VG Köln, Beschluss vom 10.07.2017 - 7 L 2889/17
Fundstelle
openJur 2019, 19988
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festge-

setzt.

Gründe

Der sinngemäße Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungverfügung der Antragsgegnerin vom 13.06.2017 anzuordnen,

ist nicht begründet.

Zwar richtet sich der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1 Halbsatz i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zutreffend auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Denn Maßnahmen nach § 16 Abs. 1-3 und § 17 Abs. 1-5 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) sind von Gesetzes wegen sofort vollziehbar, §§ 16 Abs. 8, 17 Abs. 6 IfSG. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Eingriffsnorm wird damit das besondere öffentliche Vollzugsinteresse gesetzlich unterstellt. Einer behördlichen Anordnung der sofortigen Vollziehung bedarf es in diesen Fällen nicht. Dass die Antragsgegnerin diese in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung gleichwohl getroffen hat, ist unschädlich. Denn hiermit ist für die Antragstellerin keine über die vom Gesetz vorgegebene Lage hinausgehende rechtliche Beeinträchtigung verbunden.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht der Hauptsache in Fällen, in denen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO u.a. kraft Bundesgesetzes ein Verwaltungsakt im öffentlichen Interesse sofort vollziehbar ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise anordnen. Eine solche Anordnung erfolgt aber nur, wenn nach der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung das private Aufschubinteresse des Antragstellers das in den Fällen gesetzlicher Vollzugsanordnung vermutete öffentliche Interesse an einem Vollzug des Verwaltungsakts überwiegt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn sich der Verwaltungsakt bei vorläufiger Prüfung als rechtswidrig erweist und der Rechtsbehelf der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird. Denn am Vollzug rechtswidriger behördlicher Entscheidungen kann ein öffentliches Interesse nicht bestehen.

Zum Prüfungsmaßstab in den Fällen gesetzlicher Vollzugsanordnung vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 80 Rn. 152a; Puttler, in Sodan/Ziekow, VwGO-Großkommentar, 3. Auflage 2010, § 80 Rn. 140-150 m.w.N.

Die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 13.06.2017 erweist sich bei der gebotenen vorläufigen Prüfung jedoch als rechtmäßig. Die erhobene Klage kann daher keinen Erfolg haben.

Gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren, wenn Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können oder anzunehmen ist, dass solche Tatsachen vorliegen. Übertragbare Krankheit im Sinne des Gesetzes ist nach § 2 Nr. 3 IfSG eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit.

Die weit gefasste und auf der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes zur Regelung von Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) basierende Ermächtigungsgrundlage zielt auf eine Seuchenbekämpfung im Vorfeld des Ausbruchs einer Seuche. Dem wird durch den Umstand Rechnung getragen, dass für eine wirksame Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bereits die begründete Annahme von Tatsachen, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können, ausreicht.

Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 19.08.2003 - 4 K 2818/03 -, NJW 2004, 1404; Erdle, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 3. Auflage 2005 zu § 1 IfSG.

Der Wortlaut der Norm und der mit einer Anordnung konkreter Maßnahmen gegen eine einzelne Person regelmäßig verbundene Grundrechtseingriff - vorliegend insbesondere in das Grundrecht aus Art. 13 GG - gebieten jedoch das Vorliegen im Einzelfall festgestellter Tatsachen, die nach medizinischer Erfahrung auf die Gefahr der Verbreitung übertragbarer Krankheiten schließen lassen. Die bloße Annahme solcher Tatsachen reicht dann nicht mehr aus, wenn - wie vorliegend - der Sachverhalt durch eine Wohnungsbegehung bereits ermittelt ist und die Tatsachengrundlage, aufgrund derer sich die Gefahr der Verbreitung übertragbarer Krankheiten ergeben kann, damit feststeht.

Vgl. LG Darmstadt, Beschluss vom 14.03.2012 - 5 T 475/10 -, juris.

Die von der Antragsgegnerin bei der Besichtigung am 05.05.2017 festgestellten und durch die bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Fotos dokumentierten Tatsachen rechtfertigen die Annahme einer seuchenrechtlichen Gefahr. Das durchgehend völlig verwahrloste Haus zeigt alle Charakteristika einer "Messie-Wohnung". Es ist in weiten Bereichen mit Tüten undefinierbaren Inhalts, Flaschen, verschiedenen Alltagsgegenständen und Kartons verstellt. Im gesamten Haus türmen sich Verpackungsmüll und andere weitgehend nutzlose Dinge in einer Weise, dass ein ungehindertes Begehen der Räume kaum möglich erscheint. Wände und Decken sind vielfach beschädigt. Die Elektroinstallation hängt teils lose in Raum. Eine Wohnnutzung unter menschenwürdigen Bedingungen ist angesichts dessen ausgeschlossen, zumal eine Wasser- und Stromversorgung nicht mehr bestehen. Wegen der Einzelheiten kann auf die Begründung der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung und die vorgelegten Fotodokumentationen Bezug genommen werden. Diese spricht für sich.

