LG Düsseldorf, Urteil vom 09.03.2017 - 4a O 28/16
Fundstelle
openJur 2019, 16620
  • Rkr:
Tenor

I. Die Beklagten werden verurteilt,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, wobei die Ordnungshaft an den jeweiligen gesetzlichen Vertretern der Beklagten zu vollziehen ist und insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen darf, zu unterlassen,

Vorrichtungen zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, welche jeweils die folgenden Merkmale umfassen:

eine expandierbare zylindrische Befestigung, die eine Ersatzklappe stützt, wobei die Befestigung eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration hat, und

zumindest ein Beutel, der um die Außenseite der Befestigung angeordnet ist, um eine Abdichtung bereitzustellen,

wobei der zumindest eine Beutel eine oder mehrere Aussparungen umfasst, die zum Rückfüllen des zumindest einen Beutels mit durch die Ersatzklappe fließenden Blutes verwendet werden können;

2. der Klägerin Auskunft zu erteilen und durch Vorlage eines geordneten Verzeichnisses darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie seit dem 24. März 2016 die unter Ziffer I.1 bezeichneten Handlungen begangen haben, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer sowie der bezahlten Preise,

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, sowie der Typenbezeichnungen und der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) sowie der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des jeweils erzielten Gewinns,

wobei den Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser bezeichneten, dieser gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten und in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagten die durch dessen Einschaltung entstehenden Kosten übernehmen und ihn ermächtigen, der Klägerin auf Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist, und

wobei die Beklagten zum Nachweis der Angaben zu a) und b) die entsprechenden Einkaufs- oder Verkaufsbelege (Rechnungen) in Kopie vorzulegen haben, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der rechnungslegungspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die unter I.1 bezeichneten, in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 24. März 2016 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 90.000.000,00 (neunzig Millionen Euro).

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter unmittelbarer Patentverletzung auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, Schadensersatz zu leisten, in Anspruch. Gegenüber der Beklagten zu 2) begehrt sie zusätzlich den Rückruf und die Vernichtung patentverletzender Vorrichtungen.

Die Klägerin ist die im Register des Deutschen Patent- und Markenamts eigetragene, derzeitige Inhaberin des deutschen Teils des Europäischen Patents EP A (nachfolgend: Klagepatent). Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Klagepatent trägt den deutschen Titel „Umpositionierbare Herzklappe“; es ist als Anlage PS1a und eine deutsche Übersetzung hiervon als Anlage PS1b zur Akte gereicht worden. Die Anmeldung zum Klagepatent erfolgte am 22.12.2004 unter der Inanspruchnahme der Priorität von 15 US-Schriften, deren Prioritätsdaten zwischen dem 23.12.2003 und dem 05.11.2003 liegen. Das Europäische Patentamt veröffentlichte am 24.02.2016 den Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents.

Das Klagepatent steht in Kraft. Gegen dessen Erteilung haben die Beklagte zu 1) und weitere Unternehmen beim Europäischen Patentamt (nachfolgend kurz: EPA) Einspruch erhoben. Auf die in den Anlagen vorgelegten Schriftsätze und dazugehörigen Anlagen aus dem Einspruchsverfahren wird Bezug genommen. Eine Entscheidung im Einspruchsverfahren steht noch aus.

Die von der Klägerin in Kombination geltend gemachten Ansprüche 1 und 4 des Klagepatents lauten in dessen englischer Verfahrenssprache wie folgt:

“1.              Apparatus for endovascularly replacing a patient’s heart valve, the apparatus comprising:

an expandable cylindrical anchor (30) supporting a replacement valve (20), the anchor (30) having a delivery configuration and a deployed configuration, and

at least one sac (200) disposed about the exterior of the anchor (30) to provide a seal.”

“4.              The apparatus of any of the preceding claims, wherein the at least one sac (200) comprises one or more slots (202) that can be used to backfill the at least one sac with ambient blood passing through the replacement valve (20).”

In der deutschen Fassung lauten die Ansprüche 1 und 4 des Klagepatents wie folgt:

“1.              Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten, wobei die Vorrichtung umfasst:

eine expandierbare zylindrische Befestigung (30), die eine Ersatzklappe stützt, wobei die Befestigung eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration hat, und

zumindest ein Beutel (200), der um die Außenseite der Befestigung (30) angeordnet ist, um eine Abdichtung bereitzustellen.“

„4.              Die Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der zumindest eine Beutel eine oder mehrere Aussparungen (202) umfasst, die zum Füllen des zumindest einen Beutels mit um die Ersatzklappe (20) fließenden Blutes, verwendet werden können.“

Hinsichtlich der nur in Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten, abhängigen Unteransprüchen 2, 6, 13, 14, 16 und 17 wird auf die Klagepatentschrift verwiesen.

Zur Veranschaulichung der geschützten Lehre werden nachfolgend die Fig. 14 – 16C des Klagepatents verkleinert eingeblendet, die nach der Patentbeschreibung Ausführungsformen der geschützten Lehre zeigen:

Die Klägerin ist ein Unternehmen, das auf die Entwicklung und Herstellung u.a. von Herzklappenimplantaten spezialisiert ist.

Die Beklagte zu 1) ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das ebenfalls Herzklappenimplantate herstellt, u.a. solche mit der Bezeichnung „B“ (nachfolgend: angegriffene Ausführungsform). Die Beklagte zu 2) ist ein deutsches Tochterunternehmen der Beklagten zu 1), das deren Herzklappenimplantaten – u.a. die angegriffene Ausführungsform – in Deutschland bewirbt und vertreibt.

Zur Veranschaulichung ihrer Ausgestaltung werden nachfolgend Bilder der angegriffenen Ausführungsformen aus den Anlagen PS2 und PS3 eingeblendet:

 

Die angegriffene Ausführungsform ist in verschiedenen Größen verfügbar, wobei der grundsätzliche Aufbau jeweils gleich ist. Sie umfasst einen Stent (das auf den obigen Fotos erkennbare Drahtgebilde) und eine darin gehaltene Ersatzherzklappe aus Rinder-Perikard. Ferner weist die angegriffene Ausführungsform eine innere und eine äußere Einfassung aus Polyethylenerephaltat (PET) auf, die miteinander am distalen Ende (d.h. vom Operateur im Einsatz entfernter liegenden Ende) des Stents miteinander vernäht sind. Die Ersatzklappe der angegriffenen Ausführungsform ist nur mit der inneren Einfassung, nicht aber mit der äußeren Einfassung (unmittelbar) verbunden. Zum proximalen Ende des Stents hin, also dem Ende, welches näher am Operateur liegt, weist die äußere Einfassung Öffnungen auf, durch die im eingesetzten Zustand Blut einfließen kann. Dies veranschaulicht das nachfolgend eingeblendete Bild 5 aus Anlage PS10, das die angegriffene Ausführungsform aus der proximalen Position zeigt:

Der Netto-Jahresumsatz mit der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland betrug 2015 EUR 144 Millionen. Der Netto-Stückpreis einer angegriffenen Ausführungsform in Deutschland liegt bei über EUR 14.000,00, womit sie deutlicher teurer ist als ähnliche Produkte von Wettbewerbern. Sie ist die in Deutschland meistimplantierte Transkatheter-Aortenklappe mit einem Marktanteil von derzeit etwa 60 % bei etwa 10.000 verkauften Exemplaren. Die angegriffene Ausführungsform ist für ca. 76 % des Gesamtumsatzes der Beklagten in Deutschland verantwortlich, wobei die Beklagte zu 1) insgesamt einen jährlichen Umsatz von ca. EUR 2,5 Milliarden erzielt. Die Beklagten erzielen mit der angegriffenen Ausführungsform eine Profitmarge (gem. Rohertrag) von etwa 75 %.

Die angegriffenen Ausführungsformen für den deutschen Markt werden bei der Beklagten zu 2) bestellt und aus einem ausländischen Lager heraus von dem Logistikunternehmen DHL an Krankenhäuser und Herzzentren in Deutschland geliefert. Nachfolgend werden zusammenfassend nur Krankenhäuser genannt.

Die angegriffene Ausführungsform ist ebenfalls Gegenstand eines Patentverletzungsverfahrens zwischen den Parteien im Vereinigten Königreich vor dem Patents Court des High Courts in London, in dem die Klägerin aus dem dortigen nationalen Parallelschutzrecht zum Klagepatent vorgeht. Eine Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus.

Die Klägerin trägt vor, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent wortsinngemäß.

Die Klagepatentbeschreibung weise verschiedene erfinderische Aspekte auf. Die Aufgabe des Klagepatents beziehe sich auf eine verbesserte Abdichtung bzw. auf die Verringerung von unerwünschtem Blutrückfluss.

Patentgemäß müsse der mindestens eine Beutel nur nicht straff auf der Außenoberfläche der expandierbaren Befestigung anliegen, damit die Abdichtung Zwischenräume zwischen der Befestigung und der natürlichen Herzklappe ausfüllen kann, um so paravalvuläre Undichtigkeiten zu verringern bzw. zu vermeiden. Der patentgemäße, mindestens eine Beutel müsse damit überschüssiges Material aufweisen und könne auch ein „ausgebeultes“ Gewebestück sein.

Ferner erfordere das Klagepatent keine abgeschlossene Struktur des Beutels, die Füllmaterialien dauerhaft und sicher in dem Beutel halten können – ein Austreten etwa von Blut in den Innenraum des Beutels sei patentgemäß zulässig. Wie die Unteransprüche 3 bis 5 zeigten, sehe es das Klagepatent als vorteilhaft an, wenn Blut nach der Implantation in den Beutel eindringen kann.

Aufgrund der Verbindung mit der Befestigung müsse es sich bei dem patentgemäßen Beutel nicht um ein separates Element handeln. „Diskrete Beutel“ seien im Klagepatent nur für Ausführungsbeispiele beschrieben und bezeichneten dort einzelne, voneinander beabstandete Beutel.

Die vom Klagepatent verlangte Anordnung des Beutels “um die Außenseite der Befestigung“ bedeute, dass der mindestens eine Beutel zumindest teilweise außerhalb am Außenumfang der zylindrischen Befestigung angeordnet sein muss. Nicht erforderlich sei dagegen eine vollständig außenseitige Anordnung.

Eine Anordnung der Beutel auf verschiedenen axialen Höhen werde vom geltend gemachten Anspruch nicht gefordert. Vielmehr könne auch lediglich ein Beutel nur in Umfangsrichtung verlaufen. Es komme aus funktioneller Sicht alleine auf die Abdichtungswirkung an.

Weiterhin verlange das Klagepatent nicht, dass der oder die Beutel überall dort angeordnet sein müssen, wo die Klappenprothese nach der Implantation mit den nativen Klappensegeln in Kontakt steht.

Bei der angegriffenen Ausführungsform sei ein patentgemäßer Beutel durch die äußere Einfassung aus PET verwirklicht, die mehrere zusammenhängende oder (bei einer alternativen Sichtweise) einen einzigen in Umfangsrichtung verlaufende(n) Beutel im Sinne des Klagepatents darstellt. Durch die proximalen Öffnungen zwischen dem Stent und der äußeren Einfassung könne – insoweit unstreitig – Blut einfließen und so zur Abdichtung beitragen, was im Einklang mit der patentgemäßen Lehre stehe. Durch die innere Einfassung wird das Blut (unstreitig) davon abgehalten, in den Innenraum der Befestigung einzutreten. Die äußere Einfassung der angegriffenen Ausführungsform erstrecke sich über eine Länge von etwa 38 % der Gesamtlänge der Befestigung im expandierten Zustand und sei damit „um die Außenseite der Befestigung angeordnet“. Die äußere Einfassung diene auch der Abdichtung von paravalvulären Lecks.

Bei korrekter Implantation stehe die äußere Einfassung der angegriffenen Ausführungsform in Kontakt mit den natürlichen Aortenklappensegeln. Die Klägerin verweist darauf, dass die Beklagten in ihren Schulungsunterlagen auch eine Einsetzhöhe von 20 % zulässt, d.h. das in der eingesetzten Position der angegriffenen Ausführungsform von deren Gesamtlänge im expandierten Zustand 20 % unterhalb Basis der natürlichen Aortenklappe angeordnet sind. Dann, aber selbst bei einer Einsetzhöhe von 25 – 30 %, bestehe ein Überlappungsbereich zwischen irregulärer Oberfläche der Klappensegel und äußere Abdichtung. Ohnehin enthalte der geltend gemachte Anspruch keine Beschränkung, wie eine patentgemäße Vorrichtung eingesetzt bzw. positioniert werden muss.

Der für den Vernichtungsanspruch erforderliche inländische Besitz der Beklagten zu 2) liege vor. Bei der Lieferung übe DHL weisungsgebundenen Fremdbesitz für die Beklagte zu 2) aus, die damit mittelbarere Besitzerin bleibe. Die angegriffenen Ausführungsformen ständen zudem bis zur Bezahlung im Eigentum der Beklagten zu 2), wobei von den Krankenhäusern gelagerten angegriffenen Ausführungsformen weiterhin in ihrem mittelbaren Besitz seien.

Die beantragte Vernichtung der angegriffenen Ausführungsformen sei nicht unverhältnismäßig. Die Versorgung der Patienten sei nicht gefährdet. Es drohe keine Nichtbehandlung oder Verzögerung der Behandlung von Patienten. Die Beklagten könnten Krankenhäuser statt mit der angegriffenen Ausführungsform mit dem – unstreitig – weiterhin hergestellten und vertriebenen Vorgängerprodukt „C“ beliefern. Insoweit seien keine wesentlichen Umschulungsmaßnahmen notwendig. Hinsichtlich der Herzschrittmacher-Implantationsrate weise die Vorgängerversion C – unstreitig – bessere Ergebnisse als die angegriffene Ausführungsform auf. Zudem sind – unstreitig – Produkte von Konkurrenzunternehmen verfügbar, welche statt der angegriffenen Ausführungsform eingesetzt werden könnten. So weise die E-Klappe der Klägerin ein noch geringeres Insuffizienzrisiko als die angegriffene Ausführungsform auf. Ärzte seien üblicherweise für mehrere Systeme verschiedener Anbieter zertifiziert. Eine kurzfristige Umstellung auf Transkatheter-Herzklappenprothesen anderer Hersteller sei ohne weiteres möglich und könne von einem Krankenhaus in weniger als einer Woche vorgenommen werden. Die Wartezeiten auf eine Implantation beruhten auf Krankenhausengpässen (in Bezug auf Personal und/oder Krankenhausbetten), nicht aber auf Engpässen bei der Lieferung mit Transkatheter-Herzklappenprothesen.

