OLG Köln, Urteil vom 15.10.2018 - 5 U 76/16
Fundstelle
openJur 2019, 17587
  • Rkr:
Verfahrensgang

1.

Dass eine Leitlinie eine bestimmte medizinische Vorgehensweise (hier Verschluss eines Trokarzugangs durch Fasziennaht) empfiehlt, bedeutet nicht, dass es sich dabei auch um die Abbildung des zum Behandlungszeitpunkt gültigen fachärztlichen Standards handelt. Dies gilt insbesondere, wenn sich die Empfehlung bei einem erheblichen Teil der betroffenen Medizinerkreise nicht durchgesetzt hat.

2.

Kann ein Patient zur Frage, ob er bei zutreffender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, wegen seines Versterbens nicht mehr persönlich gehört werden, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Einzelfallumstände festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte (vgl. BGH, Urt. v. 17.4.2007, VI ZR 108/06). Davon ist nicht auszugehen, wenn angesichts einer akuten Blinddarmentzündung weder das Unterlassen der Blinddarmentfernung ernstlich in Betracht gekommen wäre, noch Umstände dafür sprechen, dass der Patient die wesentlich stärker einschneidende offene Operation bevorzugt hätte.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 25.5.2016 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 388/13 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am 8.6.1940 geborene, deutlich übergewichtige Mutter des Klägers (im Folgenden: Patientin) wurde am 26.2.2010 mit rechtsseitigen Unterbauchschmerzen im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen. Wegen einer perforierten Blinddarmentzündung erfolgte am gleichen Tag eine laparoskopische Appendektomie. Ein Verschluss der Trokaröffnungen ist im Operationsbericht nur für einen der drei Zugänge beschrieben. Am 4.3.2010 wurde die Patientin nach komplikationslosem postoperativen Verlauf entlassen.

Am 11.3.2010 klagte sie gegenüber den um 17.07 Uhr verständigten Rettungsassistenten über starke Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Der Blutdruck betrug 180/100 mmHg bei einer Herzfrequenz von 68/min. Gegen 17.30 Uhr wurde die Patientin in das Krankenhaus der Beklagten eingeliefert. Die zu diesem Zeitpunkt entnommene Blutprobe ergab einen Leukozytenwert von 5,8 /nl (Referenzbereich 4,0 - 10,0 /nl), einen CRP-Wert von 23,3 mg/dl (Referenzbereich bis 0,5 mg/dl) und einen Kreatinin-Wert von 2,2 mg/dl (Referenzbereich bis 1,3 mg/dl). Der Assistenzart Dr. A stellte bei der gegen 18.50 Uhr erfolgten Untersuchung einen Druckschmerz in allen vier Quadranten, aber keine Abwehrspannung fest. In der Anamnese heißt es, dass die Schmerzen seit dem Nachmittag zugenommen hätten. Eine Sonografie des Abdomens zeigte wenig freie Flüssigkeit im gesamten Unterbauch. Die um 19.05 Uhr gefertigte Röntgenaufnahme des Abdomens ergab nach dem schriftlichen Befund deutliche Faeceseneinlagerungen in der rechten Kolonhälfte, aber keinen Hinweis auf einen Ileus oder freie Luft. Unter der Verdachtsdiagnose Koprostase/Ileus ordnete Dr. A die stationäre Aufnahme, die Gabe einer Infusion mit Novalgin und Vomex und abführende Maßnahmen, etwa durch Clistier, an. In der Verlaufskurve der Station sind ein Blutdruck von 90/50 mmHg, eine Herzfrequenz von 100/Min und das Auftreten von Fieber (39°) dokumentiert. Der hinzu gerufene Oberarzt Dr. Schenk stellte wegen des Verdachts auf eine Entzündung und einen Abszess im Unterbauch die Indikation zu einer diagnostischen Laparoskopie und führte mit der Patientin ein entsprechendes Aufklärungsgespräch. Die Operation wurde ab 23.10 Uhr vorbereitet und am 12.3.2010 um 0.40 Uhr begonnen. Dabei zeigten sich eine in einem der Inzisionskanäle der Voroperation adhärente Dünnndarmschlinge, eine kotige Peritonitis und nach Umstieg auf eine Laparotomie eine Perforation des Dünndarms, die durch Resektion und Anlage einer Anastomose beseitigt wurde.

