1. Zur Konkurrenz einer für den Asylbewerber negativ wirkenden Bestandskraft/Rechtskraft bei bestehendem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK.
2. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - und nicht die allgemeine Ausländerbehörde - ist Schuldnerin des Abschiebungsschutzanspruchs, (Vorsorge-)Maßnahmen zu treffen, damit eine Abschiebung unter Verstoß gegen das zielstaatbezogene Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK unterlassen wird.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U., M., bewilligt, soweit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprochen wird. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Ausländerbehörde S. unverzüglich mitzuteilen, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, soweit sie sich auf eine Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien richten. Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je die Hälfte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
I. Dem Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Verfahrensbevollmächtigten ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zu entsprechen. Im Übrigen ist der Antrag abzulehnen, weil die Sachanträge insoweit keine auch nur hinreichende Aussicht auf Erfolg haben (§§ 114 ZPO, 166 VwGO).
II. Der in dem zu III. angeführten Antrag enthaltene (Hilfs-)Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Ausländerbehörde S. mitzuteilen, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen, soweit sie sich auf eine Abschiebung nach Bulgarien richten,
hat Erfolg. Der Antragsteller hat gegenüber der Antragsgegnerin einen Anordnungsanspruch auf eine solche Mitteilung glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
Anspruchsgrundlage ist der allgemeine öffentlichrechtliche Unterlassungsanspruch. Der Anspruch setzt voraus, dass dem Betroffenen konkret eine rechtswidrige Beeinträchtigung seiner aus dem öffentlichen Recht folgenden subjektiven Rechte droht. Dies ist hier der Fall.
Der aufgrund des Bescheids vom 30. Juni 2016 drohenden Abschiebung des Antragstellers nach Bulgarien steht ein zielstaatbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK entgegen (vgl. VG Münster, Urteil vom 22. Oktober 2015 - 8 K 436/15.A -, www.nrwe.de, Rn. 30 ff. = juris). Die Bestandskraft des angegriffenen Bescheids des Bundesamts (vgl. dazu unten zu IV.) steht nicht entgegen. Das Bundesamt hat nicht festgestellt, dass wegen Bulgarien keine Abschiebungsverbote bestehen. Es hat überhaupt keine auf Bulgarien bezogene feststellende Regelung getroffen. Für die hier allein zu treffende Entscheidung kann damit offen bleiben, ob eine solche für einen Asylbewerber negative Feststellung, wenn sie erlassen und bestandskräftig geworden wäre, angesichts des Gewichts der Rechtsgüter des Art. 3 EMRK unbeachtlich wäre (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris; Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, juris = InfAuslR 2000, 459).
Die Antragsgegnerin - und nicht die allgemeine Ausländerbehörde - ist Schuldnerin des Anspruchs auf Abschiebungsschutz und damit des Anspruchs, (Vorsorge-)Maßnahmen zu treffen, damit eine unter Verstoß gegen das zielstaatbezogene Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK erfolgende Abschiebung unterlassen wird. Bei der Beendigung des Aufenthalts erfolgloser Asylbewerber ist das Bundesamt für die Prüfung und Feststellung von sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG 2004 zuständig, die sich - wie hier - der Sache nach aus der Unzumutbarkeit des Aufenthalts im Zielland für diesen Ausländer herleiten und damit in Gefahren begründet sind, die im Zielstaat der Abschiebung drohen. Die Ausländerbehörde bleibt zwar für die Durchführung der Abschiebung, in diesem Rahmen aber allein für Entscheidungen über inlandsbezogene und sonstige tatsächlichen Vollstreckungshindernisse zuständig (BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 10 B 39.12 -, www.bverwg.de, Rn. 4 = juris, Rn. 4; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, juris, Rn. 14 a. E. = InfAuslR 2000, 459).
Ein Anordnungsgrund ist gegeben.
III. Der sinngemäße Antrag,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Ausländerbehörde S. mitzuteilen, dass ein Asylverfahren durchgeführt wird und deshalb von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen ist,
bleibt in der Sache ohne Erfolg. Ein solcher Anordnungsanspruch (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) ist nicht glaubhaft gemacht.
Eine Mitteilung, dass ein "Asylverfahren" durchgeführt wird, darf nicht erfolgen, weil kein nationales Asylverfahren durchzuführen ist. Das Bundesamt hat den Asylantrag zu Recht als unzulässig abgelehnt. Dies folgt aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in der seit dem 6. August 2016 geltenden Fassung (§ 77 AsylG). Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies stimmt überein mit Art. 33 Abs. 2 lit. a der Richtlinie 2013/32/EU - Verfahrensrichtlinie - (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. August 2016 - 13 A 83/16.A -, juris, Rn. 27 ff. = www.nrwe.de). Diese Voraussetzung ist gegeben. Die Republik Bulgarien hat dem Antragsteller unter dem 9. Juni 2015 den Flüchtlingsstatus zuerkannt. Dies folgt aus der Mitteilung der bulgarischen Agentur für Flüchtlinge vom 6. April 2016 (Beiakte Bl. 53). Die Mitteilung ist nicht unglaubhaft. Der Antragsteller hat nämlich in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Dies folgt aus der bulgarischen Eurodac-Nummer (vgl. dazu Art. 24 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 1 der Vo (EU) Nr. 603/2013 - Eurodac-Vo -).
