1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 17.11.2015 - 2 Ca 949/15 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.
Der 1974 geborene Kläger ist seit dem 01.01.2005 bei der Beklagten als CNC-Einrichter beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zunächst ein befristeter Arbeitsvertrag vom 19.11.2004, der sodann verlängert und in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis überführt wurde. Wegen der Vertragsabreden im Einzelnen wird auf die Kopien Bl. 151 – 156 d.A. Bezug genommen. Der Kläger erzielte zuletzt bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden ein Bruttomonatseinkommen von 2.800,-- €.
Bei der Beklagten, die ständig weit mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, ist ein Betriebsrat gewählt, dessen Vorsitzender Herr F ist. Die Betriebsratswahl wurde in Form der Listenwahl durchgeführt; der Kläger bekleidet Platz Nr. 7 der Liste, auf der er zur Wahl kandidiert hat. Die ersten drei Mitglieder sind reguläre Mitglieder des Betriebsrates; der Kläger Ersatzmitglied. Am 13.05.2015 nahm der Kläger in der Zeit von 13.00 Uhr bis 15.25 Uhr als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung teil. Einzelheiten dazu, wie es zur Teilnahme des Klägers an der Sitzung kam, sind zwischen den Parteien streitig.
Nach der überwiegend unstreitig gebliebenen Auflistung der Beklagten war der Kläger in den letzten Jahren wie folgt arbeitsunfähig erkrankt:
2011 - 32 Arbeitstage
2012 - 22 Arbeitstage
2013 - 200 Arbeitstage
2014 - 132 Arbeitstage
2015 (bis 30.04.2015) - 83 Arbeitstage.
Hiervon waren im Jahre 2011 32, 2012 22, 2013 38, 2014 80 und in 2015 0 Arbeitstage mit Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle belegt. Wegen der Einzelheiten der krankheitsbedingten Fehlzeiten sowie der von der Beklagten vorgetragenen Entgeltfortzahlungskosten wird auf die Anlage BK 4 zur Berufungsbegründung Bl. 157 d.A. Bezug genommen.
Nachdem der Kläger am 04.05.2015 nach längerer Arbeitsunfähigkeit (seit November 2014) seine Arbeit wieder aufnahm, erhielt er von seinem Vorgesetzten den Auftrag, an einem Bearbeitungszentrum zwei Spannbacken einzubauen, einen Anschlag einzubauen und fünf Werkzeuge einzuspannen. Dieser gegen 7.30 Uhr erteilte Arbeitsauftrag war gegen 13.00 Uhr noch nicht abgearbeitet, worauf der Kläger auf Nachfrage des Vorgesetzten erläuterte, er benötige noch Zeit, da er sich erst noch Werkzeug habe suchen müssen. Nachdem der Vorgesetzte erklärt hatte, er halte dies nicht für eine adäquate Arbeitsleistung, kam es zu einer Antwort des Klägers, die zwischen den Parteien streitig ist.
Im Jahre 2014 hatte die Beklagte gegenüber dem Kläger zwei Abmahnungen ausgesprochen, die sich zum einen auf ein unentschuldigtes Fernbleiben der Arbeit, zum anderen auf einen Programmierfehler bezogen. Wegen der Einzelheiten der Abmahnungen vom 26.06.2014 und 16.09.2014 wird auf die Kopie Bl. 164, 165 d.A. Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 12.05.2015 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung an und wies zur Begründung auf die angefallenen krankheitsbedingten Fehlzeiten wie auch auf das Gespräch zwischen dem Kläger und seinem Vorgesetzten vom 04.05.2015 und die früheren Abmahnungen hin. Zum Vorfall vom 04.05.2015 heißt es in der Betriebsratsanhörung:
„Herr M hat sinngemäß erklärt, „die Zeiten wären vorbei, wo er Leistung erbringen würde, da die Firma ihn jahrelang betrogen haben; die Durchschnitte seien nicht korrekt bezahlt.“
Zum Umfang der krankheitsbedingten Fehlzeiten fügte die Beklagte als Anlage eine Tabelle bei, aus der sich die Krankheitstage, die ausgefallenen Arbeitstage sowie weitere Angaben, u.a. zum Umfang der Arbeitstage, an denen Entgeltfortzahlung geleistet wurde, enthielt. Diese Anlage endet mit der Auflistung der Krankheitstage für das Jahr 2014 am 31.08. und beginnt neu in 2015 am 14.01.2015; zudem weist sie an geleisteten Entgeltfortzahlungstagen für das Jahr 2015 insgesamt 30 aus. Wegen der Einzelheiten der Betriebsratsanhörung nebst Anlage wird auf Bl. 52 bis 57 d.A. Bezug genommen.
Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung u.a. unter Hinweis darauf, dass der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrates regelmäßig an Betriebsratssitzungen teilnehme. Darüber hinaus wies er auf das bis zum Jahre 2014 ungestörte Arbeitsverhältnis hin und beschrieb Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Außerdem heißt es in der Stellungnahme des Betriebsrates:
„Es wurde leider bis zu heutigen Tage seitens des Unternehmens noch keine Prävention, Krankheitsprävention, Lärmminderungsmaßnahmen, Gefährdungsbeurteilung der physische und psychische Belastungen auch mehrmals in der Arbeitsschutz-Ausschuss-Sitzung (…) besprochen worden, weder getroffen noch durchgeführt.“
Wegen der Einzelheiten der Stellungnahme des Betriebsrates wird auf die Kopie Bl. 233 bis 235 d.A. Bezug genommen.
Zwischen den Parteien ist hierzu unstreitig, dass die Beklagte in Person des Klägers ein betriebliches Eingliederungsmanagement weder angeboten noch durchgeführt hat.
Mit Schreiben vom 20.05.2015, dem Kläger am selben Tage zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2015 (Bl. 17 d.A.).
Hiergegen hat sich der Kläger mit der vorliegenden, vorab per Telefax beim Arbeitsgericht Iserlohn am 03.06.2015 eingegangenen Kündigungsschutzklage zur Wehr gesetzt und sich sowohl auf eine fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung, wie auch auf Sonderkündigungsschutz als Ersatzmitglied des Betriebsrates wegen Teilnahme an der Sitzung vom 13.05.2015 berufen.
Er hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 20.05.2015 nicht beendet wird.
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
3. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) und/oder zu 2) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als CNC-Einrichter weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen:
Sonderkündigungsschutz als Ersatzmitglied des Betriebsrates stünde dem Kläger nicht zu, da er an dieser Sitzung nicht teilzunehmen gehabt habe, da kein Vertretungsfall vorgelegen habe. Darüber hinaus hat sie den Umfang der Arbeitsunfähigkeitszeiten dargelegt und dazu auf die beigefügte Betriebsratsanhörung nebst deren Anlagen verwiesen.
Durch Urteil vom 17.11.2015, dem seinerzeitigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 19.11.2015 zugestellt, hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsantrag im Hinblick auf die Kündigung vom 20.05.2015 sowie den Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben; hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrages hat das Arbeitsgericht die Klage mangels Feststellungsinteresses abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe zur Begründung der Kündigung nicht hinreichend vorgetragen, da eine allgemeine Bezugnahme auf Anlagen, die einem Schriftsatz beigefügt seien, keinen Sachvortrag ersetze. Wegen der Einzelheiten der angegriffenen Entscheidung vom 17.11.2015 wird auf Bl. 79 bis 82 R d.A. Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vorliegenden, beim Landesarbeitsgericht vorab per Telefax am 23.11.2015 eingegangenen und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.02.2016 mit Schriftsatz vom 17.02.2016, am selben Tage vorab beim Landesarbeitsgericht per Telefax eingegangen, begründeten Berufung.
Die Beklagte trägt vor:
Die Fehlzeiten des Klägers seit dem Jahre 2011 bis zum 30.04.2015 würden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur personenbedingten Kündigung eine negative Prognose rechtfertigen, nach der in Person des Klägers auch zukünftig mit erheblichen krankheitsbedingten Ausfällen zu rechnen sei. Neben den angefallenen Entgeltfortzahlungskosten seit dem Jahre 2012 in Höhe von 14.097,93 € habe die Beklagte im Zeitraum vom 18.05.2015 bis zum 31.08.2015 Kosten für einen Leiharbeitnehmer in Höhe von insgesamt 24.059,85 € brutto aufwenden müssen. Die Beklagte habe keine vertieften Kenntnisse über die Ursachen der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers. Dieser habe geltend gemacht, dass Schmierstoffe und Emulsionen, mit denen er bei seiner Tätigkeit als Maschineneinrichter in Berührung komme, seine Haut beeinträchtigen und eine Gewichtszunahme verursachen würden. Für den 17.03.2015 habe der Kläger eine arbeitsmedizinische Untersuchung, die die Beklagte vorgesehen habe, nicht wahrgenommen. Schließlich habe die Beklagte in der Vergangenheit mit Blick auf den Gesundheitszustand des Klägers auf die besonders anspruchsvolle Einrichtung sog. Fünfachsmaschinen verzichtet. Eine weitere Anpassung des Arbeitsplatzes zur Vermeidung von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit komme nicht in Betracht. Die Beklagte habe erwogen, den Kläger im Bereich der Qualitätssicherung einzusetzen; hierfür fehle dem Kläger die Qualifikation. Es handele sich auch um eine höherwertige Tätigkeit.