Die Patientin wurde auf die Intensivstation verlegt. Es entwickelte sich eine Sepsis. Am 14.3.2010 intubierten die behandelnden Ärzte die Patientin. Der nicht endgültig verschlossene Bauchraum wurde bei mehreren Folgeoperationen gespült. Nach einer vorübergehenden Verbesserung des Zustands erfolgte am 24.3.2010 die Extubation. Der Zustand der Patientin verschlechterte sich jedoch wieder. Am 26.3.2010 trat eine Reanimationspflichtigkeit ein, die zur erneuten Intubation führte. Am 30.3.2010 verstarb die Patientin an einer Sepsis und Multiorganversagen.

Die Staatsanwaltschaft Köln hat in dem von ihr eingeleiteten Ermittlungsverfahren 34 Js 157/10 ein rechtsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. B (Bl. 211 ff. der Beiakte) und ein chirurgisches Gutachten von Prof. Dr. C (Bl. 256 ff. der Beiakte) eingeholt, an dessen Erstellung der Oberarzt Dr. D beteiligt war. Sie hat das Verfahren eingestellt.

Der Kläger hat die Beklagte aus ererbtem Recht der Patientin auf Schmerzensgeld und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen. Hierzu hat er eine beglaubigte Übersetzung eines von einem türkischen Gericht ausgestellten Erbscheins und Abtretungserklärungen seines Vaters und seiner beiden Geschwister vorgelegt. Er hat der Beklagten Fehler bei der Entfernung des Blinddarms, eine verzögerte Abklärung und Behandlung der am 11.3.2010 vorliegenden Darmperforation und Peritonitis sowie Fehler bei der intensivmedizinischen Behandlung vorgeworfen. Am 26.2.2010 sei die Patientin nicht über die Behandlungsalternative einer Laparotomie und die Risiken der Operation aufgeklärt worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch von einem Betrag nicht unter 100.000 € ausgegangen werden soll,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.600,94 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist den erhobenen Vorwürfen entgegen getreten.

Das Landgericht hat die im Ermittlungsverfahren erstellten Gutachten verwertet sowie den Oberarzt Dr. D zum weiteren Sachverständigen bestellt und mündlich angehört (Bl. 105 ff. d.A.). Ferner hat es ein anästhesiologischintensivmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. E eingeholt (Bl. 122 d.A.) und diesen ebenfalls angehört (Bl. 155 d.A.).