Der Rückrufanspruch sei ebenfalls nicht unverhältnismäßig.

Für die Frage von Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO seien Nachteile, die Dritten entstehen, irrelevant, wobei Patienten ohnehin keine Gefahr drohe. Den Beklagten drohe bei einer Unterlassungsvollstreckung keine Insolvenz. Verluste bei den Verkäufen mit der angegriffenen Ausführungsform könnten durch Verkäufe mit der Sapien-XT-Herzklappe kompensiert werden.

Eine Vollstreckungssicherheit in Höhe von EUR 36 Mio. sei ausreichend.

Die strengen Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist lägen nicht vor. Die Klägerin verhalte sich nicht treuwidrig. Es bestehe kein Risiko für die Patientenversorgung. Die Beklagten hätten sich auf den Unterlassungstitel seit Klageerhebung einstellen können.

Das Klagepatent werde sich auf die Nichtigkeitsklage der Beklagten hin als rechtsbeständig erweisen, so dass eine Aussetzung des Verfahrens nicht angezeigt sei.

Die Klägerin hat den nunmehr hilfsweise gestellten Antrag zu Ziff. I.1. zunächst als Hauptantrag zu Ziff. I.1. gestellt. In der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 hat sie den Hauptantrag durch die Hinzunahme eines Merkmals eingeschränkt und den ursprünglichen Hauptantrag nur noch hilfsweise weiter verfolgt.

Die Klägerin beantragte zuletzt,

I.               – wie in Ziff. I. des Tenors zuerkannt –

Hilfsweise zum Antrag zu Ziff. I.1:

                            Den zuerkannten Antrag zu Ziff. I.1 ohne die Worte:

„wobei der zumindest eine Beutel eine oder mehrere Aussparungen umfasst, die zum Rückfüllen des zumindest einen Beutels mit durch die Ersatzklappe fließenden Blutes verwendet werden können;“

II.               die Beklagte zu 2) zu verurteilen,

die vorstehend zu Ziffer I. bezeichneten, seit dem 24. März 2016 im Besitz gewerblicher Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil auf eine Verletzung des Klagepatents erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben, und den Dritten für den Fall der Rückgabe der Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird; und die erfolgreich zurückgerufenen Erzeugnisse wieder an sich nimmt;

2.               die in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum befindlichen, zu vorstehend in Ziffer I.1 bezeichneten Erzeugnisse zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihnen zu benennenden Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf ihre Kosten herauszugeben;

III.               – festzustellen, wie in Ziff. II. des Tenors zuerkannt –

Hinsichtlich der nur in Form von Insbesondere-Anträgen geltend gemachten Unteransprüchen wird auf den Klageerweiterungsschriftsatz vom 25.02.2016 verwiesen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen;

hilfsweise:

den Rechtsstreit bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Europäischen Patentamts über den gegen das Klagepatent eingereichten Einspruch gemäß § 148 ZPO auszusetzen;

weiter hilfsweise:

für den Fall einer antragsgemäßen Verurteilung den Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung gemäß § 712 Abs. 1 ZPO durch Sicherheitsleistung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden;

weiter hilfsweise:

den Beklagten eine Aufbrauchfrist bis zum Abschluss der Auslieferung der streitgegenständlichen Herzklappenprothesen mit der Bezeichnung „B“, die bis zu einem Zeitpunkt von 6 Monaten nach dem Tag der Verkündung eines der Klage stattgebenden Urteils hergestellt wurden, einzuräumen. Innerhalb dieses Zeitraums ist den Beklagten zugleich zu gestatten, bereits hergestellte, aber noch nicht ausgelieferte und/oder verkaufte Herzklappenprothesen an Abnehmer zu liefern, aber auch bis zu dem genannten Zeitpunkt bereits bestellte B-Herzklappenprothesen herzustellen.

Die Beklagten meinen, das Klagepatent werde durch die angegriffene Ausführungsform nicht verletzt.

Bei dem mindestens einen Beutel müsse es sich patentgemäß um ein zusätzliches, von der Befestigung bzw. dem Stent separiertes Element handeln. Dies zeige Abs. [0066], wo die Beutel in der englischen Verfahrenssprache als „discrete sacs“, also als eigenständig oder separat, bezeichnet werden.

Der Beutel müsse zur Aufnahme von Füllmaterialien geeignet sein und gegenüber der Befestigung eine in sich abgeschlossene Struktur bilden, so dass er Füllmaterial dauerhaft und sicher in sich halten könne. So dürften die vom Klagepatent in Unteranspruch 10 als Füllmaterialen genannten Stoffe Wasser, Schaumstoff oder Hydrogel (insoweit unstreitig) nicht in den Körper des Patienten gelangen. Abs. [0067] sei zu entnehmen, dass die Beutel in Fig. 16A und 16B zur Befestigung hin geschlossen sein müssen. Die Fig. 16A-C zeigten nicht nur eine Seitenwand der Befestigung. Die dort gezeigten, gestrichelten Linien zeigten die Rückwand des Beutels und seien nicht als Teil der Befestigung anzusehen.

Im Parallelverfahren 4a O 137/15 sehe die Klägerin die äußere Einfassung als zusammengeschobene (bunched up) Abdichtung an. Dies werde vom Klagepatent aber als eine andere Ausführungsform beschrieben, so dass es sich bei der äußeren Einfassung nicht zugleich um einen patentgemäßen Beutel handeln könne.

Ein solcher Beutel werde von der angegriffenen Ausführungsform nicht verwirklicht. Die äußere Einfassung weise (unstreitig) abschnittsweise Öffnungen auf, durch die eingebrachtes Füllmaterial jederzeit wieder austreten kann. Durch die Vernähung der äußeren Einfassung am Stent liege kein Beutel vor; es fehle eine Rückwand. Die äußere Einfassung bilde auch nicht mehrere zusammenhängende Beutel, da sich die abschnittsweisen Öffnungen zu ihrer Innenseite in denselben Raum öffnen.

Selbst wenn man innere und äußere Einfassung gemeinsam betrachte, ergebe sich kein anspruchsgemäßer Beutel, da hierbei der Stent mitten durch den angeblichen Beutel verläuft. Zudem fehlte bei dieser Sichtweise ein separiertes Element, welches sich vollständig auf der Außenseite befindet.

Der Beutel müsse anspruchsgemäß vollständig um die Außenseite der Befestigung angeordnet sein, was bedeute, dass der Stent nicht innerhalb des Beutels liegen dürfe. Der englische Anspruchswortlaut „disposed about“ setze eine Anordnung von einem einzelnen Beutel oder mehreren Beuteln auf verschiedenen Höhen bzw. axialen Positionen auf der Außenseite der Befestigung voraus. Die Anordnung auf verschiedenen axialen Höhen sei funktional für die Abdichtung notwendig um Lecks bzw. undichte Stellen entlang der irregulären Oberfläche auf Höhe der nativen Klappensegel zu verhindern. Daher müssten die Beutel dort angeordnet sein, wo die Klappenprothese in Kontakt mit den nativen Klappensegeln steht.

Bei der angegriffenen Ausführungsform ist (unstreitig) die äußere Einfassung (nur) am distalen Ende des Stents sowie am oberen Ende der ersten Reihe/Zelle vernäht und überdeckt nur diese. Sie sei also auf eine einzige axiale Position beschränkt. Die äußere Einfassung sei daher auch nicht in einem Bereich angeordnet, in dem die Klappenprothese in Kontakt mit den nativen Klappensegeln steht. Beim bestimmungsgemäßen Einsatz bleibe die von der äußeren Einfassung überdeckte distale (unterste) Zelle/Reihe des Stents auf einer Höhe mit bzw. unterhalb der Basis der nativen Aortenklappensegel und komme daher mit der irregulären Oberfläche der nativen Aortenklappensegel bestimmungsgemäß nicht in Kontakt. Die angegriffene Ausführungsform verfolge ein grundlegendes anderes (Abdichtungs-) Konzept als die Lehre des Klagepatents, da die Hauptabdichtungswirkung auf der Ebene der nativen Klappensegel von der inneren Einfassung bewirkt werde.

Die angegriffene Ausführungsform weise auch keine Schlitze im Sinne von Unteranspruch 4 des Klagepatents auf. Hierbei müsse es sich patentgemäß um fischgrätenförmige Schlitze handeln.

Mangels inländischen Besitzes der angegriffenen Ausführungsformen der Beklagten zu 2) bestehe kein Vernichtungsanspruch.

Die Vernichtung sei zudem ohnehin im Einzelfall unverhältnismäßig, da bei einer Vollstreckung dieses Anspruchs die medizinische Versorgung und das Leben (insbesondere) von solchen Patienten gefährdet seien, bei denen eine Implantation einer angegriffenen Ausführungsform unmittelbar bevorstehe. Die Behandlung sei individuell auf die angegriffene Ausführungsform ausgerichtet, ein Abwarten könne tödlich verlaufen. Die Umstellung der Behandlung auf andere Herzklappen sei dagegen mit Verzögerungen verbunden. Lieferengpässe bei den Konkurrenzprodukten würden entstehen, für deren Implantation zudem (unstreitig) teilweise die erforderliche Schulung der Ärzte fehlt.

Im Übrigen sei die angegriffene Ausführungsform gegenüber den Konkurrenzprodukten in Effektivität und Sicherheit überlegen, etwa aufgrund einer deutlich niedrigeren Rate an Herzschrittmacherimplantationen gegenüber anderen Herzklappenprothesen. Die angegriffene Ausführungsform sei zudem das am universellsten einsetzbare System auf dem Markt und insbesondere für Patienten mit mittlerem Operationsrisiko zugelassen. Die Überlegenheit belege eine Vergleichsstudie zu dem nach der angegriffenen Ausführungsform am zweitmeisten implantierten Konkurrenzprodukt D. Gleiches gelte für einen Vergleich mit dem Produkt „E“ der Klägerin, wo insbesondere die Herzschrittmacherimplantationsrate bei der angegriffenen Ausführungsform deutlich geringer war. Die Qualität und Sicherheit seien bei dem Produkt „E“ der Klägerin nicht auf einem gleichbleibenden Niveau gewährleistet. Zudem bestehe mit der angegriffenen Ausführungsform ein umfangreicher, praktischer Erfahrungsschatz, der Risiken für die Patienten verringere.

Das Vorgängermodell der angegriffenen Ausführungsform C biete keine kurzfristig verfügbare Alternative, u.a. wegen notwendiger Schulungen; zudem müsste hiermit wieder (Arbeits-) Routinen aufgebaut werden. Aufgrund der kontinuierlich zurückgegangen Verfügbarkeit von C hätten die Ärzte in Deutschland hierzu nur geringe oder gar keine Erfahrungen mehr. Es würde mindestens 3 – 4 Wochen dauern, bis an sämtlichen Krankenhäusern in Deutschland eine Neuschulung im Hinblick auf den Einsatz von C durchgeführt worden ist. Die Beklagten verfügten zudem nicht über ausreichende Produktionskapazitäten für C, wobei eine hierfür erforderliche Produktionssteigerung mindestens 3 Monate in Anspruch nehmen würde.

Die damit abzusehende Unterversorgung des deutschen Markts führe zu einer Gefährdung des Lebens und der Gesundheit der Patienten. Den Beklagten könne auch nicht zugemutet werden, schon jetzt den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform einzustellen und auf das Vorgängermodell C umzustellen.

Aus den gleichen Gründen sei auch der Rückrufanspruch unverhältnismäßig.

Die Vollstreckungssicherheit sei im Falle einer Verurteilung aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung und den Risiken für die Patienten nicht unter EUR 150 Millionen festzusetzen.

Zudem sei den Beklagten (hilfsweise) Vollstreckungsschutz nach § 712 Abs. 1 ZPO zu gewähren, da ihnen bei Vollstreckung eines Unterlassungsgebots nicht zu ersetzende Nachteile entständen. Eine Wiedereinführung der angegriffenen Ausführungsform wäre mit erheblichen Schwierigkeiten und Verzögerungen verbunden, etwa aufgrund notwendiger Nachschulungen. Dies würde dazu führen, dass die Krankenhäuser Konkurrenzprodukte weiter verwenden würden und die Beklagten so ihren Marktanteil nicht zurückgewinnen könnten. Zudem würden gravierende Risiken für die Patienten bestehen. Indizien für den Vollstreckungsschutz sei die Alternativlosigkeit der angegriffenen Ausführungsform bei der Behandlung bestimmter Patientengruppen und deren Überlegenheit gegenüber Konkurrenzprodukten.

Die hilfsweise begehrte Einräumung einer Aufbrauchfrist (Umstellungsfrist) sei im vorliegenden Fall geboten. Die sofortige Durchsetzung des Unterlassungstenors sei für die Patienten mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden, welche in keinem Verhältnis zu den rein monetären Interessen der Klägerin ständen.

Hilfsweise sei das Verfahren jedenfalls in Bezug auf das Einspruchsverfahren auszusetzen, in dem sich das Klagepatent als nicht rechtsbeständig erweisen werde. Der unabhängige Anspruch 1 sei durch Zwischenverallgemeinerungen unzulässig erweitert. Die Lehre des Klagepatents werde zudem von einer Reihe von Dokumenten neuheitsschädlich vorweggenommen, etwa der WO F(Entgegenhaltung BB4, „G“, vorgelegt in Anlage B27/4 bzw. in Übersetzung in Anlage B27/4a), der Entgegenhaltung WO H (BB5, “GI”, vorgelegt in Anlage B27/5 bzw. B27/5a), der Entgegenhaltung US I (BB6, „J“, vorgelegt in Anlage B27/6 bzw. B27/6a). Ferner sei Anspruch 1 etwa durch die genannten Entgegenhaltungen in Kombination mit anderen Schriften jeweils für den Fachmann nahegelegt.

Die Klägerin hat den Beklagten Sicherheit wegen der Prozesskosten in Höhe von EUR 2.000.000,00 geleistet.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die ausgetauschten Schriftsätze samt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet, ansonsten unbegründet. Die angegriffene Ausführungsform verletzt die geltend gemachte Anspruchskombination des Klagepatents wortsinngemäß (hierzu unter I.). Hieraus ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen (hierzu unter II.). Die Klägerin hat die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung und Schadensersatzfeststellung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1, Abs. 2, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB hat, wobei den Beklagten auch keine Aufbrauchfrist einzuräumen war (hierzu unter II.1.). Jedoch hat die Klägerin keine Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf patentverletzender Erzeugnisse aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 bzw. Abs. 3 PatG, da Vernichtung und Rückruf hier im Einzelfall jeweils unverhältnismäßig nach § 140a Abs. 4 PatG sind (hierzu unter II.3. und II.4.). Im Rahmen des der Kammer zustehenden Ermessens wird das Verfahren nicht ausgesetzt (hierzu unter III.). Die Sicherheitsleistung für die vorläufige Vollstreckung des Urteils wird auf EUR 90.000.000,00 festgesetzt; Vollstreckungsschutz nach § 712 Abs. 1 ZPO war den Beklagten nicht zu gewähren (hierzu unter IV.).

