VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30.05.2017 - 6 z K 3595/15
Fundstelle
openJur 2019, 18895
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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der im Jahr 1990 geborene Kläger erwarb am 20. März 2009 in Rheinland-Pfalz die Hochschulzugangsberechtigung mit der Gesamtnote 2,9.

Mit Zulassungsantrag vom 12. Mai 2015 bewarb sich der Kläger zum wiederholten Male bei der Beklagten um einen Studienplatz im Studiengang Humanmedizin. Er beantragte die Teilnahme am Auswahlverfahren in der Abiturbesten- und in der Wartezeitquote und im Auswahlverfahren der Hochschulen. Sonderanträge stellte er nicht.

Mit Bescheid vom 14. August 2015 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe - mit dreizehn Wartehalbjahren und der Durchschnittsnote 2,9 - die für ihn maßgeblichen Auswahlgrenzen nicht erreicht. Die Durchschnittsnote des letzten ausgewählten Bewerbers aus Rheinland-Pfalz habe in der Abiturbestenquote 1,0 betragen, in der Wartezeitquote seien mindestens vierzehn Wartehalbjahre erforderlich gewesen. Auch im Auswahlverfahren der Hochschulen erhielt der Kläger einen Ablehnungsbescheid.

Am 18. August 2015 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Zum Sommersemester 2016 bewarb der Kläger sich erneut bei der Beklagten um einen Studienplatz im Studiengang I. . Er beantragte wieder die Teilnahme am Auswahlverfahren in der Abiturbesten- und in der Wartezeitquote und im Auswahlverfahren der Hochschulen.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2016 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger habe - mit vierzehn Wartehalbjahren und der Durchschnittsnote 2,9 - die für ihn maßgeblichen Auswahlgrenzen nicht erreicht. Der letzte ausgewählte Bewerber in der Wartezeitquote habe zwar ebenfalls vierzehn Wartehalbjahre, aber als nachrangiges Kriterium eine Durchschnittsnote von 2,5 aufzuweisen gehabt, bei dem Kläger seien die nachrangigen Kriterien ungünstiger gewesen. In der Abiturbestenquote habe die Durchschnittsnote des letzten ausgewählten Bewerbers aus Rheinland-Pfalz 1,2 betragen. Auch im Auswahlverfahren der Hochschulen erhielt der Kläger einen Ablehnungsbescheid.

Mit Schriftsatz vom 14. März 2016, am selben Tage bei Gericht eingegangen, hat der Kläger die vorliegende Klage auch auf den das Sommersemester 2016 betreffenden ablehnenden Bescheid erstreckt.

Der Kläger hat zunächst beantragt, die Beklagte unter Aufhebung ihrer Ablehnungsbescheide vom 14. August 2015 und vom 12. Februar 2016 zu verpflichten, ihn nach den Sach- und Rechtsverhältnissen des jeweils streitigen Semesters an einer deutschen Hochschule, die den Studiengang I. anbietet, zum Studium der I. , beginnend ab dem 1. Fachsemester, zuzulassen.

Nachdem der Kläger mit Bescheid vom 10. August 2016 zum Studium der I. zugelassen worden war und den ihm angebotenen Studienplatz in Frankfurt am Main angenommen hatte, hat er seine Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt. Zur Begründung beruft er sich auf den Vortrag im Verfahren VG Gelsenkirchen 6 K 4458/13. In diesem Verfahren wurde vorgetragen, im Hinblick auf die bereits von der Kammer getroffenen Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) an das Bundesverfassungsgericht bestehe das für die nunmehr verfolgte Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse. Für den Fall, dass sich das Bundesverfassungsgericht der aus den Vorlagebeschlüssen ersichtlichen Rechtsauffassung der Kammer anschließe, würde sich der klassische Fall einer Fortsetzungsfeststellungsklage unter dem Gesichtspunkt des auf § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) in Verbindung mit Art. 34 GG und Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG wegen nicht verfassungskonformer Ablehnung des Klägers zu stützenden Amtshaftungsanspruchs stellen. Die zum Amtshaftungsanspruch teilweise entwickelte Rechtsprechung zur Behandlung legislativen Unrechts komme hier nicht zur Anwendung, da gerade einer der von der Rechtsprechung konzedierten Sonderfälle vorliege. Die Vergabe der innerkapazitären Studienplätze im "Allgemeinen Auswahlverfahren" - der dort verbliebenen Studiengänge I. , Zahnmedizin, Tiermedizin und Pharmazie - beruhe nämlich nach wie vor auf einer staatsvertraglichen Grundlage aller 16 Bundesländer. Dies sei eine Grundlage, bei der die gesetzgeberische Freiheit der erst im Nachhinein tätigen 16 Gesetzgeber faktisch stark eingeschränkt und in erheblicher Weise von einem Handeln der Exekutive dominiert sei. Hinzukomme, dass die Dauer der Wartezeit gegenwärtig die im "Numerus Clausus"-Urteil des Bundesverfassungsgerichts für zulässig erachtete Wartezeit deutlich überschritten habe, was allen staatlichen Stellen und insbesondere auch der Beklagten von vornherein bekannt gewesen sei. Zudem dürfe er, der Kläger, unter Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht anders behandelt werden als die Kläger der ausgesetzten und dem Bundesverfassungsgericht im Wege einer konkreten Normenkontrollklage vorgelegten Parallelverfahren.

