OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.06.2016 - 6 B 253/16
Fundstelle
openJur 2019, 18081
  • Rkr:
Verfahrensgang

Erfolgreiche Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die im Wege der einstweiligen Anordnung ausgesprochene Untersagung, eine nach der Besoldungsgruppe A 12 bewertete Beförderungsstelle mit einem Mitkonkurrenten zu besetzen.

Zur Bestimmung des Anforderungsprofils anhand des Statusamtes bzw. zwingender Erfordernisse des angestrebten Dienstpostens.

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Der Antrag wird insgesamt abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 13.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich die Antragsgegnerin bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens nur gegen den stattgebenden Teil des angegriffenen Beschlusses richtet, hat Erfolg. Die von ihr dargelegten Gründe rechtfertigen die Änderung des angefochtenen Beschlusses.

Auch das Begehren des Antragstellers,

der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die intern ausgeschriebene Planstelle 85/0141 "Teamleiter/in, Widerspruchs- und Rechtsstelle" im JobCenter I. mit einem Mitkonkurrenten zu besetzen, bevor nicht über seine Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist,

ist unbegründet. Der Antragsteller hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines diesen Antrag stützenden Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Entscheidung der Antragsgegnerin, ihn nicht in das die streitbefangene Stelle betreffende weitere Auswahlverfahren einzubeziehen, verletzt seinen Bewerbungsverfahrensanspruch nicht, weil er das rechtlich nicht zu beanstandende konstitutive Anforderungsmerkmal der "Führungserfahrung" nicht erfüllt.

Nach der Stellenausschreibung vom 14. August 2015 wird von den Bewerbern u.a. "Führungserfahrung" erwartet. Hierbei handelt es sich unstreitig um ein konstitutives Anforderungsmerkmal. Der Antragsteller erfüllt dieses Merkmal nicht. Er ist bisher ausschließlich als Sachbearbeiter tätig gewesen und hat keine Führungsfunktion bzw. -aufgaben wahrgenommen, im Rahmen derer er Führungserfahrung hätte erlangen können. Dementsprechend enthalten weder die aus Anlass seiner Bewerbung um die streitbefangene Stelle erstellte dienstliche Beurteilung vom 3. November 2015 noch seine früheren Beurteilungen eine Bewertung des Merkmals "Führungsverhalten". Vielmehr ist darin festgehalten, dass dieses Merkmal nicht beurteilt werden kann, "weil keine Führungsaufgaben wahrgenommen werden".

Die mangels Erfüllung des konstitutiven Anforderungsmerkmals "Führungserfahrung" erfolgte Nichteinbeziehung des Antragstellers in das weitere Auswahlverfahren verstößt nicht gegen den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Grundsatz der Bestenauslese.

Nach Art. 33 Abs. 2 GG dürfen öffentliche Ämter im statusrechtlichen Sinne nur nach Kriterien vergeben werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Beamte den Anforderungen seines Amts genügt und sich in einem höheren Amt voraussichtlich bewähren wird. Art. 33 Abs. 2 GG gilt für Beförderungen unbeschränkt und vorbehaltlos; er enthält keine Einschränkungen, die die Bedeutung des Leistungsgrundsatzes relativieren. Diese inhaltlichen Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG für die Vergabe höherwertiger Ämter machen eine Bewerberauswahl notwendig. Der Dienstherr muss Bewerbungen von Beamten um das höherwertige Amt zulassen und darf das Amt nur demjenigen Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten ausgewählt hat.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 - 2 VR 1.14 -, IÖD 2015, 38, und vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, BVerwGE 147, 20.

Art. 33 Abs. 2 GG dient dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes. Fachliches Niveau und rechtliche Integrität des öffentlichen Dienstes sollen gerade durch die ungeschmälerte Anwendung des Leistungsgrundsatzes gewährleistet werden. Zudem vermittelt Art. 33 Abs. 2 GG Bewerbern ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Jeder Bewerber um ein Amt hat einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen zurückweist, die durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt sind (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch).

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, a.a.O.

