VG Köln, Urteil vom 21.03.2017 - 7 K 6897/16
Fundstelle
openJur 2019, 19777
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der 1922 geborene Kläger wendet sich dagegen, dass die Einbeziehung seines Enkels B. L. in seinen Aufnahmebescheid zurückgenommen wurde.

Dem Kläger wurde im Februar 1997 ein Aufnahmebescheid erteilt. Er reiste im August 1997 in das Bundesgebiet ein und erhielt im Dezember 1997 eine Spätaussiedlerbescheinigung.

Im November 2013 beantragte er die nachträgliche Einbeziehung seines am 00.00.1983 in Turuchansk, Gebiet Krasnojarsk/Russland geborenen Enkels B. L. . Dessen Ehefrau, B1. E. , und der im Jahr 2008 geborene Sohn B2. sollten ebenfalls zu ihm ins Bundesgebiet nachreisen. Die Ehe zwischen B3. L. und B1. E. wurde 2011 geschlossen. Der Enkelsohn sei in Komsomolsk, Gebiet Poltawa/Ukraine wohnhaft. In der Rubrik des Antragsformulars, die für Angaben zu Schul- und Berufsausbildung sowie sämtlichen beruflichen Tätigkeiten des Einzubeziehenden vorgesehen ist, befindet sich der Eintrag "arbeitslos". Im Oktober 2014 unterzog sich Herr L. in der Botschaft der Beklagten in Kiew mit Erfolg einem Sprachstandstest. Mit Bescheid vom 03.02.2015 bezog das Bundesverwaltungsamt B. L. in den Aufnahmebescheid des Klägers ein.

Im Rahmen des sich anschließenden Visumsverfahrens des Herrn L. unterrichtete die Botschaft der Beklagten in Kiew das Bundesverwaltungsamt im März 2015 darüber, dass dessen Fingerabdrücke mit verschiedenen Namen und Staatsangehörigkeiten (25 verschiedene Identitäten) gespeichert seien. Im Bundesgebiet sei er wegen besonders schweren Diebstahls und Verstoßes gegen das AsylVfG inhaftiert gewesen. Er habe Asyl beantragt und sei 2013 abgeschoben worden. Das Bundesverwaltungsamt bat die Botschaft, das Visumsverfahren auszusetzen.

Herr L. erklärte daraufhin, er sei erstmals in 2002 zum Besuch seiner Verwandten in Deutschland gewesen. Von 2009 bis Ende 2010 habe er sich zu einer medizinischen Behandlung hier aufgehalten; dabei sei er gezwungen gewesen, Asyl zu beantragen. 2013 sei er bei einem weiteren Einreiseversuch wegen der Verletzung von Visabestimmungen inhaftiert worden. 2014 habe er sich erneut besuchsweise in Deutschland aufgehalten. Er sei seit 1995 in Komsomolsk gemeldet. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erklärte, dessen Enkel sei als Flüchtling aus dem Kriegsgebiet Lugansk nach Deutschland gekommen.

Das Bundesverwaltungsamt zog im Juni 2015 die bei der Ausländerbehörde des Kreises Euskirchen geführten Akten betreffend B. L. bei. Daraus ergeben sich folgende Informationen:

Im September und Oktober 2002 wurde Herr L. im Bundesgebiet aus Anlass eines unerlaubten Aufenthalts und einer Rückübernahme erkennungsdienstlich behandelt. Er war im Besitz einer schwedischen Asylbewerberkarte.

Im Juli 2009 reiste er ins Bundesgebiet ein. Er erhielt von der Zentralen Aufnahmeeinrichtung in Zirndorf eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender und erklärte, er habe bereits Asylanträge 2001 und 2002 in Norwegen, 2002 in Schweden, sowie 2003 und 2009 in der Schweiz gestellt. Ausweispapiere legte er nicht vor. Termine zur Aufnahme seines Asylbegehrens nahm er nicht wahr. Entgegen der Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis Fürth hielt Herr L. sich überwiegend in Nürnberg bei Freunden auf. Dort trat er drei Mal wegen Ladendiebstahls polizeilich in Erscheinung. Zwischen Dezember 2009 und April 2010 soll er wegen einer Erkrankung an Lungen-TBC in eine Klinik in Ansbach aufgenommen worden sein. Nach Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung vom 26.05.2010 reiste er im November 2010 aus dem Bundesgebiet aus.

Im November 2012 wurde er wegen Verdachts der Erschleichung eines Aufenthaltstitels auf einer Autobahnraststätte festgenommen. Er war im Besitz eines polnischen Touristenvisums und gab an, er wolle in Deutschland Asyl beantragen und sich wegen seiner Krankheit behandeln lassen. Vom 30.11.2012 bis zum 19.03.2013 war er in der JVA Dresden zum Abbüßen von Ersatzfreiheitsstrafen wegen Ladendiebstahls und Verstoßes gegen Aufenthaltsbestimmungen inhaftiert. Nach Ergehen einer Ausreiseaufforderung am 28.03.2013 verließ er im April 2013 das Bundesgebiet.

Bei erneuter Einreise in das Bundesgebiet im April 2014 meldete er sich zunächst als Asylsuchender in Zirndorf. Im Mai 2014 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers für Herrn L. und dessen Bruder F. bei der Kreisverwaltung Euskirchen eine Aufenthaltserlaubnis. Zur Begründung wurde angegeben, sie hätten in der Ukraine einen Einberufungsbefehl zum Wehrdienst erhalten. Aus Angst vor einem Einsatz in der Ost-Ukraine, von wo sie stammten, seien sie mit einem spanischen Visum ausgereist und über Polen geflohen. Ein Antrag auf Einbeziehung in den Aufnahmebescheid des Großvaters sei gestellt. Sie könnten jedoch den Sprachtest in der Ukraine aus Angst vor der Einberufung nicht ableisten. Nachdem Termine zur Anhörung nicht wahrgenommen wurden, erging unter dem 04.06.2014 eine Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Am 21.07.2014 reiste Herr L. aus dem Bundesgebiet aus.

