VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 22.02.2017 - 7 L 289/17
Fundstelle
openJur 2019, 19990
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,-- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 975/17 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2017 wiederherzustellen,

ist gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - zulässig, aber unbegründet.

Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, erweist sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die rechtlichen und tatsächlichen Ausführungen in der angegriffenen Verfügung, der sie im Wesentlichen folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist mit Rücksicht auf das Antrags- und Klagevorbringen Folgendes auszuführen:

Der Antragsteller hat sich gemäß § 11 Abs. 1 FeV i. V. m. Ziffer 9.2 der Anlage 4 zur FeV als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen. Nach Ziffer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist im Fall der gelegentlichen Einnahme von Cannabis die Kraftfahreignung in der Regel zu verneinen, wenn zwischen Konsum und Fahren nicht getrennt wird. Das ist hier der Fall.

Maßgebend ist vorliegend, dass der Antragsteller am 8. Juni 2016 gegen 15:15 Uhr ein Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss im Straßenverkehr geführt hat. Der im Blut des Antragstellers nach dem Ergebnis des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule I. vom 17. Juni 2016 festgestellte THC-Wert von 2,2 ng/ml übersteigt den zu § 24 a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1 ng/ml und rechtfertigt die Annahme eines zeitnahen Konsums mit entsprechender Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Das Erreichen dieses Grenzwertes ist nämlich für die Annahme relevanten Cannabiseinflusses erforderlich, aber auch ausreichend.

Vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 - mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. Zu den neuesten Erkenntnissen und der Frage der Beibehaltung dieses Grenzwertes siehe VG Gelsenkirchen, Urteil vom 20. Januar 2016 - 9 K 4303/15 - und Beschluss vom 25. Februar 2016 - 7 L 30/16 -.

Durch das Führen eines Kraftfahrzeuges unter Cannabiseinfluss hat der Antragsteller bewiesen, dass er zwischen Konsum von Cannabis und Fahren nicht trennen kann.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - 16 B 8/15 - juris, 1. August 2014 - 16 A 2806/13 -, juris und 21. Mai 2014 - 16 B 436/14 -, juris, jeweils m. w. N.

Die Kammer geht nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung auch von einem gelegentlichen Konsum aus. Der Antragsteller hat am Vorfallstag gegenüber den Polizeibeamten PHK H. und PHK K. eingeräumt, vor 2 Tagen einen Joint geraucht zu haben und dies gelegentlich in unregelmäßigen Abständen zu tun.

Die Kammer geht weiterhin davon aus, dass es der Antragsteller selbst und nicht sein Bruder I1. war, der am 8. Juni 2016 das Kraftfahrzeug unter Cannabiseinfluss geführt und sich zum gelegentlichen Konsum eingelassen hat. Dies ist im bestandskräftigen Bußgeldbescheid vom 3. August 2016 festgestellt. Rechtskräftigen Entscheidungen über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten außerhalb der gesetzlich festgelegten Fälle (vgl. §§ 2a Abs. 2 Satz 2, 4 Abs. 3 Satz 2 StVG) kommt zwar keine strikte Bindungswirkung zu, von der aus Gründen materieller Einzelfallgerechtigkeit allenfalls dann abgewichen werden darf, wenn die im Straf- oder Bußgeldverfahren zulasten des Betroffenen ergangene Entscheidung evident unrichtig ist.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Dezember 2009 - 16 B 1505/09 -, vom 2. März 2010 - 16 B 1316/09 - und vom 14. Mai 2013 - 16 B 349/13 - jeweils mit weiteren Nachweisen.

Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass ein Kraftfahrer in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren rechtskräftige strafgerichtliche Entscheidungen oder bestandskräftige Bußgeldentscheide mit dem darin festgestellten Sachverhalt gegen sich gelten lassen muss, sofern sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für ihre Unrichtigkeit ergeben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 - 7 C 26.83 -, juris, Rn. 14 und Beschluss vom 3. September 1992 - 11 B 22.92 -, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschlüsse vom 10. September 2012 - 16 B 910/12 - und vom 14. Mai 2013 - 16 B 349/13 - mit weiteren Nachweisen.