Daraufhin hat es die Klage abgewiesen. Behandlungsfehler seien nicht erwiesen. Dies gelte insbesondere für die zeitliche Abfolge der am 11.3.2010 durchgeführten Diagnostik und Therapie. Die Befunde hätten für die Behandler zunächst keinen Hinweis auf eine schwere Komplikation der Blinddarmoperation gegeben. Die Aufklärungsrüge sei unbegründet. Eine offene Operation habe am 26.2.2010 gegenüber der laparoskopischen Entfernung des Blinddarms keine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative dargestellt. Im Übrigen sei von einer hypothetischen Einwilligung der Patientin auszugehen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgt. Hilfsweise begehrt er die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Soweit er eine fehlerhafte Behandlung während des ersten stationären Aufenthalts und der intensivmedizinischen Behandlung ab dem 12.3.2010 geltend gemacht sowie eine mangelhafte Aufklärung behauptet hat, hat er seine Vorwürfe in der Berufungsbegründung vom 24.8.2016 zunächst ausdrücklich fallen gelassen. Der eigentliche Behandlungsfehler sei bei der Wiederaufnahme am 11.3.2010 geschehen. Der aufnehmende Arzt habe die Patientin auf eine erste Arbeitsdiagnose hin untersucht und eine Koprostase bzw. einen Ileus vermutet. Durch die Röntgen- und Ultraschalluntersuchung seien diese aber ausgeschlossen worden. Gleichwohl seien die Kardinalsymptome Abwehrspannung und freie Flüssigkeit im Unterbauch nicht weiter abgeklärt und die Patientin entgegen der durchgeführten Diagnostik mit abführenden Mitteln behandelt worden, was fehlerhaft gewesen sei. Hinzu komme - wie sich aus der der Berufungsbegründung beigefügten email und Stellungnahme des Arztes Dr. F ergebe - ein auf einen erheblichen Infekt hinweisendes Nierenversagen, das sich an dem in kürzester Zeit stark erhöhten Kreatininwert von 2,2 mg/dl zeige. Auf diesen Gesichtspunkt seien die Sachverständigen Prof. Dr. C und Dr. D nicht eingegangen. Wäre die Patientin vier bis fünf Stunden früher operiert worden, wären alle negativen Folgen ausgeblieben. Zumindest sei dies nicht auszuschließen. Mit Schriftsatz vom 27.3.2017 hat der Kläger seinen Vorwurf erweitert und geltend gemacht, dass bei der Operation vom 26.2.2010 fehlerhaft bei einem Zugang, das heißt der Öffnung für den linken Unterbauchtrokar von 12 mm Durchmesser, kein Faszienverschluss vorgenommen worden sei. Mit Schriftsatz vom 24.9.2018 hat der Kläger den Vorwurf einer mangelhaften Aufklärung wieder aufgegriffen. Über das Risiko einer Narbenhernie sei die Patientin am 26.2.2010 nicht unterrichtet worden.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Der Senat hat ein viszeralchirurgisches Gutachten von Prof. Dr. G (Bl. 366 ff. d.A.) eingeholt und den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 3.9.2018 angehört (Bl. 422 ff. d.A.)

II.

Die Berufung ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf ererbtes Schmerzensgeld und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1 BGB zu. Der Beklagten fällt weder ein Behandlungsfehler zur Last noch haftet sie wegen mangelhafter Eingriffs- und Risikoaufklärung.

1. Ein der Beklagten zurechenbarer Behandlungsfehler lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen.

a) Es war nicht fehlerhaft, dass der Operateur es nach der laparoskopische Entfernung des Blinddarms am 26.2.2010 unterlassen hat, den Trokarzugang im linken Unterbauch von 12 mm Durchmesser durch eine Fasziennaht zu verschließen. Vielmehr entsprach die Vorgehensweise - ebenso wie eine Naht - im Jahr 2010 dem fachärztlichen Standard.

Prof. Dr. G hat ausgeführt, dass die Frage, wie Trokarzugänge nach einer Operation zu versorgen seien, im Jahr 2010 noch sehr umstritten gewesen sei. In der maßgeblichen Leitlinie sei bereits damals empfohlen - jedoch nicht eindeutig vorgegeben - worden, bei Öffnungen ab 10 mm Größe die Faszie zu verschließen. Etwa die Hälfte der Operateure habe aber Öffnungen zur damaligen Zeit grundsätzlich nicht oder nur in hier nicht gegebenen Ausnahmefällen, etwa nach häufigen Trokarwechseln, verschlossen.

