OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.06.2018 - 6 B 527/18
Fundstelle
openJur 2019, 18113
  • Rkr:
Verfahrensgang

Erfolglose Beschwerde eines Kriminalhauptkommissars in einem Konkurrentenstreitverfahren.

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 16.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Es kann auf sich beruhen, ob die Beschwerde schon deshalb unzulässig ist, weil mit ihr ein bestimmter Antrag nicht gestellt wird (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Sie ist jedenfalls unbegründet. Aus der Antragsbegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem Antrag hätte stattgeben müssen, im Wege der einstweiligen Anordnung dem Antragsgegner vorläufig zu untersagen, die Stelle "Sachbearbeiterin/Sachbearbeiter mit Vertretungsaufgaben" im KK H. /X. mit der Beigeladenen zu besetzen, bevor über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist. Eine Auswahlentscheidung zugunsten des Antragstellers bei einer erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erscheint ausgeschlossen.

Dem Beschwerdevorbringen können vier Monita entnommen werden, die indessen überwiegend schon nicht hinreichend dargelegt sind und jedenfalls letztlich nicht zum Erfolg der Beschwerde führen.

1. Die Beschwerde verweist zunächst erfolglos darauf, der Antragsgegner habe der Schwerbehindertenvertretung tatsächlich ein Schreiben vom 19. Januar 2018 vorgelegt, diese habe aber hierzu eine Stellungnahme nicht abgegeben, "wobei sie aber in der Tat Gelegenheit dazu gehabt hätte". Jede nähere Erläuterung bleibt insoweit aus. Dies verfehlt die Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach die Beschwerdebegründung die Gründe darlegen muss, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen muss. Es wird nicht einmal klar, inwieweit die Beschwerde die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung für defizitär hält.

2. Der Antragsteller beanstandet ferner, ein alternativer Beurteilungsvorschlag durch den Vorgesetzten des Erstbeurteilers, wie ihn hier der Abteilungsleiter Polizeidirektor H1. (wohl) vorgelegt haben soll, sei in den Beurteilungsrichtlinien der Polizei nicht vorgesehen. Das ist für sich genommen zutreffend; inwieweit sich daraus die Rechtswidrigkeit der dienstlichen Beurteilung ergeben soll, ist der Beschwerdebegründung aber wiederum nicht zu entnehmen und auch nicht ersichtlich. Nach Ziff. 9.1.1. Abs. 5 Satz 2 der Beurteilungsrichtlinien

- Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Bereich der Polizei, Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales - 403-26.00.05 - vom 29. Februar 2016, MBl. NRW. 2016 S. 226, im Folgenden: BRL Pol -

erörtern die Vorgesetzten der Erstbeurteilerinnen und Erstbeurteiler den Beurteilungsvorschlag mit ihren Vorgesetzten. Dazu, wie diese Erörterung zu erfolgen hat, ist nichts bestimmt. In der Regel wird dies mündlich geschehen; es ist jedoch nicht erkennbar, was dagegen sprechen sollte, wenn ein Vorgesetzter, der einen Erstbeurteilervorschlag für unangemessen hält, hierzu eine schriftliche Grundlage in Form eines abweichenden Vorschlags unterbreitet.

3. Ohne Erfolg macht die Beschwerde des Weiteren geltend, die Absenkung der Bewertungen des Erstbeurteilervorschlags beruhe, wie dem Erstbeurteiler mitgeteilt worden sei, auf 'personellen Konzeptionen', was "kein zulässiger Gesichtspunkt zur Erteilung einer solchen Bewertung" sei. Auch insoweit bleibt indessen eine nähere Darlegung dieser Rechtsauffassung aus. Die Beschwerde lässt es überdies an jeder Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Verwaltungsgerichts fehlen, wonach allein ausschlaggebend sei, ob Polizeidirektor H1. dem Endbeurteiler Landrat I. die Herabstufung des Erstbeurteilervorschlags plausibel erläutert habe, wozu der Erstbeurteiler C. keine verlässlichen Angaben machen könne.

4. Schließlich moniert der Antragsteller, es fehle an der Begründung zur Bildung des Gesamturteils. Es kann auf sich beruhen, ob diese Beanstandung berechtigt ist (dazu a). Denn dies könnte jedenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde führen (b.).

a) Der beschließende Senat hat bereits im Anschluss an die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

BVerwG, Urteile vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 -, BVerwGE 153, 48 = juris Rn. 30 ff., vom 2. März 2017 - 2 C 21.16 -, BVerwGE 157, 366 = juris Rn. 58 ff., und - 2 C 51.16 -, IÖD 2017, 170 = juris Rn. 11 ff., sowie Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 2 VR 1.16 -, BVerwGE 157, 168 = juris Rn. 38 ff.,

festgestellt, dass dienstliche Beurteilungen im Bereich der Polizei NRW, die im Ankreuzverfahren erstellt werden, im Regelfall eine Begründung des Gesamturteils enthalten müssen.