Derartige gewichtige Anhaltspunkte ergeben sich aber hier nicht. Zwar sind die vom Antragsteller und seinem Bruder I1. in der Verhandlungsniederschrift vom 23. November 2016 gegenüber der Antragsgegnerin abgegebenen Erklärungen, dass der Bruder I1. bei der fraglichen Verkehrskontrolle am 8. Juni 2016 das Kraftfahrzeug unter Drogeneinfluss geführt und die Personalien des Antragstellers angegeben hat, generell geeignet, Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Sachverhalts im Bußgeldbescheid zu begründen. Es bestehen aber erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags. Gegen die Glaubhaftigkeit spricht schon, dass der Antragsteller am 23. November 2016 behauptet hat, sein Bruder habe das Bußgeld bezahlt. Es ist bereits weder vorgetragen noch ersichtlich, wie der Bruder des Antragstellers vom Bußgeldbescheid, der ausweislich der Zustellungsurkunde in den zur Wohnung des Antragstellers gehörenden Briefkasten eingelegt worden war, hätte Kenntnis erlangen sollen, zumal der Bruder I1. unter einer anderen Anschrift wohnhaft ist. Zudem war bis zum 16. Dezember 2016 ein entsprechender Zahlungseingang bei der Bußgeldstelle nicht zu verzeichnen. Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens ergeben sich auch daraus, dass die Unterschrift des Bruders I2. unter der Verhandlungsniederschrift vom 23. November 2016 (Bl. 83 der Verwaltungsvorgänge) mit der Unterschrift zur Einwilligung in die Blutprobenentnahme vom 8. Juni 2016 (Bl. 54 der Verwaltungsvorgänge) nach summarischer Prüfung nicht ansatzweise übereinstimmt. Gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags, der Bruder I1. sei gefahren, spricht zudem, dass ausweislich des Aktenvermerks des PHK K. vom 6. Dezember 2016 der als Beifahrer angetroffene Bruder I1. des Antragstellers die Fragen verneinte, ob er den Polizeibeamten PHK K. und PHK H. in diesem Jahr schon einmal dienstlich begegnet sei und ob er das Fahrzeug - dasselbe wie beim Vorfall am 8. Juni 2016 - schon einmal selbst geführt habe. Bei den Polizeibeamten handelt es sich jedoch um dieselben Polizeibeamten, die bei der allgemeinen Verkehrskontrolle am 8. Juni 2016 die Cannabisfahrt feststellten. Es ist davon auszugehen, dass der Bruder I1. sich noch an die Polizeibeamten hätte erinnern können, wenn er es gewesen wäre, den dieselben Polizeibeamten am 8. Juni 2016 kontrolliert hätten. Zudem macht er hinsichtlich der Frage, ob er selbst das Fahrzeug geführt habe, damit widersprüchliche Angaben. Vor diesem Hintergrund spricht einiges dafür, dass die Antragsgegnerin zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei der Benennung des Bruders I1. als Fahrer um eine Schutzbehauptung gehandelt hat.

Gegen die Annahme, dass der Antragsteller selbst am Vorfallstag unter Einfluss von Cannabis gefahren ist, spricht auch nicht das mit der Klage- und Antragsschrift vorgelegte Haaranalysegutachten vom 9. Januar 2017. Aus diesem können allenfalls Rückschlüsse für die Frage der Drogenfreiheit in den unmittelbar vor der Haarprobenentnahme am 2. Januar 2017 vorangegangenen sechs Monaten (2. Juli 2016 bis 2. Januar 2017) gezogen werden, nicht jedoch für den etwa sieben Monate zurückliegenden Vorfallstag des 8. Juni 2016. Der im Verwaltungsverfahren angekündigte Nachweis über den am 28. November 2016 durchgeführten Drogentest kann ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung führen, da er bislang nicht vorgelegt wurde.

Angesichts des bestandskräftigen Bußgeldbescheids und mangels gewichtiger Anhaltspunkte für dessen Unrichtigkeit war die Antragsgegnerin nicht gehalten, vor der Entziehung der Fahrerlaubnis eine Blutprobenanalyse zur Identitätsüberprüfung vorzunehmen. Ob die dem Fahrer am 8. Juni 2016 entnommene Blutprobe tatsächlich vom Antragsteller oder einer anderen Person stammt, bleibt der weiteren Aufklärung im Klageverfahren vorbehalten.

Bei feststehender Ungeeignetheit steht der Antragsgegnerin kein Ermessen zu. Angesichts dessen bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung.

Dass das Interesse des Antragstellers, seine Fahrerlaubnis wenigstens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nutzen zu können, aus anderen Gründen Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug der Entziehungsverfügung genießt, ist nicht festzustellen. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers gravierend beeinflussen und im Einzelfall bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen. Die mit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis verbundenen persönlichen und beruflichen Schwierigkeiten für den Antragsteller muss er als Betroffener jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.

So auch: OVG NRW, Beschluss vom 13. Februar 2015 - 16 B 74/15 -, juris m. w. N.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 i.V.m. 2 des Gerichtskostengesetzes - GKG -. Der Streitwert eines Klageverfahrens, das die Erteilung einer Fahrerlaubnis betrifft, ist ungeachtet der im Streit stehenden Fahrerlaubnisklassen nach dem Auffangwert zu bemessen. Dieser ist im vorliegenden Eilverfahren zu halbieren.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 - juris.