Diese und die weiteren Darlegungen von Prof. Dr. G tragen seine zusammenfassende Beurteilung, dass der Verschluss von Trokaröffnungen mit einem Durchmesser von mehr als 10 mm im Jahr 2010 noch keinen Standard dargestellt habe. Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung vorausgesetzt und erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungszieles erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, Urteil vom 24.2.2015 - VI ZR 106/13, iuris Rdn. 7, abgedruckt in NJW 2015, 1601 ff.). Ging ein großer Teil der Ärzte im Jahr 2010 noch anders vor, kann trotz der Empfehlung in der Leitlinie nicht davon ausgegangen, dass allein ein Verschluss größerer Trokarzugänge dem Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis und der ärztlichen Erfahrung entsprach. Dies gilt auch deshalb, weil Prof. Dr. G mehrere Gründe angeführt hat, die erklären, warum ein bedeutender Teil der Viszeralchirurgen im Jahr 2010 allgemein und besonders in Fällen, die der vorliegenden Behandlung vergleichbar sind, von der Leitlinie abgewichen ist. Er hat erstens darauf hingewiesen, dass Trokarhernien eine relativ seltene Komplikation darstellten. Während in der Literatur insgesamt von einem Anteil von bis zu 8 % der Patienten die Rede sei, träten Hernien mit klinischer Relevanz in einer Häufigkeit von 0,5 bis 3 % auf. Bei adipösen Patienten sei das Risiko der Entwicklung einer Trokarhernie allerdings geschätzt zwei- bis dreimal höher. Zweitens sei auch dann, wenn der Trokarzugang durch Fasziennaht verschlossen werde, das Risiko der Entwicklung einer Trokarhernie vorhanden. Gerade bei adipösen Patienten wie der Klägerin sei ein Verschluss des Zugangs durch Fasziennaht angesichts einer mehrere Zentimeter dicken Fettschicht schwierig oder ohne Vergrößerung des Schnitts, der die Vorteile einer Laparoskopie in Frage stelle und daher im Behandlungszeitpunkt nicht vorgenommen worden sei, sogar fast unmöglich. Drittens seien in dem Bereich, in dem bei der Patientin der Trokar mit 12 mm Durchmesser eingebracht worden sei, vier Gewebeschichten (vorderes Faszienblatt, Muskulatur, hinteres Faszienblatt, Bauchfell) vorhanden, die sich gegeneinander verschöben, auf diese Weise einen Verschluss der Öffnung bewirkten und die Gefahr einer Hernie verringerten, aber zugleich eine Naht erschwerten.

Gegenüber der vorstehenden Beurteilung, die den Ausführungen von Dr. D bei seiner Anhörung durch das Landgericht entspricht, hat der Kläger keine beachtlichen Einwendungen erhoben. Insbesondere sind solche nicht in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 24.9.2018 enthalten. Soweit er meint, dass Prof. Dr. G nicht wissen und überschauen könne, welcher Anteil von Operateuren Trokarzugänge durch Fasziennaht verschlossen habe oder nicht, übersieht er, dass der Sachverständige nach seinen Angaben seit dem Jahr 1997 Fortbildungsveranstaltungen über laparoskopische Operationstechniken durchführt, was einen entsprechenden fachlichen Austausch über wissenschaftlich streitige Fragen voraussetzt. Entgegen der Auffassung des Klägers sind auch die Ausführungen von Prof. Dr. G zu dem im Jahr 2018 gültigen Standard, die auf S. 2 des Sitzungsprotokolls vom 3.9.2018 wiedergegeben sind, nicht widersprüchlich. Sie sind dahin zu verstehen, dass die maßgebliche Leitlinie weiterhin nur eine Empfehlung enthält, die allgemeine Auffassung des viszeralchirurgischen Fachbereichs aber nunmehr dahin geht, dass größere Trokaröffnungen ab 5 mm durch Fasziennaht zu verschließen sind. Soweit es um die einer solchen Vorgehensweise scheinbar entgegen stehenden technischen Schwierigkeiten bei adipösen Patienten geht, hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass heute größere Anstrengungen, gegebenenfalls auch durch eine Vergrößerung des Schnitts, unternommen würden. Die vom Sachverständigen angegebenen Häufigkeiten von Trokarhernien werden durch die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 24.9.2018 ebenfalls nicht in Frage gestellt. Insbesondere spricht nichts dafür, dass sich der Sachverständige bei der von ihm genannten Zahl klinisch relevanter Hernien nicht ebenfalls auf die von ihm eingesehene medizinische Literatur gestützt hat.

b) Soweit der Kläger eine mangelnde Erfahrung des im Operationsbericht als Operateur angeführten Assistenzarztes und eine unzureichende Überwachung durch den assistierenden Oberarzt behauptet, ist sein Vorbringen schon deshalb unerheblich, weil ein hierin liegender Fehler nicht schadensursächlich ist.