Die Kündigung hätte sich auch nicht durch die Durchführung eines betriebliches Eingliederungsmanagements (bEM) verhindern lassen. Zur Erläuterung weise die Beklagte darauf hin, dass es bislang nicht zum Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung über die Durchführung eines bEM gekommen sei mit der Folge, dass der Arbeitgeber entweder bei Durchführung des bEM eine betriebsverfassungsrechtliche Pflicht verletze oder aber bei Unterlassen des bEM eine solche aus § 84 Abs. 2 SGB IX. Indessen müsse die Beklagte davon ausgehen, dass eine leidensgerechte Umgestaltung des Arbeitsplatzes bzw. eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz nicht bestanden habe. Der Kläger habe schließlich – von der Beklagten bestritten – zu den einzelnen Krankheitsursachen vorgetragen. Die Beklagte gehe davon aus, dass diese Erkrankungen keinerlei Bezug zur Arbeitstätigkeit des Klägers aufweise. Die vom Kläger vorgetragene Vielzahl verschiedener Erkrankungen spreche allerdings eindeutig dagegen, dass diese auf das Arbeitsverhältnis zurückzuführen sei oder mit diesem in irgendeinem Zusammenhang stünden. Die Beklagte weise auch auf einen Widerspruch im Vorbringen des Klägers hin, der einerseits das unterlassene bEM rüge, andererseits behaupte, jede seiner Erkrankungen sei vollständig ausgeheilt. Möglichkeiten einer leidensgerechten Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten bestünden nicht; insbesondere komme eine Tätigkeit in der Qualitätssicherung nicht in Betracht, da dort auch Mitarbeiter mit einer kaufmännischen Ausbildung angestellt seien und es sich um eine höherwertige Tätigkeit handele (Beweis: Zeugnis C). Mangels bestehender Beschäftigungsmöglichkeit des Klägers müsse auch die Interessenabwägung zugunsten der Beklagten ausgehen.
Die Kündigung sei auch als verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt. Der Kläger habe die in der Betriebsratsanhörung wiedergegebene Äußerung gegenüber seinem Vorgesetzten, Herrn S, genauso getätigt. Diese Äußerung lasse nur den Schluss auf eine vorsätzliche Missachtung der Arbeitsanweisung durch den Kläger zu. Soweit der Kläger sich zur Dauer der Tätigkeit, die ihm sein Vorgesetzter aufgetragen habe, darauf berufen habe, dass sein Werkzeugwagen entwendet gewesen sei und er sich erst noch Werkzeug habe zusammensuchen müssen, bestreite die Beklagte dieses Vorbringen und weise darauf hin, dass es keinen Bezug zur vorgetragenen Pflichtverletzung aufweise.
Schließlich stünde dem Kläger nicht der besondere Kündigungsschutz als Ersatzmitglied des Betriebsrates zu. Die Beklagte bestreite ausdrücklich, dass ein Verhinderungsfall vorgelegen habe und der Kläger überhaupt zu dieser Betriebsratssitzung durch den Vorsitzenden eingeladen worden sei. Die Betriebsratsmitglieder T, S1 sowie das vorrangig heranzuziehende Ersatzmitglied Herr K hätten den Betrieb ausweislich der vorgelegten Zeiterfassungsbögen am 13.05.2015 vorzeitig, d.h. vor Arbeitsende um 14.30 Uhr verlassen. Die vorrangig heranzuziehenden Ersatzmitglieder U und C1 seien am 13.05.2015 krankheits- bzw. urlaubsbedingt abwesend gewesen. In dieser Konstellation könne nicht von einem Vertretungsfall ausgegangen werden, der die Teilnahme des Klägers an der Betriebsratssitzung rechtfertige.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 17.11.2015, 2 Ca 949/15, abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor:
Der Kläger bestreitet zunächst die Angaben zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten der Beklagten, da ihm die von der Beklagten zitierte tabellarische Aufstellung nicht vorliege.
