Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 17.11.2009 - 10 OA 166/09
Fundstelle
openJur 2012, 49729
  • Rkr:
Gründe

I.

Der Kläger erhob Klage gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes durch Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2009. Nachdem die Beklagte ihre angefochtene Verfügung zurückgenommen hatte, erklärten die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt. Das Verwaltungsgericht stellte durch Beschluss vom 10. August 2009 das Verfahren ein und legte der Beklagten die Kosten des Verfahrens auf.

Unter dem 14. September 2009 beantragte der Kläger die Festsetzung der von der Beklagten zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 507,50 EUR und brachte u.a. eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (Anlage 1 RVG) - VV-RVG - in Höhe von 487,50 EUR in Ansatz. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts setzte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30. September 2009 die von der Beklagten zu erstattenden Aufwendungen in Höhe von 313,86 EUR fest. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Prozessbevollmächtigten hätten den Kläger bereits im Ausgangsverfahren vertreten. Entsprechend sei nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Teil 3 VV-RVG die Geschäftsgebühr für das Ausgangsverfahren zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.

Der Kläger hat am 12. Oktober 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss eine Entscheidung des Gerichts beantragt und geltend gemacht, dass nach der anzuwendenden Regelung des § 15a RVG eine Geschäftsgebühr nicht auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet werden könne.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluss vom 22. Oktober 2009 abgelehnt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt: Die zulässige Erinnerung sei unbegründet. Es sei zu Recht gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG die entstandene Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr angerechnet worden. Die dem entgegenstehende Bestimmung in § 15a RVG sei aufgrund der Regelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht anwendbar. Nach dieser Bestimmung sei die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden sei. Hier sei der Auftrag vor Inkrafttreten des § 15a RVG erteilt worden. Bei der eingefügten Regelung in § 15a RVG handele es sich nicht lediglich um eine gesetzgeberische Klarstellung, sondern um eine in die Zukunft wirkende Gesetzesänderung.

Der Kläger hat am 3. November 2009 Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf sein bisheriges Vorbringen verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

Zu Recht hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts im Rahmen der Kostenfestsetzung die hälftige Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG angerechnet. Der Kläger kann nicht beanspruchen, dass gegen die Beklagte ein höherer Kostenerstattungsbetrag festgesetzt wird.

Nach § 164 VwGO in Verbindung mit § 162 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwGO setzt der Urkundsbeamte des Gerichts des ersten Rechtszugs u.a. die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten fest, wobei die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands für ein gerichtliches Verfahren stets erstattungsfähig sind, für ein vorausgegangenes Vorverfahren jedoch nur dann, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärt hat.

Der Kläger hat lediglich einen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung der Gebühren und Auslagen seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 313,86 EUR. Dabei kann er u.a. die Erstattung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG nur unter Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr, mithin in Höhe von 243,75 EUR verlangen.

Nach der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichts war bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) am 5. August 2009 geklärt, dass in Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 162, 164 VwGO wegen der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird, soweit die Geschäftsgebühr wegen desselben Gegenstands entstanden ist (vgl. Beschluss des Senats vom 28. März 2008 - 10 OA 143/07 -, NdsRpfl. 2008, 290; BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - BVerwG 9 KSt 4.08 -, juris; vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. September 2009 - X ZB 1/09 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 21. Oktober 2009 - 19 C 09.2395 -, juris).

11Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 30. Juli 2009 ist hier in Anwendung der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG die hälftige Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Nach dieser unverändert gebliebenen Übergangsvorschrift ist die Vergütung des Rechtsanwalts nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag - wie im Falle des Klägers - vor Inkrafttreten der genannten Gesetzesänderung erteilt worden ist. Wegen der Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG kommt ein Rückgriff auf den erst durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 in das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz eingefügten § 15a RVG nicht in Betracht (vgl. BGH - 10. Senat -, Beschluss vom 29. September 2009, a.a.O.; Nds. OVG, Beschluss vom 27. Oktober 2009 - 13 OA 134/09 -, juris; Bay. VGH, Beschluss vom 21. Oktober 2009, a.a.O.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 10. August 2009 - 12 W 91/09 -, juris; OLG Celle, Beschlüsse vom 26. August 2009 - 2 W 240/09 -, NdsRpfl. 2009, 356 und vom 19. Oktober 2009 - 2 W 280/09 -, juris; KG, Beschlüsse vom 10. September 2009 - 27 W 68/09 - und vom 13. Oktober 2009 - 27 W 98/09 -, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 7. Oktober 2009 - 13 W 43/09 -, juris; Hess. LAG, Beschluss vom 26. Oktober 2009 - 13 Ta 530/09 -, juris).

12Mit § 15a RVG hat der Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung neu geschaffen und nicht lediglich eine bestehende Rechtslage klargestellt (a. A. BGH - 2. Senat -, Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 -, NJW 2009, 3101; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11. August 2009 - 8 W 339/09 -, AnwBl 2009, 721; OLG Koblenz, Beschluss vom 1. September 2009 - 14 W 553/09 -, AGS 2009, 420; OLG Köln, Beschluss vom 14. September 2009 - 17 W 195/09 -, AGS 2009, 512; OLG München, Beschluss vom 13. Oktober 2009 - 11 W 2244/09 -, juris; FG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Oktober 2009 - 14 Ko 2495/09 KF -, juris). So lässt sich den Gesetzgebungsmaterialien zu § 15a RVG gerade nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber eine bereits bestehende Gesetzeslage habe lediglich klarstellen wollen. Vielmehr kommt darin zu Ausdruck, für den bisher im Gesetz nicht definierten Begriff der Anrechnung eine Legaldefinition zu schaffen bzw. diesen Begriff inhaltlich zu bestimmen, um offenbar nicht bedachte Auswirkungen der Anrechnungsvorschriften nunmehr zu korrigieren (BT-Drs. 16/12717, S. 2 und 58). In diesem Sinne hat auch das BVerwG in dem o.a. Beschluss vom 22. Juli 2009 ausdrücklich eine Entscheidung des Gesetzgebers für notwendig angesehen, um eine vom bisherigen Recht abweichende Rechtsanwendung zu ermöglichen. Weiter übersieht die Gegenauffassung, dass der Gesetzgeber weder die allgemeine Übergangsbestimmung des § 60 RVG im Hinblick auf eine rückwirkende Geltung des § 15a RVG noch die Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG geändert hat. Allein aus der Existenz der Übergangsbestimmung des § 60 RVG ergibt sich aber, dass es auf die Motivationslage des Gesetzgebers bei einer gesetzlichen Neuregelung nicht entscheidend ankommen kann. Die Frage, welche rechtlichen Regelungen anwendbar sein sollen, ist vielmehr im Falle des Fehlens anderweitiger Übergangsbestimmungen nach § 60 RVG in formalisierter Weise zu beantworten (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 26. August 2009, a.a.O.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 7. Oktober 2009, a.a.O.; Beschluss des 13. Senats des erkennenden Gerichts vom 27. Oktober 2009, a.a.O.).