Eine mangelnde Erfahrung oder Überwachung hätte sich nicht ausgewirkt, weil bei der Operation vom 26.2.2010 standardgerecht vorgegangen worden ist. Dies folgt für den unterlassenen Verschluss des Trokarzugangs von 12 mm Durchmesser aus den vorstehenden Ausführungen unter II 1 a und ist im Übrigen außer Streit. Keiner der mit dem Fall befassten Sachverständigen hat einen Anhaltspunkt für einen sonstigen Behandlungsfehler bei Vornahme der laparoskopischen Appendektomie gesehen.

c) Eine therapeutische Aufklärung ist bei Entlassung der Patientin am 4.3.2010 nicht fehlerhaft unterlassen worden.

Eine solche war nicht erforderlich, weil es nach den Erläuterungen von Prof. Dr. G nach derzeitigem Wissenstand keine Maßnahmen gibt, um eine Hernienentstehung zu verhindern. Soweit er weiter dargelegt hat, dass für einen gewissen Zeitraum das Tragen schwerer Lasten untersagt worden sei, handelt es sich um eine früher erteilte Empfehlung. Selbst wenn sie nach dem Stand des Jahres 2010 noch zu geben gewesen wäre, käme der Beklagten der nunmehr gültige Standard zu Gute (vgl. Maris/Winkhart, Arzthaftungsrecht 5. Aufl. Rdn. 33 m.w.Nachw.).

d) Nach der Wiederaufnahme der Patientin am 11.3.2010 gegen 17.30 Uhr mussten die für die Beklagte tätigen Ärzte nicht zu einem früheren Zeitpunkt eine Laparoskopie vornehmen. Tatsächlich ist mit deren Vorbereitung um 23.10 Uhr begonnen worden.

Nach der Beurteilung von Prof. Dr. G ist es nachvollziehbar und war es sachgerecht, dass die Beklagte die Patientin unter der Arbeits- und Verdachtsdiagnose einer Koprostase (Verstopfung) aufnahm, dieses Krankheitsbild mittels einer Flüssigkeitszufuhr durch Infusion und der Gabe eines Abführmittels behandelte, abwartete und den Verlauf beobachtete und sodann mit Eintritt der Verschlechterung eine diagnostische Laparoskopie durchführte.

Eindeutige Symptome, die auf einen in einer Hernie eingeklemmten Darm oder eine Bauchfellentzündung hingewiesen hätten, hätten - so der Sachverständige weiter - zunächst nicht vorgelegen. Dies ist anhand der von Prof. Dr. G im Einzelnen ausgewerteten radiologischen, klinischen und laborchemischen Befunde im Zeitpunkt der Aufnahme nachvollziehbar. Die Koprostase habe sich aus dem Röntgenbild ergeben, welches er, der Sachverständige, in diesem Sinne oder als beginnenden Subileus nachbefundet habe. Nennenswerte Mengen an Gas oder freier Luft als Hinweis auf eine Perforation des Darms seien nicht festzustellen. Klinisch hätten diffuse Schmerzen im gesamten Bauchraum vorgelegen. Eine Abwehrspannung als für eine Bauchfellentzündung beweisenden Symptoms habe nach dem erhobenen Untersuchungsbefund, für dessen Fehlerhaftigkeit es keine Anhaltspunkte gebe, nicht vorgelegen. Der Kreislauf sei nach der Dokumentation von Blutdruck und Herzfrequenz stabil gewesen und habe daher nicht auf einen septischen Schock hingedeutet. Der auf 2,2 mg/dl erhöhte Kreatininwert habe auf unzureichender Flüssigkeitsaufnahme und einem Flüssigkeitsdefizit beruhen können, wozu es gerade bei Patienten mit Verstopfung komme. Einen Hinweis auf ein akutes Nierenversagen und damit für eine Bauchfellentzündung hätte der erhöhte Kreatininwert nur dargestellt, wenn der Anstieg innerhalb von 24 oder 48 Stunden erfolgte wäre. Hiervon habe in der Untersuchungssituation mangels zeitnaher Vorbestimmung der Laborwerte nicht ausgegangen werden können.

