LG Aachen, Urteil vom 30.01.2017 - 5 S 24/16
Fundstelle
openJur 2019, 17316
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 19 C 396/15

I.

Es gibt keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber einem sonstigen Dritten. In beiden Fällen hat der Gläubiger keinen Anspruch auf Begleichung seiner Verbindlichkeit durch diesen Personenkreis

II.

Im Übrigen kann auch aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 21.06.2012, Az. IX ZR 59/11, in welcher festgestellt wird, dass keine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, wenn der Geschäftsführer einer GmbH eine Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners aus eigenen Mitteln begleicht, der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine solche eben gerade gegeben ist, wenn der Geschäftsführer einer GmbH privat Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin mit Mitteln aus dem GmbH-Vermögen begleicht.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Heinsberg vom 27.04.2016, Az. 19 C 396/15 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an den Kläger 833,33 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.04.2014 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, der wie folgt zu ergänzen ist:

Das Amtsgericht hat durch Urteil vom 27.04.2016 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 30.05.2016 die Klage abgewiesen und zur Begründung maßgeblich darauf abgestellt, dass vorliegend nicht von einer inkongruenten Deckung auszugehen gewesen sei, vielmehr habe es sich bei der vorgenommenen Überweisung nach Einzahlung des Geldbetrages auf das Privatkonto des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin lediglich um ein Procedere betreffend den Zahlungsweg gehandelt. Die Zahlung habe sich lediglich als durchlaufender Posten dargestellt.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel weiter. Zur Begründung führt er insbesondere an, es fehle vorliegend schon an einer fälligen Geldforderung, da der Beklagte lediglich die Ankündigung der Leistungsbewilligung, nicht jedoch einen Aufhebungsbescheid vorgelegt habe. Bereits aus diesem Grunde fehle es an einer kongruenten Deckung. Jedenfalls aber sei eine inkongruente Deckung aufgrund der Zahlung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin von seinem Privatkonto anzunehmen, da das eingezahlte Geld spätestens mit der Gutschrift auf dem Privatkonto nicht mehr dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin zuzuordnen gewesen sei.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er bestreitet eine Zahlungseinstellung der Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Überweisung und das Bestehen von Verbindlichkeiten in Höhe von 263.000 Euro zu diesem Zeitpunkt. Er ist der Auffassung, der Vortrag des Klägers hinsichtlich der fehlenden Fälligkeit der Forderung sei verspätet, da dieser Punkt in erster Instanz unstreitig gewesen sei. Er trägt hierzu vor, dass ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid am 30.09.2013 ergangen sei. Der Kläger rügt die Verspätung dieses Vorbringens.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Zahlung in Höhe von 833,33 Euro gemäß §§ 129 Abs.1, 131 Abs.1 Nr. 2, 143 Abs.1 InsO zu.

Die Voraussetzungen des § 131 Abs.1 Nr. 2 InsO liegen vor.

1.)

Durch die in Rede stehende Handlung, nämlich die Überweisung nach Entnahme des Geldbetrages aus dem Kassenbestand der Insolvenzschuldnerin und Einzahlung auf das Privatkonto des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin wurde dem Jobcenter als Gläubiger eine Befriedigung gewährt.

2.)

Diese Befriedigung hatte der Gläubiger nicht in dieser Art zu beanspruchen, es liegt mithin eine Inkongruenz i.S.d. § 131 InsO vor.

a.)