Am 18.06.2015 übersandte der Kreis Euskirchen die Ausländerakte von B3. L. an die Beklagte.

Mit Bescheid vom 22.06.2015 nahm das Bundesverwaltungsamt den Einbeziehungsbescheid für B. L. unter Anordnung sofortiger Vollziehung zurück. Der Einbeziehungsbescheid sei rechtswidrig, da der Enkel des Klägers nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben sei. Nach den inzwischen gewonnenen Erkenntnissen habe er sich zur Durchführung von Asylverfahren von 2001 bis 2002 in Norwegen, 2002 in Schweden und Deutschland, 2003 und im August 2009 in der Schweiz sowie ab September 2009 in Deutschland aufgehalten. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der Aufhebung des rechtswidrigen Bescheids gegenüber dem Interesse des Klägers an dessen Aufrechterhaltung. Die Aufhebung diene der gleichmäßigen Gesetzesanwendung und beseitige eine ungerechtfertigte Bevorzugung gegenüber anderen Antragstellern.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, der behauptete, lange zurückliegende Asylantrag stehe in keinem Zusammenhang mit der Einbeziehung seines Enkels nach dem BVFG. Es sei aus der Luft gegriffen, dass sein Enkel sich ab 2009 in Deutschland aufgehalten habe; allenfalls sei er kurzzeitig hier gewesen. Seinen Wohnsitz in der Ukraine habe er jedenfalls nie aufgegeben. Soweit das Bundesverwaltungsamt das Vorliegen der für die Einbeziehung erforderlichen Voraussetzungen nicht ausreichend ermittelt habe, könne es seine Bearbeitungsfehler nicht im Nachhinein durch eine Rücknahme korrigieren. Es dürfe bei der Entscheidung über die Rücknahme der Einbeziehung keinen strengeren Maßstab anlegen als bei der Einbeziehung selbst. Das Bundesverwaltungsamt habe sein Rücknahmeermessen fehlerhaft ausgeübt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.08.2015 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch unter Verweis auf die Ausführungen im Ausgangsbescheid zurück. Der Bescheid wurde am 19.08.2015 zugestellt.

Der Kläger hat am 17.09.2015 Klage gegen den Rücknahmebescheid vom 22.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.08.2015 erhoben. Mit Urteil vom 22.03.2016 - 7 K 5470/15 - hat die Kammer der Klage stattgegeben und den Rücknahmebescheid aufgehoben. In der Begründung wurde ausgeführt, zwar sei der Einbeziehungsbescheid vom 03.02.2015 zum Zeitpunkt seines Erlasses möglicherweise rechtswidrig gewesen. Jedoch habe die Beklagte bei der Rücknahmeentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG i.V.m. § 48 Abs. 3 VwVfG ermessensfehlerhaft gehandelt. Sie habe nicht berücksichtigt, dass der für die Rücknahme maßgebliche Gesichtspunkt, nämlich das Fehlen eines ununterbrochenen Wohnsitzes der einzubeziehenden Person im Aussiedlungsgebiet, im Antragsverfahren zur Erteilung des Einbeziehungsbescheides keine Rolle gespielt habe. Weder habe die Behörde den Antragsteller zu Angaben zu diesem Merkmal aufgefordert, noch habe sie selbst Ermittlungen hierzu angestellt. Wenn aber die Behörde vor dem Erlass eines Verwaltungsaktes die gebotene Sachverhaltsaufklärung unterlasse, dürfe sie das sich daraus ergebende Risiko nicht ohne weitere Erwägungen auf den Antragsteller abwälzen. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Mit Bescheid vom 07.04.2016 nahm die Beklagte den Einbeziehungsbescheid vom 03.02.2015 für den Enkel des Klägers erneut zurück und ordnete die sofortige Vollziehung an. In der Begründung hielt die Beklagte an ihrer Auffassung fest, B3. L. sei nicht im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG im Aussiedlungsgebiet verblieben, sodass der Einbeziehungsbescheid rechtswidrig gewesen sei. Bei Abwägung aller erheblichen Umstände im Rahmen des Rücknahmeermessens sei das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Einbeziehungsbescheides höherrangig anzusehen als das Interesse des Klägers am Bestand des Bescheides. Der Kläger werde gegenüber anderen Antragstellern unangemessen bevorzugt, wenn der Bescheid Bestand habe, obwohl der Antragsteller die Voraussetzungen nicht erfülle. Zwar sei berücksichtigt worden, dass der Kläger den Erlass des rechtswidrigen Einbeziehungsbescheides nicht verschuldet habe, weil ihm das Merkmal des durchgehenden Wohnsitzes im Aussiedlungsgebiet nicht bekannt gewesen und im Antragsformular nicht erfragt worden sei. Die Rechtswidrigkeit des Einbeziehungsbescheides liege daher im alleinigen Verschulden des Bundesverwaltungsamts.

Gleichwohl überwiege das öffentliche Interesse an der Aufhebung der rechtswidrigen Entscheidung. Es gebe keine anderen Mittel, um den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Demgegenüber habe das Interesse an der Aufrechterhaltung des Bescheides nur ein geringes Gewicht.

In der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde ergänzend ausgeführt, diese sei erforderlich, um einer vorzeitigen Einreise des Enkels des Klägers in das Bundesgebiet zu begegnen. Der anschließende illegale Aufenthalt im Bundesgebiet bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Rücknahmebescheid würde zu unzumutbaren finanziellen Belastungen der Kommunen und einer Verfestigung des Aufenthaltes führen. Dies bedeute eine nicht vertretbare Bevorzugung gegenüber Antragstellern, die im Zeitpunkt der Versagung eines Einbeziehungsbescheides im Herkunftsgebiet lebten, und eine Umgehung der gesetzgeberischen Intention.

Hiergegen legte der Kläger am 08.04.2016 Widerspruch ein. Zur Begründung trug er vor, es handele sich bei dem neuen Rücknahmebescheid im Ergebnis und in der Begründung um eine Wiederholung des früheren Bescheides. Dies verstoße gegen das Wiederholungsverbot und unterlaufe die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Köln vom 22.03.2016.

