LAG Köln, Urteil vom 29.06.2017 - 7 Sa 34/17
Fundstelle
openJur 2019, 20244
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 Ca 1293/16

Zu den Anforderungen an die Betriebsratsanhörung bei einer Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses wegen nicht bestandener Probezeit

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.11.2016 in Sachen1 Ca 1293/16 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen, während der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses in der Probezeit ausgesprochenen Kündigung vom 01.07.2016.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.11.2016 Bezug genommen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Kläger am 12.12.2016 zugestellt. Die Berufung des Klägers ist am 11.01.2017 und die Berufungsbegründung am 09.02.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger bleibt bei seiner Ansicht, dass die Kündigung vom 01.07.2016 gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG rechtsunwirksam sei, da die Beklagte den in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört habe. Der Kläger führt aus, maßgeblich für die Würdigung des Inhalts der Betriebsratsanhörung sei der Empfängerhorizont des Betriebsrats. Daran gemessen habe das Arbeitsgericht die Betriebsratsanhörung "falsch ausgelegt". Die Arbeitgeberin habe nicht wegen eines subjektiven Werturteils darüber, wie der Kläger die in ihn gesetzten Erwartungen während der Probezeit erfüllt habe, gekündigt, sondern wegen verschiedener objektivierbarer Tatsachen wie, dass der Kläger bei der Einstellung keine tiefgreifenden Kenntnisse der Telekommunikationsprodukte gehabt habe, aber

"anders als andere Kollegen ... er jedoch keine außerordentliche Initiative hat erkennen lassen, sich diese proaktiv anzueignen. Gleiches gilt für die Aneignung von Projektwissen ...".

In Bezug auf den Bereich "Zusammenarbeit / Kommunikation" habe der Kläger

" ... nicht im erwarteten Maße das angebotene Coaching genutzt, um sich effektiv ein "big picture" zu bilden."

Der Kläger meint, was die Beklagte unter dem Oberbegriff "Fazit" ausgeführt habe, stelle nur eine wertende Zusammenfassung der zuvor in Form einer Aufzählung angeführten Einzelkomplexe dar. Auf die in den Einzelkomplexen enthaltenen Tatsachenbehauptungen komme es somit maßgeblich an. Diese Tatsachen seien dem Betriebsrat gegenüber jedoch unsubstantiiert dargestellt worden. Es sei weder angegeben worden, welche anderen Kollegen im Vergleich zum Kläger mehr Initiative gezeigt hätten, noch welches Coaching er nicht genutzt haben solle. Tatsächlich existierten auch keine anderen Kollegen, die im Vergleich zu ihm mehr Initiative gezeigt hätten, noch sei ihm ein Coaching angeboten worden, welches er abgelehnt hätte.

Schließlich, so meint der Kläger, habe die Beklagte auch die Verpflichtung verletzt, den Betriebsrat wahrheitsgemäß zu unterrichten, indem sie dem Betriebsrat ein falsches Geburtsdatum mitgeteilt habe.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift des Klägers vom 09.02.2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn, 1 Ca 1293/16, vom 17.11.2016 abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 01.07.2016 nicht zum 16.07.2016 sein Ende gefunden hat.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte bekräftigt, dass die Kündigung auf ihrer subjektiven Einschätzung beruhe, dass der Kläger für die ihm übertragene Position nicht geeignet gewesen sei und deshalb nicht weiterbeschäftigt werden sollte. Hierfür habe sie in der Betriebsratsanhörung lediglich überobligatorisch subjektive Beobachtungen der Kollegen und Vorgesetzten zum Verhalten und der Arbeitsleistung des Klägers und deren Einschätzung dazu wiedergegeben. Zu diesen ausführlichen und eindringlichen Wertungen, die die Grundlage für den Entschluss zur Kündigung gebildet hätten, seien zwei Tatsachenkerne beigefügt worden, die die subjektive Beurteilung lediglich untermauerten. Das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit daher zutreffend entschieden.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungserwiderung vom 03.04.2017 wird ebenfalls Bezug genommen.

Gründe

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.11.2016 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch formell ordnungsgemäß und fristgerecht im Sinne von § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch keinen Erfolg haben.