Diese Ausführungen überzeugen. Sie entsprechen der Beurteilung von Prof. Dr. C und Dr. D im Strafverfahren und in erster Instanz. Auch wenn - wie Prof. Dr. G dem Kläger zugesteht - aus der Rückschau die auf dem Röntgenbild sichtbare Störung der Darmpassage auf der Einklemmung des Darms beruht haben dürfte und der erhöhte Kreatininwert möglicherweise auf einen beginnenden septischen Schock und Nierenversagen zurückzuführen gewesen ist, zeigt die Zusammenstellung aller Befunde, dass die von der Beklagten gestellte Verdachtsdiagnose aus der Sicht ex ante wesentlich näher lag. Dies gilt auch unter Einbeziehung der Vorgeschichte mit laparoskopischer Appendektomie und einem hierdurch begründeten Risiko einer Trokarhernie, auf die der Kläger im Schriftsatz vom 24.9.2018 hinweist. Die Vorgeschichte ändert nichts daran, dass im ersten Untersuchungs- und Beurteilungszeitpunkt eindeutig richtungsweisende Symptome fehlten. Auf eine von der Verdachtsdiagnose abweichende gravierende Erkrankung konnten die Ärzte durch die stationäre Aufnahme und die Beobachtung der Patientin im Falle einer Verschlechterung jederzeit reagieren. Durchgreifende Einwendungen hat der Kläger auch im Übrigen nicht geltend gemacht. Soweit er und der ihn beratene Arzt Dr. F teils das Vorliegen einer Abwehrspannung angenommen haben, haben sie im Aufnahme- und Untersuchungsbogen vom 11.3.2010 den durchgestrichenen Kreis als medizinisches Zeichen für "keine" Abwehrspannung übersehen.

2. Die Beklagte haftet dem Kläger nicht wegen mangelhafter Eingriffs- und Risikoaufklärung.

Es kann dahinstehen, ob die Patientin vor der laparoskopischen Appendektomie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden ist, weil sie, wie der Kläger in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 24.9.2018 behauptet hat, über das Risiko einer Narbenhernie nicht aufgeklärt worden ist. Der von der Patientin am 26.2.2010 unterschriebene proComliance-Aufklärungsbogen enthält einen Hinweis auf einen Narbenbruch mit der möglichen Folge einer Einklemmung und eines Verschlusses des Darms.

Jedenfalls greift der von der Beklagten bereits in erster Instanz erhobene Einwand einer hypothetischen Einwilligung durch. Ein Entscheidungskonflikt, der diesen Einwand entkräften würde, ist weder schlüssig dargetan noch ersichtlich. Kann ein Patient zu der Frage, ob er bei zutreffender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, nicht persönlich angehört werden, so hat das Gericht aufgrund einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen, ob der Patient aus nachvollziehbaren Gründen in einen ernsthaften Entscheidungskonflikt geraten sein könnte (BGH, Urteil vom 17.4.2007 - VI ZR 108/06, iuris 19, abgedruckt in NJW 2007, 2771 ff.).