Die Änderung des Klageantrags in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 ist zulässig und auch nicht verspätet.

Die Klägerin hat den Unteranspruch 4, den sie bereits im Klageerweiterungsschriftsatz vom 25.02.2016 als Insbesondere-Antrag geltend gemacht hat, in den Hauptantrag aufgenommen. Dabei hat sie die Formulierung an den Wortlaut des Unteranspruchs 4 in der maßgeblichen englischen Verfahrenssprache des Klagepatents angepasst („durch die Ersatzklappe fließenden“ statt „um die Ersatzklappe fließenden“). Die Aufnahme von Insbesondere-Anträgen in den allgemeinen Teil des Klageantrags stellt regelmäßig – so wie hier auch – keine Klageänderung oder Teilklagerücknahme dar (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. B.318). Der entsprechende Antrag ist von Anfang an Gegenstand des Verfahrens gewesen. Selbst wenn man insoweit eine Klageänderung annehmen würde, wäre sie nach § 263 ZPO zulässig, da sie vom Gericht als sachdienlich erachtet wird.

Die von den Beklagten gegenüber der Änderung erhobene Rüge der Verspätung greift nicht durch. Die Verspätungsregeln gelten schon nicht für Klageänderungen, da es sich hierbei um Angriffe und nicht um Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der §§ 282, 296 ZPO handelt (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 282 Rn. 2). Für die Aufnahme von Merkmalen aus Insbesondere-Anträgen in den Hauptantrag gelten die Verspätungsregeln damit erst recht nicht.

I.

Die angegriffene Ausführungsform macht von der Lehre der geltend gemachten Anspruchskombination des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.

1.

Das Klagepatent (nachfolgend nach Abs. und teilweise ergänzend auch nach Seiten und Zeilen der deutschen Übersetzung nach Anlage PS1b zitiert, ohne das Klagepatent stets ausdrücklich zu nennen) betrifft eine Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen einer Herzklappe. Der Ersatz von Herzklappen kann indiziert sein, wenn eine gewöhnlich „Stenose“ genannte Verengung der nativen Herzklappe vorliegt oder wenn die native Klappe leckt oder regurgitiert, es also zu einem unerwünschten Zurückfließen von Blut kommt (Abs. [0003]).

In seiner einleitenden Beschreibung beschreibt das Klagepatent zunächst die Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie gegenüber der bisherigen Herzklappenchirurgie beim Instandsetzen oder Ersetzen erkrankter Herzklappen.

a)

Die Herzklappenchirurgie wird am offenen Herz unter Allgemeinanästhesie durchgeführt. Hierbei wird ein Schnitt durch das Brustbein (Sternum) des Patienten durchgeführt (Sternotomie) und das Herz des Patienten wird angehalten, während der Blutstrom durch eine Herz-Lungen-Bypassmaschine umgeleitet wird (Abs. [0002]). Bei dem Ersetzen der Klappe wird die native Klappe herausgeschnitten und durch eine biologische oder mechanische Klappe ersetzt. An mechanischen Klappen kritisiert das Klagepatent, dass diese eine lebenslange Medikation mit Antikoagulationsmitteln erfordern, um das Entstehen von Blutgerinnseln zu verhindern. Ferner können oft Klickgeräusche der Klappe durch die Brust gehört werden. Dagegen benötigten Klappen aus biologischem Gewebe typischerweise keine derartige Medikation. Solche Gewebeklappen können von Verstorbenen oder aus Schweinen oder Rindern stammen (Abs. [0004]).

Das Klagepatent erläutert, dass die (herkömmliche) Klappenersatzchirurgie unabhängig von der verwendeten Klappe eine hochinvasive Operation mit erheblichen Begleitrisiken sei, bei der 2 - 5 % der Patienten während des chirurgischen Eingriffs sterben (Abs. [0005]). Nach dem chirurgischen Eingriff können Patienten vorübergehend verwirrt sein. Die ersten 2 - 3 Tage nach dem chirurgischen Eingriff werden in einer Intensivstation verbracht, in der die Herzfunktionen genau überwacht werden. Der mittlere Krankenhausaufenthalt beträgt zwischen 1 und 2 Wochen und zur vollständigen Erholung können mehrere weitere Wochen bis Monate erforderlich sein (Abs. [0006]).

b)

In den letzten Jahren sind einige Forscher durch Fortschritte der minimalinvasiven Chirurgie und der Interventionskardiologie zum perkutanen (d.h. durch die Haut) Ersetzen der Aorta-Herzklappe angeregt worden.

K(„K“) entwickelte einen ballonexpandierbaren Stent mit einer integrierten Bioprothesenklappe. Die Stent/Klappen-Vorrichtung wird über die native erkrankte Klappe eingesetzt, um die Klappe permanent offen zu halten und so die Notwendigkeit des Herausschneidens der nativen Klappe zu mildern und die Bioprothesenklappe am Ort der nativen Klappe zu positionieren. Die Vorrichtung von K ist für das Einsetzen unter Lokalanästhesie unter Verwendung fluoroskopischer Führung ausgelegt. Damit können Allgemeinanästhesie und Chirurgie am offenen Herz vermieden werden (Abs. [0007]). Bei der Vorrichtung von K sei jedoch das Einsetzen des Stents von K nicht umkehrbar und der Stent kann nicht zurückgeholt werden. Diese mangelnde Umpositionierbarkeit ist aus Sicht des Klagepatents ein entscheidender Nachteil, da eine ungünstige Positionierung zu hoch in Richtung auf die Aorta zu dem Risiko führt, die Koronarostien des Patienten zu blockieren. Eine in die andere Richtung ungünstig platzierte Stent/Klappe (weg von der Aorta, näher an dem Ventrikel (= Herzkammer)) wird mit dem Mitralapparat zusammenstoßen und am Ende das Segel abnutzen, da sich das Segel ständig an dem Rand der Stent/Klappe reibt (Abs. [0008]). Ein weiterer Nachteil der Vorrichtung von K sei sein vergleichsweise großes Querschnittsprofil zum Zuführen (Abs. [0009]).

Andere Ersatz-Herzklappen im Stand der Technik verwenden selbstexpandierende Stents als Befestigung. Selbstexpandierbare Standardsysteme seien jedoch beim Einsetzen sehr ungenau (Abs. [0010]). Das Klagepatent führt als weiteren Nachteil selbstexpandierender Herzklappenersatzsysteme im Stand der Technik deren mangelnde radiale Festigkeit an (Abs. [0012]). Damit selbstexpandierende Systeme leicht durch ein Zuführhüllrohr zugeführt werden können, muss sich das Metall innerhalb des Zuführkatheters biegen und krümmen, ohne plastisch verformt zu werden. Bei Stents mit darin befestigter Klappe, wie es bei dem Aortenklappenersatz der Fall ist, stellt die Befestigung des Stents an Gefäßwänden ein erhebliches Problem dar. Die Kraft, den arteriellen Drucks zurückzuhalten und zu verhindern, dass Blut während der Diastole in das Ventrikel zurückgelangt, wird direkt auf die Stent/Gefäßwand-Grenzfläche übertragen, was eine größere Radialkraft als bei Stents ohne Klappen erfordert (Abs. [0013]).

Die US-Patentanmeldung Nr. L von M et al. beschreibt eine Vorrichtung aus zwei Teilen zum Ersetzen der Aortenklappe, die zum Zuführen durch die Aorta des Patienten ausgelegt ist. Ein Stent wird perkutan über der nativen Klappe platziert, anschließend wird eine Ersatzklappe in dem Lumen des Stents positioniert. Durch das Getrennthalten von Stent und Klappe während des Zuführens kann das Profil des Zuführsystems für die Vorrichtung ausreichend verringert werden, um Zuführen durch die Aorta zu erlauben (Abs. [0014]). Nachteilig sei jedoch, dass ein dynamisches Repositionieren des Stents während des Einsetzens unmöglich ist. Eine Stentverkürzung oder dessen Wandern während der Expansion können zu einer ungeeigneten Ausrichtung führen (Abs. [0015]). Ferner drückt der Stent von M die nativen Klappensegel einfach gegen die Herzwand und greift nicht auf eine Weise in die Segel ein, die eine günstige Ausrichtung der Vorrichtung relativ zu der nativen Position der Klappe ermöglichen würde. Ferner weist dieser Stent Lücken auf, in die die Ersatzklappe nach dem Zuführen eingesetzt wird. Durch diese Lücken kann jedoch Gewebe dringen und damit das Risiko einer ungeeigneten Aufnahme der Klappe in den Stent erhöhen (Abs. [0016]).

In den Abs. [0018] erwähnt das Klagepatent noch die WO N, die eine chirurgisch implantierbare, mit Stent versehene, bioprothetische Herzklappe beschreibt, die eine ringförmige Nahtmanschette am Einströmungsabschnitt der Klappe umfasst. Ferner geht das Klagepatent in Abs. [0019] kurz auf die US O(vorgelegt als Anlage B1) ein, die eine Venenklappeneinrichtung beschreibt, welche eine im Allgemeinen schlangenförmige Gestalt und einen Ecklappen aufweist. Kritik an den beiden vorgenannten Schriften übt das Klagepatent nicht.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Nachteile der Verfahren zum perkutanen Ersetzen einer Herzklappe im Stand der Technik bezeichnet es das Klagepatent in Abs. [0017] als wünschenswert, Verfahren und Vorrichtungen bereitzustellen, die diese Nachteile überwinden.

Das konkret vom Klagepatent bearbeitete Problem sind paravalvuläre Undichtigkeiten (Lecks). Hierbei handelt es sich um Zwischenräume zwischen der eingesetzten Herzklappe und dem menschlichen Körper (der Gefäßinnenwand), durch die Blut an der Ersatzherzklappe vorbei ungewollt wieder in die Herzkammer laufen kann (sog. Regurgitation). Dies erläutert das Klagepatent unter Bezugnahme auf Fig. 13, die zur Veranschaulichung nachfolgend eingeblendet wird:

In der vorstehenden Figur 13 wurde eine Vorrichtung 10 an dem Ort einer erkrankten Aortenklappe AV implantiert. Die Oberfläche der nativen Klappensegel L ist irregulär, und die Oberfläche I zwischen den Segeln L und der Befestigung 30 kann Lücken aufweisen, durch die Blut B durchsickern kann. Solche Leckagen können zu einem Risiko der Entstehung von Blutgerinnseln oder ungenügendem Blutstrom führen (Abs. [0064]). Als objektive Aufgabe des Klagepatents kann daher die Vermeidung oder Verringerung solcher paravalvulären Lecks angesehen werden.

2.

Zur Lösung schlägt das Klagepatent eine Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten nach Maßgabe der Ansprüche 1 und 4 vor, die sich in Form einer Merkmalgliederung wie folgt darstellen lassen:

1              Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen der Herzklappe eines Patienten.

2              Die Vorrichtung umfasst eine expandierbare zylindrische Befestigung (30),

2.1              die eine Ersatzklappe stützt.

2.2              Die Befestigung hat eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration.

3               Die Vorrichtung umfasst zumindest ein Beutel (200).

3.1              Der Beutel ist um die Außenseite der Befestigung (30) angeordnet, um eine Abdichtung bereitzustellen.

3.2              Der zumindest eine Beutel umfasst eine oder mehrere Aussparungen, die zum Rückfüllen des zumindest einen Beutels mit durch die Ersatzklappe fließenden Blutes verwendet werden können.

3.

Der Schutzbereich eines Patents wird durch die Ansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung heranzuziehen sind (vgl. § 14 S. 1 PatG bzw. Art. 69 Abs. 1 S. 1 EPÜ). Soweit die Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 vorgetragen haben, der Anspruch sei hier eng auszulegen, da die Erfindung im Ausführungsbeispiel stecke, kann dem so nicht gefolgt werden. Die Einbeziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf nicht zu einer sachlichen Einengung oder inhaltlichen Erweiterung des durch den Anspruchswortlaut festgelegten Gegenstands führen (BGH GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit). Die Ausführungsbeispiele stellen lediglich eine bevorzugte Gestaltung dar, auf welche die Erfindung nicht reduziert werden darf (BGH, GRUR 2008, 779 – Mehrgangnabe; BGH, GRUR 2012, 1242 – Steckverbindung).

Die geltend gemachte Anspruchskombination betrifft – wie erwähnt – nur einen Teilaspekt der vom Klagepatent einleitend angesprochenen Nachteile im Stand der Technik – namentlich die Abdichtung zwischen Stent und Körper des Patienten (Gefäßinnenwand) in der eingesetzten Stellung.

Die geschützte Vorrichtung zum endovaskulären Ersetzen einer Herzklappe (Merkmal 1) umfasst eine expandierbare zylindrische Befestigung (30), die eine Ersatzklappe trägt (Merkmale 2 und 2.1). Die expandierbare Befestigung (beispielsweise ein Stent) wird im Körper des Patienten in Position gebracht und hält die Ersatzklappe, welche die Funktion der erkrankten, nativen Herzklappe übernehmen soll.

Die patentgemäße Vorrichtung weist nach Merkmal 2.2 eine Zuführkonfiguration und eine eingesetzte Konfiguration auf. Beispielsweise kann es sich bei der Zuführkonfiguration um eine kollabierte Konfiguration handeln und bei der eingesetzten Konfiguration um eine expandierte Konfiguration (vgl. Unteranspruch 14). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass beim Einsetzen der Ersatzherzklappe eine möglichst geringe Größe (Querschnitt) der Vorrichtung vorteilhaft ist, während im eingesetzten Zustand die Größe zu den körperlichen Eigenheiten des Patienten passen muss, um einen guten Sitz der Klappe erzielen zu können.