Über die Eignung des Bewerberfeldes kann der Dienstherr auch in einem gestuften Auswahlverfahren befinden. Bewerber, die die allgemeinen Ernennungsbedingungen oder die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllen oder die aus sonstigen Eignungsgründen für die Ämtervergabe von vornherein nicht in Betracht kommen, können in einer ersten Auswahl ausgeschlossen werden und müssen nicht mehr in den Leistungsvergleich einbezogen werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Bewerber, die zwingende Vorgaben eines rechtmäßigen Anforderungsprofils nicht erfüllen.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, a.a.O.

Bei der Bestimmung des Anforderungsprofils ist der Dienstherr aber an die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Soweit - wie vorliegend - eine an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Dienstpostenvergabe in Rede steht, ist er auch zur Einhaltung des Grundsatzes der Bestenauslese verpflichtet.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 - 2 VR 1.14 -, a.a.O., und vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, a.a.O.

Bezugspunkt der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 GG ist nicht die Funktionsbeschreibung des konkreten Dienstpostens, sondern das angestrebte Statusamt. Nach dem Laufbahnprinzip wird ein Beamter aufgrund seiner Befähigung für eine bestimmte Laufbahn regelmäßig als geeignet angesehen, jedenfalls diejenigen Dienstposten auszufüllen, die seinem Statusamt entsprechen oder dem nächsthöheren Statusamt zugeordnet sind (vgl. § 7 Abs. 1 Halbsatz 1, § 20 Abs. 4 LBG NRW). Es kann grundsätzlich erwartet werden, dass der Beamte imstande ist, sich in die Aufgaben dieser Dienstposten einzuarbeiten.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 - 2 VR 1.14 -, a.a.O., und vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, a.a.O.

Eine Einengung des Bewerberfeldes darf daher grundsätzlich nicht aufgrund der Anforderungen eines konkreten Dienstpostens erfolgen. Eine Ausnahme hiervon ist nur zulässig, wenn die Wahrnehmung der Aufgaben eines Dienstpostens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkeiten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßig nicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung auch nicht verschaffen kann. Diese Voraussetzungen hat der Dienstherr darzulegen, sie unterliegen voller gerichtlicher Kontrolle.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19. Dezember 2014 - 2 VR 1.14 -, a.a.O., und vom 20. Juni 2013 - 2 VR 1.13 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschlüsse vom 30. November 2015 - 6 B 1080/15 -, juris, vom 26. März 2015 - 6 B 168/15 -, juris, und vom 10. Oktober 2014 - 6 B 1012/14 -, juris.

Nach diesen Maßgaben widerspricht das von der Antragsgegnerin aufgestellte konstitutive Anforderungsmerkmal "Führungserfahrung" entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG. Die Antragsgegnerin hat dargelegt, dass die vorstehenden Ausnahmevoraussetzungen gegeben sind.

Die die streitbefangene ("Teamleiter-")Stelle betreffende Ausschreibung nennt folgende vom Stelleninhaber zu erfüllende Aufgaben:

- Führung und Steuerung der zugeteilten Mitarbeiter/-innen und Arbeitsmittel im Team

- Dienst- und Fachaufsicht im übertragenen Rahmen

- Umsetzung der auf Geschäftsführungsebene koordinierten fachlichen und organisatorischen Maßnahmen und Unterrichtung der Mitarbeiter/-innen der Rechtsstelle

- Prozesssteuerung und -optimierung, Sicherstellung der Qualitätsstandards

- Fachliche Verantwortung für die Durchführung der Aufgaben nach dem SGG im Geschäftsfeld SGB II

- Koordination der Zusammenarbeit zwischen der Rechtsstelle und den anderen Bereichen im JobCenter I.

- Vertretung vor der Sozialgerichtsbarkeit im Geschäftsfeld SGB II

- Koordination der Informationen der Mitarbeiter/-innen über aktuelle Urteile, anhängige Klageverfahren usw.

- Erarbeitung, Überarbeitung oder Mitwirkung beim Erlass neuer Arbeitshilfen und Empfehlungen für das JobCenter I.

- Klärung von Zweifelsfragen in schwierigen Fällen

- Auswertung der Rechtsprechung, von Statistiken pp.

- Unterzeichnung des Schriftverkehrs entsprechend der erteilten Befugnisse bzw. Ermächtigung

- Statistische Arbeiten und Berichte.

