die Konditionen des ausgewählten Vertrages nunmehr ausgehandelt wären. Im Übrigen gehen auch die von der Beklagten angeführten Entscheidungen der Landgerichte Aachen, Mainz, Mönchengladbach und Stuttgart nicht vom Vorliegen von Individualvereinbarungen aus.

- Die Frage der Kontrollfähigkeit der Bestimmung über den Individualbeitrag lässt sich auf der Grundlage der von der Kammer angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. die Nachweise bei Landgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17. Juli 2015 - 8 S 20/15, BeckRS 2015, 13203 = BKR 2015, 427 [unter I 1 b bb (1)]) ohne weiteres beantworten. Danach ist § 488 Abs. 1 S. 2 BGB zwar keine zwingende Vorschrift in dem Sinne, dass eine Vereinbarung laufzeitunabhängiger Entgelte in jedem Fall ausgeschlossen wäre; eine Regelung hierzu in Allgemeinen Geschäftsbedingungen muss sich jedoch an § 307 Abs. 2 S. 1 BGB messen lassen, weil § 488 Abs. 1 S. 2 BGB einen leitbildprägenden preisrechtlichen Charakter hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12 [unter II 2 d bb (2)]). Von § 488 Abs. 1 S. 2 BGB abweichende Vertragsgestaltungen sind deshalb unabhängig davon kontrollfähig, ob es sich bei ihnen um Preishauptoder Preisnebenabreden handelt.

Die von der Beklagten entworfene Regelung über den Individualbeitrag weicht von dem gesetzlichen Leitbild ab, weil sie eine laufzeitunabhängig erhobene Entgeltkomponente vorsieht. Die Abweichung liegt nicht darin, dass der Individualbeitrag als Einmalentgelt erhoben wird, denn ein Darlehensgeber ist frei darin, ob er den Zins (ganz oder teilweise) monatlich oder sondern als Einmalbeitrag verlangt. Entscheidend ist, dass der Individualbeitrag von der Beklagten laufzeitunabhängig berechnet wird. In diesem Zusammenhang ist das Wort "berechnen" - ebenso wie in den weiteren, sich ebenfalls mit dem Individualbeitrag der Beklagten befassenden Entscheidungen der Kammer (vgl. Beschluss vom 5. Juni 2015 - 8 T 2/15, BeckRS 2015, 14886; Beschluss vom 17. Juli 2015 - 8 S 20/15, BeckRS 2015, 13203) - jeweils als "in Rechnung stellen" bzw. "vergüten lassen" oder "verlangen" zu verstehen, und nicht in dem - von der Beklagten ihrem Sachvortrag unterlegten - Sinne von "errechnen" oder "ausrechnen". Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist nicht, wie die Beklagte den Individualbeitrag kalkuliert, also ob er bezogen auf die Gesamtlaufzeit des Vertrages errechnet wird, sondern ob er unabhängig davon, wie lange der Vertrag tatsächlich durchgeführt wird, in voller Höhe bei der Beklagten verbleiben soll. Genau dies aber sieht das Klauselwerk der Beklagten vor. Hiernach wird der Individualbeitrag von dem Kunden stets in voller Höhe geschuldet, namentlich auch dann, wenn ihm das Kapital nicht für die gesamte Laufzeit zur Nutzung überlassen, sondern der Vertrag vorzeitig beendet wird.

Anderes ergibt sich nicht aus der von der Beklagten gezogenen Parallele zu einem Disagio. Der pauschale Verweis auf die (angeblich) anerkannte Zulässigkeit eines Disagios lässt außeracht, dass ein Disagio keineswegs schlechthin einen zulässigen laufzeitabhängigen und vorweggezahlten Zins darstellt. Gefestigter Ausgangspunkt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vielmehr, dass ein Disagio je nach Vertragsgestaltung den laufzeitunabhängigen Kosten oder den laufzeitabhängigen Zinsen zugeordnet werden kann, wobei für die Einordnung die Ausgestaltung des Vertrages und die rechtliche Behandlung des Disagios bei vorzeitiger Vertragsbeendigung maßgeblich sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 1990 - XI ZR 231/89, BGHZ 111, 287 = BeckRS 9998, 165243 [unter II 1 a]). Voraussetzung wie Folge der Einordnung eines Disagios als (zulässigem) laufzeitabhängigem Teil des Entgeltes ist, dass es dem Darlehensgeber bei vorzeitigem Vertragsende nur anteilig verbleiben soll, es mithin vom Darlehensnehmer in diesem Fall anteilig zurückverlangt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 1990 - XI ZR 231/89, BGHZ 111, 287 = BeckRS 9998, 165243 [unter II 1 b aa]). Genau diese - von der Beklagten und in der von ihr herangezogenen Vergleichsentscheidung des Landgerichts Mainz (vgl. LG Mainz, Urteil vom 18. November 2015 - 3 S 47/15) nicht in den Blick genommene - Folge aber schließt die von der Beklagten vorgegebene Vertragsgestaltung aus, und zwar - wenn man dies nicht bereits der Bezeichnung "laufzeitunabhängig" entnehmen möchte - jedenfalls in der Bestimmung in Nr. 8 der Kreditbedingungen der Beklagten (der dortige Satz 4 lautet: "Wird der Restsaldo [...] vor [...] Fälligkeit zurückgezahlt, wird der beim Individual-Kredit vereinbarte einmalige laufzeitunabhängige Individualbeitrag nicht zurückvergütet."). Von daher ist der Individualbeitrag gerade nicht mit einem laufzeitunabhängig ausgestalteten (und deshalb zulässigen) Disagio vergleichbar.