1. Die erste Kammer des Arbeitsgerichts Bonn hat den Rechtsstreit nicht nur im Ergebnis zutreffend entschieden, sondern seine Entscheidung auch umfassend, sorgfältig und überzeugend begründet. Es hat dabei auch die Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zutreffend aufgezeigt und angewandt. Das Berufungsgericht macht sich die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils uneingeschränkt zu Eigen.

2. Die Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz fügen seinem erstinstanzlichen Vorbringen keine neuen Aspekte hinzu und erscheinen insgesamt nicht geeignet, Ergebnis und Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils in Frage zu stellen. Die Argumentation des Klägers erscheint vielmehr bereits in sich widersprüchlich:

a. Die Kernaussage dazu, warum die Beklagte den Entschluss gefasst hat, das mit dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis während der sechsmonatigen Probezeit durch ordentliche Kündigung zu beenden, hat die Beklagte unter dem Oberbegriff "Fazit" wie folgt zusammengefasst:

"Leider erfüllt Herr D H die an diese Position gestellten Erwartungen nicht. Seine langjährige Berufserfahrung zeigte sich im Umfeld der B nicht."

Dass es sich hierbei um die Kernaussage zur Kündigungsbegründung handelt, konnte auch nach dem Empfängerhorizont des Betriebsrats nicht anders gedeutet werden. Die Aussage, dass ein Mitarbeiter die an die von ihm eingenommene Position gestellten Erwartungen nicht erfüllt, stellt ersichtlich keine objektive Tatsache dar, sondern ein subjektives Werturteil, dies umso mehr, als auch schon der in der Aussage implizierte Erwartungshorizont subjektiver Natur ist. Auch die weitere Aussage, dass sich die langjährige Berufserfahrung des Mitarbeiters im Umfeld des jetzigen Arbeitgebers nicht gezeigt habe, stellt eine subjektive Bewertung dar.

b. Der Kläger räumt ein - und beruft sich hierfür korrekt auf die Entscheidung des BAG vom 19.11.2015, 6 AZR 844/14 - dass die Betriebsratsanhörung nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn sich die Beklagte auf diese beiden abschließenden Bewertungssätze beschränkt hätte und gegenüber dem Betriebsrat keine weitere Begründung abgegeben hätte. Musste die Beklagte somit ihr für die Kündigung entscheidendes subjektives Werturteil überhaupt nicht näher begründen, so kann die Wirksamkeit der Betriebsratsanhörung denknotwendig nicht daran scheitern, dass eine gleichwohl gegebene zusätzliche und daher überobligatorische Erläuterung des Entscheidungsprozesses "unsubstantiiert" geblieben sei.

c. Auch die Verwendung des Begriffs "Fazit" als Überschrift über das abschließende entscheidende, den Kündigungsentschluss tragende Werturteil führt zu keiner anderen Einschätzung. Im Gegenteil: Sie scheint unerheblich. Der Begriff "Fazit" verdeutlicht nur nochmals, dass das abschließende und für den Kündigungsentschluss entscheidende Werturteil - wie nicht anders zu erwarten - auf einem Konglomerat von Beobachtungen und Einschätzungen verschiedener Personen beruht, zu denen u. a. auch die vom Arbeitsgericht auf Seite 9 seiner Entscheidungsgründe treffend beschriebenen sog. "kleineren Tatsachen" zählen.

d. Es erscheint schlichtweg undenkbar, dass bei komplexen gedanklichen Erwägungen wie dem Zustandekommen eines Kündigungsentschlusses Tatsachen überhaupt keine Rolle spielen sollen. Zudem übersieht der Kläger, dass auch im Rahmen der überobligatorischen Erläuterungen des subjektiven Kündigungsentschlusses insgesamt subjektive Aspekte deutlich im Vordergrund stehen. ("außerordentliche Initiative"; "erleben Herrn H nicht als offen..."; "erleben und beschreiben Herrn H als ..."; "hat nicht in erwartetem Maße..."; "fehlt die für diese Funktion zu erwartende Seniorität").

e. Es bestand somit keine Verpflichtung der Beklagten, im Rahmen der überobligatorischen Erläuterung ihres subjektiv begründeten Kündigungsentschlusses auch noch zu konkretisieren, mit welchen "anderen Kollegen" sie den Kläger konkret verglichen hätte oder was genau sie unter dem "angebotenen Coaching" verstanden hat.

3. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, welche Rechtswirkung es hätte, wenn ein Arbeitgeber bei der Erläuterung eines auf subjektiven Werturteilen beruhenden Kündigungsentschlusses dem Betriebsrat erläuternd auch Tatsachenbehauptungen unterbreitet, die bewusst irreführend und objektiv wahrheitswidrig sind. Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor.

a. Die Behauptung des Klägers, mit ihm zusammen sei kein anderer vergleichbarer Kollege eingestellt worden, an dem er hätte gemessen werden können, ist zum einen unstreitig, geht zum anderen aber ins Leere. Im Prozess hat die Beklagte nachvollziehbar erläutert, dass sie mit der Formulierung "anders als andere Kollegen in der gleichen Ausgangsposition" auf Erfahrungen aus früheren Einstellungsrunden Bezug nehmen wollte.

b. Ferner hat die Beklagte auch erläutert, was es mit dem von ihr erwähnten "angebotenen Coaching" auf sich hatte. Sie hat angegeben, sie habe dem Kläger zwei namentlich benannte Mentoren zur Seite gestellt, der Kläger habe aber einen dieser beiden Mentoren überhaupt nicht und den anderen nur selten mit Fragen und der Bitte um Unterstützung in Anspruch genommen. Hierauf ist der Kläger nicht eingegangen, so dass auch dies im vorliegenden Prozess als unstreitig zu gelten hat. Dass die Beklagte in der Betriebsratsanhörung gegenüber dem Betriebsrat somit bewusst irreführende Angaben hätte machen wollen, ist nicht ansatzweise erkennbar.

c. Schließlich scheitert die Betriebsratsanhörung auch nicht daran, dass in ihr unstreitig ein falsches Geburtsdatum des Klägers mitgeteilt wurde.

aa. Der Kläger war bei der Beklagten auf einer Position als Senior Strategic Sourcer eingestellt, wofür er ein monatliches Salär von 6.181,00 € brutto bezog. Es ist davon auszugehen, dass die Übernahme dieser Position eine qualifizierte Ausbildung voraussetzt. Darüber hinaus ist im weiteren Verlauf der Betriebsratsanhörung an verschiedenen Stellen von einer "langjährigen Berufserfahrung" des Klägers die Rede. Nach dem angegebenen Geburtsdatum "10.02.1995" wäre der Kläger hingegen erst 21 Jahre alt gewesen. Dass dies nicht stimmen und die Angabe des Geburtsdatums daher objektiv nicht zutreffen konnte, war für den Betriebsrat als Empfänger der Anhörung offensichtlich. Auch hier liegen Anhaltspunkte für eine bewusste Irreführung des Betriebsrats nicht vor.

bb. Zu bedenken ist ferner, dass die Angabe des Geburtsdatums des Klägers im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen wäre. Bei einer Kündigung außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ist eine Interessenabwägung nicht vorzunehmen. Das Lebensalter spielt somit normalerweise bei der Beurteilung des Kündigungsbegehrens keine Rolle (vgl. BAG v. 23.04.2009,6 AZR 516/08).

cc. Zu guter Letzt kann auch davon ausgegangen werden, dass dem Betriebsrat das Lebensalter des Klägers noch aus der erst wenige Monate zurückliegenden Anhörung zu dessen Einstellung bekannt gewesen sein wird.

4. Das Arbeitsgericht hat somit zu Recht festgestellt, dass die arbeitgeberseitige Anhörung des Betriebsrats vor der Kündigung des Klägers vom 01.07.2016 keine Mängel enthält, die gemäß § 102 Abs. 1S. 3 BetrVG zur Unwirksamkeit der Kündigung hätte führen können.

III. Die Kosten der Berufungsinstanz fallen gemäß § 97 Abs. 1 ZPO dem Kläger zur Last.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht gegeben.

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