Auf diesem Dienstposten fallen somit überwiegend Leitungs- und Führungsaufgaben an. Die Antragsgegnerin hat den Aufgabenbereich im gerichtlichen Verfahren weiter erläutert und darauf hingewiesen, dass der Stelleninhaber "die Dienst- und Fachaufsicht über 18 Mitarbeiter in der Widerspruchs- und Rechtsstelle" ausübe, "also über einen erheblichen Führungssprengel" verfüge. Sie hat überdies in ihrem an den Antragsteller gerichteten Schreiben vom 27. November 2015 auf die Anlage seiner Anlassbeurteilung vom 14. August 2015 verwiesen. Dort ist ausgeführt, dass "wegen der Singularität" des streitbefangenen Dienstpostens und der "besonderen Bedeutung und Anforderungen" eine "erstmalige Entwicklung als Führungskraft hier nicht erfolgen" könne. Diese - zusammenfassende - Schlussfolgerung ist zuvor mit näheren Einzelheiten ausführlich und nachvollziehbar begründet.

Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden, dass ein Bewerber, der bisher keine Aufgaben wahrgenommen hat, im Rahmen derer er Führungserfahrung bzw. führungsrelevante Kompetenzen hätte erlangen können, zur ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung auf dem streitbefangenen Dienstposten nicht in der Lage ist.

Zu Recht führt die Antragsgegnerin des Weiteren an, dass ein Laufbahnbewerber, der, wie der Antragsteller, die Befähigung für die Laufbahn des gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienstes besitzt, regelmäßig keine Führungserfahrung bzw. durch die Wahrnehmung von Führungsaufgaben zu erlangende führungsrelevante Kompetenzen mitbringt. Die Laufbahnbefähigung in Laufbahnen des gehobenen Dienstes wird in einem Vorbereitungsdienst von drei Jahren und durch Bestehen der Laufbahnprüfung erworben (vgl. 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBG NRW). Im Rahmen des Vorbereitungsdienstes für die Laufbahn des gehobenen allgemeinen Verwaltungsdienstes werden die vorliegend in Rede stehenden Kompetenzen nicht vermittelt.

Die Antragsgegnerin hat schließlich auch dargelegt, dass die auf dem streitbefangenen Dienstposten zu bewältigenden Führungsaufgaben derart sind, dass der künftige Dienstposteninhaber über die geforderte Führungserfahrung bereits im Zeitpunkt der Übertragung des Dienstpostens verfügen muss. Dass, wie sie mit Blick auf den Aufgabenbereich erläutert hat, eine "erstmalige Entwicklung als Führungskraft hier nicht erfolgen" kann, mithin ein Laufbahnbewerber, der über die geforderte Führungserfahrung nicht verfügt, sich durch die Wahrnehmung der auf diesem Dienstposten anfallenden Führungsaufgaben die hierfür erforderlichen führungsrelevanten Kompetenzen nicht in angemessener Zeit und ohne unzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahrnehmung verschaffen kann, ist in Anbetracht der Qualität und Quantität der Führungsaufgaben plausibel.

Angesichts dessen verfängt im Übrigen auch der Einwand des Antragstellers nicht, die Vorgabe des konstitutiven Anforderungsmerkmals "Führungserfahrung" sei nur erfolgt, weil er "auf dem ausgeschriebenen Dienstposten nicht gewollt" sei. Für ein derartiges sachwidriges Vorgehen der Antragsgegnerin gibt es keinen tragfähigen Anhaltspunkt. Die Einengung des Bewerberfeldes ist aufgrund der Anforderungen des streitbefangenen Dienstpostens erfolgt und aus den dargestellten Gründen sachlich gerechtfertigt.

Nach alledem bedarf es im vorliegenden Verfahren keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob und in welchen Konstellationen die den Dienstherrn nicht unerheblich einschränkenden Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts betreffend die Einengung des Bewerberfeldes in Anbetracht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 2015 - 2 BvR 1958/13 -, ZBR 2016, 128, vom 24. Juli 2014 - 2 BvR 816/14 -, NVwZ 2015, 523, und vom 7. März 2013 - 2 BvR 2582/12 -, ZBR 2013, 346,

bzw. des Bundesarbeitsgerichts,

vgl. Urteile vom 10. Februar 2015 - 9 AZR 554/13 -, PersV 2015, 392, und vom 6. Mai 2014 - 9 AZR 724/12 -, BAGE 148, 123,

hinterfragt werden können bzw. einer Modifikation bedürfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 bis 4 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).