- Die durch die Abweichung von dem gesetzlichen Leitbild indizierte unangemessene Benachteiligung des Kunden wird durch die mit einem Individualkredit einhergehenden Vorteile nicht kompensiert. Hierzu hat die Kammer in ihren bereits eingangs genannten Beschlüssen folgendes ausgeführt (vgl. LG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Juni 2015 - 8 T 2/15, BeckRS 2015, 14886 [unter I 1 b cc (2)]; und Beschluss vom 17. Juli 2015 - 8 S 20/15, BeckRS 2015, 13203 [unter I 1 b cc (2)]):

"Die dem Kunden bei Abschluss eines Individual-Kredits gewährten Vorteile gleichen die Benachteiligung nicht aus. Zwar können für sich genommen unangemessene Vertragsklauseln durch vorteilhafte Bestimmungen des Vertrages ausgeglichen werden, doch vermögen auf diese Weise grundsätzlich nur konnexe, in Wechselbeziehung zu der benachteiligenden Bestimmung stehende Klauseln eine unangemessene Benachteiligung des Kunden auszuschließen, nicht hingegen - sofern es sich nicht um ein kollektiv ausgehandeltes anerkanntes Klauselwerk handelt - die Ausgewogenheit der gesamten Vertragsgestaltung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2002 - V ZR 105/02 [unter II 4 b]). Schon weil der Individualbeitrag kein Entgelt für bestimmte Sonderleistungen darstellt, sondern als ein nicht bestimmten Gegenleistungen zugeordneter Bestandteil des Gesamtentgelts im Rahmen einer Mischkalkulation konzipiert ist (und er damit auch Entgelt für die Kapitalüberlassung ist), kommt nach diesen Maßstäben eine Kompensation durch dem Kunden bei einem Individual-Kredit gewährte Vorteile nicht in Betracht. Die von der Beklagten vorgebrachten preiskalkulatorischen Erwägungen sind im Rahmen der Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ohnehin grundsätzlich nicht statthaft, da die Bestimmung des angemessenen Preises nicht durch die Gerichte, sondern durch die am relevanten Markt herrschende Angebots- und Nachfragesituation zu erfolgen hat (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2007 - XII ZR 61/05 [unter I 3 c cc]). Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, liegen mit dem von der Beklagten ihren Kunden außerdem angebotenem Basis-Kredit nicht vor. Schon mangels Zuordnung des Individualbeitrags zu bestimmten Leistungen kann die Sachlage nicht mit derjenigen einer dem Kunden ermöglichten Tarifwahl zwischen Vertragsmodellen, die unterschiedliche Risikotragung mit einer entsprechenden Preisgestaltung verknüpfen (vgl. zur Zulässigkeit des "Preisargumentes" in diesem Zusammenhang BGH, Urteil vom 19. Dezember 2007, a.a.O., sowie Staudinger/Coester, § 307 BGB Rn. 138), verglichen werden."

Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden, hat die Beklagte nach wie vor nicht aufgezeigt. Insbesondere greift der Verweis auf die Auswahlmöglichkeit des Kunden nicht durch. Das Vertragsformular der Beklagten stellt weder im Sinne einer bloßen Ankreuzoption konkrete Alternativen zur Wahl, noch ist die Wahl eines Individualkredits mit der Hinzubuchung eines besonderen Leistungspakets zu vergleichen. Ersteres gilt deshalb, weil die Konditionen eines alternativen Basiskredits auf dem von dem Kunden unterzeichneten Formular nicht ausgewiesen sind. Zweiteres gilt, weil beide Kreditvarianten nach dem Vortrag der Beklagten eigenstände Vertragsmodelle darstellen, deren Konditionen sich insgesamt unterscheiden, und die sich nicht dadurch abgrenzen lassen, dass derselbe Sollzinssatz vereinbart ist und lediglich bei dem Individualkredit der Individualbeitrag hinzukommt (vielmehr sieht der Basiskredit nach dem Vortrag der Beklagten im Vergleich zu einem Individualkredit einen höheren Sollzinssatz vor). Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob die mit einem Individualkredit dem Kunden gewährten Vorteile überhaupt geeignet sein könnten, die indizierte Unangemessenheit der Regelung auszugleichen.