Am 15.04.2016 stellte er einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Rücknahmebescheid vom 07.04.2016 (7 L 887/16). Mit Beschluss vom 03.05.2016 hat die Kammer den Antrag abgelehnt. In der Begründung stützte sich die Kammer zum einen auf die Erwägung, dass nach dem seinerzeitigen Sachstand Einiges für die Rechtmäßigkeit des neuen Rücknahmebescheides spreche, ließ dies jedoch im Ergebnis offen. Die Beklage habe nicht gegen das Verbot einer wiederholenden Verfügung verstoßen, weil sie eine neue Sachentscheidung getroffen habe und nunmehr bei Ausübung des Ermessens die Gesichtspunkte einbezogen habe, die bei der ersten Entscheidung noch keine Berücksichtigung gefunden hätten. Es spreche Einiges dafür, dass der Enkel des Klägers nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben sei und der Einbeziehungsbescheid daher rechtswidrig gewesen sei. Es sei erkennbar, dass die Behörde, zumindest in der Begründung des Sofortvollzugs, auch den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes bewertet habe, der vor einer Einreise in das Bundesgebiet noch nicht maßgeblich ins Gewicht falle. Jedenfalls falle die an den Vollzugsfolgen orientierte Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus, weil der Enkel des Klägers von dem Einbeziehungsbescheid noch keinen Gebrauch gemacht habe. Daher überwiege das öffentliche Interesse daran, dass er die endgültige Klärung des Anspruchs auf Einbeziehung im Herkunftsgebiet abwarte.

Das OVG NRW wies die Beschwerde des Klägers durch Beschluss vom 05.07.2016 - 11 B 542/16 - zurück. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2016 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 06.08.2016 erneut Klage erhoben. Er beruft sich darauf, dass der Einbeziehungsbescheid rechtmäßig gewesen sei. Es sei nicht erforderlich, dass der Wohnsitz eines Abkömmlings im Sinne des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet bestanden haben müsse. Es genüge, wenn sich der Wohnsitz im Zeitpunkt der Entscheidung über die Einbeziehung im Aussiedlungsgebiet befunden habe. Dies sei der Fall gewesen. Der Enkel des Klägers lebe seit dem 21.07.2014 und bis heute wieder in der Ukraine. Dies habe seine Mutter, T. L. , durch eine handschriftliche Erklärung bestätigt und könne auch von seiner Tante, Frau M. U. , bezeugt werden.

Er habe aber auch zu einem früheren Zeitpunkt seinen Wohnsitz in der Ukraine nie aufgegeben und dies auch nie vorgehabt. Seine Familie und seine Wohnung seien immer dort gewesen. Zwar habe er sich bei verschiedenen Gelegenheiten auch in anderen Ländern aufgehalten und ein unstetes, zielloses Leben geführt. Er habe aber in diesen Ländern nie einen Lebensmittelpunkt und auch keine Aufenthaltserlaubnis gehabt. Andernfalls hätte er seine Familie nach Deutschland mitgenommen. Der Prozessbevollmächtigte weist in diesem Zusammenhang auf das Urteil des OVG NRW vom 30.08.2012 - 11 A 2558/11 - (Balletttänzerin in Wien) hin.

Der Enkel des Klägers sei in früheren Jahren auch nicht als Asylant nach Deutschland oder in andere westliche Länder Europas gekommen. Er sei als Flüchtling aus dem Kriegsgebiet Lugansk, Ostukraine, eingereist und habe sich der schwierigen militärischen Lage dort entziehen wollen. Außerdem habe das Bundesverwaltungsgericht es für zulässig gehalten, dass ein Asylantrag unabhängig von einem Aufnahmeantrag gestellt werden dürfe, solange die Asylgründe nicht gleichzeitig auch die Gründe für den Aufnahmeantrag seien.

Zum Nachweis seines in der Ukraine fortbestehenden Wohnsitzes hat der Enkel des Klägers eine Meldebescheinigung für seinen Wohnort, der Stadt Horischni Plawni (früher: Komsomolsk) vom 18.08.2016 vorgelegt, in der ihm bescheinigt wird, dass er vom 26.06.2007 bis heute dort angemeldet sei.

Jedenfalls habe die Beklagte aber bei dem Sprachstandstest der übrigen Familienmitglieder am 23.05.2014, bei dem Herr L. nicht erschienen war, davon erfahren, dass dieser sich nicht mehr in der Ukraine aufhalte, sondern im westlichen Ausland. Tatsächlich habe dieser zu diesem Zeitpunkt in Deutschland gelebt, teilweise auch bei seiner Tante M. U. . Dies sei von den erschienen Familienangehörigen eindeutig erklärt worden. Auch bei seinem eigenen Sprachtest am 28.10.2014 habe Herr L. erklärt, warum er beim ersten Termin nicht erschienen sei und dass er sich in Deutschland bzw. in den Nachbarländern aufgehalten habe und dies auch schon seit langer Zeit, immer wieder. Die Beklagte habe also gewusst, dass der Enkel des Klägers nicht im Aussiedlungsgebiet verblieben war und habe den Einbeziehungsbescheid dennoch erteilt. Sie dürfe daher jetzt bei der Rücknahmeentscheidung keinen strengeren Maßstab anlegen als bei Erteilung des Einbeziehungsbescheides. Da vor der Einbeziehung nicht ausreichend ermittelt worden sei, sei eine Rücknahme jetzt ausgeschlossen. Der Überprüfungsfehler könne nicht mehr nachträglich ausgebügelt werden. Außerdem müsse sich die Beklagte die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess vom 22.03.2016 entgegenhalten lassen.

Im Übrigen gelte für den Enkel des Klägers die Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG. Diese Vorschrift gelte auch für eine Person, die einbezogen werden wolle. Wenn dieser also vor seiner Rückkehr in die Ukraine seinen Wohnsitz in den Westen verlagert hätte, wäre dies unschädlich.

