OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.10.2017 - 8 B 1113/17
Fundstelle
openJur 2019, 20629
  • Rkr:
Tenor

Der Beschluss des Senats vom 30. Juni 2017 - 8 B 548/17 - wird dahingehend abgeändert, dass der Antrag der Antragstellerin, die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage anzuordnen, abgelehnt wird.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auf 15.000,- € festgesetzt.

Gründe

Der nach § 80b Abs. 3, § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gestellte Antrag der Beigeladenen ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Die Beigeladene, die im Einverständnis mit der jetzigen Inhaberin der streitgegenständlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 9. Februar 2015 (in der Fassung der nachträglichen Anordnung vom 9. Mai 2016 sowie der Teilverzichtserklärungen vom 23. August 2017), der A. F. Q. X. S. GmbH & Co. KG, handelt, ist kraft der durch § 173 Satz 1 VwGO i.V.m § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO gesetzlich angeordneten Prozessstandschaft zur Stellung des Abänderungsantrags befugt.

Vgl. zum Bauherrenwechsel während eines gerichtlichen Eilverfahrens OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2015 - 8 B 253/15 -, juris Rn. 7 f., m. w. N.

2. Der Beschluss des Senats vom 30. Juni 2017 - 8 B 548/17 - ist gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO wegen veränderter Umstände zu ändern.

a) Durch die am 25. August 2017 bei dem Antragsgegner eingegangenen Verzichtserklärungen der A. F. Q. X. L. GmbH & Co. KG bzw. der Beigeladenen auf die Genehmigung der im Genehmigungsbescheid als WEA 1 bzw. als WEA 2 bezeichneten Windenergieanlagen hat sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses des Senats vom 30. Juni 2017 - 8 B 548/17 - geändert. Aufgrund dieses Teilverzichts gestattet die streitgegenständliche Genehmigung nur noch die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen. Daher unterliegt das Vorhaben in seinem verringerten Umfang nicht mehr dem Erfordernis einer (standortbezogenen) UVP-Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c Satz 2 i.V.m. Nr. 1.6.3 der Anlage 1 UVPG in der bis einschließlich 15. Mai 2017 geltenden Fassung vom 24. Februar 2010 (BGBl. I S. 94, nachfolgend UVPG a. F.), die gemäß § 74 Abs. 1 UVPG hier noch anwendbar ist.

Gründe für eine Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80b Abs. 2 VwGO sind nach Wegfall des Erfordernisses einer UVP-Vorprüfung gemäß § 3c UVPG a. F. nicht mehr gegeben. Durch den Teilverzicht auf zwei der vier ursprünglich genehmigten Anlagen ist zugunsten der Vorhabenträgerin die Notwendigkeit einer UVP-Vorprüfung entfallen. Die vom Senat im vorgenannten Beschluss beanstandete fehlende Nachvollziehbarkeit der UVP-Vorprüfung wirkt sich nicht mehr auf die Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden Genehmigung aus.

Denn nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats sind bei immissionsschutzrechtlichen Drittanfechtungsklagen nachträgliche Änderungen zu Gunsten des Vorhabenträgers bzw. Anlagenbetreibers zu berücksichtigen.

OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 2017 - 8 A 870/15 -, juris Rn. 54; vgl. zum Baurecht: BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179 = juris Rn. 3 m. w. N.

Die hiergegen gerichteten Einwände der Antragstellerin sind unbegründet. Sie will die nachträgliche Änderung zu Gunsten der Anlagenbetreiberin deshalb nicht berücksichtigt wissen, weil die Genehmigung aus anderen Gründen objektiv rechtswidrig sei, unabhängig davon, ob es sich insoweit um drittschützende Rechte handele; auch in der geänderten Fassung verstoße das Vorhaben gegen natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften (§ 34 Abs. 1 und 2 bzw. § 44 Abs. 1 BNatSchG). Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Anlagenbetreiberin nach Aufhebung der ursprünglich rechtswidrigen Anlagengenehmigung einen Anspruch auf Neuerteilung der Genehmigung für die zwei noch streitbefangenen Windenergieanlagen habe.