Kennzeichnend für Anspruch 1 ist nach Merkmalsgruppe 3 zumindest ein Beutel, welcher eine Abdichtung zwischen Außenseite der Befestigung der Ersatzklappe und dem Körper des Patienten bereitstellen soll. Somit dient der Beutel dazu, paravalvuläre Lecks und damit einen ungewollten Blutfluss an der Ersatzklappe vorbei in die Herzkammer zurück zu vermeiden. Hierzu ist der Beutel nach Merkmal 3.1 um die Außenseite der Befestigung angeordnet. Ist dieser Beutel gefüllt oder füllt er sich, so füllt er mögliche Zwischenräume zwischen Ersatzherzklappe und Körper aus und dichtet diese so ab. Das Klagepatent sieht weiter vor, dass der Beutel durch zurückfließendes Blut gefüllt werden kann, wozu er Aussparungen aufweist (Merkmal 3.2).

4.

Die Verwirklichung der Merkmale 1 – 2.2 durch die angegriffene Ausführungsform ist zwischen den Parteien zu recht unstreitig, so dass hierzu keine weiteren Ausführungen mehr erforderlich sind. Aber auch die Verwirklichung der übrigen Merkmale lässt sich feststellen.

5.

Merkmal 3 des Klagepatents (das dem ersten Teil von Merkmal 3 der klägerischen Gliederung bzw. Merkmal 2 der Gliederung der Beklagten entspricht),

„3.               Die Vorrichtung umfasst zumindest ein Beutel (200)“

wird von der angegriffenen Ausführungsform durch die äußere Einfassung (ggf. in Verbindung mit der inneren Einfassung) wortsinngemäß verwirklicht.

a)

Ein Beutel ist patentgemäß eine Stück Material, welches ausgebeult werden kann und deshalb in der Lage ist, ein Fluid temporär aufzunehmen. Es muss sich bei dem patentgemäßen Beutel jedoch weder um ein separates Element handeln, noch muss er in der Lage sein, das Fluid (Füllmaterial) dauerhaft und sicher aufzunehmen.

Eine nähere Definition des Begriffs „Beutels“ gibt das Klagepatent nicht. Auch aus dem nach Art. 70 Abs. 1 EPÜ maßgeblichen englischen Anspruchswortlaut „sac“ lässt sich Näheres nicht entnehmen. Insofern ist der Begriffsinhalt maßgeblich auf Grundlage der patentgemäßen Funktion des Beutels zu bestimmen. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist ein Beutel ein Gewebestück, das so geformt ist, dass es etwas aufnehmen kann. Dazu weist der Beutel regelmäßig eine Öffnung auf, die verschließbar sein kann. Zwar kommt es nicht entscheidend auf die philologische oder logischwissenschaftliche Begriffsbestimmung an, sondern auf den technischen Sinn des Begriffs (BGH, GRUR 2002, 515 – Schneidmesser I; GRUR 1999, 909 – Spannschraube). Dieser bestätigt aber weitgehend die aus dem allgemeinen Sprachgebrauch stammende Definition eines Beutels.

Wie die Zweckangabe am Ende von Merkmal 3.1 belegt, dient der Beutel der Bereitstellung einer Abdichtung, die – wie bereits erwähnt – paravalvuläre Lecks verhindern soll. Dieses kann beispielsweise durch die Füllung mit Blut oder – soweit nur Anspruch 1 betroffen ist – mit einem anderen Füllmaterial wie Wasser, Schaumstoff oder Hydrogel erfolgen, wie die Unteransprüche 2 – 4 und 10 belegen. Bei der Befüllung mit einem Füllmaterial ist der Beutel in seiner Form flexibel, so dass er sich an eine unebene Körperoberfläche anpassen kann – etwa an die irreguläre Oberfläche zwischen den nativen Klappensegeln und der Befestigung, wie Unteranspruch 6 lehrt.

(1)

Das Klagepatent erfordert es nicht, dass es sich beim Beutel um ein von der Befestigung separiertes Element handelt. Eine entsprechende Vorgabe findet sich im Anspruchswortlaut nicht. Für die Abdichtungsfunktion ist es ebenfalls unerheblich, ob es sich beim Beutel um ein eigenständiges Element handelt oder nicht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich etwas anderes nicht daraus, dass in Abs. [0066] der Beschreibung einzelne Beutel („discrete sacs“ in der englischen Verfahrenssprache) angesprochen sind. Zum einen handelt es sich hierbei nur um die Beschreibung der Ausführungsbeispiele nach den Figuren 15A und 15D, auf welche der Anspruch nicht reduziert werden darf. Zum anderen wird „discrete“ in diesen Passagen nicht verwendet, um die Eigenständigkeit der Beutel zu beschreiben, sondern um kenntlich zu machen, dass es sich um einzelne Beutel handelt, die also nicht mit anderen Beuteln verbunden sind. Der Anspruch erfasst aber ersichtlich auch Ausgestaltungen mit nur einem Beutel.

Ebenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass sich der Stent im Beutel befindet, also vom Beutel aufgenommen wird. Dies stellt die Beuteleigenschaft nicht in Frage. Im Übrigen ist dies eine Frage der Positionierung des Beutels an der Befestigung, die im Rahmen der nachstehenden Diskussion von Merkmal 3.1 näher erörtert wird.

(2)

Soweit die Beklagten anführen, ein patentgemäßer Beutel müsse zwingend eine in sich (ab-)geschlossene Struktur aufweisen, die Füllmaterial dauerhaft halten kann, ist dies fernliegend.

Eine entsprechende Vorgabe lässt sich im bei der Auslegung vorranging zu berücksichtigenden Anspruch nicht ersehen. Die ergänzend heranzuziehende Beschreibung und die Figuren bestätigen, dass Anspruch 1 Ausgestaltungen sowohl mit offenen als auch mit abgeschlossenen Beuteln erfasst. Durch die Hinzunahme von Unteranspruch 4 – Merkmal 3.2 – wonach der Beutel Aussparungen aufweisen muss, um mit zurückfließendem Blut befüllt werden zu können, ist die geltend gemachte Anspruchskombination jedoch auf offene Beutel beschränkt. Dies setzt eine im eingesetzten Zustand offene Beutelstruktur voraus. Als Öffnung werden insofern vom Klagepatent in den Unteransprüchen 4 und 5 Aussparungen (202) bzw. Poren (204) genannt. Dies wird zudem in Abs. [0067] unter Bezugnahme auf Fig. 16A und 16B beschrieben.

Es ist auch zulässig, dass der Beutel zur Befestigung hin offen ist. Dem Klagepatent ist keine zwingende Vorgabe zu entnehmen, dass die Öffnungen oder Aussparungen am Beutel nur an der Außenseite angeordnet sein müssen. Ferner belegt dies das in Fig. 16C gezeigte Ausführungsbeispiel. So heißt es in Abs. [0067]:

„In Figur 16C öffnen sich die Beutel zum Lumen 31 der Befestigung (…)“.

Fig. 16C wird zur Veranschaulichung nachfolgend verkleinert eingeblendet:

Das Lumen 31 befindet sich also innerhalb der Befestigung, zu der hin der Beutel 200 in Fig. 16 C offen ist. Damit handelt es sich hier bei der gestrichelten, vertikal verlaufenden Linie um die Befestigung. Es ist in der Regel davon auszugehen, dass Ausführungsbeispiele vom Patentanspruch erfasst werden, sofern nicht deutliche, gegenteilige Anhaltspunkte bestehen (BGH, GRUR 2015,875, 876 Rn. [16] – Rotorelemente; BGH, GRUR 2015, 159 Rn. [26] – Zugriffsrechte). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich.

b)

Bei der angegriffenen Ausführungsform stellt die äußere Einfassung aus PET einen patentgemäßen Beutel dar. Diese Einfassung liegt nicht straff auf der Außenseite des Stents der angegriffenen Ausführungsform an, sondern kann über die proximal ausgerichteten Öffnungen mit Blut gefüllt werden und sich ausbeulen, was dann zu einer Abdichtung der Ersatzherzklappe gegenüber der Gefäßinnenwand führt. Dass dieses Blut nicht dauerhaft gehalten wird und die äußere Einfassung auch zum Stent hin offen ist, steht – wie gesehen – der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen.

Alternativ lässt sich die innere Einfassung als weiteres Teil des Beutels ansehen, da diese eine Art Rückwand darstellt und mit zur Abdichtung beiträgt. Der Betrachtung von innerer und äußerer Einfassung zusammen als patentgemäßer Beutel steht nicht entgegen, dass bei der angegriffenen Ausführungsform dann zwischen diesen beiden Einfassungen ein Teil des Stents verläuft.

Dass die Klägerin im Parallelverfahren 4a O 137/15 die äußere Einfassung als „aufgebauschte“ (bunched up) Abdichtung ansieht, ist für das hiesige Verfahren ohne Belang. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein und dasselbe Element mehrere Schutzrechte unter unterschiedlichen Aspekten verletzt.

6.

Merkmal 3.1 des Klagepatents (das dem zweiten Teil von Merkmal 3 der klägerischen Gliederung bzw. den Merkmalen 2.a) und 2.b) der Gliederung der Beklagten entspricht),

„3.1               Der Beutel ist um die Außenseite der Befestigung (30) angeordnet, um eine Abdichtung bereitzustellen.“

wird von der angegriffenen Ausführungsform durch deren äußere Einfassung verwirklicht.

a)

Merkmal 3.1 enthält zum einen eine Vorgabe zur Positionierung des Beutels an der patentgemäßen Vorrichtung, zum anderen eine Zweckangabe. Hierbei reicht es aus, wenn sich ein Beutel auf einer axialen Höhe befindet. Ebenfalls ist es patentgemäß zulässig, wenn sich der Beutel nur teilweise an der Außenseite der Befestigung befindet.

(1)

Hinsichtlich der Positionierung des Beutels schreibt das Klagepatent eine Anordnung „um die Außenseite der Befestigung“ vor (in der Verfahrenssprache: „disposed about the exterior of the anchor“). Die Verwendung der Präposition „um“ statt etwa „an“ (der Außenseite) ist darin begründet, dass die Befestigung nach Merkmal 2 zylindrisch ausgestaltet ist. In diesem Zusammenhang legt der Anspruchswortlaut „um die Außenseite“ nahe, dass sich der Beutel um die Befestigung herum erstrecken soll, also mehr als einen Teil des zylindrischen Außenumfangs abdecken muss. Da eine Abdichtung erzielt werden soll, erscheint es für den Fachmann naheliegend, dass der oder die Beutel in ihrer Gesamtheit die Befestigung vollständig umrunden, da ansonsten nicht abgedichtete Bereiche (seitlich versetzt vom Beutel) bestehen könnten. Ob dies patentgemäß zwingend erforderlich ist, kann für den Streitfall dahingestellt bleiben.

(2)

Die Anordnung an der Außenseite dient – wie der zweite Teil des Merkmals 3.1 unterstreicht – der Bereitstellung einer Abdichtung, die paravalvulären Undichtigkeiten vermeiden soll. Insofern müssen der oder die Beutel an der Außenseite der Befestigung angeordnet sein, um den abzudichtenden Zwischenraum zwischen der Außenseite der Befestigung und dem Körper des Patienten ausfüllen zu können. Sofern dies der Fall ist, spielt es für die patentgemäße Lehre keine Rolle, ob sich Teile des Beutels innerhalb der Befestigung befinden. Der Anspruchswortlaut sieht keine Anordnung des gesamten Beutels um die Außenseite der Befestigung vor. Funktional kann eine Abdichtung auch dann erzielt werden, wenn nicht der gesamte Beutel an der Außenseite angebracht ist, sondern nur ein technisch relevanter Teil.

Wie bei der Auslegung von Merkmal 3 bereits aufgezeigt wurde, muss es sich beim patentgemäßen Beutel nicht um ein separates Element handeln. Damit sind auch solche Ausgestaltungen vom Schutzbereich von der geltend gemachten Anspruchskombination erfasst, bei denen ein Teil des Beutels auf der Innenseite der Befestigung angeordnet ist, die Befestigung also vom Beutel umschlossen wird.

(3)

Anspruch 1 erfordert entgegen der Auffassung der Beklagten keine Anordnung des oder der Beutel auf verschiedenen axialen Höhen der Befestigung. Eine entsprechende Vorgabe lässt sich dem Anspruchswortlaut nicht entnehmen. Aus der Präposition „um“ können allenfalls Rückschlüsse zum „Umrunden“ der zylindrischen Befestigung durch den mindestens einen Beutel gezogen werden. Eine Vorgabe zur axialen Erstreckung lässt sich hierin nicht ersehen. Dies stellt das Klagepatent vielmehr ins Belieben des Fachmanns, der darin frei ist, Beutel auf einer oder mehreren axialen Höhen anzuordnen, und in welcher Breite (im Sinne der axialen Höhe) der oder die Beutel ausgeführt werden sollen. Soweit die Beklagten darauf verweisen, dass die Ausführungsbeispiele nach Fig. 15A – 15E jeweils Beutel auf verschiedenen axialen Höhen zeigen, handelt es sich dabei um Ausführungsbeispiele, die den weitergehenden Wortsinn des Anspruchs nicht einschränken können. Dies gilt umso mehr, weil das Klagepatent in Abs. [0066], nach der Beschreibung der Fig. 15A – 15E ausführt, dass dem Fachmann „alternative Beutelkonfigurationen nahe liegen“ werden. Hinzu kommt, dass etwa in dem Ausführungsbeispiel nach Fig. 15C (nachfolgend verkleinert eingeblendet) an einigen Stellen des Zylinders (d.h. des Kreisumfangs) der Beutel nur auf jeweils einer Höhe angeordnet ist:

Entscheidend ist funktional nur die Bereitstellung einer Abdichtung, die aber das Vorhandensein von Beuteln auf verschiedenen Höhen gerade nicht voraussetzt.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Fachmann bei Betrachtung der in der einleitenden Beschreibung erwähnten US O(vorgelegt in Anlage B1) zu einem anderen Ergebnis kommt. Im Klagepatent findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass sich die Lehre von Anspruch 1 von diesem Stand der Technik dadurch unterscheiden soll, dass nach dem Klagepatent Beutel auf verschiedenen axialen Höhen vorgesehen sind.