- Es besteht kein Grund dafür, der Beklagten einen - wie auch immer gearteten - Ausgleich für den wegen Unwirksamkeit weggefallenen Individualbeitrags zuzubilligen. Das Risiko der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen und der daraus erwachsenden Folgen weist § 306 BGB grundsätzlich dem Verwender zu (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2008 - VIII ZR 181/07 [unter II 3]). Der Wegfall eines unwirksam vereinbarten Entgeltbestandteils mag die Kalkulation der Beklagten in ein Ungleichgewicht bringen; es stellt jedenfalls in der hier in Rede stehenden Höhe aber noch keine zu einem so gravierenden Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung führende Störung des Vertragsgefüges dar, die das Eingreifen der für den Regelfall vorgehenden Folgen einer Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen untragbar erscheinen ließe.

Die von der Beklagten vertretene Auffassung, aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 1990 - XI ZR 231/89 (BGHZ 111, 287 = BeckRS 9998, 165243) ergebe sich, dass der Individualbeitrag als laufzeitabhängiges Entgelt aufrechtzuerhalten sei, trifft nicht zu. Dem genannten Urteil - in dem lediglich über die Forderung des Kunden auf anteilige Rückzahlung des Disagios für die Zeit nach Beendigung des Darlehens entschieden wurde (vgl. BGH, Urteil vom 29. Mai 1990 - XI ZR 231/89 = BGHZ 111, 287 = BeckRS 9998, 165243) - ist eine Aussage dahingehend, dass lediglich der Begriff "laufzeitunabhänig" zu entfallen habe, die Erhebung der Entgeltkomponente als solche jedoch zulässig bleibe, nicht zu entnehmen.

Die Entgeltvereinbarung in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag kann nicht dahingehend modifiziert werden, dass der Kunde als Entgelt anstelle von nominalem Sollzins und Individualbeitrag nunmehr den effektiven Jahreszins zu zahlen habe. Der effektive Jahreszins ist kein Zins im Rechtssinne, sondern eine bloße, der Transparenz dienende Rechengröße (vgl. BGH, Urteil vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12 [unter B II 2 c bb (1) (b) (aa)]) und kann nicht infolge der teilweisen Unwirksamkeit der von der Beklagten entworfenen Entgeltregelung in den vertraglich vereinbarten Preis für die Kapitalnutzung umfunktioniert werden.

Die Argumentation der Beklagten, sie sei nicht verpflichtet, ihre Leistungen unentgeltlich anzubieten, greift nicht durch. Der Wegfall des Individualbeitrags zieht eine solche Folge nicht nach sich. Der Individualbeitrag ist - nach der Ausgestaltung des Vertrages wie auch nach dem Sachvortrag der Beklagten - nicht (genau) der Teil des Entgeltes, der (ausschließlich) die besonderen Leistungen des Individualkredits vergütet, sondern er ist (lediglich) ein Teil des Gesamtentgeltes für die gesamten Leistungen der Beklagten. Mit anderen Worten geht der Individualbeitrag in dem Gesamtentgelt dergestalt auf, dass das Gesamtentgelt in seiner Gesamtheit alle von der Beklagten geschuldeten Leistungen vergütet, und sich die einzelnen Bestandteile des Gesamtentgeltes nicht einzelnen der von der Beklagten angebotenen Leistungen zuordnen lassen. Dies hat die Beklagte selbst in zahlreichen vor der Kammer anhängigen Verfahren ausführlich dargestellt und hierzu ausgeführt: "Dabei ist der Individualbeitrag nicht der konkrete Preis für die Zusatzleistungen und kann es auch nicht sein [...] Der Individualbeitrag ist vielmehr Teil einer eigenständigen Preisgestaltung; dies zeigt sich nicht zuletzt an dem Umstand, dass der Sollzins eines vergleichbaren Basis-Kredits deutlich höher ist als der des korrespondierenden Individualkredits. [...] Nur am Rande sei vermerkt, dass trotz des unterschiedlichen Preismodells die Gesamtaufwendungen für den Basiskreditkunden und den Individualkreditkunden über die gesamte Laufzeit betrachtet nahezu gleich sind; der effektive Jahreszins unterscheide sich [...] im Durchschnitt nur um ca. 0,2 Prozentpunkte." Diese Wendungen hat die Beklagte wörtlich auch in dem vorliegenden Verfahren verwandt (Klageerwiderung S. 4).

Vor diesem Hintergrund verfängt schließlich die Argumentation der Beklagten nicht, es könne nicht angehen, dass der Kunde nun sämtliche Zusatzleistungen des Individualkredits nach Belieben in Anspruch nehmen könne ohne hierfür eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Der Wegfall eines Teils der Gesamtvergütung hat - wie ausgeführt - nicht zur Folge, dass die Beklagte ihre Leistungen nunmehr umsonst erbringen muss.

II.

Die Voraussetzungen für die im - gebundenen - Ermessen der Kammer stehende Vorgehensweise der Beschlusszurückweisung liegen vor. Die sich nach dem Vortrag der Beklagten abzeichnende Rechtsaufassung des Landgerichts Aachen (5 S 92/15) liefert schon deshalb keinen Revisionszulassungsgrund, weil das Landgericht Aachen noch keine abschließende Entscheidung getroffen, sondern lediglich einen Hinweisbeschluss erlassen hat. Im Übrigen wird zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf den Hinweisbeschluss vom 10. Dezember 2015 Bezug genommen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren: € 885,67.

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