Vgl. dazu eingehend Beschluss vom 15. September 2017 - 6 B 639/17 -, juris Rn.8 ff. mit weiteren Nachweisen; auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Juni 2017 - 1 B 232/17 -, juris Rn. 32, 37.

Angesichts dieser auf der verfassungsrechtlichen Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 GG fußenden Rechtsprechung ist es unbeachtlich, dass weder dem LBG NRW noch - erst recht - den BRL Pol, namentlich der das Gesamturteil betreffenden Regelung der Ziffer 8.1, eine solche Anforderung zu entnehmen ist.

Die Begründung des Gesamturteils im Sinne der Rechtsprechung, also als Herleitung aus den Einzelmerkmalen unter Darlegung ihrer Gewichtung, ist in der dem Antragsteller unter dem 25. August 2017 erteilten dienstlichen Beurteilung nicht erfolgt, und zwar auch nicht mit der Abweichungsbegründung nach 9.2. BRL unter Ziff. IV. der Beurteilung. Nach jener Bestimmung hat die oder der Schlusszeichnende die abweichende Beurteilung zu begründen, wenn Erst- und Endbeurteilung bei der Bewertung der Merkmale und des Gesamturteils nicht übereinstimmen. Eine solche Begründung für die Abweichung - aber auch nur diese - hat der Schlusszeichnende hier mit dem Hinweis auf den Quervergleich innerhalb der Vergleichsgruppe mit einer sehr hohen Leistungsdichte gegeben. Die erforderliche Gesamtwürdigung des vom Antragsteller gezeigten Leistungsbilds unter Gewichtung der Einzelfeststellungen liegt darin nicht.

Es kann offenbleiben, ob die Begründung des Gesamturteils im Streitfall ausnahmsweise entbehrlich war. Dies dürfte allerdings nicht deshalb anzunehmen sein, weil sich die vergebene Note - vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null - geradezu aufdrängt.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 2. März 2017 - 2 C 21.16 -, a.a.O. Rn. 66, vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 -, a.a.O. Rn. 37, sowie Beschluss vom 21. Dezember 2016 -, a.a.O. Rn. 42.

Denn der Antragsteller ist in drei Einzelmerkmalen mit fünf, in vier Merkmalen mit vier Punkten bewertet. Plausiblerweise wird damit als Gesamturteil nur eine Beurteilung mit vier oder fünf Punkten in Betracht kommen. Bei einem derart knappen Überwiegen der Einzelbeurteilungen mit vier Punkten ist aber eine Konstellation, die einer Ermessensreduzierung auf Null gleichkommt, nicht gegeben. Vielmehr wäre bei einer entsprechenden Gewichtung der Einzelmerkmale auch die Vergabe der Bestnote im Gesamturteil plausibel begründbar.

Der Senat lässt dahinstehen, ob das Erfordernis einer Begründung des Gesamturteils deshalb entfällt, weil der Antragsgegner in seinem Eckpunktepapier für das Beurteilungsverfahren 2017 festgelegt hat, allen Einzelmerkmalen solle das gleiche Gewicht zukommen.

Es steht zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn festzulegen, welches Gewicht er den einzelnen Merkmalen einer dienstlichen Beurteilung zumessen will. Dem Bundesverwaltungsgericht erscheint insoweit eine abstrakte Vorgabe des Dienstherrn geeignet, die erläutert, welchen Einzelmerkmalen einer sogenannten Ankreuzbeurteilung er im Verhältnis zu den anderen Einzelmerkmalen welches Gewicht zumisst, wobei er auch mathematisch exakt Faktoren für die Einzelmerkmale festlegen darf.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, IÖD 2018, 122 = juris Rn. 45.

Allerdings darf sich das Gesamturteil nicht auf die Bildung des arithmetischen Mittels aus den Einzelbewertungen beschränken.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. März 2017 - 2 C 21.16 -, a.a.O. Rn. 66, - 2 C 51.16 -, a.a.O. Rn. 15, und vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 -, a.a.O. Rn. 33; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. Mai 2018 - OVG 4 S 43.17 -, juris Rn. 11; Bay. VGH, Beschluss vom 16. April 2018 - 6 ZB 18.292 -, juris Rn. 3; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 23. Januar 2017 - 4 S 2241/16 - VBlBW 2017, 296 = juris Rn. 8; Hess.VGH, Urteil vom 4. Juni 2014 - 1 A 651/13 -, ZBR 2014, 388 = juris Rn. 28.