So liegt es hier nicht. Der Kläger macht zu Recht nicht geltend, dass sich die Patientin bei einer Aufklärung über das Risiko einer Narbenhernie gegen jegliche Operation entschieden hätte. Eine solche Verhaltensweise kam bei einer perforierten Blinddarmentzündung, die eine lebensbedrohliche Bauchfellentzündung zur Folge haben konnte, nicht in Betracht.

Nichts spricht dafür, dass die Patientin am 26.2.2010 eine offene Operation bevorzugt oder eine solche jedenfalls ernsthaft erwogen hätte. Sie hätte in dem Aufklärungsgespräch seitens des Arztes schon nicht angesprochen werden müssen. Unter Zugrundelegung der Ausführungen von Prof. Dr. G, die sich auch in diesem Punkt mit denen von Prof. Dr. C und Dr. D decken, hätte eine offene Operation durch Bauchschnitt im Verhältnis zur Laparoskopie schon keine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative dargestellt. Gibt es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die zu unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, muss der Arzt hierüber vollständig aufklären und dem Patienten die Wahl überlassen, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll (vgl. BGH, Urteil vom 15.3.2005 - VI ZR 313/03, iuris Rdn. 10 m.w.Nachw., abgedruckt in VersR 2005, 836 ff.). Nach den Ausführungen von Prof. Dr. G war eine offene Operation jedoch nicht gleichermaßen indiziert. Die minimalinvasive Laparoskopie war weniger belastend als der Bauchschnitt, führte intraoperativ zu einer besseren Erreichbarkeit der gesamten Bauchregion und Erkennbarkeit möglicher Differentialdiagnosen wie einer Adnexitis und wies ein geringeres Risiko an Wundinfekten, Narbenbrüchen und eines Platzbauchs auf. Während das Risiko einer Trokarhernie bei einer Laparoskopie nach den Erläuterungen von Prof. Dr. G bei bis zu 8 % liegt, treten nach einer offenen Operation mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 bis 15 % Narbenhernien auf. Dass das entsprechende Risiko bei adipösen Patienten - wie der Kläger im Schriftsatz vom 24.9.2018 geltend macht - nur im Fall einer Laparoskopie, nicht aber im Fall einer Laparotomie erhöht sein soll, lässt sich dem Gutachten des Sachverständigen nicht entnehmen. Wäre die offene Operation gegenüber der Patientin seitens des aufklärenden Arztes gleichwohl als Alternative erörtert worden, wäre eine Entscheidung der Patient für sie aus der maßgeblichen Sicht vor der Operation fern liegend gewesen. Angesichts der aufgezeigten Nachteile deutet auch nichts darauf hin, dass die Patientin einen Bauchschnitt ernsthaft in Betracht gezogen hätte.

Aus der im Jahr 2010 in der Wissenschaft streitigen Frage, ob Trokarzugänge durch Fasziennaht zu verschließen sind oder nicht, hätte sich bei zutreffender Aufklärung kein Entscheidungskonflikt der Patientin ergeben können. Insoweit geht es um verschiedene Operationsmethoden, zwischen denen der Arzt im Jahr 2010 wählen konnte und die nicht aufklärungspflichtig waren. Beide Vorgehensweisen weisen nicht wesentlich unterschiedliche Risiken auf, sondern unterschieden sich nach dem unter II 1 a dargelegten Stand der Wissenschaft im Jahr 2010, der auch für die Frage des Aufklärungsumfangs maßgeblich ist, allenfalls hinsichtlich des Grads der Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit einer Trokarhernie. Wäre die Frage bei zutreffender Aufklärung nicht angesprochen worden, hätte sie für die Entscheidung der Patientin nicht von Bedeutung sein können. Ein medizinischer Laie macht sich von sich aus hierüber keine Gedanken.

3. Der Schriftsatz vom 24.9.2018, mit dessen Inhalt sich der Senat vorstehend auseinander gesetzt hat, gibt keinen Anlass zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 100.000 €

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