Der Kläger beantragt nunmehr,

festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 14. August 2015 rechtswidrig war und die Beklagte bereits zum Wintersemester 2015/2016 verpflichtet war, ihn nach den Sach- und Rechtsverhältnissen des Wintersemesters 2015/2016 an einer deutschen Hochschule, die den Studiengang I. anbietet, zum Studium der I. , beginnend mit dem 1. Fachsemester, zuzulassen,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 12. Januar 2016 rechtswidrig war und die Beklagte bereits zum Sommersemester 2016 verpflichtet war, ihn nach den Sach- und Rechtsverhältnissen des Sommersemesters 2016 an einer deutschen Hochschule, die den Studiengang I. anbietet, zum Studium der I. , beginnend mit dem 1. Fachsemester, zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte und der Gerichtsakte des Verfahrens 6 K 4458/13 sowie des in Kopie vorgelegten Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat insgesamt keinen Erfolg. Sie ist sowohl mit dem hauptantraglich als auch mit dem hilfsantraglich verfolgten Begehren bereits unzulässig.

Voraussetzung für die Zulässigkeit der vom Kläger nunmehr verfolgten Fortsetzungsfeststellungsklagen ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO das Bestehen eines berechtigten Interesses an der begehrten Feststellung. Ein solches Interesse liegt vor, wenn der Kläger trotz der eingetretenen Erledigung noch ein nachvollziehbares Interesse an der Frage hat, ob der Verwaltungsakt ursprünglich rechtmäßig war; das Urteil muss geeignet sein, die Position des Klägers zu verbessern. Ein entsprechendes Interesse ist unter anderem dann anzuerkennen, wenn der Kläger mit dem Erstreiten des Feststellungsurteils einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess vorbereiten möchte. In diesem Falle sollen ihm die "Früchte" des bereits anhängigen verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens nicht verloren gehen. Allerdings muss der beabsichtigte Schadensersatzanspruch in gewissem Umfang plausibel gemacht werden und der Schadensersatzprozess darf nicht offensichtlich ohne Erfolgsaussichten sein. Eine offensichtliche Aussichtslosigkeit ist anzunehmen, wenn die geltend gemachte Schadensersatzforderung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt bestehen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 1987 - 4 C 31.86 -, NJW 1988, 926 f.; OVG NRW, Urteil vom 13. November 1998 - 11 A 2641/94 -, NWVBl. 1999, 342, und Beschluss vom 23. Januar 2003 - 13 A 4859/00 -, NVwZ-RR 2003, 696; Nds. OVG, Beschluss vom 29. August 2007 - 10 LA 31/06 -, juris; Hess. VGH, Zwischenurteil vom 4. Juli 2012 - 6 C 824/11.T -, NVwZ 2012, 1350; Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, Kommentar, 4. Aufl. 2014, § 113 Rdnr. 279.

Dies ist hier der Fall.

Ein Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB gegenüber der Beklagten scheidet aus, weil es offensichtlich an einem schuldhaften Handeln eines Amtsträgers fehlt. Die Ablehnungsbescheide der Beklagten stehen im Einklang mit den geltenden gesetzlichen Regelungen. Diese mögen vom Kläger und der Kammer für verfassungswidrig gehalten werden; eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu lag aber im entscheidenden Zeitpunkt (Erlass der streitigen Ablehnungsbescheide) nicht vor. Da Fehler bei der behördlichen Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Hochschulzulassungsrechts nicht im Raume stehen, könnte ein Schadensersatzanspruch nur darauf gestützt werden, dass der Gesetzgeber bei dem Erlass dieser Vorschriften bzw. bei der Entscheidung, es trotz massiv anstei

gender Wartezeiten bei diesen Vorschriften zu belassen, seinerseits gegen höherrangiges Recht verstoßen hat. Eben dies wird vom Kläger auch reklamiert; er möchte also letztlich den Gesetzgeber für die von ihm geschaffenen Vorschriften haftbar machen.