(4)

Die Notwendigkeit, Beutel auf verschiedenen axialen Höhen anzuordnen, ergibt sich auch nicht daraus, dass das Klagepatent nach Ansicht der Beklagten eine Abdichtung im Bereich der nativen Klappensegel erzielen soll. Eine solche Zielsetzung ist nicht Gegenstand der Ansprüche 1 und/oder 4, sondern wird erst in Unteranspruch 6 formuliert:

„6.              Die Vorrichtung nach einem der vorhergehenden Ansprüche, wobei der zumindest eine Beutel (200) ausgelegt ist, eine Abdichtung entlang einer irregulären Oberfläche zwischen den nativen Klappensegeln und der Befestigung (30) bereitzustellen.“

Eine solche Spezifizierung des Orts der Abdichtung enthält die geltend gemachte Anspruchskombination nicht. Diese erfordert nur eine Abdichtung zur Verringerung oder Vermeidung von paravalvulären Lecks durch (einen) Beutel, ohne den Ort der Abdichtung genau vorzuschreiben.

b)

Bei der angegriffenen Ausführungsform stellt die äußere Einfassung einen Beutel dar, der „um die Außenseite der Befestigung angeordnet“ ist, „um eine Abdichtung bereitzustellen. Zu demselben Ergebnis kommt man, wenn man zusätzlich die innere Einfassung ebenfalls zum patentgemäßen Beutel zählt.

(1)

Bei der angegriffenen Ausführungsform umläuft die äußere Einfassung den gesamten zylindrischen Stent an dessen Außenseite. Dass sie sich – aus Sicht der Beklagten – nur auf einer axialen Höhe befindet, steht der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen. Im Übrigen deckt die äußere Einfassung aufgrund ihrer Breite mehr als nur genau eine axiale Höhe ab.

Die äußere Einfassung stellt auch eine Abdichtung bereit. In ihr kann sich Blut sammeln, wodurch sich der Beutel gegen die Gefäßinnenwand presst und die angegriffene Ausführungsform im Körper gegen zurückfließendes Blut abdichtet.

(2)

Soweit die Beklagten argumentieren, beim bestimmungsgemäßen Einsatz der angegriffenen Ausführungsform bleibe die von der äußeren Einfassung überdeckte distale (unterste) Zelle/Reihe des Stents auf einer Höhe mit bzw. unterhalb der Basis der nativen Aortenklappensegel, steht dies der Feststellung einer Patentverletzung nicht entgegen. Wie vorstehend erörtert, enthält die geltend gemachte Anspruchskombination keine Vorgabe, dass der oder die Beutel die irreguläre Oberfläche der nativen Kappensegel abdichten muss.

Aber selbst wenn man eine solche Vorgabe in den Anspruch hineinlesen möchte, läge eine Merkmalsverwirklichung vor:

Zum einen kommt es nicht auf den gewöhnlichen Einsatz der angegriffenen Ausführungsform an. Es steht einer Patentverletzung nicht entgegen, dass eine Vorrichtung normalerweise anders bedient wird oder der Hersteller sogar ausdrücklich eine andere Verwendung seiner Vorrichtung empfiehlt und die Abnehmer deshalb von der patentverletzenden Lehre regelmäßig keinen Gebrauch machen, soweit die Nutzung der patentgemäßen Lehre möglich ist (BGH, GRUR 2006, 399 – Rangierkatze). Dies ist hier der Fall, da es ohne weiteres möglich erscheint, die angegriffene Ausführungsform „höher“ einzusetzen, so dass die äußere Einfassung vollständig an den nativen Klappensegeln anliegen kann.

Zum anderen greift die Argumentation der Beklagten auch im Tatsächlichen nicht durch. Die Klägerin hat unter Verweis auf Schulungsunterlagen der Beklagten und unter Bezugnahme auf die Länge der angegriffenen Ausführungsform aufgezeigt, dass auch nach den Einsetzempfehlungen der Beklagten eine Überlappung zwischen der äußeren Einfassung und den nativen Klappensegeln besteht. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend entgegen getreten. Dass die Abdichtung der nativen Klappensegel hauptsächlich von der inneren Einfassung vorgenommen wird, wie die Beklagten anführen, ist für die Patentverletzung unerheblich, solange – wie hier – ein Teil der Abdichtungswirkung durch die äußere Einfassung als patentgemäßer Beutel erfolgt. Patentrechtlich ebenso unerheblich ist der (pauschale) Einwand der Beklagten, die angegriffene Ausführungsform weise ein grundlegendes anderes Abdichtungskonzept auf.

7.

Das aus Unteranspruch 4 stammende Merkmal 3.2,

„3.2              Der zumindest eine Beutel umfasst eine oder mehrere Aussparungen, die zum Rückfüllen des zumindest einen Beutels mit durch die Ersatzklappe fließenden Blutes verwendet werden können.“

wird von der angegriffenen Ausführungsform ebenfalls verwirklicht. Wie oben gesehen muss Merkmal 3.2 / Unteranspruch 4 entsprechend der maßgeblichen englischen Fassung so übersetzt werden, dass es sich um Blut handelt, dass „durch“ und nicht „um“ die Ersatzklappe fließt bzw. geflossen ist.

a)

Gemäß der Lehre dieses Merkmals wird die Abdichtungswirkung des Beutels verstärkt, wenn Blut zurückläuft – also genau dann, wenn Lecks verhindert werden sollen. Das zurückfließende Blut gelangt nicht an der patentgemäßen Erzsatzklappen-Vorrichtung vorbei, sondern tritt durch die Aussparungen („slots“ in der englischen Verfahrenssprache) in den Beutel ein. Dort wird es vom Beutel aufgehalten, füllt diesen und kann so die Zwischenräume zwischen Vorrichtung und Gefäßinnenwand / nativen Klappensegeln abdichten. Anschließend kann das Blut beim nächsten Herzschlag über die Öffnungen wieder aus dem Beutel strömen und in die richtige Richtung weiter fließen.

Die Vorsilbe „Rück“ im Anspruchswortlaut „Rückfüllen“ bezieht sich auf die Fließrichtung des Blutes. Es handelt sich um Blut, das in Richtung der Herzkammer (linkes Ventrikel) fließt, was die (Ersatz-) Herzklappe gerade verhindern soll.

Soweit das Merkmal „durch die Ersatzklappe“ fließendes Blut anspricht, ist damit Blut angesprochen, welches bereits durch die Ersatzklappe geflossen ist und sich damit auf der Seite der Klappe befindet, die der Aorta zugewandt ist (und nicht mehr auf Seiten der Herzkammer). Insofern grenzt sich das Klagepatent von Gestaltungen ab, bei denen Blut direkt aus der Herzkammer (wenn diese sich zusammenzieht) in den Beutel gelangt. In diesem Stadium ist die Herzklappe geöffnet und es besteht aufgrund der Pumpwirkung keine Gefahr eines Blutrückflusses.

In Abs. [0067] führt das Klagepatent aus, dass der Beutel 200 fischschuppenförmige Aussparungen aufweise, „die rückgefüllt werden können, beispielsweise mit um die Ersatzklappe 20 fließenden Blutes“. Insofern ist die Übersetzung der Beschreibung – wie die von Unteranspruch 4 – unrichtig, denn in der englischen Verfahrenssprache heißt es in Abs. [0067] „for example, with ambient blood passing through replacement valve 20”. Es wird also beschrieben, dass es sich um Blut handeln muss, dass bereits durch die Ersatzklappe geflossen ist. Dagegen erscheint die deutsche Übersetzung „um die Ersatzklappe“ schon deswegen nicht vollständig richtig, da gerade vermieden werden soll, dass um die Ersatzklappe Blut zurück in die Herzkammer fließt.

Soweit die Beklagten vortragen, man müsse „Aussparrungen“ hier auf Grundlage der englischen Anspruchsfassung „slots“ als Schlitze verstehen, kann dem nicht gefolgt werden. Vor dem Hintergrund der Funktion der „slots“, nämlich ein Füllen des Beutels durch Lücken im Beutel zu ermöglichen, erscheint die Übersetzung Aussparungen zutreffend. Auch kann der Begriff „Aussparungen“ nicht auf fischschuppenförmige (fishscale) Aussparungen reduziert werden. Dieser in Abs. [0067] genannte Zusatz ist nicht Teil des Unteranspruchs 4. Es ist auch kein technischfunktionaler Grund ersichtlich, die Lehre des Merkmals auf eine bestimmte Form von Aussparungen zu beschränken.

b)

Die angegriffene Ausführungsform weist Aussparungen zwischen dem Stent und der ansonsten hieran fest vernähten äußeren Einfassung auf, durch die der durch diese Einfassung gebildete Beutel mit Blut gefüllt werden kann, das bereits durch die Ersatzherzklappe geströmt ist. Diese Aussparungen sind auch in dem nachfolgend eingeblendeten Bild der angegriffenen Ausführungsform aus proximaler Richtung (gekennzeichnet mit roten Pfeilen) erkennbar (von S. 32 der Klageerwiderung = Bl. 148 GA):

II.

Die Beklagte verletzt das Klagepatent durch Anbieten und Inverkehrbringen der angegriffenen Ausführungsformen im Inland. Aufgrund der festgestellten Patentverletzung ergeben sich die zuerkannten Rechtsfolgen, wobei die Anträge auf Vernichtung und Rückruf patentverletzender Vorrichtungen aufgrund fehlender Verhältnismäßigkeit nicht zu gewähren waren.

1.

Der Unterlassungsanspruch beruht auf Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 1 PatG, da die Benutzung des Erfindungsgegenstandes im Inland ohne Berechtigung erfolgt. Die hilfsweise begehrte Aufbrauchfrist war nicht zu gewähren.

a)

Die Einräumung einer Aufbrauchfrist (oder synonym: Umstellungsfrist), die üblicherweise der Überbrückung des für Umstellungs- und Beseitigungsmaßnahmen benötigten Zeitraums dienen soll, kann im Einzelfall geboten sein, wenn die sofortige Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs des Patentinhabers auch unter Berücksichtigung seiner Interessen gegenüber dem Verletzer eine unverhältnismäßige, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellte und daher treuwidrig wäre (BGH, GRUR 2016, 1031 Rn. [41] – Wärmetauscher). Die Möglichkeit einer Aufbrauchfrist ist Ausfluss des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a).

(1)

Die Gewährung einer Aufbrauchfrist kommt im Falle einer Patentverletzung aus in der Natur der Beeinträchtigung liegenden Gründen nur unter engen Voraussetzungen in Betracht. Anders als etwa im Marken- oder Wettbewerbsrecht wird bei der Patentverletzung entgegen der Wirkung des Patents (§ 9 PatG) unmittelbar ein geschütztes Erzeugnis hergestellt oder in den Verkehr gebracht. Es ist daher notwendige Folge des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs, dass der Verletzer den patentverletzenden Vertrieb einstellen muss und das betroffene Produkt erst dann wieder auf den Markt bringen kann, wenn er sich entweder die dafür benötigten Rechte vom Patentinhaber verschafft oder das Produkt so abgewandelt hat, dass es das Schutzrecht nicht mehr verletzt, was gegebenenfalls erheblichen Zeit- und Kostenaufwand erfordern kann. Die damit zwangsläufig verbundenen Härten sind grundsätzlich hinzunehmen. Eine Einschränkung der Wirkung des Patents durch Gewährung einer Aufbrauchfrist ist deshalb nur dann zu rechtfertigen, wenn die wirtschaftlichen Folgen der sofortigen Befolgung des Unterlassungsgebots den Verletzer im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände über die mit seinem Ausspruch bestimmungsgemäß einhergehenden Beeinträchtigungen hinaus in einem Maße treffen und benachteiligen, das die unbedingte Untersagung als unzumutbar erscheinen lässt (BGH, GRUR 2016, 1031 Rn. [45] – Wärmetauscher).

Eine Aufbrauchfrist kommt in Patentverletzungsfällen damit nur ausnahmsweise und unter sehr strengen Voraussetzungen im Einzelfall in Betracht. Hierbei sind alle betroffenen Interessen und ihre Schutzwürdigkeit unter Berücksichtigung von Gut- und Bösgläubigkeit gegeneinander abzuwägen (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a). Berücksichtigt werden können etwa die wirtschaftlichen Auswirkungen der Unterlassung, das Verhalten des Berechtigten sowie Art und Umfang des Verschuldens des Verletzers (Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Aufl. 2016, § 139 Rn. 94). So dürfte bei grober Fahrlässigkeit des Verletzers eine Aufbrauchfrist kaum noch in Betracht kommen (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 Rn. 136a; vgl. auch Bodewig, GRUR 2005, 632, 635).

(2)

Allerdings ist nicht ersichtlich, dass in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Interessen (bestimmter) Dritter oder der Öffentlichkeit im Allgemeinen zur Einräumung einer Aufbrauchfrist geführt haben bzw. diese Interessen überhaupt berücksichtigt werden können. Die Entscheidung Wärmetauscher des BGH stellt nur auf die wirtschaftlichen Folgen für den Verletzer ab, aus denen sich die Treuwidrigkeit einer sofortigen Unterlassung ergeben kann. Es lassen sich auch keine Stimmen in der Literatur ersehen, die für die Berücksichtigung solcher Erwägungen sprechen.

Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Unterlassungsanspruch nicht von Verhältnismäßigkeitsüberlegungen abhängig sein. Beim Unterlassungsanspruch existiert – anders als bei den Ansprüchen auf Vernichtung oder Rückruf mit § 140a Abs. 4 PatG – im Gesetz kein Anhaltspunkt, der diesen Anspruch bei Unverhältnismäßigkeit ausschließen könnte. Erst recht sieht das Gesetz keine Berücksichtigung der Interessen Dritter beim Unterlassungsanspruch vor. Gerade weil dies für die Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf im Gesetz geregelt ist, lässt sich eine planwidrige Gesetzeslücke nicht feststellen.

Ein Bedürfnis für die Berücksichtigung von Dritt- bzw. Allgemeininteressen lässt sich auch deswegen nicht feststellen, da das Patentgesetz das öffentlichen Interesse an der Nutzung einer patentgeschützten Lehre auf andere Weise schützt – namentlich durch die Möglichkeit der Einräumung einer Zwangslizenz nach § 24 PatG. Zwar wirkt die Zwangslizenz anders als eine Aufbrauchfrist – insbesondere nicht nur für einen begrenzten Zeitraum für die Umstellung / Anpassung. Gleichwohl erlauben beide Rechtsinstitute die Nutzung einer patentgemäßen Lehre gegen den Willen des Patentinhabers und durchbrechen so dessen vom Patentamt eingeräumtes Ausschließungsrecht.

Eine Zwangslizenz setzt einerseits voraus, dass das öffentliche Interesse die Erteilung einer Zwangslizenz gebietet (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 PatG), was die Berücksichtigung von Patienteninteressen ermöglicht (vgl. Rinken/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 24 Rn. 13 f.; vgl. BPatG, Urteil vom 31.08.2016 – 3 LiQ 1/16 (EP)). Weitere Voraussetzung ist jedoch, dass sich der Lizenzsucher innerhalb eines angemessenen Zeitraumes erfolglos bemüht hat, vom Patentinhaber die Zustimmung zu erhalten, die Erfindung zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen zu benutzen (§ 24 Abs. 1 Nr. 1 PatG).