Das Gericht hat die Verwaltungsvorgänge der Beklagten bezüglich der Mutter des B3. L. , T. L. , sowie bezüglich seines Bruder F. und seiner Schwester L1. beigezogen. Daraus ergibt sich, dass die Mutter erstmalig im September 1997 einen Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedlerin für sich, ihren damaligen Ehemann sowie die drei Kinder gestellt hat, darunter auch B3. L. . Der Antrag wurde durch Bescheid vom 29.11.2000 wegen unzureichender deutscher Sprachkenntnisse abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage wurde 2001 zurückgenommen.

Am 11.04.2012 beantragte der Kläger erstmalig die nachträgliche Einbeziehung seiner Tochter T. L. und seiner Enkel B3. , F. und L1. einschließlich der Ehegatten und des Urenkels, nachdem die Ehe der Tochter im November 2011 geschieden worden war. T. L. wurde ein Einbeziehungsbescheid erteilt. Sie ist 2014 gemeinsam mit der Tochter L1. in das Bundesgebiet eingereist. F. L. hat noch keinen Einbeziehungsbescheid erhalten.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, eine Einbeziehung komme nicht mehr in Betracht. Eine nachträgliche Einbeziehung sei nur dann möglich, wenn der Abkömmling seinen Wohnsitz seit der Ausreise des Spätaussiedlers ununterbrochen im Aussiedlungsgebiet gehabt habe, vgl. Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.09.2016. Dies sei bei dem Enkel des Klägers nicht der Fall.

Die Beklagte habe auch nicht vor dem 11.03.2015 von den Aufenthalten des Herrn L. in Deutschland erfahren. Insbesondere gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Sprachstandstests für die anderen Familienmitglieder am 23.05.2014 oder des Tests für Herrn L. am 28.10.2014 erklärt worden sei, dass dieser sich nicht in der Ukraine, sondern im westlichen Ausland aufhalte bzw. sich schon häufig dort aufgehalten habe. Vielmehr hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte schon lange vor Erteilung des Einbeziehungsbescheides darüber aufklären können, dass der Enkel des Klägers unter seiner Mitwirkung am 15.05.2014 die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beim Kreis Euskirchen beantragt hatte und sich dort auch dauerhaft habe aufhalten wollen.

Auf § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG könne sich Herr L. nicht berufen, weil er kein "Antragsteller" im Sinne dieser Vorschrift sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Gerichtsakte, die Gerichtsakten in den Verfahren 7 K 5470/15 und 7 L 887/16, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge über die Einbeziehungsverfahren von B3. L. sowie seiner Familienangehörigen, den Aufnahmevorgang für Frau T. L. und die Ausländerakte von B3. L. Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid vom 07.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides steht zunächst die Rechtskraft des Urteils der Kammer vom 22.03.2016 - 7 K 5470/15 - nicht entgegen. Die Kammer hat hierzu bereits im Beschluss vom 03.05.2016 - 7 L 887/16 - ausgeführt, dass es sich bei der erneuten Rücknahmeentscheidung vom 07.04.2016 nicht um eine wiederholende Verfügung handelt, sondern um eine erneute Ermessensentscheidung, die den Beanstandungen des Gerichts bei der Überprüfung des ersten Bescheides vom 22.06.2015 Rechnung trägt und nicht im Widerspruch zum rechtskräftigen Urteil vom 22.03.2016 steht. Auf die diesbezüglichen Ausführungen im Eilbeschluss wird Bezug genommen.

Im Übrigen steht der Bescheid vom 07.04.2016 im Einklang mit den Voraussetzungen für die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes. Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines rechtswidrigen Einbeziehungsbescheides ist § 48 VwVfG. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Da der Einbeziehungsbescheid keine Geld- oder Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, sind die Einschränkungen des § 48 Abs. 2 VwVfG nicht anwendbar. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Einbeziehungsbescheides richtet sich somit nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und Abs. 4 VwVfG.

Der Einbeziehungsbescheid vom 03.02.2015 war zum maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig, weil der einbezogene Enkel des Klägers nicht, wie § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG es verlangt, "im Aussiedlungsgebiet verblieben ist". Es ist inzwischen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass dieses Tatbestandsmerkmal nur erfüllt ist, wenn die einzubeziehende Person seit der Ausreise des Spätaussiedlers ununterbrochen ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet gehabt hat,

vgl. BVerwG, Urteile vom 27.09.2016 - 1 C 19.15 bis 1 C 21.15 - juris.

Das Erfordernis eines kontinuierlichen Wohnsitzes im Herkunftsgebiet ergibt sich bereits aus dem Wortsinn des Begriffes "verblieben". Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck des 9. und 10. Änderungsgesetzes bestätigen, dass durch die Möglichkeit der nachträglichen Einbeziehung von Abkömmlingen und Ehegatten die Familientrennung beseitigt werden sollte, die durch die Aussiedlung des Spätaussiedlers entstanden ist, und nicht durch beliebige andere Gründe.

Hiervon ausgehend erfüllt der Enkel des Klägers das Merkmal nicht, weil er seinen Wohnsitz seit der Aussiedlung des Klägers im Jahr 1997 bis zur Entscheidung über den Einbeziehungsbescheid im Jahr 2015 nicht durchgängig in der Ukraine hatte. Der Wohnsitzbegriff des Bundesvertriebenengesetzes entspricht dem des Bürgerlichen Gesetzbuchs,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.1989 - 9 C 6/89 - juris, Rn. 10 f.

Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet seinen Wohnsitz, wer sich an einem Ort ständig niederlässt. Gemäß § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.

Die Wohnsitzbegründung setzt in objektiver Hinsicht eine Niederlassung in dem Sinne voraus, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltnahme gebildet wird, und in subjektiver Hinsicht den Willen, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.08.2012 - 11 A 2558/ 11 - m.w.N.