Ebenso bestreite der Kläger die angegebene Höhe der Entgeltfortzahlungskosten seit dem Jahre 2012. Für den Kläger sei indessen maßgeblich, dass die Beklagte es unterlassen habe, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Wenn dies auch nicht formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung sei, so hätte ein bEM ein positives Ergebnis erbringen können. Auch bei Krankheiten, die auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen würden, solle die Durchführung des bEM der Gefährdung des Arbeitsverhältnisses entgegenwirken. Selbst wenn bei Durchführung eines bEM herausgekommen wäre, dass die tatsächlichen betrieblichen Verhältnisse nicht hätten geändert werden können, so hätte ein bEM Rehabilitationsbedarf beim Kläger aufdecken können. Soweit die Beklagte vortrage, sie habe erwogen, den Kläger in der Qualitätssicherung einzusetzen, so müsse der Kläger dies bestreiten, da die Beklagte jedenfalls gegenüber dem Kläger eine solche Äußerung nie getätigt habe. Soweit der Kläger wisse, setze die Beklagte im Bereich der Qualitätssicherung auch Mitarbeiter ein, die weder eine Qualifikation als Messtechniker noch eine kaufmännische Ausbildung hätten.
Der Hinweis der Beklagten darauf, zu den Krankheitsursachen sei ihr nur bekannt, dass der Kläger sich auf Unverträglichkeiten zu Schmierstoffen und Emulsionen berufen habe, so stimme das nicht. Der Beklagte sei als Ersatzmitglied des Betriebsrates lediglich mehrfach von Mitarbeitern darauf angesprochen worden, dass die Beklagte im Produktionsbereich kein warmes Wasser zur Verfügung stelle, mit dem verschmutzte Hände abgewaschen werden könnten. Im Übrigen treffe es nicht zu, dass der Kläger im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keine Fünfachsmaschinen eingerichtet habe.
Wegen des Vortrages des Klägers zu den einzelnen Erkrankungen, die den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrunde gelegen haben, wird auf die Berufungsbeantwortung, Seite 6 bis 9, Bl. 221 – 224 d.A., Bezug genommen.
Darüber hinaus stehe dem Kläger Sonderkündigungsschutz als Ersatzmitglied des Betriebsrates zu mit der Folge, dass jedenfalls innerhalb eines Jahres nach Teilnahme an der Betriebsratssitzung vom 13.05.2015 die ordentliche Kündigung ausgeschlossen sei. Nachdem der Kläger zunächst nur allgemein vorgetragen hatte, zur Betriebsratssitzung vom 13.05.2015 sei am 12.05.2015 eingeladen worden, hat er diesen Sachvortrag – von der Beklagten bestritten – im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer wie folgt präzisiert:
Am Morgen des 13.05. habe er an seiner Maschine gearbeitet, als der Betriebsratsvorsitzende zu ihm gekommen sei und ihm einen Briefumschlag mit den Worten gegeben habe, er solle heute Mittag zur Betriebsratssitzung kommen. Weitere Gespräche seien wegen des Maschinenlärms nicht möglich gewesen. Er sei dann um 13.00 Uhr zur Betriebsratssitzung gegangen und habe teilgenommen, wie sich aus der Anwesenheitsliste auch ergebe.
Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten (§ 66 Abs. 1 Satz 1, § 64 Abs. 6ArbGG; §§ 516 ff. ZPO) hat sowohl im Hinblick auf den Kündigungsschutzantrag als auch auf den Weiterbeschäftigungsantrag Erfolg, da die streitgegenständliche Kündigung der Beklagten vom 20.05.2015 das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat, was zudem zur Folge hat, dass der Kläger antragsgemäß weiter zu beschäftigen ist.
I. Die Kündigung vom 20.05.2015 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, da sie sich gemäß § 1 Abs. 1 des von den Tatsachen her streitlos anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes als rechtsunwirksam erweist; sie ist nämlich gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt.