Eine Zwangslizenz nach § 24 PatG ist gegenüber einer Aufbrauchfrist vorranging. Die Regelung des § 24 PatG würde unterlaufen, wenn man nur auf der Basis der Interessen Dritter eine Aufbrauchfrist einräumt, ohne dass die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 PatG gegeben sind – also insbesondere, ohne dass der Patentverletzer sich erfolglos um eine Lizenz bemüht hat.

(b)

Die dargestellten Voraussetzungen für die Gewährung einer Aufbrauchfrist haben die Beklagten nicht hinreichend dargelegt.

(1)

Die wirtschaftlichen Folgen einer nicht um eine Aufbrauchfrist verzögerten Unterlassung rechtfertigen nicht die Einräumung einer Aufbrauchfrist. Vielmehr gehen die den Beklagten drohenden Einbußen nicht über die üblichen Folgen eines patentrechtlichen Unterlassungstenors hinaus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass grundsätzlich kein schützenswertes Interesse am Weitervertrieb patentverletzender Erzeugnisse besteht. Die Einstellung der Produktion der angegriffenen Ausführungsform und der damit zusammenhängenden Geschäftsaktivitäten sind übliche Folgen des Unterlassungsgebots sind, die alleine die Gewährung von Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen können (vgl. zu § 712 ZPO: OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 16 – Fahrbare Betonpumpe), was auch für eine Aufbrauchfrist gelten muss.

Es ist nicht hinreichend vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass den Beklagten eine Insolvenz droht, wenn der Unterlassungstenor durchgesetzt wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Wegfall der Umsätze mit der angegriffenen Ausführungsform die Existenz der Beklagten zu 1) bedrohen könnte. Diese ist ein international tätiges Unternehmen, das nur einen Bruchteil seiner Umsätze in Deutschland erzielt. Ein Teil der wegfallenden, inländischen Umsätze dürfte zudem durch die Verkäufe des nicht angegriffenen Vorgängerprodukts C kompensiert werden können, welches bei der Durchsetzung des Unterlassungstenors wieder verstärkt angeboten und nachgefragt werden wird. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um eine abhängige Konzerngesellschaft der Beklagten zu 1), so dass deren Insolvenzgefahr isoliert nur unter besonderen Umständen berücksichtigt werden kann. Zudem vertreibt die Beklagte zu 2) die angegriffene Ausführungsform lediglich und hat dementsprechend weniger laufende Ausgaben, insbesondere keine Herstellungskosten o.ä.

(2)

Ferner erscheint die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs durch die Klägerin nicht treuwidrig. Patentgemäße Produkte werden auch von der Klägerin hergestellt und vertrieben – es handelt sich bei ihr nicht um eine Patentverwerterin. Über den Unterlassungsanspruch schützt die Klägerin auf zulässige Weise eigene Produkte. Hinzu kommt, dass – wie sich aus dem Beklagtenvortrag ergibt – die Klägerin grundsätzlich zur Erteilung einer Lizenz am Klagepatent bereit ist. Soweit die Beklagte der Ansicht ist, die Lizenzforderungen der Klägerin seien überhöht, lässt sich insofern eine Treuwidrigkeit nicht feststellen. Zum einen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin hier zur Lizenzerteilung verpflichtet ist. Zum anderen haben die Beklagten schon nicht ansatzweise hinreichend vorgetragen, welche Lizenzgebühren die Klägerin verlangt und inwiefern diese Forderungen überhöht sind.

Es ist schließlich nicht ersichtlich, dass den Beklagten ein geringeres Verschulden (verglichen mit durchschnittlichen Fällen) zur Last gelegt werden kann.

2.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, der aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 139 Abs. 2 PatG folgt. Als Fachunternehmen hätten die Beklagten die Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest erkennen können, § 276 BGB.

Da überdies durch die rechtsverletzenden Handlungen der Beklagten die Entstehung eines Schadens hinreichend wahrscheinlich ist, der durch die Klägerin aber noch nicht beziffert werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist ein rechtliches Interesse der Klägerin an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung anzuerkennen, § 256 ZPO.

3.

Der Anspruch auf Auskunft über die Herkunft und den Vertriebsweg der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aufgrund der unberechtigten Benutzung des Erfindungsgegenstands unmittelbar aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 1 PatG, der Umfang der Auskunftspflicht aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140b Abs. 3 PatG. Die weitergehende Auskunftspflicht folgt aus Art. 64 EPÜ i.V.m. §§ 242, 259 BGB. Damit die Klägerin in die Lage versetzt wird, ihren Schadensersatzanspruch zu beziffern, steht ihr gegen die Beklagten ein Anspruch auf Auskunft im zuerkannten Umfang zu. Die Klägerin ist auf die Angaben angewiesen, über die sei ohne eigenes Verschulden nicht verfügt; die Beklagten werden durch die von ihnen verlangten Auskünfte nicht unzumutbar belastet.

4.

Der gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Anspruch auf Vernichtung aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 1 PatG ist vorliegend jedenfalls wegen Unverhältnismäßigkeit nach § 140a Abs. 4 PatG nicht zu zuerkennen.

a)

Nach § 140a Abs. 4 PatG sind Vernichtungs- und Rückrufansprüche ausgeschlossen, wenn die Inanspruchnahme im Einzelfall unverhältnismäßig ist. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen (§ 140a Abs. 4 S. 2 PatG).

aa)

Maßgeblich sind die vom Patentverletzer darzulegenden und zu beweisenden Umstände des Einzelfalls, die abzuwägen sind (Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 140a Rn. 8; Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. D.565). Als Ausnahmetatbestand ist § 140a Abs. 4 PatG eng auszulegen, die Vernichtung bzw. der Rückruf stellen die Regelmaßnahme dar (BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 28; zum Markenrecht: BGH, GRUR 1997, 899, 901 – Vernichtungsanspruch). Hohe Kosten der Vernichtung oder des Rückrufs machen diese nicht per se unverhältnismäßig. Ein Aspekt in der Abwägung ist der Grad des Verschuldens des Patentverletzers. Gewisse Schäden beim Verletzer sind oft unvermeidbare Folge der Ansprüche aus § 140a PatG und stellen dessen Verhältnismäßigkeit nicht ohne Weiteres in Frage (BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 30).

Zu berücksichtigen ist bei der Frage der Verhältnismäßigkeit, welche Alternativen es gibt, um einen rechtswidrigen Zustand zu beseitigen und wie wirtschaftlich schwerwiegend der rechtswidrige Zustand für den Schutzrechtsinhaber ist (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Auf. 2014, § 140a Rn. 14). An der Verhältnismäßigkeit kann es fehlen, wenn durch andere Maßnahmen als der vollständigen Vernichtung der Verletzungsform der rechtswidrige Zustand beseitigt werden kann (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. D.569; BeckOK PatR/Rinken, 2. Edition, § 140a Rn. 29a). Im Einzelfall kann ein Anspruch auf Vernichtung vollständig wegen Unverhältnismäßigkeit ausgeschlossen sein, wenn es an sich keine Alternative zur Vernichtung gibt (Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140a Rn. 8b).

bb)

Nach der ausdrücklichen Regelung des § 140a Abs. 4 S. 2 PatG sind bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen. Dritte sind in erster Linie die Eigentümer und/oder Besitzer der patentverletzenden Erzeugnisse (Voß/Kühnen in Schulte, PatG, 9. Aufl. 2014, § 140 Rn. 14). Allerdings ist der Begriff der Dritten nicht auf diese Gruppe beschränkt, so dass auch allgemeine öffentliche Interessen oder die Belange mittelbarer Nutznießer der patentverletzenden Vorrichtung (wie Patienten) bei der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung finden können.

Im Hinblick auf den Regel-Ausnahme-Mechanismus des § 140a Abs. 4 PatG gebührt dem Vernichtungs- bzw. Rückrufinteresse des Patentinhabers im Zweifel auch gegenüber Drittinteressen der Vorrang. Das gilt umso mehr, wenn dem Dritten seinerseits eine schuldhafte Verletzungshandlung zur Last fällt (BeckOK PatR/Rinken, 3. Edition 2016, § 140a Rn. 31). Für die Feststellung der Unverhältnismäßigkeit genügt es allerdings, wenn die Unverhältnismäßigkeit nur für einen der Beteiligten festgestellt werden kann, also für den Patentverletzer selbst oder einen Dritten. Zumindest in Grenzfällen werden die für beide Beteiligte sich ergebenden Beeinträchtigungen kumulativ zu berücksichtigen sein (Grabinski/Zülch, a.a.O., § 140a Rn. 8a).

b)

Unter Berücksichtigung der Interessen der Krankenhäuser, Herzzentren und deren Patienten erscheint die Vernichtung der angegriffenen Ausführungsformen hier unverhältnismäßig.

aa)

Besitz und/oder Eigentum im Inland hat die Beklagte zu 2) nur an solchen Exemplaren der angegriffenen Ausführungsform, die sich bereits im unmittelbaren Besitz der Krankenhäuser und Herzzentren (zusammenfassend nachfolgend: Krankenhäuser) befinden bzw. per Logistikunternehmen DHL auf dem Weg dorthin sind. Soweit daneben (insbesondere defekte) angegriffene Ausführungsformen an die Beklagte zu 2) in Unterschleißheim gesendet werden und so in deren Besitz gelangen, sind diese für beide Parteien kaum wirtschaftlich relevant.

bb)

Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an den Ansprüchen auf Vernichtung und Rückruf ist vorliegend nicht besonders groß. Die Anzahl der potentiell von Vernichtungs- oder Rückruf betroffenen angegriffenen Ausführungsformen ist begrenzt, da die Beklagten in Deutschland weder über Produktionsstätten noch Lager verfügen und eine größere Lagerhaltung von Ersatzherzklappen bei den Krankenhäusern nicht üblich ist (vgl. eidesstattliche Versicherung P, Anlage B34 S. 4 Rn. 12).

cc)

Die sich im unmittelbaren Besitz der Krankenhäuser (dort gelagerten) oder auf dem Weg dorthin befindlichen angegriffenen Ausführungsformen sind für den zeitnahen Einsatz im Patienten bestimmt. Zwar können dabei regelmäßig auch Konkurrenzprodukte verwendet werden, da aber für jeden Typ von Ersatzherzklappe spezielle Schulungen erforderlich sind, würden der Rückruf- und/oder die Vernichtung dieser Exemplare der angegriffenen Ausführungsform teilweise die Verschiebung von bereits geplanten oder spontan notwendigen Operationen nach sich ziehen. Dies kann sich negativ auf die Gesundheit der Patienten auswirken.

Durch die Nichtgewährung des Vernichtungsanspruchs (dies gilt für den Rückrufanspruch gleichermaßen) können bereits vorhandene und auf dem Weg zu den Krankenhäusern befindliche angegriffene Ausführungsformen noch verwendet werden, so dass den Krankenhäusern eine gewisse Übergangszeit zur Umstellung auf andere Ersatzherzklappen eingeräumt wird.

Eine solche Umstellungszeit ist auch deshalb angezeigt, da beim Vertriebsstopp der angegriffenen Ausführungsform nicht jedes beliebige Konkurrenzprodukt verwendet werden kann. Die verschiedenen, auf dem Markt erhältlichen Ersatzherzklappen besitzen jeweils unterschiedliche Eigenschaften und unterscheiden sich etwa in ihren Klappendurchmesser oder den behandelbaren Patientengruppen. Insofern wird eine gewisse Zeit benötigt, um eine alternative Ersatzherzklappe zu beschaffen und ein hierfür geschultes Ärzte-Team zu finden. Dies erfordert eine Umplanung und ggf. Nachschulungen in den Krankenhäusern und damit Zeit, wobei bei den hier durch die angegriffene Ausführungsform behandelten Krankheitsbildern Verzögerungen im Interesse der Gesundheit der Patienten vermieden werden sollten.

Ferner ist nach Einschätzung der Kammer die angegriffene Ausführungsform das Produkt auf dem Markt, das bei der Betrachtung der möglichen Komplikationen Herzschrittmacher-Implantationsrate und paravalvuläres Leck in Kombination wohl derzeit die besten Ergebnisse erzielt. Zwar mag das Risiko für paravalvuläre Lecks bei verschiedenen anderen Ersatz-Herzklappen geringer sein, wie die Untersuchung von Leon et. al. (vgl. S. 20 RE / Bl. 304) belegt:

Jedoch weist zumindest die Klappe der Klägerin (E) eine höhere Herzschrittmacher-Implantationsrate auf. Weiterhin ist zwar das Modell C hinsichtlich dieser Herzschrittmacher-Implantationsrate der angegriffenen Ausführungsform überlegen, dafür weist C wiederum eine deutlich höhere Risikorate für paravalvuläre Lecks auf (wie das oben eingeblendete Diagramm ebenfalls zeigt). Diese Umstände haben die Beklagten auch durch die in den Anlagen B34und B20 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen von Priv.-Doz. P (Göttingen) und Q(Münster) hinreichend glaubhaft gemacht. Dies erschwert die Suche nach einem geeigneten Ersatz für die angegriffene Ausführungsform, was deren Rückruf oder Vernichtung aufgrund der Interessen der Patienten unverhältnismäßig erscheinen lässt.

Zudem kann den Krankenhäusern jedenfalls keine besonders große Fahrlässigkeit bei der Patentverletzung vorgeworfen werden, während den Patienten gar kein Verschulden zur Last gelegt werden kann.

5.

Der grundsätzlich der Klägerin zustehende Anspruch auf Rückruf patentverletzender Erzeugnisse aus Art. 64 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG besteht hier aufgrund der Unverhältnismäßigkeit im Einzelfall nach § 140a Abs. 4 PatG nicht. Insofern gelten die Ausführungen zur Unverhältnismäßigkeit des Vernichtungsanspruchs hier entsprechend. Die sich in den Vertriebswegen befindlichen angegriffenen Ausführungsformen sind regelmäßig für den zeitnahen Einsatz im Patienten gedacht.

6.

Hinsichtlich der Nebenentscheidungen und dem hilfsweisen Antrag auf Vollstreckungsschutz wird auf Ziff. IV unten verwiesen.

III.

Das Verfahren wird nicht nach § 148 ZPO in Bezug auf das Einspruchsverfahren ausgesetzt.

1.