Der dem Dienstherrn eröffnete Wertungsspielraum bei der Gewichtung der Einzelmerkmale findet dort eine Grenze, wo eine von ihm abstrakt vorgegebene Gewichtung dem Bedeutungsgehalt der Begriffe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung offensichtlich nicht mehr gerecht wird. Dies kann der Fall sein, wenn der Dienstherr einer Vielzahl von zu bewertenden Einzelmerkmalen, die für die Beurteilung von Eignung und fachlicher Leistung unterschiedlich bedeutsam sind, das gleiche Gewicht für die Bildung des Gesamturteils zumisst.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. März 2018 - 2 A 10.17 -, a.a.O., Rn. 46.

b) Es kann jedenfalls nicht angenommen werden, dass die Auswahl des Antragstellers bei einer erneuten Auswahlentscheidung unter Vermeidung des möglichen Rechtsfehlers, der im Unterbleiben der Begründung des Gesamturteils liegen könnte, ernsthaft möglich erscheint.

Wird das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, kann der unterlegene Bewerber gemäß Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung (nur) dann beanspruchen, wenn seine Auswahl ernsthaft möglich erscheint. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs dürfen aber nicht überspannt und über die Darlegung der Fehlerhaftigkeit der Auswahlentscheidung und die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung bei Vermeidung des unterstellten Fehlers hinaus ausgedehnt werden.

Vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - 2 BvR 2223/15 -, IÖD 2016, 86 = juris Rn. 84 ff., und vom 25. November 2015 - 2 BvR 1461/15 -, IÖD 2016, 14 = juris Rn. 19; OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Dezember 2017 - 6 B 1135/17 -, juris Rn. 18, und vom 10. Oktober 2017 - 6 B 905/17 -, juris Rn. 31; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27. Oktober 2015 - 4 S 1733/15 -, juris Rn. 77 ff.

Die Beurteilung, ob die Auswahl möglich oder ausgeschlossen erscheint, setzt eine wertende Betrachtung der Umstände des Einzelfalls voraus. Sie kann einerseits nicht schon im Falle einer - grundsätzlich immer gegebenen - "theoretischen Chance" des erfolglosen Bewerbers, ausgewählt zu werden, in dessen Sinne ausfallen. Andererseits haben die Gerichte zu beachten, dass es nicht ihre Aufgabe ist, den besser geeigneten Bewerber zu bestimmen und eine eigene Prognose der Erfolgsaussichten der Bewerbung vorzunehmen.

OVG NRW, Beschluss vom 17. April 2018 - 1 B 189/18 -, juris Rn. 17 ff.

Im Streitfall erscheint es nicht ernsthaft möglich, dass eine rechtsfehlerfrei getroffene Auswahlentscheidung zugunsten des Antragstellers ausfällt. Zwar mag das Erfordernis der Begründung des Gesamturteils implizieren, dass dieses besser ausfällt als geschehen, so dass sich bei der Betrachtung allein der Gesamturteile ein Gleichstand zwischen Beigeladener und Antragsteller ergeben könnte. In dieser Situation wäre der Antragsgegner indessen gehalten, seine Entscheidung an der Auswertung der Einzelbewertungen auszurichten. Der Dienstherr muss bei gleichem Gesamturteil zunächst die Beurteilungen umfassend inhaltlich auswerten und Differenzierungen in der Bewertung einzelner Leistungskriterien oder in der verbalen Gesamtwürdigung zur Kenntnis nehmen. Hilfskriterien darf erst dann Bedeutung beigemessen werden, wenn sich aus dem Vergleich anhand leistungsbezogener Kriterien kein Vorsprung von Bewerbern ergibt.

Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 - 2 VR 1.14 -, IÖD 2015, 38 = juris Rn. 35, und vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, BVerwGE 147, 20 = juris Rn. 46; OVG NRW, Beschlüsse vom 31. März 2017 - 1 B 6/17 -, juris Rn. 14, und vom 25. November 2010 - 6 B 749/10 -, NWVBl 2011, 176 = juris Rn. 10; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 14. Oktober 2014 - 2 B 10611/14 -, NVwZ-RR 2015, 141 = juris Rn. 23 ff.

Die Beachtung des Begründungserfordernisses würde nichts daran ändern, dass die Beigeladene in drei Einzelmerkmalen ebenso wie der Antragsteller, in vier Einzelmerkmalen aber besser als dieser bewertet ist. Da der Antragsteller in keiner Einzelbewertung besser abgeschnitten hat als die Beigeladene, wiese diese bei jeder denkbaren Gewichtung der Kriterien ihm gegenüber einen Vorsprung auf. Abgesehen davon hat der Antragsgegner, wie oben ausgeführt, festgelegt, dass allen Einzelmerkmalen das gleiche Gewicht zukommen soll. Eine andere Entscheidung als diejenige für die Beigeladene wäre mithin unter Berücksichtigung der Einzelbewertungen nicht plausibel zu begründen. Die Frage, ob die Beigeladene zusätzlich - wie der Antragsgegner geltend macht - wegen wahrgenommener Führungsverantwortung einen Qualifikationsvorsprung gegenüber dem Antragsteller hat oder dieser jenen Vorsprung - wie er vorbringt - ausgleichen kann, weil er selbst Führungserfahrung aufweist, ist vor diesem Hintergrund gleichfalls ohne Belang.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Antragsteller auch die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese auch im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).