Der Ekel erregende Zustand - der Anbau kann und darf wegen Einsturzgefahr nicht mehr betreten werden - hat offenkundig dazu geführt, dass sich Ratten des Hauses bemächtigt haben und dort gute Lebensbedingungen vorfinden. Der erhebliche Rattenbefall wird insbesondere durch die neue Fotodokumentation vom 06.07.2017 in eindrücklicher Weise bestätigt. Dies wird auch von der Antragstellerin nicht in Abrede gestellt, wie der Hinweis auf eigene Bekämpfungsmaßnahmen belegt. Jedoch bleiben diese offenkundig erfolglos.

Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß § 16 Abs. 1 IfSG aufgegeben hat, die Räumlichkeiten vollständig von sämtlichem Müll zu befreien und alle Räume gründlich zu reinigen (Ziff. 1 und 2 der Ordnungsverfügung). Hiermit ist das aus infektionsschutzrechtlicher Sicht gebotene Mittel genannt, um der bestehenden Rattenpopulation die Lebensgrundlage zu entziehen. Denn nur eine vollständige Räumung und Reinigung aller Räume hat zur Folge, dass die Räume für Ratten als typische Träger ansteckender Krankheiten unattraktiv werden. Denn die Tiere folgen ihrem Nahrungsangebot. Dieses ist im Haus der Antragstellerin gegenwärtig in ausreichendem Maße gegeben. Nur auf der Grundlage eines geräumten Hauses können weitere Bekämpfungsmaßnahmen effektiv durchgeführt werden. Der Einwand der Antragstellerin, durch die Entfernung des Mülls würden die Ratten aufgescheucht und nähmen die ausgelegten Köder nicht mehr an, liegt neben der Sache. Die angeordneten Maßnahmen sind auch nicht unverhältnismäßig. Sie halten sich im Rahmen dessen, was von jedem Hauseigentümer und -bewohner im eigenen Interesse und im Interesse der Nachbarschaft als selbstverständlich vorausgesetzt werden darf.

Vgl. VG Saarbrücken, Beschluss vom 18.05.2017 - 2 L 854/17 -; VG Würzburg, Urteil vom 30.10.2013 - W 6 K 13.571 -; VG Arnsberg, Beschluss vom 09.05.2008 - 3 L 336/08 -.

Die Anordnung von Bekämpfungsmaßnahmen (Ziff. 3 der Ordnungsverfügung) findet ihre rechtliche Grundlage in § 17 Abs. 2 und 3 IfSG. Hiernach hat die zuständige Behörde die erforderlichen Bekämpfungsmaßnahmen anzuordnen, wenn Gesundheitsschädlinge festgestellt werden und die Gefahr begründet ist, dass durch sie Krankheitserreger verbreitet werden. Aus Absatz 3 folgt, dass die Bekämpfung sachkundig durchzuführen ist. Am Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen keine Zweifel, nachdem die angeblichen eigenen Bekämpfungsmaßnahmen der Antragstellerin offenkundig gescheitert sind.

Das Verbot der Wohnnutzung bis zu einer erfolgreichen Umsetzung der angeordneten Maßnahmen (Ziffer 4 der Ordnungsverfügung) beruht auf § 16 Abs. 1 IfSG und dient dem Schutz etwaiger Bewohner und der Allgemeinheit vor dem Auftreten übertragbarer Krankheiten. Angesichts des Zustandes des Hauses spricht es eigentlich eine Selbstverständlichkeit aus. Dass es einer behördlichen Anordnung bedurfte, ist letztlich nur der Uneinsichtigkeit der Antragstellerin geschuldet. Sollte - was die Antragstellerin bestritten hat - tatsächlich weiterhin eine Wohnnutzung durch den Sohn der Klägerin stattfinden, deutet dies nur auf dem Umstand, dass dieser dringend fremder Hilfe bedarf. Diese kann er bei Fortdauer des gegenwärtigen Zustandes und der fehlenden Bereitschaft sie anzunehmen, gegenwärtig nicht erhalten.

Die angeordnete Nachkontrolle (Ziff. 5 der Ordnungsverfügung) hat sich inzwischen durch Zeitablauf erledigt. Sie fand ihre Rechtsgrundlage in § 16 Abs. 2 IfSG.

Die Frist bis zum 06.07.2017 zur Umsetzung der Maßnahmen war angemessen. Der Sachverhalt war der Antragstellerin spätestens seit der Besichtigung vom 05.05.2017 bekannt. Es war keineswegs unzumutbar, unverzüglich nach Erhalt der Ordnungsverfügung selbst Maßnahmen einzuleiten oder ein Fremdunternehmen mit ihrer Durchführung zu beauftragen.

Die Zwangsmittelandrohung beruht auf §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 58 Abs. 1, 60 Abs. 1 und 63 Abs. 1 VwVG NRW. Mit der Ersatzvornahme ist insbesondere das nach Lage der Dinge gebotene Zwangsmittel angedroht worden. Namentlich ein Zwangsgeld wäre nicht in gleicher Weise geeignet, eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Die voraussichtlichen Kosten hat die Antragsgegnerin mit 8.000,00 Euro und damit in einer realistischen Höhe angegeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Er bemisst sich nach der Hälfte des gesetzlichen Auffangstreitwertes von 5.000,00 Euro und umfasst auch die Zwangsgeldandrohung.