IV. Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 3825/16.A anzuordnen, die gegen die in dem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. Juni 2016 u. a. enthaltene Abschiebungsandrohung gerichtet ist,
bleibt ohne Erfolg.
Bei der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat das Gericht eine Abwägung zwischen den privaten Interessen des Antragstellers, während des Klageverfahrens im Bundesgebiet bleiben zu dürfen, und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der für notwendig erachteten Maßnahmen vorzunehmen. Besondere Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu, soweit sie bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung bereits beurteilt werden können. Bei Anwendung dieser Vorgaben fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, weil die Klage keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Klage ist unzulässig.
Der Antragsteller hat mit der am 14. September 2016 erhobenen Klage die Klagefrist versäumt. Gem. § 74 Abs. 1 AsylG muss die Klage gegen Entscheidungen nach dem Asylgesetz innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung erhoben werden; ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen, ist auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben. Diese ausdrückliche Vorgabe des Gesetzgebers für das Asylrecht ist auch unter Berücksichtigung des existentiellen Gehalts der Entscheidungen des Bundesamts nicht verfassungswidrig (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris; Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, juris = InfAuslR 2000, 459).
Der Kläger hat die Klage nicht binnen zwei Wochen nach dem Versuch vom 2. Juli 2016 erhoben, den Bescheid des Bundesamtes vom 30. Juni 2016 zuzustellen (Postzustellungsurkunde Beiakte I Bl. 74). Damit lief die Klagefrist am Montag, den 18. Juli 2016, und damit vor der im September erfolgten Klageerhebung ab.
Der Lauf der Klagefrist begann trotz der Erfolglosigkeit des Zustellversuchs mit dem 2. Juli 2016. Kraft bundesgesetzlicher Anordnung muss ein Ausländer Zustellungen und formlose Mitteilungen unter der letzten Anschrift, die der jeweiligen Stelle auf Grund seines Asylantrags oder seiner Mitteilung bekannt ist, gegen sich gelten lassen, wenn er für das Verfahren weder einen Bevollmächtigten bestellt noch einen Empfangsberechtigten benannt hat oder diesen nicht zugestellt werden kann. Kann die Sendung dem Ausländer nicht zugestellt werden, so gilt die Zustellung mit der Aufgabe zur Post als bewirkt, selbst wenn die Sendung als unzustellbar zurückkommt (§ 10 Abs. 2 Sätze 1 und 3 AsylG). Die Voraussetzungen der Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 2 AsylG sind erfüllt. Der Antragsteller gab mit seinem Asylantrag vom 4. Februar 2016 als Anschrift L.---weg 0 in S. an, unter der der Zustellversuch erfolgte. Er teilte dem Bundesamt nach dem 20. April 2016 nicht seinen Umzug zur H.-----straße mit. Er hatte bis zum 2. Juli 2016 keinen Bevollmächtigten oder Empfangsberechtigten bestellt. Die Obliegenheiten und möglichen Rechtsfolgen aus § 10 Abs. 2 AsylG waren dem Antragsteller auch bekannt. Er wurde über die Obliegenheit, eine Änderung der Anschrift dem Bundesamt selbst dann mitzuteilen, wenn sie von staatlicher Stelle veranlasst werde, und die möglichen Rechtsfolgen schriftlich in arabischer und deutscher Sprache belehrt (§ 10 Abs. 7 AsylG); dies wurde von ihm am 4. Februar 2016 mittels Empfangsbekenntnis bestätigt.
Der Antragsteller kann in die Klagefrist nicht wieder eingesetzt werden. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 60 Abs. 1 VwGO). Diese Voraussetzungen erfüllt der Antragsteller nicht. Er war nicht ohne eigenes Verschulden verhindert, die Klagefrist einzuhalten. Die verspätete Kenntnisnahme des Bescheids war nicht unverschuldet. Obwohl dem Antragsteller bekannt war, dass er dem Bundesamt Anschriftenänderungen mitzuteilen hatte, versäumte er diese Obliegenheit zumindest fahrlässig. Hätte er dem Bundesamt die neue Anschrift in der H.-----straße mitgeteilt, hätte er unverzüglich Kenntnis von dem Bescheid nehmen können; der Bescheid wäre an ihn unter dieser Anschrift versandt worden.
Die gesetzliche Vorgabe des § 60 VwGO, dass wegen der Wiedereinsetzung in eine versäumte Klagefrist (auch) im verwaltungsgerichtlichen Asylverfahren ein Verschulden des Antragstellers für ihn nachteilig zu berücksichtigen ist, ist auch unter Berücksichtigung des existentiellen Gehalts der Entscheidungen des Bundesamts mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. zur Zurechnung selbst des Fremdverschuldens eines Prozessbevollmächtigten BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 - 2 BvL 26/81 -, juris; Beschluss vom 21. Juni 2000 - 2 BvR 1989/97 -, juris = InfAuslR 2000, 459).
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 83b AsylG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).