LG Paderborn, Urteil vom 26.08.2015 - 5 S 25/15
Fundstelle
openJur 2019, 17317
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.02.2015 erlassene Urteil des Amtsgerichts Paderborn abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67,24 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2014 sowie 75,20 Euro vorgerichtliche Kosten zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Von der Darstellung eines Tatbestands wird nach den §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung restlicher Sachverständigenkosten in Höhe von 42,23 Euro infolge eines Verkehrsunfalls aus abgetretenem Recht gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 VVG, 249, 398 BGB zu.

1.

Soweit die Parteien erstinstanzlich darüber gestritten haben, ob die Abtretung des Anspruchs auf Erstattung der Sachverständigenkosten des Unfallgeschädigten Q durch den Sachverständigen G an die Klägerin wirksam ist oder - als unechtes Factoring - wegen Verstoßes gegen §§ 2 Abs. 2, 3, 10 Abs. 1 RDG i.V.m. § 134 RDG nichtig, bedarf diese Frage zwischenzeitlich keiner Entscheidung mehr durch die Kammer. Es ist gerichtsbekannt, dass das Oberlandesgericht Hamm der Klägerin am 09.03.2015 eine Registrierung nach § 10 Abs. 3 RDG erteilt hat. Zwar lässt die nachträgliche Registrierung die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB nicht entfallen. Ein nichtiges Rechtsgeschäft bleibt grundsätzlich auch dann unwirksam, wenn der Nichtigkeitsgrund nachträglich wegfällt. Allerdings wird das Rechtsgeschäft gültig, wenn es gemäß § 141 BGB bestätigt wird. Eine solche Bestätigung im Sinne des § 141 BGB liegt vor. Die Parteien des Factoringvertrages haben insoweit unter dem 07. bzw. 09.04.2015 bestätigt, sowohl an den Bestimmungen des Dienstleistungsvertrages vom 03.01.2011 als auch am Rahmenvertrag festhalten zu wollen (vgl. Bestätigung vom 07. bzw. 09.04.2015, Bl. 400 der Parallelsache 5 S 20/15).

2.

Auch der Einwand der Beklagten, der Klägerin fehle - losgelöst von der RDG-Problematik - die Aktivlegitimation auch aus dem weiteren Grunde, dass die Klägerin zu den Umständen des Besitz- und Eigentumserwerb des Zedenten nicht vorgetragen habe, greift aus Sicht der Kammer nicht. Bereits im Urteil vom 11.06.2014 zum Aktenzeichen 5 S 23/14 hat sich die Kammer mit einer vergleichbaren Konstellation befasst: Hat der Beklagte vorprozessual die Rechtslage geprüft und nach erfolgter Prüfung den ganz überwiegenden Teil der Sachverständigenkosten gezahlt, liegt darin ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis jedenfalls dem Grunde nach. Nunmehr ohne konkrete Begründung die Aktivlegitimation des Geschädigten zu bestreiten, verstößt gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens (vgl. LG Paderborn, aaO, m.w.N.), weshalb es der Beklagten verwehrt ist, sich auf die fehlende Aktivlegitimation zu berufen. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer auch nach nochmaliger Überprüfung und Auseinandersetzung mit der von der Beklagten insbesondere im Schriftsatz vom 21.08.2015 zitierten Rechtsprechung fest.

3.

Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (etwa BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13, nachgewiesen bei juris) hat die Kammer in den vorausgegangenen Urteilen vom 15.05.2014 (5 S 22/14) und vom 11.06.2014 (5 S 23/14 und 5 S 24/14) dahingehend argumentiert, dass eine Verletzung der Schadensminderungspflicht durch den Geschädigten gemäß § 254 BGB nicht festgestellt werden kann. Als Haftpflichtversicherung hat die Beklagte nach einem Verkehrsunfall grundsätzlich auch die Kosten für die Einschaltung eines Sachverständigen zu zahlen. Dabei ist der Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, sondern des Schädigers (OLG Naumburg, NJW-RR 2006, 1029, zitiert nach juris, Rn. 51; Becker, ZfS 2013, 484). Die Sachverständigenkosten sind nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB als Herstellungsaufwand zu ersetzen, soweit sie objektiv erforderlich sind. Als erforderlich sind dabei diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (BGH, NJW 2014, 1947, zitiert nach juris, Rn. 7; BGH, NJW 2014, 3151, zitiert nach juris, Rn. 15). Der Geschädigte ist unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht zwar gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB gehalten, den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen zu halten. Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch, wie der BGH mehrfach ausgeführt hat, vom Geschädigten nicht, zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (BGH, NJW 2014, 1947, zitiert nach juris, Rn. 7, m.w.N.). Insofern ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen ist (BGH, aaO). Dabei ist der Geschädigte regelmäßig nicht verpflichtet, sich nach dem günstigsten Sachverständigen zu erkundigen (BGH, NJW 2014, 1947, zitiert nach juris, Rn. 7 u. 10; BGH, NJW 2007, 1450, zitiert nach juris, Rn. 17 f.; BGH, NJW 2014, 3151, zitiert nach juris, Rn. 15; OLG Naumburg, NJW-RR 2006, 1029, zitiert nach juris, Rn. 50; LG Kaiserslautern, NJW-Spezial, 2013, 523; Nugel, VRR 2014, 124; Hörl, NZV 2003, 305 (306)), sondern darf sich vielmehr damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen und muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (vgl. Urteile der Kammer, aaO, m.w.N. insbesondere zur Rechtsprechung des BGH). In der besonders angespannten Situation eines Geschädigten, der gerade einen Unfall erlitten hat, sind an die Auswahl des Sachverständigen keine allzu strengen Anforderungen zu stellen.

Soweit die Beklagte zu begründen versucht, dass die vorzitierte Entscheidung des BGH vom 11.02.2014 die vorliegende Abtretungskonstellation nicht erfasst und dass die Interessenlage eine andere ist, wenn - wie hier - nicht der Geschädigte, sondern der Sachverständige bzw. ein Factoring-Unternehmen aus abgetretenem Recht vorgeht (AG Hamm, Urteil vom 12.06.2014, 16 C 415/13), kann sie hiermit im Ergebnis nicht durchdringen.

Folgt man dieser Argumentation, kommt es zwar nicht mehr auf die Frage an, ob der Geschädigte basierend auf § 249 BGB die Sachverständigenkosten jedenfalls subjektiv für erforderlich halten durfte oder ob er erkennen musste, das die Kosten über das Übliche hinausgehen. Hat der Geschädigte die Auseinandersetzung über die Berechtigung der geltend gemachten Forderung direkt dem Sachverständigen und dem Versicherer des Schädigers überlassen, kann der Versicherer vielmehr alle dem Geschädigten gegen die Forderung zustehenden Einwände, die diesem gegenüber dem Sachverständigen zustünden, seinerseits gegenüber dem Sachverständigen geltend machen. Dem Beklagten steht daher, soweit eine konkrete Honorarvereinbarung fehlt, gegenüber der Rechnung des Sachverständigen - so zutreffend der rechtliche Ansatz der Beklagten - der Einwand zu, dass die abgerechnete Vergütung die gemäß § 632 Abs. 2 BGB geschuldete, übliche Vergütung übersteigt. Die übliche Vergütung ist regelmäßig nicht auf einen festen Betrag oder Satz festgelegt, sondern bewegt sich innerhalb einer bestimmten Bandbreite (BGH, NZV 2007, 182, zitiert nach juris, Rn. 10).