Der räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse liegt bei einer Niederlassung, die vor allen anderen örtlichen Beziehungen eines Menschen der Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Entfaltung seines gesamten Lebens ist. Dies ist unter Berücksichtigung der persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und häuslichen Verhältnisse sowie der Absichten des Betroffenen zu ermitteln.

Die Wohnsitzaufhebung verlangt außer der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung einen Willensakt, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht am bisherigen Wohnsitz zu belassen. Der Aufgabewille ist aus den konkreten Umständen des Einzelfalls zu ermitteln und kann häufig aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die bisherige Niederlassung für lange Dauer, insbesondere mit dem Ziel der Auswanderung, verlassen und ein neuer Wohnsitz begründet worden ist,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.05.2006 - 12 A 613/04 - juris.

Mit der Wohnsitzaufgabe braucht aber nicht notwendig die Begründung eines neuen Wohnsitzes verbunden zu sein. Es ist möglich, dass der Betroffene wohnsitzlos wird,

vgl. Ellenberger, in: Palandt, 75. Aufl. 2016, § 7 Rn. 12; Erman- Westermann, Bürgerliches Gesetzbuch, 11. Aufl. 2004; § 7, Rn. 8.

Eine vorübergehende Abwesenheit zur Aufnahme eines Studiums oder einer Ausbildung oder einer - auch mehrjährigen - Montagetätigkeit oder eines befristeten künstlerischen Engagements führt dagegen nicht zu einer Aufgabe des bisherigen Wohnsitzes,

vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.08.2012 - 11 A 2558/11 - juris Rn. ; Ellenberger, in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl. 2016, § 7 Rn. 12.

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass der Enkel des Klägers seit 1997 seinen durchgängigen Wohnsitz in der Ukraine gehabt hat. Er hat sich seit 2001 immer wieder, auch für längere Zeit in Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern (Norwegen, Schweden, Schweiz) aufgehalten. Insbesondere war er von Juli 2009 bis November 2010 in Deutschland. Hierbei hat er auf verschiedenen Wegen versucht, einen legalen Daueraufenthalt herbeizuführen, insbesondere durch die Stellung von Asylanträgen und zuletzt 2014 durch die Stellung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Euskirchen. Die Stellung des Asylantrags in Deutschland im Jahr 2009 ist durch die Ausländerakte nachgewiesen. Die Asylaufenthalte in den Jahren 2001, 2002, 2003 und 2009 in anderen westeuropäischen Ländern hat der Enkel des Klägers bei seiner Anhörung in Zirndorf am 05.10.2009 glaubhaft angegeben. Der Asylaufenthalt in Schweden im Jahr 2002 ist laut polizeilichem Ermittlungsbericht vom 02.01.2010 durch eine schwedische Asylbewerberkarte dokumentiert.

Auch bei seinen Aufenthalten im Jahr 2012 und 2014 hat er vereinzelt angegeben, er wolle Asyl beantragen (vgl. polizeilicher Vernehmungsbericht vom 24.11.2012, Bl. 458 der Beiakte 2 und Aktennotiz des Prozessbevollmächtigten vom 21.07.2014, Bl. 42 der Gerichtsakte). Wer aber Asyl beantragt, macht geltend, dass er nicht in sein Heimatland zurückkehren kann,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31.05.2005 - 2 A 4337/03 - juris; VG Köln, Beschluss vom 09.09.2015 - 10 K 4974/14 - juris.

Darüber hinaus hat Herr L. im Jahr 2014 in Euskirchen die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt, mit der Begründung, er sei zum Militärdienst einberufen worden und befürchte einen Kriegseinsatz im Osten der Ukraine. Deswegen könne er auch nicht am Sprachtest in Kiew teilnehmen. Auch damit hat er also zum Ausdruck gebracht, dass er nicht mehr in seinem Heimatland leben könne und wolle.

Für eine Aufgabe des Wohnsitzes spricht auch, dass die Tochter des Klägers und Mutter des B3. L. , T. L. , seit 1997 versucht hat, als Spätaussiedlerin mit ihrer Familie in Deutschland Aufnahme zu finden; nachdem dieses Vorhaben im Jahr 2001 gescheitert war, hat der Enkel des Klägers in der Folgezeit versucht, als Asylbewerber im westlichen Ausland einen Daueraufenthalt zu begründen. Nachdem auch dies nicht gelang, wurde am 11.04.2012 der erste Antrag des Klägers auf Einbeziehung von B3. L. und seiner Familie gestellt. Demnach müssen auch die erneuten Einreisen im November 2012 und im April 2014 in Zusammenhang mit dem fortbestehenden Wunsch nach einer Übersiedlung nach Deutschland gesehen werden.

Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass der Enkel des Klägers in Deutschland oder einem anderen Land eine dauerhafte Niederlassung und damit einen neuen Wohnsitz begründet hat. Für eine derartige Feststellung fehlen zum einen Informationen über die jeweiligen Aufenthalte vor dem Jahr 2009. Zum anderen spricht gegen die Begründung eines neuen Wohnsitzes in Deutschland, dass die Aufenthalte - mit Ausnahme der ersten Zeitspanne zwischen Juli 2009 und November 2010 - relativ kurz waren und dass der Enkel des Klägers nichts unternommen hat, um seinen Aufenthalt in Deutschland zu verfestigen. Dies schließt aber nicht aus, dass er seinen Wohnsitz in der Ukraine aufgegeben hat und sodann wohnsitzlos war.