Diese Argumentation zielt im Kern auf eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung, ohne dass es auf die für eine Aufhebung der angefochtenen Genehmigung erforderliche Voraussetzung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO ankäme, dass die Antragstellerin durch die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts zugleich in eigenen Rechten verletzt sein muss. Damit verfehlt die Antragstellerin die tragende rechtliche Überlegung für die Berücksichtigung von nachträglichen Änderungen zu Gunsten des Genehmigungsinhabers. Würde die Genehmigung aufgehoben und anschließend neu erteilt, hätte die Antragstellerin (in einem zweiten Anfechtungsverfahren) keinen Anspruch auf Aufhebung dieser Genehmigung, sofern sie durch diese nicht in ihren Rechten verletzt wird; auf die mögliche Verletzung von Rechtsnormen, die nicht zu Gunsten der Antragstellerin drittschützend sind, käme es nicht an. Um diesen überflüssigen "Umweg" über ein zweites Genehmigungsverfahren zu vermeiden, sind nicht zuletzt aus prozessökonomischen Gründen Änderungen zu Gunsten des Bauherrn bereits im hier vorliegenden (ersten) Anfechtungsverfahren zu berücksichtigen.

Die Antragstellerin kann mithin eine Verletzung der genannten naturschutzrechtlichen Normen im vorliegenden Verfahren ebenso wenig geltend machen, wie wenn die Genehmigung von vornherein nur für zwei Windenergieanlagen erteilt worden wäre, so dass von Anfang an keine UVP-Vorprüfung erforderlich gewesen wäre. Selbst wenn der Genehmigungsbescheid wegen Verstoßes gegen § 34 Abs. 1 und 2 und/oder § 44 Abs. 1 BNatSchG rechtswidrig sein sollte, käme eine gerichtliche Aufhebung der Genehmigung im Hauptsacheverfahren wegen eines Verstoßes gegen natur- und artenschutzrechtliche Vorschriften nicht in Betracht. Die Antragstellerin ist als natürliche Person (§ 61 Nr. 1 VwGO, § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG) - anders als Umweltvereinigungen - hinsichtlich einer Verletzung dieser Vorschriften nicht klagebefugt, weil sie dadurch nicht in eigenen Rechten verletzt wird.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, NWVBl 2016, 463 = juris Rn. 42, vom 30. März 2017 - 8 A 2915/15 - juris Rn. 45 ff., und vom 13. September 2017 - 8 B 1373/16 -, juris Rn. 55 f.; S. auch OVG S.-A., Urteil vom 6. Juli 2016 - 2 L 84/14 -, juris Rn. 167; Bay. VGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 22 AS 16.2421 -, juris Rn. 41.

b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin sind die natur- und artenschutzrechtlichen Vorschriften im vorliegenden Verfahren auch nicht deshalb zu berücksichtigen, weil sie drittschützend wirkten. Dass das persönliche und "für ihr Wohlbefinden maßgebliche" Lebensumfeld der Antragstellerin in tatsächlicher Hinsicht (in besonderem Maße) durch das von der Anlagengenehmigung etwaig betroffene FFH-Gebiet und die dort vorkommenden besonders geschützten Arten geprägt sein mag, führt nicht dazu, dass den Vorschriften des Naturschutzgesetzes eine subjektive Schutzwirkung zugunsten der Antragstellerin zukäme.

Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Bei Klagen von natürlichen Personen ist die Beschränkung der gerichtlichen Aufhebung von Genehmigungsentscheidungen auf den Fall der Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts (§ 113 Abs. 1 VwGO) mit Unionsrecht vereinbar. Dies gilt auch, soweit - wie im Falle der Antragstellerin - eine Verletzung von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ("FFH-Richtlinie") geltend gemacht wird.

Vgl. EuGH, Urteile vom 12. Mai 2011 - C-115/09 -, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen ("Trianel"), juris Rn. 45 und 12, und vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 -, juris Rn. 91 (zu Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten bzw. Art. 25 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung)).

Die FFH-Richtlinie räumt Privatpersonen auch als (besonders betroffenen) Mitgliedern der "betroffenen Öffentlichkeit" anders als etwa Vorschriften zur Begrenzung der Luftverschmutzung keine einklagbaren materiellen subjektiven Rechte ein. Das allgemeine Ziel der FFH-Richtlinie besteht vielmehr darin, ein hohes Niveau des Umweltschutzes für die geschützten Gebiete zu gewährleisten.