Unabhängig von der Frage jedoch, ob sich die Erforderlichkeit der Sachverständigenkosten nach § 249 BGB bestimmt oder ob auf die Üblichkeit nach § 632 Abs. 2 BGB abzustellen ist, kommt die Kammer vorliegend zu dem Ergebnis, dass die abgerechneten und mit der Klage geltend gemachten Sachverständigenkosten in der Sache nicht zu beanstanden sind. Hierbei gelten die reduzierten Beweisanforderungen des § 287 ZPO (BGH, NJW 2014, 3151, zitiert nach juris, Rn. 12; BGH, NJW 2007, 1450, zitiert nach juris, Rn. 22).

Zwar greift für die hier vorliegende Abtretungssituation möglicherweise die Indizwirkung der Rechnung nicht, weil die Rechnung unstreitig nicht beglichen wurde (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21.07.2014, VI ZR 357/13, nachgewiesen bei juris).

Auch ohne die Indizwirkung lässt sich indes in ausreichender Weise begründen, dass die Kosten entweder gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erforderlich oder jedenfalls im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB üblich waren. Zu berücksichtigen ist, dass es sich vorliegend um einen Mehrbetrag von nur 67,24 Euro handelt, um welchen die Gebührenrechnung des Sachverständigen G überhöht sein solle. Es ist weder ersichtlich, dass ein Geschädigter im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB erkennen kann, dass es sich insoweit um überhöhte Kosten handelt, noch kann gemäß § 632 Abs. 2 BGB angenommen werden, dass bei einer um 67,24 Euro höheren Gebührenrechnung die Üblichkeit überschritten wird. Darüber hinaus ist zu sehen, dass sich die abgerechneten Nebenkosten innerhalb der BVSK-Honorarbefragung 2011 bewegen (vgl. hierzu Urteile der Kammer, aaO). Schließlich weist das OLG München zu Recht daraufhin, dass selbst einzelne überhöht erscheinende Nebenpositionen dann nicht zu beanstanden sind, wenn kein auffälliges Missverhältnis zwischen dem Gesamtpreis des Sachverständigengutachtens und der Leistung des Sachverständigen besteht (vgl. OLG München, Beschluss vom 12.03.2015, 10 U 579/15.).

Schließlich ist folgendes zu bedenken: Es entspricht der inzwischen herrschenden Meinung, dass Sachverständigengutachten auch dann zu vergüten sind, wenn ihre Kosten übersetzt sind (Palandt-Grüneberg, BGB, § 249, Rn. 58; Hörl, NZV 2003, 305 (307); Becker, ZfS 2013, 484; OLG Köln, VersR 2012, 1008). Es widerspricht dem Grundsatz der Privatautonomie, wenn ein Gericht eine Preiskontrolle durchführt (LG Hamburg, Urteil vom 22.1.2015, Az.: 323 S 7/14, zitiert nach juris, Rn. 22). Erst wenn die Grenzen des § 138 BGB hinsichtlich der Honorarforderung erreicht sind, kann das Gericht eingreifen (LG Hamburg, aaO, zitiert nach juris, Rn. 38). Davon ist zur Überzeugung der Kammer erst auszugehen, wenn der Sachverständige das übliche Honorar um mehr als das Doppelte überschreitet.

Die Beklagte ist auch nicht gezwungen, jeglichen willkürlichen Preis eines Sachverständigen zu akzeptieren. Vielmehr kann sie sich im Gegenzug für ihre Zahlung nach § 255 analog BGB vom Geschädigten seine Ansprüche gegen den Sachverständigen abtreten lassen und dann über eine Preiskontrolle (§§ 632 Abs. 2, 315 Abs. 3 BGB) aus Bereicherungsrecht gegen diesen vorgehen (OLG Naumburg, NJW-RR 2006, 1029, zitiert nach juris, Rn. 54; Nugel, VRR 2014, 124; Hörl, NZV 2003, 305 (310)); was im hier vorliegenden Fall aus den o.b. Gründen wenig Aussicht auf Erfolg hätte.

Nach alledem sind die geltend gemachten Sachverständigenkosten von der Beklagten zu erstatten.

Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 75,20 Euro steht der Klägerin aus §§ 280 Abs. 2, 286 BGB zu.

Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.