1. Die Kündigung ist nicht durch Gründe bedingt, die in der Person des Klägers liegen.
a) Die Berufungskammer war bei Prüfung der personenbedingten Kündigung nicht gehalten, die zum Teil streitigen Darlegungen der Parteien zum Umfang der krankheitsbedingten Fehlzeiten wie auch zu den vom Kläger vorgetragenen Diagnosen weiter aufzuklären. Denn die Kündigung vom 20.05.2015 ist als krankheitsbedingte Kündigung schon deshalb sozial ungerechtfertigt, weil sie dem jeder Kündigung innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widerspricht.
b) Die Beklagte hat es nämlich unterlassen, ihrer gesetzlichen Pflicht zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX nachzukommen mit der Folge, dass die Berufungskammer aus Rechtsgründen nicht davon ausgehen konnte, dass eine Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten, bei der zukünftig nicht mit dem Auftreten erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten gerechnet werden kann, nicht möglich ist.
(1) Die Beklagte war verpflichtet, ein bEM gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Nach dieser Vorschrift besteht die entsprechende Verpflichtung, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken. Diese Voraussetzung ist nach übereinstimmendem Vortrag beider Parteien gegeben. Dazu ist anerkannt, dass eine Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements die Beklagte nicht nur bei Erkrankungen behinderter Arbeitnehmer, sondern bei allen Arbeitnehmern trifft (grundlegend BAG, Urteil vom 24.03.2011, 2 AZR 170/10 Rdnr. 19). Ebenfalls besteht diese Verpflichtung unabhängig davon, ob bei der Beklagten ein Betriebsrat gewählt ist oder nicht (BAG, Urteil vom 20.03.2014, 2 AZR 565/12 Rdnr. 32) und ob zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen worden ist oder nicht. Insbesondere kann die Beklagte – wovon sie selbst ausgeht – sich nicht darauf berufen, dass es bislang nicht zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung mit dem Betriebsrat gekommen ist. Hierfür stehen ihr sämtliche betriebsverfassungsrechtlichen Mittel, insbesondere die Anrufung der Einigungsstelle nach § 76 BetrVG zur Verfügung.
(2) Bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat die Berufungskammer nicht verkannt, dass die Durchführung des bEM selbst kein milderes Mittel zur Kündigung oder gar deren Wirksamkeitsvoraussetzung ist (BAG, Urteil vom 13.05.2015, 2 AZR 565/14 Rdnr. 28). Allerdings handelt es sich – worauf das Bundesarbeitsgericht in der zuletzt zitierten Entscheidung zutreffend hingewiesen hat – nicht um einen bloßen Programmsatz, sondern konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
(3) Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass die Durchführung des bEM nutzlos gewesen wäre, weshalb die Unterlassung unschädlich sei. In dieser Konstellation ist die Beklagte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteile vom 20.11.2014, 2 AZR 755/13 Rdnr. 39), die von der Berufungskammer geteilt wird, gehalten, umfassend und detailliert vorzutragen, warum weder ein Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen wären und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit hätte eingesetzt werden können. Es handelt sich hierbei um die primäre Darlegungslast der Beklagten für die Nutzlosigkeit des bEM.
(4) Die Beklagte hat sich insoweit darauf beschränkt vorzutragen, dass sie aufgrund des – bestrittenen – Vortrages des Klägers nicht erkennen könne, welchen Bezug die krankheitsbedingten Fehlzeiten zur Arbeitsaufgabe des Klägers hätten und dass der von ihr in Betracht gezogene Arbeitsplatz in der Qualitätssicherung mangels Qualifikation nicht in Betracht komme. Zum einen waren ihr Krankheitsursachen und ein Bezug zum Arbeitsplatz vor Ausspruch der Kündigung mangels Durchführung des bEM gar nicht bekannt (s.u. (5)). Zum anderen reicht dieser Sachvortrag zur Begründung objektiver Nutzlosigkeit des bEM nicht aus. Es geht nicht daraus hervor, welche – auch mit anderen Arbeitnehmern besetzten – Arbeitsplätze im Betrieb tatsächlich vorhanden sind und weshalb diese – auch nach gegebenenfalls zumutbaren Umorganisationsmaßnahmen, dem Kläger nicht hätten angeboten werden können. Die Beklagte hat insoweit nicht in Betracht gezogen, dass es bei der Frage der Zuweisung leidensgerechter Arbeitsplätze nicht um freie Arbeitsplätze geht, sondern auch um solche Arbeitsplätze, die nach zumutbaren Umorganisationsmaßnahmen hätten frei gemacht werden können. Zur Not hätte die Beklagte zur Vermeidung einer Beendigungskündigung eine nach zumutbarer Umorganisation bestehende Beschäftigungsmöglichkeit zu geänderten Arbeitsbedingungen im Wege der Änderungskündigung anbieten müssen (st. Rspr., vgl. BAG, Urteil vom 08.05.2014, 2 AZR 1001/12 Rdnr. 12 und Urteil vom 09.09.2010, 2 AZR 937/08 Rdnr. 39 m.w.N.).