Nach § 148 ZPO kann das Gericht bei der Vorgreiflichkeit eines anderen Verfahrens einen Rechtsstreit aussetzen. Die Vorgreiflichkeit ist aufgrund der angenommenen Verletzung des Schutzrechtes hinsichtlich des anhängigen Einspruchsverfahrens gegeben. Die Erhebung eines Einspruchs stellt ohne Weiteres noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen. Die Patenterteilung ist auch für die (Verletzungs-) Gerichte bindend. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur den in die ausschließliche Zuständigkeit des Europäischen Patentamts stehenden Einspruch (bzw. die Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht) zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent nicht als Einwand im Verletzungsverfahren geführt werden. Jedoch darf dies nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits im Rahmen der nach § 148 ZPO zu treffenden Ermessenentscheidung ist vielmehr grundsätzlich, aber auch nur dann geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent dem erhobenen Einspruch nicht standhalten wird (BGH, GRUR 2014, 1237, 1238 – Kurznachrichten; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.06.2015 – Az. 2 U 64/14, S. 29 f.).

Die Klägerin macht hier Anspruch 1 in einer durch Hinzunahme von Unteranspruch 4 beschränkten Fassung geltend, was zu einer Lockerung des Aussetzungsmaßstabes führt.

Die nur beschränkte Verteidigung des Klageschutzrechts im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren kann eine Lockerung des Aussetzungsmaßstabes nach sich ziehen. Führt eine Selbstbeschränkung dazu, dass der ursprüngliche Erteilungsakt des Klagepatents obsolet ist und es damit für die geltend gemachte Merkmalskombination kein stützendes, fachkundiges Votum mehr gibt, ist bei der Aussetzung der Maßstab wie bei einem ungeprüften Schutzrecht anzuwenden (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. E.642). Dies ist etwa der Fall, wenn sämtliche oder praktisch sämtliche Merkmale des Kennzeichens in den Oberbegriff aufgenommen werden, sich also nachträglich als nicht neu oder erfinderisch erweisen. Wird dagegen das Kennzeichen nur durch neu aufgenommene Merkmale angereichert und behält der Erteilungsakt somit tendenziell seine Bedeutung, kann der Aussetzungsmaßstab je nach Einzelfall beibehalten oder angemessen gelockert werden (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. E.643). Hier erscheint eine Lockerung angemessen, da der beanspruchte Gegenstand auf eine von zwei Möglichkeiten beschränkt wird – namentlich werden geschlossene Beutel vom Schutzbereich ausgeschlossen und der Anspruch auf offene Beutel reduziert.

Trotz dieser Lockerung des Aussetzungsmaßstabes lässt sich für die Kammer nicht mit hinreichender Sicherheit prognostizieren, dass das Klagepatent im anhängigen Einspruchsverfahren widerrufen werden wird.

2.

Es kann von der Kammer keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür festgestellt werden, dass die Einspruchsabteilung des EPA das Klagepatent wegen unzulässiger Erweiterung (Einspruchsgrund gemäß Art. 100 (c) EPÜ) nach Art. 101 Abs. 2 EPÜ widerruft. Das Klagepatent beruht auf einer Teilanmeldung der EP R, der wiederum die PCT-Anmeldung WO S zugrunde liegt (nachfolgend kurz: WO‘S; vorgelegt als Anlage B27/2, Anlage BB2 im Einspruchsverfahren). Die Beschreibung und Figuren der Anmeldung zum Klagepatent entsprechen denen der WO‘S.

a)

Bei der Aussetzung auf Basis einer unzulässigen Erweiterung ist eine gewisse Zurückhaltung angezeigt, da es sich um einen Aspekt handelt, der bereits Gegenstand des Erteilungsverfahrens war.

b)

Auf der Grundlage des Vortrages der Parteien kann die Kammer keine unzulässige Erweiterung in Form einer Zwischenverallgemeinerung feststellen.

Das Klagepatent schützt einen Teilaspekt der in der WO‘S dargestellten Lehre, namentlich die Vermeidung von paravalvulären Lecks durch eine Abdichtung mittels mindestens einen Beutels. Dieser Aspekt wird im Wesentlichen auf S. 32 Z. 23 – S. 33 Z. 13 WO‘S beschrieben. Dass die beanspruchte Lehre alle im Stand der Technik angesprochenen Nachteile lösen muss und daher weitere Aspekte in den Anspruch aufzunehmen sind, kann nicht festgestellt werden.

aa)

Der in der WO‘S angesprochene Aspekt der Repositionierung ist kein Teil der hier beanspruchten Lehre und auch als solcher nicht offenbart. Er ist aus Sicht der Kammer mit dieser auch nicht strukturell verbunden.

Dies gilt gleichermaßen für die Größe der Zuführkonfiguration, welche ebenfalls nicht in direktem Zusammenhang mit der beanspruchten Lehre steht und daher nicht in den Anspruch mit aufgenommen werden musste. Die Zuführkonfiguration betrifft zudem schon nicht die beanspruchte Vorrichtung zum Ersetzen einer Herzklappe selbst.

Gleiches gilt für die aktive Verkürzung durch bestimmte Aktoren – diese Aspekte stehen nicht in Zusammenhang mit der beanspruchten Abdichtung durch mindestens einen Beutel. Die nichthydraulischen bzw. nichtpneumatischen Aktoren werden in S. 4 Z. 13 f. und S. 23 Z. 1 f. WO‘S im Übrigen jeweils als optional („may include“ bzw. „may be actuacted“) dargestellt. Diese Aktoren sind ferner ebenfalls Merkmale des Zuführsystems, nicht der beanspruchten Vorrichtung zum Ersetzen einer Herzklappe selbst. Daneben ist zu beachten, dass die WO‘S auch ballonexpandierbare Befestigungen offenbart.

Dies spricht schon dagegen, dass feststellbare Befestigungen/Verriegelungen in den Anspruch mit aufzunehmen waren. Dass in Fig. 15A WO‘S ein Verriegelungselement gezeigt ist, führt aus Sicht der Kammer ebenfalls nicht dazu, dass dieses zu einem wesentlichen Aspekt der beanspruchten Lehre wird – insbesondere, da ein solches Verriegelungselement in den Fig. 15B – 15E nicht gezeigt ist.

Ähnliches gilt für die Widerhaken, die nicht in Zusammenhang mit den patentgemäßen Beuteln in der Beschreibung der WO‘S angesprochen werden.

Es kann von der Kammer auch nicht festgestellt werden, dass eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darin liegt, dass Befestigungsstützbalken nicht in den Anspruch mit aufgenommen wurden.

Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass eine äußere Ummantelung in den Anspruch mit aufgenommen werden musste, da nicht feststellbar ist, dass es sich hierbei um ein wesentliches Merkmal der beanspruchten Lehre handelt, insbesondere da eine solche in der Beschreibung nicht erwähnt ist.

Soweit die Beklagten (nur zur Frage des Rechtsbestands) vortragen, der Anspruch verlange nicht, dass Beutel auf verschiedenen Höhen angeordnet sind, ist dies zutreffend. Eine solche Vorgabe findet sich aber auch in der WO‘S nicht, so dass keine unzulässige Erweiterung vorliegt.

Schließlich greift auch der Einwand der Beklagten zur angeblich fehlenden Offenbarung von nachgiebigen Beuteln nicht durch.

bb)

Auch in Bezug auf Unteranspruch 4 kann eine unzulässige Erweiterung von der nicht mit fachkundigen Technikern besetzten Kammer nicht festgestellt werden.

Insofern ist zu beachten, dass bei einer unzulässigen Erweiterung die Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs durch die Hinzunahme von Merkmalen aus einem Unteranspruch nicht zur Lockerung des Aussetzungsmaßstabes führt. Die eingeschränkte Verteidigung mag ggf. ein Indiz dafür sein, dass der ursprünglich erteilte Anspruch durch den Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen oder nahegelegt ist. Die hier erfolgte Hinzufügung eines Merkmals ist dagegen ohne Aussagewert zur Frage der unzulässigen Erweiterung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass Unteranspruch 4 dadurch unzulässig erweitert ist, dass der Zusatz „fischschuppenförmige“ (fishscale) in Bezug auf die Aussparungen nicht auch in den Anspruch aufgenommen worden ist (wie die Beklagten auf S. 27 Rn. 84 f. des Einspruchs, Anlage B27a, vortragen). Auf S. 33 Z. 9 f. – 11 offenbart die WO‘S:

„In Figure 16A, sacs 20 comprise ‘fishscale’ slots 202 that may be backfilled, for example, with ambient blood passing though replacement valve 20. In Figure 16B, the sacs comprise pores 204 that may be used to fill the sacs.”

Auf Deutsch:

“In Figur 16A weisen die Beutel 200 „fischschuppenförmige“ Aussparungen 202 auf, die rückgefüllt werden können, beispielsweise mit durch die Ersatzklappe 20 fließenden Blutes. In Figur 16B weisen die Beutel Poren 204 auf, die zum Füllen der Beutel verwendet werden können.“

Der Fachmann konnte dieser Offenbarung Aussparrungen („slots“) entnehmen, ohne zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung (in Form einer Zwischenverallgemeinerung) zugleich „fischschuppenförmig“ mit in den Anspruch aufnehmen zu müssen. Der Beschreibung der WO‘S ist zu entnehmen, dass verschiedene Arten von Öffnungen möglich sind. Für den Fachmann dürfte erkennbar offenbart sein, dass es für die Funktion nur auf das Vorhandensein eines Fließweges in den Beutel hinein ankommt. Die „Fischschuppen“-Form erscheint dabei nur als eine Möglichkeit, die aber für die Funktion nicht zwingend ist und auch nicht strukturell zwingend mit dieser verbunden ist. Jedenfalls kann die Kammer das Gegenteil nicht hinreichend feststellen. Der Fachmann kann der WO‘S ebenfalls nicht entnehmen, dass mit der Fischschuppen-Form eine bestimmte Funktion einhergehen soll. Es ist nicht ersichtlich, dass es in Fig. 16A auf die in der Beschreibung erwähnten Fischschuppenform der Aussparrungen ankommt, wobei diese auch in der Zeichnung schon nicht eindeutig erkennbar ist.

3.

Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass Anspruch 1 des Klagepatents im Stand der Technik neuheitsschädlich vorweggenommen ist.

a)

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Entgegenhaltung WO T(BB4, „G“, vorgelegt in Anlage B27/4 bzw. B27/4a) Anspruch 1 des Klagepatents neuheitsschädlich vorwegnimmt.

Die Entgegenhaltung BB4 (zitiert nach der deutschen Übersetzung in Anlage B27/4a) hat nach ihrem Titel einen röhrenförmigen Träger (Bezugsziffer 1) zum perkutanen Einsetzen einer Ersatzherzklappe (Bezugsziffer 2) zum Gegenstand. Als eine Aufgabe nennt es die Entgegenhaltung BB4 „eine vollkommene Abdichtung der Ersatzklappe selbst“ bereitzustellen, selbst wenn ein Herzring mit unregelmäßigen Oberflächen verbleibt (S. 4 Z. 15 – 18 BB4a). Hierzu heißt es auf S. 8 Z. 28 – S. 9 Z. 5 BB4a:

„Vorteilhafterweise weist der Axialabschnitt zum Tragen der Klappe im Bereich seiner Außenseite ein Abdichtungsmittel auf, das derart gestaltet ist, dass es die oberflächlichen Unebenheiten aufnimmt, die im Bereich oder in der Nähe des verbleibenden Herzrings vorhanden sein können.

Diese Abdichtung kann (…) durch ein umlaufendes Band, das eine Kammer begrenzt und eine radial dehnbare Struktur hat, gebildet sein, wobei diese Kammer ein Auffüllfluid aufnehmen kann, das dazu geeignet ist, binnen eines bestimmten Zeitraums nach Einführung in die Kammer zu erstarren.“

Zur Veranschaulichung wird nachfolgend Fig. 19 BB4 verkleinert eingeblendet.

Zu sehen ist u.a. der Herzring 10 und ein am Träger 1 vorgesehenes Band 8, welches eine Kammer begrenzt, die ein Auffüllfluid aufnehmen kann (Bl. 15 Z. 14 – 16 BB4a).

bb)

Eine Offenbarung von Merkmal 3.2,

„Der zumindest eine Beutel umfasst eine oder mehrere Aussparungen, die zum Rückfüllen des zumindest einen Beutels mit durch die Ersatzklappe fließenden Blutes verwendet werden können.“

kann in der BB4 (G) nicht festgestellt werden. Das umlaufende Band, das „eine Kammer begrenzt“ und „ein Auffüllfluid aufnehmen kann“, bildet ein vollständig geschlossenes Volumen, welches keine Aussparungen umfasst, durch die diese Kammer mit Blut rückgefüllt werden könnte.

b)

Die Entgegenhaltung WO H(BB5, “GI”, vorgelegt in Anlage B27/5; nachfolgend zitiert nach der deutschen Übersetzung in Anlage B27/5a) liegt jedenfalls nicht näher am Gegenstand der geltend gemachten Anspruchskombination als die Entgegenhaltung G (BB4) und kann daher eine Aussetzung ebenfalls nicht begründen.

aa)

Zunächst erscheint die Offenbarung von Merkmal 2 des Klagepatents,

„Die Vorrichtung umfasst eine expandierbare zylindrische Befestigung (30)“,

in Bezug auf die geforderte zylindrische Form fraglich. Auch wenn man davon ausgeht, dass nach diesem Merkmal nur jener Teil der Befestigung zylindrisch geformt sein muss, der die Herzklappe und den Beutel umfasst, kann eine solche zylindrische Befestigung in der BB5 (GI) nicht hinreichend festgestellt werden.