Wie der Prozessbevollmächtigte des Klägers einräumt, ist Herr L. von 2001 bis 2014 ziellos in Deutschland und anderen Ländern umhergewandert, wobei er zwischenzeitlich immer wieder in die Ukraine zurückgekehrt ist. In welchen Zeiträumen der Enkel des Klägers sich an welchem Ort aufgehalten hat, ist unbekannt. Der Beklagten kann nicht vorgehalten werden, dass sie insoweit keine Ermittlungen im Ausland angestellt hat. Sie hat im Juni 2015 durch zahlreiche Anfragen bei deutschen Asyl- und Ausländerbehörden, der Staatsanwaltschaft und der Polizei versucht, Informationen über die Voraufenthalte von Herrn L. zu erhalten. Darüber hinausgehende Aktivitäten im Ausland waren nicht erforderlich. Aufgrund der wechselnden Aufenthaltsorte und Identitäten sowie der inzwischen abgelaufenen Zeit wären diese Ermittlungen voraussichtlich ohne Ergebnis verlaufen. Im Übrigen findet die Sachaufklärungspflicht der Beklagten ihre Grenze an der Mitwirkungspflicht der Beteiligten. Diese sollen ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben, § 26 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Die Einzelheiten der Aufenthaltsorte von B3. L. in der Zeit von 2001 bis 2014 gehören zum Einflussbereich des Klägers, da er diese Informationen nach Befragen seines Enkels ohne Mühe in das Verfahren hätte einbringen können. Da er das aber nicht getan hat, geht die Unaufklärbarkeit zu seinen Lasten. Die Kammer geht daher aufgrund der bekannten Tatsachen davon aus, dass Herr L. von 2001 bis 2014 keinen durchgängigen Wohnsitz in der Ukraine gehabt hat.

Soweit der Vertreter des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, er nehme an, dass Herrn L. die Erfolglosigkeit seiner Asylanträge bewusst gewesen sei und er lediglich vorübergehende Aufenthalte als "Sozialtourist" im Auge gehabt habe, handelt es sich hierbei um eine reine Vermutung, für die es keine belastbaren Anhaltspunkte gibt.

Es kann insbesondere nicht festgestellt werden, dass Herr L. stets nur begrenzte Aufenthaltszeiten mit einem befristeten Zweck angestrebt hat. Soweit er angegeben hat, er habe nur seine Verwandten besuchen wollen oder seine Krankheit behandeln wollen, sind diese Angaben nicht glaubhaft. Denn er hat weder über die deutschen Auslandsvertretungen in der Ukraine Besuchsvisa beantragt, noch ist er nach Erreichen des Reiseziels sofort wieder ausgereist. Vielmehr ist er stets auf illegalem Weg eingereist und jeweils nur unter dem Druck einer drohenden Abschiebung wieder ausgereist. Dies spricht dafür, dass die angegebenen Aufenthaltszwecke nur vorgeschoben sind und der Aufenthalt so lange wie möglich ausgedehnt werden sollte.

Dafür spricht auch, dass er sich beispielsweise in den Jahren 2009 und 2010 offenbar kaum bei seinen Verwandten in Euskirchen aufgehalten hat, sondern ganz überwiegend in Süddeutschland, wie sich aus der Ausländerakte ergibt. Zweck des Aufenthalts war auch nicht die Behandlung seiner TBC-Erkrankung. Diese ist nämlich nicht unmittelbar nach der Einreise im Juli 2009 angetreten worden, sondern erst im Dezember 2009 auf Veranlassung der deutschen Behörden. Auch hat B3. L. die stationäre Behandlung im Fachkrankenhaus in Ansbach am 12.04.2010 ohne Begründung abgebrochen (Polizeibericht vom 24.11.2012, Bl. 453 der Beiakte 2). Die Ausreise erfolgte jedoch erst am 05.11.2010. Es liegt daher nahe, dass die Krankenbehandlung nur ein willkommener Nebeneffekt des Aufenthaltes war.

Für die Aufgabe des Wohnsitzes in der Ukraine spricht insbesondere die Tatsache, dass der Mittelpunkt und Schwerpunkt der Lebensverhältnisse von B3. L. seit 2001 nicht mehr in der Ukraine gelegen hat.

Zwar wohnte dort seine Herkunftsfamilie. Die Bindungen zu seinen Eltern und Geschwistern können aber nicht eng gewesen sein, da B3. die Familie immer wieder für längere Zeit verlassen hat, um im Ausland zu leben. Es ist unklar, ob er jemals eine Berufsausbildung in der Ukraine absolviert hat. Dagegen spricht, dass er bereits 2001, also im Alter von 18 Jahren, erstmalig Asyl in Norwegen beantragt hat. Nach den Angaben im Einbeziehungsantrag und auch bei anderen Gelegenheiten hat er angegeben, arbeitslos zu sein. Eine berufliche Existenz, die eine Bindung an den Wohnort in der Ukraine hätte bewirken können, war also nicht vorhanden.

Er hatte dort auch keine eigene Wohnung. Vielmehr kehrte er immer wieder in das seinem Vater gehörende Haus in der L2. -Str. 00 in Komsomolsk zurück, in dem auch seine Mutter sowie die Geschwister wohnten. Diese Wiederaufnahme der Niederlassung in der Ukraine beruhte aber nicht auf dem freien Willen des Herrn L. , sondern erfolgte aufgrund der zwangsweisen Beendigung seiner Aufenthalte in Deutschland und mangels anderer Alternativen.

Die Geburt seines Sohnes B4. im Jahr 2008 und die Eheschließung mit der Mutter des Kindes, B1. E. , im Jahr 2011 haben offenbar nicht zu einer Verstetigung des Aufenthaltes in der Ukraine geführt. Auch diese neuen familiären Beziehungen waren nicht geeignet, den Enkel des Klägers zu einem dauerhaften Zusammenleben mit seiner Familie zu bewegen. Denn er hat sich von 2009 bis 2010, im Jahr 2012 und 2014 erneut in Deutschland aufgehalten, mit dem Ziel, auch dort zu bleiben.

Demgegenüber hat die vorgelegte Meldebescheinigung des jetzigen Wohnortes Horischni Plawni (ehemals Komsomolsk) vom 18.08.2016 keine Aussagekraft. Herrn L. wird bescheinigt, dass er vom 26.06.2007 bis zum Zeitpunkt der Ausstellung dort gemeldet sei. Vor dem Hintergrund der bekannten Aufenthalte in Deutschland in 2009, 2010, 2012 und 2014 wird deutlich, dass diese Bescheinigung keine Bedeutung für die Feststellung des tatsächlichen Aufenthaltes hat.