(5) Gerade der Umstand, dass die Beklagte sich auf fehlende Kenntnisse von den Krankheitsursachen des Klägers beruft, dokumentiert, dass nicht von einer objektiven Nutzlosigkeit des bEM ausgegangen werden konnte. Denn hätte die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen genügt und den Kläger das entsprechende bEM angeboten, so hätte dieser bei einer Teilnahme am bEM über seine Krankheitsursachen mit der Beklagten sprechen können, sodass gemeinsam nach Möglichkeiten der Verhinderung krankheitsbedingter Fehlzeiten für die Zukunft hätte gesucht werden können. Erst dann, wenn die Beklagte dem Kläger das bEM ordnungsgemäß angeboten und dieser seine Teilnahme verweigert hätte, wäre es im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht relevant gewesen; nur in einer solchen Konstellation ist das Unterlassen des bEM kündigungsneutral (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 24.03.2011 aaO. Rdnr. 24).
c) Da sich die Kündigung der Beklagten vom 20.05.2015 danach als unverhältnismäßig und im Ergebnis als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG erweist, kann sie mangels Rechtswirksamkeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) das Arbeitsverhältnis nicht beenden. Die weiteren Voraussetzungen, die bei einer krankheitsbedingten Kündigung vorliegen müssen - das Vorliegen einer negativen Prognose, das Erfordernis betrieblicher Auswirkungen der krankheitsbedingten Fehlzeiten wie auch die allgemein vornehmende Interessenabwägung - waren daher nicht durch die Berufungskammer zu prüfen. An dieser Stelle sei jedoch darauf hinzuweisen, dass die Angaben der Beklagten im Berufungsverfahren und in der Betriebsratsanhörung teilweise differieren; insbesondere die Frage der mit Entgeltfortzahlungskosten belegten Arbeitstage des Jahres 2015 hat die Beklagte im Berufungsverfahren mit „0“, in der Betriebsratsanhörung ausweislich der vorgelegten Anlage hingegen mit „30“ beantwortet. Hieraus können sich – ohne dass es noch entscheidungserheblich darauf ankam – Konsequenzen sowohl im Bereich der erforderlichen betrieblichen Auswirkungen als auch im Bereich der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates im Sinne des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ergeben.
Soweit sich die Beklagte zum Vorliegen betrieblicher Auswirkungen auf die Kosten eines Leiharbeitnehmers bezogen hat, hat sie diese für den Zeitraum ab dem 18.05.2015 beschrieben. Diese Zahlen betreffen also weitestgehend einen Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung und waren zudem nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung vom 12.05.2015 mit der Folge, dass die Beklagte sich hierauf im Verfahren ohnehin nicht hätte stützen können (vgl. Fitting u.a., BetrVG 28. Aufl., § 102 Rdnr. 41 b, Rdnr. 42 m.w.N.).
2. Die Kündigung der Beklagten vom 20.05.2015 ist auch nicht durch Gründe bedingt, die im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG durch das Verhalten des Klägers bedingt sind. Abgesehen davon, dass die Beklagte für den konkreten vorgetragenen und vom Kläger bestrittenen Kündigungsvorwurf vom 04.05.2015 keinen Beweis angeboten hat, lassen sich dem Sachvortrag der Beklagten keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine vertragliche Pflichtverletzung entnehmen.
a) Soweit die Beklagte dem Kläger vorwirft, er habe seine Arbeitsleistung bewusst zurückgehalten, was durch seine Äußerung gegenüber dem Vorgesetzten am 04.05.2015 dokumentiert werde, so folgt die Berufungskammer dem nicht. Denn selbst wenn der Kläger – was er bestritten hat – die Äußerung getätigt hat, „dass die Zeiten vorbei wären, wo er Leistungen erbringen würde, da die Firma ihn jahrelang betrogen habe; die Durchschnitte seien nicht korrekt bezahlt“, so kann dies auch eine andere Bedeutung haben, nämlich dergestalt, dass der Kläger keinen Bezug zu einer Normalarbeitsleistung herstellen will, sondern lediglich zum Ausdruck bringen will, er werde überobligatorische Leistungen nicht mehr erbringen.