Es fehlt bereits an dem Vorliegen eines fälligen Anspruchs des Jobcenters. Eine inkongruente Deckung ist auch dann anzunehmen, wenn der Gläubiger die Leistung nicht zu dem Zeitpunkt der vorgenommenen Handlung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt verlangen kann, da der Anspruch noch nicht fällig ist (Kayser, in: MüKO InsO, 3. Aufl. 2013, § 131 Rn. 40). In zweiter Instanz hat der Berufungskläger darauf hingewiesen, dass das erstinstanzlich als Anlage TW 2 vorgelegte Schreiben des Jobcenters (Bl. 23 d.A.) lediglich die Ankündigung einer Prüfung der Aufhebung des Leistungsbescheides und Rückforderung enthielt und hierdurch keine fällige Geldforderung begründet worden sei. Dies ist in der Sache zutreffend. Entgegen der Auffassung des Berufungsbeklagten handelt es sich auch nicht um präkludierten Vortrag, da der Inhalt des Schreibens bereits in erster Instanz vorgetragen wurde und es sich bei der Frage, ob sich hieraus ein fälliger Zahlungsanspruch ergibt, lediglich um eine Rechtsfrage handelt. Hingegen ist der Vortrag des Berufungsbeklagten in der Berufungserwiderung und dem Schriftsatz vom 09.01.2017, es sei unter dem 30.09.2013 ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid erlassen worden, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO verspätet, worauf sich der Berufungskläger zu Recht beruft. Es ist nicht erkennbar, weshalb dieser Vortrag nicht bereits in erster Instanz vorgetragen werden konnte.

b.)

Des Weiteren ergibt sich eine Inkongruenz der vorgenommenen Rechtshandlung auch daraus, dass die Leistung von dem Privatkonto des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin und damit von einem "Dritten" erfolgte. Auf die Leistung durch einen Dritten hatte das Jobcenter jedoch keinen Anspruch.

Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass Forderungen, die Dritte auf Vereinbarungen mit dem Insolvenzschuldner hin für diesen durch Zahlung an einen Gläubiger begleichen, in der Regel eine inkongruente Deckung bewirken (BGH Urt. v. 14.10.2010, Az. IX ZR 16/10 = NZI 2011, 189; BGH Urt. v. 09.01.2003, Az. IX ZR 85/02 = NJW-RR 2003,842; BGH Beschl. v. 13.02.2014, Az. 1 StR 336/13, zitiert nach juris; BGH Urt. v. 24.10.2013, Az. IX ZR 104/13, zitiert nach juris).

Fraglich war demnach vorliegend, ob der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin als "Dritter" im Sinne dieser Rechtsprechung einzuordnen ist (so explizit LG Hannover, Urt. v. 25.05.2009, Az. 20 S 36/08 = BeckRS 2009, 26546). Dies ist insbesondere unter Berücksichtigung der strengen Maßstäbe des Bundesgerichtshofs zur Kongruenz von Forderungen (vgl. hierzu BGH NJW-RR 2003, 842) entgegen der Auffassung des Amtsgerichts zu bejahen. Es gibt keinen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber einem sonstigen Dritten. In beiden Fällen hat der Gläubiger keinen Anspruch auf Begleichung seiner Verbindlichkeit durch diesen Personenkreis. Dies wird besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die Gesellschaftsform einer GmbH im Regelfall gewählt wird, um eine persönliche Haftung der Geschäftsführer und Gesellschafter zu vermeiden. Eine Begleichung der Forderung durch den GmbH-Geschäftsführer stellt daher gerade keine übliche Zahlungsmodalität dar. Es liegt daher auch keine bloße Modifizierung des Zahlungsweges vor. Es geht bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht um die Frage, welches Zahlungsmittel die Schuldnerin zur Begleichung ihrer Forderung gebraucht, sondern um die Nutzung des Privatkontos des Geschäftsführers, da eine Überweisung über das Firmenkonto aufgrund der Kontopfändung der Insolvenzschuldnerin nicht mehr möglich war. Somit wurde bewusst eine dritte, nicht von der Pfändung betroffene Person zwischengeschaltet, um die Forderung zu begleichen. Es kann dabei im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob der Geschäftsführer hierbei sein eigenes Privatkonto nutzt oder wie in dem vom Bundesgerichtshof am 24.10.2013 entschiedenen Fall das Konto eines Familienangehörigen (Az. IX ZR 104/13).

3.)