Zugunsten des Enkels des Klägers kann auch die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG nicht angewendet werden. Danach gilt der Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet als fortbestehend, wenn ein Antrag nach Satz 2 abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach Satz 1 erneut Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten begründet hat. Diese Fiktion des fortbestehenden Wohnsitzes gilt nur für den Fall, dass nach einer Einreise nach Deutschland ein Härtefallantrag auf Aufnahme als Spätaussiedler gestellt worden ist und der "Antragsteller" nach der Ablehnung des Antrages in das Herkunftsgebiet zurückkehrt. Einen derartigen Härtefall-Aufnahmeantrag hat der Enkel des Klägers nicht gestellt.

Eine entsprechende Anwendung im Fall einer Rückkehr eines einzubeziehenden Abkömmlings in das Aussiedlungsgebiet ist nicht geboten. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage der Bedeutung der Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG für die Auslegung des Merkmals "im Aussiedlungsgebiet verblieben" in seiner Entscheidung vom 27.09.2016 bereits auseinandergesetzt. Es ist davon ausgegangen, dass die Wohnsitzfiktion nur für einen Aufenthalt eines Aufnahmebewerbers gilt, der "allein auf einem irrtümlich angenommenen Spätaussiedlerstatus" beruht,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 20/15 - juris, Rn. 21.

Eine Anwendung zugunsten von Familienangehörigen, die ohne vorherige Stellung eines Härtefall-Aufnahmeantrags in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt sind, hat das Bundesverwaltungsgericht aber ausgeschlossen. Aus der bloßen Existenz der Wohnsitzfiktion ergebe sich, dass der Gesetzgeber vorübergehende Aufenthalte im Bundesgebiet durchaus im Blick gehabt habe und deren Unschädlichkeit - eng begrenzt - geregelt habe, wo ihm dies sachgerecht erschienen sei. Dies sei bei der Einbeziehung von Angehörigen mit vorübergehendem Wohnsitz im Bundesgebiet aber nicht der Fall, weil es dann nahegelegen hätte, diese Möglichkeit durch einen Zusatz in der Formulierung ("im Aussiedlungsgebiet verbliebene oder dorthin zurückgekehrte ...") zu regeln,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 19/15 - juris, Rn. 15.

Demnach handelt es sich bei der Wohnsitzfiktion um eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift, die weder bei der Auslegung des Wortlauts des § 27 Abs. 2 Satz 3 BVFG, noch im Rahmen einer analogen Anwendung Berücksichtigung finden kann.

Abgesehen davon käme eine Anwendung auch deshalb nicht in Betracht, weil ein Härtefall nicht erkennbar ist. Insbesondere ist der Vortrag der Flucht aus dem Kriegsgebiet in Lugansk nicht glaubhaft, weil der Enkel des Klägers weder dort herstammt, noch dort gewohnt hat. Er ist in Turuchansk (Russische Föderation) geboren und sein früherer Wohnsitz befand sich seit 1995 in Horischni Plawni (frühere Bezeichnung: Komsomolsk); das liegt im Zentrum der Ukraine. Eine Einberufung zum Militärdienst muss er offenbar nicht befürchten, denn er hält sich nach eigenen Angaben seit Juli 2014 unbehelligt an seinem früheren Wohnort auf.

Der Einbeziehungsbescheid kann auch nicht auf § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG gestützt werden. Eine Nachholung der Einbeziehung zum Zwecke der gemeinsamen Aussiedlung mit dem Spätaussiedler kann jedenfalls dann nicht mehr erfolgen, wenn diese - wie hier - erst nach vollständigem Abschluss der Aussiedlung des Spätaussiedlers, also des Klägers, und ohne jeden noch erkennbaren zeitlichen Zusammenhang mit dieser beantragt wird,

vgl. BVerwG, Urteil vom 27.09.2016 - 1 C 19/15 - , juris, Rn. 31.

Die Beklagte war somit im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens berechtigt, den rechtswidrigen Einbeziehungsbescheid zurückzunehmen.

Die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG hat sie nicht versäumt. Hierbei handelt es sich um eine Entscheidungsfrist für die Behörde, die erst beginnt, wenn der zuständige Sachwalter alle Umstände kennt, die für die Rücknahme des Verwaltungsakts Bedeutung haben. Eine Entscheidung über die Rücknahme war frühestens mit der Erlangung der Informationen über die Voraufenthalte aus der Ausländerakte von B3. L. am 18.06.2015 möglich, sodass der Bescheid vom 07.04.2016 noch innerhalb der Jahresfrist erging.

Für die zuletzt aufgestellte Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Beklagte habe schon im Jahr 2014 gewusst, dass sich der Enkel des Klägers mehrfach und längerfristig in Deutschland und anderen Ländern aufgehalten habe, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Aus den Einbeziehungsvorgängen von Herrn L. , seiner Mutter T. und seinem Bruder F. lässt sich nicht entnehmen, dass bei den Sprachstandstests im Mai 2014 und im Oktober 2014 dementsprechende Angaben gemacht worden wären. Wenn anlässlich dieser Tests ein Aufenthalt in Deutschland thematisiert worden wäre, wären diese entscheidungserheblichen Informationen mit Sicherheit an das Bundesverwaltungsamt weitergegeben und berücksichtigt worden. Es ist im Gegenteil sehr unwahrscheinlich, dass die Angehörigen des Klägers bei den Sprachstandstests offenbart haben, dass sich B3. L. im Bundesgebiet befindet bzw. befand. Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat seinerseits diese Information verschwiegen, obwohl er wegen des versäumten Mai-Termins für den Test bei Herrn L. Anlass gehabt hätte, den Grund für diese Versäumnis anzugeben.

Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist rechtlich nicht mehr zu beanstanden. Der Gesetzgeber hat in § 48 Abs. 3 VwVfG zum Ausdruck gebracht, dass dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung im Grundsatz der Vorrang eingeräumt werden soll, durch die Einräumung des Ermessens der Behörde zugleich aber die Verpflichtung zu einer abwägenden Entscheidung im Einzelfall auferlegt,

vgl. Kopp/ Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 48 Rn. 135.