Dazu muss bedacht werden – diesen Eindruck hat die Berufungskammer im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.07.2016 gewonnen –, dass der Kläger nur sehr gebrochen deutsch spricht. Inwieweit der Vorarbeiter dann aus den inkriminierten Äußerungen eine bewusste Zurückhaltung der Arbeitsleistung und damit im Ergebnis eine - beharrliche - Arbeitsverweigerung hat ableiten können, ist mit der Eindeutigkeit, wie sie die Beklagte hervorhebt, keinesfalls ersichtlich.
b) Auf die Frage, ob es sich bei den Abmahnungen aus dem Jahre 2014 um sogenannte einschlägige Abmahnungen handelt oder nicht, kommt es demnach ebenso wenig darauf an wie auf den Sachvortrag des Klägers, der den abgemahnten Vorwurf aus der Abmahnung vom 16.09.2014 substantiiert bestritten hat.
3. Schließlich bedurfte es auch keiner Entscheidung der Berufungskammer, ob die Kündigung vom 20.05.2015 schon deshalb rechtsunwirksam ist, weil der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrates den nachwirkenden Kündigungsschutz von einem Jahr nach der Betriebsratssitzung vom 13.05.2015 gemäß § 15 Abs. 1 KSchG genießt. Hierzu ist allerdings darauf hinzuweisen, dass der Kläger für den Fall, dass ihn der Betriebsratsvorsitzende zur Betriebsratssitzung am 13.05.2015 eingeladen hat, grundsätzlich unter den Schutzbereich des § 15 Abs. 1 KSchG fällt, ohne dass ihm selbst eine Prüfungspflicht zu überbürden wäre, ob tatsächlich ein Vertretungsfall im Sinne des § 25 Abs. 1 BetrVG vorgelegen hat (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 12.02.2004, 2 AZR 163/03 m.w.N.). Soweit die Beklagte die Ansicht vertreten hat, der Kläger könne sich wegen kollusiven Zusammenwirkens mit den anderen Betriebsratsmitgliedern nicht darauf berufen, dass ihm der besondere Schutz des § 15 KSchG zustehe, so ergibt sich aus ihrem Sachvortrag allerdings nicht, welche Beteiligung der Kläger an einem solchen kollusiven Zusammenwirken gehabt haben soll. Einer abschließenden Sachverhaltsaufklärung dazu, ob der Kläger – wie er vorträgt und die Beklagte bestritten hat – am Morgen des 13.05.2015 zur Betriebsratssitzung eingeladen wurde oder nicht, bedurfte es daher nicht.
II. Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als CNC-Einrichter im Betrieb der Beklagten aus § 611 BGB.
1. Nach der zutreffenden und gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (grundlegend BAG GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) besteht ein solcher Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn das Interesse des Klägers an der tatsächlichen Beschäftigung das sogenannte Nichtbeschäftigungsinteresse der Beklagten überwiegt. Hiervon ist in aller Regel auszugehen, wenn eine arbeitsgerichtliche Entscheidung vorliegt, wonach das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte, streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst ist. Das danach ungekündigte Arbeitsverhältnis ist Grundlage des Weiterbeschäftigungsanspruchs (BAG aaO.).
2. Damit hatte die Berufungskammer von einem solch überwiegenden Beschäftigungsinteresse des Klägers auszugehen; Tatsachen, die ein Interesse der Beklagten an einer Nichtbeschäftigung des Klägers begründen können, hat sie in Erwiderung zum geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch nicht vorgetragen.
3. Der Ausurteilung des Weiterbeschäftigungsanspruchs im Berufungsverfahren steht auch nicht entgegen, dass der Kläger seinen Beschäftigungsanspruch auf den Zeitpunkt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens begrenzt hat (vgl. § 308 ZPO). Zwar hat die Berufungskammer die Revision im Urteil nicht zugelassen; indessen ist im Sinne des klägerischen Antrages solange nicht von einem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens auszugehen, solange zumindest nicht die Fristen für eine Nichtzulassungsbeschwerde abgelaufen sind oder diese zurückgewiesen wurde.
Nach alledem hatte die Berufung der Beklagten insgesamt keinen Erfolg.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 ZPO, wonach die Beklagte als die im Berufungsverfahren unterlegene Partei dessen Kosten zu tragen hat.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Die Berufungskammer hat einen Einzelfall unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entschieden.