Insoweit ist indes zu berücksichtigen, dass ein Amtshaftungsanspruch gemäß Art. 34 GG, § 839 BGB wegen gesetzgeberischen Tuns oder Unterlassens nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig ausscheidet. Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch ist nämlich stets die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht. Der Gesetzgeber nimmt jedoch lediglich Aufgaben der Allgemeinheit wahr, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise fehlt, ihm obliegen daher grundsätzlich keine drittschützenden Amtspflichten im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB. Eine Haftung wegen legislativen Unrechts kommt deshalb - von Sonderfällen abgesehen - nicht in Betracht.

Vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 197/11 -, NJW 2013, 168 ff., sowie Sprau, in: Palandt, BGB, Kommentar, 72. Aufl. 2013, § 839 Rdnr. 49 mit weiteren Nachweisen.

Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, bei ihm handele es sich um einen der Sonderfälle, bei denen die zum Amtshaftungsanspruch entwickelte Rechtsprechung zur Behandlung legislativen Unrechts nicht zur Anwendung komme, weil die ablehnenden Bescheide der Beklagten auf dem Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Einrichtung für Hochschulzulassung und damit einem Akt der Exekutive beruhten, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Das OVG NRW hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2015 im Verfahren 13 A 2245/15 (Berufungszulassungsverfahren zu 6 K 4458/13) die Auffassung der Kammer bestätigt und ausgeführt:

"Zwar ist der Staatsvertrag, auf den sie abhebt, ein verwaltungsrechtlicher Vertrag. Rechtswirkung nach außen, und damit auch gegenüber der Klägerin, entfaltet er aber nur über die gesetzgeberische Ratifizierung und Umsetzung. Allein diese gesetzlichen Grundlagen - hinzu tritt noch das bundesrechtliche Hochschulrahmengesetz - ermächtigen die Beklagte, Verwaltungsakte über die Vergabe von Studienplätzen gegenüber den Bewerbern zu erlassen.

Vgl. nur BVerfG, Urteil vom 7. April 1976 - 2 BvH 1/75 -, BVerfGE 42, 103 = juris, Rn. 35 ff.

Hiervon ausgehend beurteilte sich das Begehren der Klägerin, angesichts einer ihrer Auffassung nach überlangen Wartezeit zum Studium zugelassen zu werden, nicht nach dem Staatsvertrag als Exekutivakt, sondern nach bundes- und landesgesetzlichen Regelungen."

Auch ein - in ähnlichen Verfahren geltend gemachter - unionsrechtlicher Schadensersatzanspruch ist ersichtlich nicht gegeben. Voraussetzung eines solchen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes entwickelten Anspruchs ist (unter anderem) ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts. Hinreichend qualifiziert ist ein Verstoß, wenn der Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtssetzungsbefugnisse die Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat.

Vgl. nur EuGH, Urteile vom 5. März 1996 - C-46/93 u.a. -, Brasserie du Pêcheur, Slg. 1996, I-1131, Rdnr. 45, 55, vom 8. Oktober 1996 - C-178/94 u.a. -, Dillenkofer, Slg. 1996, I-4867, Rdnr. 25, und vom 13. März 2007 - C-524/04 -, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2157, Rdnr. 118; Sprau, in: Palandt, BGB, Kommentar, 72. Aufl. 2013, § 839 Rdnr. 7 mit weiteren Nachweisen.

Diesem restriktiven Haftungsmaßstab liegt die Überlegung zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit nicht regelmäßig durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden darf. Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.

Vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2010 - III ZR 140/09 -, NJW 2011, 772 ff., und Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 197/11 -, NJW 2013, 168 ff., mit weiteren Nachweisen.

Eine diesen Anforderungen entsprechende Verletzung von Unionsrecht liegt ersichtlich nicht vor; eine offenkundige und erhebliche Überschreitung unionsrechtlicher Vorgaben durch das geltende Hochschulzulassungsrecht ist nicht erkennbar.

Vgl. hierzu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Juli 2013 - 6z K 3659/11 -, juris.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.