Es liegt durch die inkongruente Verfügung auch eine Gläubigerbenachteiligung vor. Diese tritt bei inkongruenten Erfüllungshandlungen aus dem Schuldnervermögen im Regelfall ein, da diese Art der Erfüllung zuungunsten der Insolvenzgläubiger von dem materiell an sich gerechtfertigten Maß der Vermögensminderung auf der Schuldnerseite abweicht (Kayser, in: MüKO InsO, 3. Aufl. 2013, § 131 Rn. 45). Im Übrigen kann auch aus der Entscheidung BGH, Urt. v. 21.06.2012, Az. IX ZR 59/11, in welcher festgestellt wird, dass keine Gläubigerbenachteiligung vorliegt, wenn der Geschäftsführer einer GmbH eine Verbindlichkeit des Insolvenzschuldners aus eigenen Mitteln begleicht, der Umkehrschluss gezogen werden, dass eine solche eben gerade gegeben ist, wenn der Geschäftsführer einer GmbH privat Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin mit Mitteln aus dem GmbH-Vermögen begleicht.

4.)

Die Überweisung des Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin erfolgte Ende Oktober 2013 und damit innerhalb des dritten Monats vor dem Mitte Januar gestellten Eigenantrag der Insolvenzschuldnerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Es war vorliegend auch von einer Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschulderin zum Zeitpunkt der Überweisung auszugehen.

In erster Instanz hatte der Kläger vorgetragen, die Insolvenzschuldnerin habe bereits Anfang 2013 ihre Zahlungen wegen nicht mehr zu begleichender Forderungen gegenüber der Q GmbH eingestellt. Am 20.09.2013 hätten gegenüber der Q GmbH offene Verbindlichkeiten in Höhe von 263.889,86 Euro bestanden, die ausweislich der beigefügten Anlage TW 5 später auch als Forderung zum Insolvenzverfahren angemeldet worden seien. Dieser Vortrag ist in erster Instanz seitens der Beklagten nicht bestritten worden und war somit als zugestanden zu behandeln. Dass diese Tatsache nunmehr in zweiter Instanz bestritten wird, ist insoweit im Hinblick auf §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich.

Zwar hat das beklagte Jobcenter in der Klageerwiderung vom 21.03.2016 die Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin unter Verweis auf noch im September/Oktober 2013 erbrachte Zahlungen bestritten. Da allerdings aus den vorstehenden Erwägungen die Höhe der offenen Verbindlichkeiten von 263.889,86 Euro im September 2013 als unstreitige Tatsache zu behandeln war, war aufgrund des Umstandes, dass diese Forderung in unveränderter Höhe im Mai 2014 im Insolvenzverfahren angemeldet wurde, unstreitig bereits die betriebswirtschaftliche Auswertung für das Jahr 2012 ein vorläufiges negatives Ergebnis in Höhe von 163.233,95 Euro erbrachte und zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Überweisung bereits eine Pfändung des Kontos der Insolvenzschuldnerin stattgefunden hatte, in der Gesamtschau von einer erfolgten Zahlungseinstellung der Insolvenzschuldnerin auszugehen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 29.?3. 2012, Az. IX ZR 40/10 = NZI 2012, 663). Hieran vermögen angesichts der Forderungshöhe auch die erfolgte Zahlung i.H.v. 15.206,40 Euro am 26.09.2013 (Bl. 33 d.A.) sowie die beiden weiteren am 07.10.2013 getätigten Überweisungen in Höhe von jeweils knapp über 600 Euro nichts zu verändern. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung selbst dann aus, wenn die tatsächlich noch geleisteten Zahlungen beträchtlich sind, im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden aber nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urt. v. 30. 6. 201, Az. IX ZR 134/10 = NZI 2011, 589; BGH, Urteil vom 21. 6. 2007, Az. IX ZR 231/04 = NJW-RR 2007, 1419; Kayser, in: MüKO InsO, 3. Aufl. 2013, § 130 Rn. 28a). Anhaltspunkte dafür, dass es sich vorliegend ausnahmsweise doch nur um eine Zahlungsstockung handelte, wurden seitens des Beklagten weder vorgetragen, noch sind sie sonst ersichtlich.

5.)

Dem Kläger steht ein Zinsanspruch gemäß § 143 Abs. 1. S. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291 Satz 1, 2. Halbsatz, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Der Rückgewähranspruch des Klägers wurde mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig und begründet ab diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Prozesszinsanspruch der Masse (vgl. hierzu Ede/Hirte, in: Insolvenzordnung, 14. Aufl. 2015, § 143 Rn. 6 m.w.N.).

6.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Streitwert Berufungsverfahren: 833,33 Euro.

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