Vgl. EuGH, Urteil vom 8. November 2016 - C-243/15 -, "Slowakischer Braunbär II", Rn. 43.

Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-Richtlinie zielt darauf ab, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beizutragen und einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von Interesse für die Union zu bewahren oder wiederherzustellen. Allein Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-Richtlinie erfordert "gegebenenfalls" eine Anhörung der Öffentlichkeit.

Die - von der Antragstellerin angeführten - Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 8. November 2016 im Verfahren C-243/15 ("Slowakischer Braunbär II") und vom 7. September 2004 im Verfahren C-127/02 ("Nederlandse Kokkelvisserij") verlangen nicht, dass einzelne Bürger die gerichtliche Aufhebung einer Genehmigung nur aus dem Grund erreichen können, dass die Bedingungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie nicht erfüllt sind. Der EuGH hat zwar in diesen beiden Urteilen u.a. ausgeführt, die praktische Wirksamkeit der FFH-Richtlinie sowie ihre Zielsetzung verlangten, dass "die Bürger" sich vor Gericht auf sie berufen und die nationalen Gerichte sie als Bestandteil des Unionsrechts berücksichtigen können, um insbesondere zu prüfen, ob die Behörde, die einen Plan oder ein Projekt genehmigt hat, ihre Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie beachtet hat (C-243/15, Rn. 44, und C-127/02, Rn. 66). Diese Vorschrift sieht aber nicht zwingend vor, dass der einzelne Bürger dies gerichtlich geltend machen kann. Vielmehr reicht es aus, wenn Umwelt-/Naturschutzverbände über diese Möglichkeit bzw. entsprechende Klagerechte verfügen. Denn der EuGH hat ausgeführt (Urteil vom 8. November 2016 - C-243/15 -, Rn. 44), es wäre mit der verbindlichen Wirkung einer Richtlinie nach Art. 288 AEUV unvereinbar, "grundsätzlich auszuschließen", dass sich betroffene Personen auf die durch eine Richtlinie auferlegte Verpflichtung berufen können. Ein solcher grundsätzlicher Ausschluss läge aber nur dann vor, wenn auch Umweltvereinigungen keine Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung behördlicher Genehmigungsentscheidungen nach Maßgabe der Richtlinienvorschriften hätten.

Dass die Gerichte der Mitgliedstaaten im Rahmen des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit den Schutz der Rechte zu gewährleisten haben, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen und die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen haben, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Europäischen Union ergeben, steht der Begründetheit des Abänderungsantrags nicht entgegen, da Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie - wie dargelegt - keine Rechte der einzelnen Bürger begründet. Art. 4 Abs. 3 EUV zwingt bzw. ermächtigt den Senat nicht, entgegen den gesetzlichen Bestimmungen der § 80b Abs. 3, § 80 Abs. 5 und 7 Satz 2 i. V. m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO weiterhin die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin anzuordnen, obwohl mit Blick auf das Hauptsacheverfahren eine Aufhebung der Genehmigung (in ihrer durch den Teilverzicht geänderten Form) mangels Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts nun nicht mehr zu erwarten ist.

c) Der Teilverzicht ist auch nicht deswegen unbeachtlich, weil ein (absoluter) Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UmwRG vorläge, der nach § 45 Abs. 2 VwVfG NRW nur bis zum Abschluss der ersten Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geheilt werden könnte. Mit dem Verzicht auf Teile der Genehmigung ist nicht die fehlende Nachvollziehbarkeit der UVP-Vorprüfung geheilt worden; vielmehr ist das Verfahrenserfordernis der Durchführung einer UVP-Vorprüfung wegen der Reduzierung der angefochtenen Genehmigung auf nur noch zwei Windenergieanlagen entfallen.

d) Schließlich ist im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass eine Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin aus anderen, für den Beschluss des Senats vom 30. Juni 2017 - 8 B 548/17 - nicht entscheidungserheblichen Gründen geboten wäre.

Mit diesem Beschluss wird der Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung gegenstandslos.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und berücksichtigt, dass aufgrund des vor Einleitung des Abänderungsverfahrens erfolgten Teilverzichts nur noch zwei Windenergieanlagen den Streitgegenstand darstellen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).