Die Beklagte hat bei der erforderlichen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands und dem privaten Interesse des Klägers am Bestand der Einbeziehung nunmehr berücksichtigt, dass zur Frage des durchgängigen Wohnsitzes des Enkels des Klägers vor Erlass des Einbeziehungsbescheides keine Ermittlungen durch die Beklagte angestellt worden sind. Sie hat gleichwohl angenommen, dass das Vertrauen des Klägers auf den Fortbestand der Einbeziehung ein geringeres Gewicht habe als das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes und der Verhinderung der Einreise des Enkels.

Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der Fehler des Bundesverwaltungsamts beim Erlass des Einbeziehungsbescheides führt nicht dazu, dass die Behörde den Fehler nun "nicht mehr ausbügeln kann". Damit macht der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Sache eine Reduzierung des Ermessens in dem Sinne geltend, dass der Vertrauensschutz des Betroffenen nun den Vorrang haben soll. Im Rahmen der Prüfung des § 48 Abs. 3 VwVfG ist ein Ermittlungsfehler der Behörde jedoch nur einer von mehreren Gesichtspunkten , der in die Abwägungsentscheidung einbezogen werden, aber nicht zwingend zu einem Überwiegen des Vertrauensschutzes führen muss,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18.05.1999 - 2 B 153/99 - ; Beschluss vom 21.02.1997 - 2 A 45/95 - für die Rücknahme von Aufnahmebescheiden.

Auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.06.1991 - 3 C 46/86 - kann sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers hier nicht berufen. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass dem Betroffenen bei der Rücknahme eines Leistungsbescheides nicht zur Last gelegt werden kann, er habe unvollständige Angaben gemacht, wenn die Behörde auf bestimmte Angaben erkennbar keinen Wert gelegt hat. Dann ist der Vertrauensschutz nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG nicht ausgeschlossen.

Diese Entscheidung ist auf den vorliegenden Fall nicht vollständig übertragbar, weil bei der Rücknahme eines Einbeziehungsbescheides § 48 Abs. 2 VwVfG nicht anwendbar ist. Während bei Leistungsbescheiden ein schutzwürdiges Vertrauen in der Regel den Vorrang genießt und die Rücknahme ausschließt, kommt im Rahmen des § 48 Abs. 3 VwVfG bei der Rücknahme von anderen begünstigenden Verwaltungsakten den Prinzipien der Rechtmäßigkeit der Verwaltung und dem Vertrauen des Betroffenen auf den Bestand der Entscheidung eine gleichwertige Bedeutung zu,

vgl. BVerwG, Urteil vom 20.01.1976 - III C 21.75 - , Buchholz 427.3 zu § 335 a LAG zur Rechtslage vor Inkrafttreten des VwVfG.

Der Aspekt der unvollständigen Ermittlung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale hat hier nicht so ein gravierendes Gewicht, dass er die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides gebietet. Insbesondere liegt hier kein Fall vor, in dem die Behörde beim Ausgangsbescheid andere, weniger strenge Maßstäbe angewendet hat, als beim Rücknahmebescheid. Die Beklagte ist schon bei der Erteilung des Einbeziehungsbescheides von einem durchgängigen Wohnsitz des Enkels des Klägers stillschweigend ausgegangen. Dies entsprach nach der Erfahrung der Kammer ihrer Rechtsauffassung seit dem Inkrafttreten des 10. Änderungsgesetzes im Jahr 2013. Die Auslandsaufenthalte des Enkels waren der Beklagten schlicht nicht bekannt.

Es ist rechtlich unbedenklich, hier dem Vertrauensschutz des Klägers ein geringeres Gewicht einzuräumen. Denn das Vertrauen des Klägers in den Bestand des Bescheides ist nur in einem eingeschränkten Umfang geschützt und hier auch noch nicht ausgeübt, weil der Enkel des Klägers die eingeräumten Rechte im Zeitpunkt der Rücknahme noch nicht durch eine Einreise nach Deutschland betätigt hatte.

Der Einbeziehungsbescheid gewährt dem Begünstigten nach seinem Regelungsgegenstand nur eine vorläufige Rechtsposition, die lediglich ein Recht auf Einreise und Geltendmachung seiner Rechte aus § 15 Abs. 2 BVFG beinhaltet. Ebenso wie der Inhaber eines Aufnahmebescheides erst im Zeitpunkt der Einreise eine gesicherte Rechtsposition als Spätaussiedler erwirbt, § 4 Abs. 1 BVFG, erwirbt auch der einbezogene Abkömmling erst mit dem Zeitpunkt der Aufnahme in den Geltungsbereich des Gesetzes die Rechtsstellung als Abkömmling eines Spätaussiedlers, § 4 Abs. 3 BVFG, mit den sich daraus ergebenden Vorteilen. Das schutzwürdige Vertrauen in den Bestand des Einbeziehungsbescheides ist daher von vornherein begrenzt. Wenn der Begünstigte seine Existenz im Herkunftsgebiet noch nicht aufgegeben hat, hat er die eingeräumten Rechte noch nicht ausgeübt, sodass sein Vertrauen in den Bestand des Bescheides ein geringeres Gewicht hat

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom23.03.2006 - 2 A 3382/04 - und Beschluss vom 05.07.2016 - 11 B 542/16 - im vorliegenden Verfahren; vgl. auch VG Köln, Urteil vom 22.01.2015 - 7 K 2781/14 - für die Rücknahme eines Aufnahmebescheides.

Es ist auch nicht erkennbar oder vorgetragen, dass der Enkel des Klägers im Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheides bereits Vermögensdispositionen im Hinblick auf eine bevorstehende Ausreise getroffen hatte, die sich nicht mehr rückgängig machen ließen.

Andere Ermessensfehler sind nicht erkennbar.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.