Es ist keine Offenbarung einer Befestigung ersichtlich, die einen zylindrischen Abschnitt aufweist, der wiederum die Ersatzklappe und den Beutel umfasst. Zwar findet sich etwa in S. 8 Z. 31 f. BB5a ein Hinweis auf einen „zylindrischen Abschnitt“ des Stents, „der dazu geeignet [ist], sich auf einem Herzklappenring abzustützen“ (vgl. auch S. 6 Z. 21 – 25 und S. 9 Z. 14 – 17 BB5a). Jedoch haben die Beklagten keine Beschreibungsstelle aufzeigen können, in der offenbart ist, die Kammern 41 und 43 – die nach Auffassung der Beklagten die patentgemäßen Beutel darstellen – an der Außenseite eines solchen zylindrischen Abschnitt des Stents anzuordnen. In den Figuren der BB5 sind die Kammern 41 und 43 stets an nichtzylindrischen Abschnitten, sondern kegelstumpfförmigen Teilen des Stents angebracht. Zur Veranschaulichung werden nachfolgend Fig. 2 und Fig. 9 BB5 verkleinert eingeblendet:

Auch der sich auf Fig. 9 beziehende Beschreibungsabschnitt in der BB5 (S. 15 Z. 17 – 21 BB5a) nimmt Merkmal 2 nicht unmittelbar und eindeutig vorweg.

bb)

Daneben fehlt es an einer Offenbarung eines Beutels mit Aussparrungen, die mit Blut rückgefüllt werden können (Merkmal 3.2). Die Beklagten konnten insofern nur auf geschlossene Beutel verweisen.

c)

Die Entgegenhaltung US I(BB6, „J“, vorgelegt in Anlage B27/6 bzw. in Übersetzung in Anlage B27/6a, nach der anschließend zitiert wird) stützt eine Aussetzung ebenfalls nicht.

aa)

Die Entgegenhaltung offenbart keine Beutel zur Abdichtung (Merkmale 3 / 3.1). Insoweit verweisen die Beklagten auf Sp. 9 Z. 1 ff. BB6a:

„Eine weitere Variation ist bioadhäsives Material 45, das in lichtempfindlichen Polyurethanpaketen 62 wie in FIG. 3 dargestellt enthalten ist, die sich zersetzen und den Klebstoff freisetzen, wenn sie Licht mit der richtigen Frequenz ausgesetzt werden. Die Pakete 62 sind an der Außenseite des Prothesenmaterials 24, die mit dem lebenden Gewebe in Kontakt kommt, angebracht. Wiederum wird, nachdem der Klappenstent 20 positioniert ist und funktioniert, eine Lichtquelle eingeführt und aktiviert. Die Pakete 62 zersetzen sich dann und der Bioklebstoff 56 füllt eventuelle Mikrorisse in der Dichtung und bindet den Klappenstent 20 am Einsatzort.“

Die angesprochene Fig. 3 BB6 wird nachfolgend verkleinert eingeblendet:

Die Pakete 62 entfalten ihre abdichtende Wirkung dadurch, dass sie sich zersetzen und dabei einen Klebstoff freisetzen. Die den Klebstoff zunächst umgebenden Beutel selbst besitzen aber keine abdichtende Wirkung. Die Abdichtung erfolgt durch den Klebstoff, während sich der Beutel im eingesetzten Zustand auflöst und dann weder abdichtet, noch an der Außenseite angeordnet ist.

bb)

Weiterhin sind die Pakete in der Entgegenhaltung BB6 nicht mit Aussparrungen versehen, die zum Rückfüllen des Beutels mit Blut verwendet werden können (Merkmal 3.2). Anfänglich sind die Pakete geschlossen. Im eingesetzten Zustand weisen diese zwar während des Zersetzens möglicherweise Lücken auf, in diese kann jedoch kein Blut einfließen, sondern nur Kleber herausfließen.

d)

Soweit die Beklagten in der Duplik ihren Aussetzungsantrag auf zusätzliche Schriften stützen, ist eine Aussetzung nicht angezeigt. Eine Offenbarung von Merkmal 3.2 hierin haben die Beklagten auch in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 nicht dargelegt.

Die Argumentation der Beklagten zur Entgegenhaltung WO U(BB14, V) erscheint auch in Bezug auf die Merkmale des Anspruchs 1 nicht überzeugend, insbesondere, da hier die Abdeckung eng am Stent anliegt und somit ein Beutel nicht unmittelbar und eindeutig gezeigt ist. Gleiches gilt für die Entgegenhaltung US W(BB15, Bessler), wo es ebenfalls an der Offenbarung eines Beutels fehlen dürfte. Durch die angeblichen Falten, auf die die Klägerin insoweit verweist, wird ein patentgemäßer Beutel nicht offenbart.

4.

Für die Kammer lässt sich nicht hinreichend feststellen, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber dem Stand der Technik nahegelegt war.

a)

Soweit die Beklagten in der Klageerwiderung argumentieren, Anspruch 1 sei ausgehend vom Stand der Technik nahegelegt, tragen sie keinen konkreten Anlass vor, der den Fachmann ausgehend von einer bestimmten Entgegenhaltung dazu bringen sollte, eine andere (konkret zu benennende) Schrift heranzuziehen und auf dieser Grundlage zum Gegenstand des Klagepatents zu kommen. Vielmehr belassen sie es bei der pauschalen Behauptung, alle sechs genannten Schriften stammten aus demselben technischen Gebiet wie die drei Entgegenhaltungen BB4, BB5 und BB6, was alleine keinen Anlass darstellt. Die Klägerin hat nachvollziehbar vorgetragen, die angeführten Entgegenhaltungen (BB7, BB8, BB9, BB11, BB12 und BB13) würden Vorrichtungen zur Bekämpfung von Aneurysmen betreffen und daher nicht herangezogen werden. Ob der Fachmann diese Schriften in Betracht gezogen hätte, wie die Beklagten meinen, ist für die Kammer nicht hinreichend feststellbar. Einige der genannten Dokumente (BB11/BB12) sind zudem nur dann Stand der Technik des Klagepatents, wenn dieses sein Prioritätsdatum nicht wirksam in Anspruch nimmt. Dies ist aber auf Grundlage des Beklagtenvorbringens nicht ersichtlich (es wird zwar auf „die oben genannten Gründe“ verwiesen, aber diese finden sich im Verletzungsverfahren nicht). Eine Offenbarung von Merkmal 3.2 wurde ebenfalls nicht aufgezeigt.

b)

Die von den Beklagten erst in der Duplik angeführten Gutachten von X und Y, deren Übersetzungen erst eine gute Woche vor dem Termin eingegangen sind, können eine Aussetzung ebenfalls nicht begründen, insbesondere vor dem Hintergrund der Beschränkung von Anspruch 1 durch Hinzunahme von Merkmal 3.2.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Unterliegen der Klägerin – hinsichtlich der Anträge auf Rückruf und Vernichtung – ist relativ geringfügig.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Die Sicherheitsleistung war auf EUR 90.000.000,00 festzusetzen (hierzu unter IV.1.), eine Abwendungsbefugnis war den Beklagten nicht einzuräumen (hierzu unter IV.2.).

1.

Die gemäß § 709 S. 1 ZPO ihrer Höhe nach zu bestimmende Sicherheitsleistung wird auf EUR 90.000.000,00 (neunzig Millionen Euro) festgesetzt.

a)

Die Höhe der Sicherheitsleistung hat sich an dem Schaden zu orientieren, der den Schuldnern durch die vorläufige Vollstreckung droht, und soll dementsprechend den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO sowie Anwalts- und Gerichtskosten absichern (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451, 454; Cepl/Voß/Lunze, ZPO, 1. Aufl. 2015, § 709 Rn. 4). Grundsätzlich wird sich die Sicherheitsleistung am Streitwert orientieren, wobei die Beklagtenseite die Möglichkeit hat, substantiiert darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr ein höherer Schaden droht, der dann für die Sicherheitsleistung maßgeblich ist (Cepl/Voß/Lunze, a.a.O., § 709 Rn. 6 f.; Kühnen, a.a.O., Rn. H.12).

Für die Abschätzung des drohenden Schadens ist von einer Dauer des Berufungsverfahrens von einem Jahr auszugehen, in dem ein Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen im Inland nicht möglich ist (vgl. OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451). Zum ersatzfähigen Schaden können allerdings auch Aufwendungen gehören, die die Schuldner zwar zeitlich nach dem Berufungsurteil, aber zu dem Zweck machen, die entsprechend dem ergangenen Verbot vorübergehend unterlassenen Vertriebshandlungen wieder aufnehmen zu können, also die vorübergehend nicht vertriebenen Gegenstände wieder in den Verkehr zu bringen und einen etwa verlorenen Kundenkreis zurückzugewinnen. Es kommt also bei dem drohenden Schaden nicht darauf an, wann sich der Schaden entwickelt und der Schuldner die konkrete Vermögenseinbuße erlitten hat, sondern, wann die Ursache für den Schaden gesetzt wurde (OLG Düsseldorf, NJOZ 2007, 451, 454).

b)

Auf Basis dieser Grundsätze ist hier eine Sicherheitsleistung von EUR 90 Mio. angemessen.

Der Schaden wird im Wesentlichen durch die Vollstreckung des Unterlassungstenors verursacht – also einem erzwungenen Vertriebsstopp im Inland. Die Ansprüche auf Vernichtung und Rückruf der angegriffenen Ausführungsform wurde dagegen abgewiesen.

Der Umsatz der Beklagten mit der angegriffenen Ausführungsform in Deutschland beträgt etwa EUR 150 Mio. pro Jahr mit einer steigenden Tendenz. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die erzielte Profitmarge mit der angegriffenen Ausführungsform etwa 75 % beträgt, so dass der durch die Vollstreckung des Unterlassungstenors entstehende Schaden einen Großteil des Umsatzverlustes betragen würde. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Beklagten nach einer Aufhebung des Unterlassungsgebots einige Zeit bräuchten, bis sie wieder die vorherigen Umsatzzahlen erreichen. Denn die angegriffene Ausführungsform erfordert ebenso wie die Konkurrenzprodukte spezielle Schulungen und kann damit nicht unmittelbar ausgetauscht werden. Dadurch würden mögliche Abnehmer die angegriffene Ausführungsform nach einem Vertriebsstopp nur verzögert wieder nachfragen (möglicherweise auch überhaupt nicht mehr), so dass den Beklagten selbst nach einem Berufungsurteil, welches das hiesige Urteil revidiert, ein Schaden durch die vorläufige Vollstreckung entsteht. Weitere drohende Schäden, abgesehen von dem verlorenen Gewinn durch Umsatzverluste, sind nicht hinreichend vorgetragen.

Bei der Abschätzung des Schadens ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass die Beklagten die Umsatzverluste mit der angegriffenen Ausführungsform durch erhöhte Umsätze mit der Vorgängerversion C teilweise kompensieren können. Dies mindert die Sicherheitsleistung. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Umsätze mit C nicht das Niveau der Einnahmen mit den angegriffenen Ausführungsformen erreichen werden. Ein Teil der Umsätze mit den angegriffenen Ausführungsformen wird zu anderen Wettbewerbern abfließen. Auch ist der Einzelpreis von C geringer als der der angegriffenen Ausführungsform.

Bei der Abwägung dieser Faktoren erscheint eine Sicherheitsleistung von EUR 90.000.000,00 angemessen.

Soweit die Beklagten bei der Höhe der Sicherheitsleistung auf behauptete Risiken für die Patienten verweisen, hat dies keinen Einfluss auf die Höhe der Sicherheitsleistung. Es ist nicht ersichtlich, welcher Schaden den Beklagten hieraus entstehen könnte.

2.

Eine Abwendungsbefugnis nach § 712 Abs. 1 ZPO war den Beklagten nicht einzuräumen.

a)

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht dem Schuldner gestatten, die Vollstreckung eines Urteils durch Sicherheitsleistung (ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung des Gläubigers) abzuwenden, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. In Betracht kommen Fälle, in denen die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners sicher erscheint (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 712 Rn. 1a; Münchener Kommentar zur ZPO/Götz, 5. Aufl. 2016, § 712 Rn. 3). Erforderlich sind irreparable Fakten durch die Vollstreckung, die so gut wie sicher zu erwarten sind, wobei zu beachten ist, dass der Schuldner bereits durch den Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO und einer Sicherheitsleistung vor den Folgen einer unberechtigten Vollstreckung geschützt ist (Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 712 Rn. 1a).

Aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Patentrechte ist ein Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO in Patentverletzungssachen in der Regel zu verweigern (OLG Düsseldorf, GRUR 1979, 188, 189 – Flachdachabläufe). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einstellung der Produktion der angegriffenen Ausführungsform und der damit zusammenhängenden Geschäftsaktivitäten übliche Folgen des Unterlassungsgebots sind, die alleine die Gewährung von Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen können (OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 16 – Fahrbare Betonpumpe; LG Mannheim, Urteil vom 18.02.2011 – Az. 7 O 100/10 – Tz. 243 bei Juris). Ein unersetzbarer Nachteil durch die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs setzt daher grundsätzlich voraus, dass dessen Vollstreckung zur Insolvenz der Anspruchsschuldnerin führt (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.62).

b)

Hiernach war den Beklagten kein Vollstreckungsschutz zu gewähren. Die Beklagten haben nicht aufgezeigt, dass die Vollstreckung des Unterlassungsgebots für sie existenzbedrohende Folgen hätte. Auf die Ausführungen zur Nicht-Einräumung einer Aufbrauchfrist wird verwiesen.

Soweit die Beklagten vortragen, es bestehe die Gefahr, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung Schaden nimmt, kann dies ebenfalls Vollstreckungsschutz nicht rechtfertigen. § 712 Abs. 1 ZPO betrachtet nur die dem Schuldner entstehenden Nachteile, nicht die von Dritten (Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.62; für die Unbeachtlichkeit der Interessen der Arbeitnehmer des Schuldners: OLG Düsseldorf, InstGE 8, 117, 121 Tz. 17 – Fahrbare Betonpumpe; zur Medizintechnik: Kammer, Urteil vom 30.10.2014 – 4a O 114/13 – Rn. 101 bei Juris).

c)

Hinsichtlich der anderen Ansprüche scheidet die Gewährung von Vollstreckungsschutz ebenfalls aus. Der Feststellungsantrag besitzt keinen vollstreckungsfähigen Inhalt und hinsichtlich des Kostentenors sind die Beklagten durch die zu leistende Sicherheit ausreichend geschützt (vgl. Kühnen, Hdb. der Patentverletzung, 9. Aufl. 2017, Rn. H.59 u. H.61). Einen nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Auskunftserteilung und Rechnungslegung haben die Beklagten nicht hinreichend vorgetragen.

V.

Den Beklagten war keine Schriftsatzfrist zu dem in der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2017 zum Hauptantrag hinzugefügten Merkmal aus Unteranspruch 4 einzuräumen. Die Voraussetzungen des § 283 ZPO liegen nicht vor. Zum einen war der Unteranspruch 4 bereits von Anfang an Gegenstand des Verfahrens, zum anderen ist nicht ersichtlich, dass sich die Beklagten in der mündlichen Verhandlung hierzu nicht erklären konnten. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Beklagten vom 15.2.2017 und vom 27.2.2017 fanden bei der Entscheidung somit keine Berücksichtigung. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist nicht geboten, §§ 296a, 156 ZPO.

VI.

Der Streitwert wird auf EUR 30.000.000,00 (dreißig Millionen Euro) festgesetzt.