ArbG Siegburg, Urteil vom 19.11.2014 - 4 Ca 981/14
Fundstelle
openJur 2019, 15627
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 9 Sa 14/16
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.2.Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

3.Der Streitwert wird auf 4.528,58 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Erteilung der Zustimmung des Arbeitgebers zur Kündigung eines Versicherungsvertrages über betriebliche Altersversorgung.

Der Kläger ist seit 29 Jahren bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der Kläger schloss im Rahmen einer Direktversicherung im Jahr 2000 eine fondgebundene Lebensversicherung bei der B Lebensversicherungs AG unter der Versicherungsscheinnummer 6.4461270.06 ab. Versicherungsnehmer war ursprünglich der Kläger. Mit Vereinbarung der Parteien vom 14.05.2001 wurde die Versicherungsnehmereigenschaft des Klägers auf die Beklagte im Rahmen der betrieblichen Altersversorung geändert. Die Beiträge werden im Rahmen der Entgeltumwandlung eingebracht. Die im Versicherungsvertrag garantierte Summe beläuft sich auf 6.147,00 €. Zum 01.12.2012 belief sich der Vertragswert auf 4.528,58 €. Der Versicherungsvertrag läuft am 01.12.2028 ab. Mit Schreiben vom 10.01.2013 kündigte der Kläger unter Berufung auf eine bei ihm bestehende finanzielle Notlage den bestehenden Versicherungsvertrag bei der B Lebensversicherung. Die Versicherung bat um Zustimmung der Beklagten, ohne die eine Kündigung des Vertrages nicht möglich ist. Die Beklagte verweigerte die Zustimmung zur Kündigung. Mit Schreiben vom 07.01.2014 lehnte die Beklagte die Kündigung des Vertrages mit dem Hinweis auf § 3 BetrAVG sowie Haftungsrisiken in der Zukunft ab.

Mit seiner am 18.03.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger, die Zustimmung der Beklagten zur Kündigung der streitgegenständlichen Lebensversicherung und die Übersendung der Original-Versicherungspolice an den Kläger. Der Kläger behauptet, er sei auf die Auszahlung des Geldes aus der Versicherungspolice aufgrund einer finanziellen Notlage angewiesen. Hintergrund der Notlage sei die Nichtzahlung von Entgeltfortzahlungsleistungen durch die Beklagte ab dem 29.05.2012. Auf Grund dessen habe er die monatlichen Raten für seine bestehende Baufinanzierung bei der H nicht mehr bedienen können. Er sei nunmehr auf das Geld aus der Lebensversicherung angewiesen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, den bei der B Lebensversicherungs AG, Kundenservice Direktion H, T4-Ring, H, bestehenden Lebensversicherungsvertrag Deutsche Fondpolice mit der Versicherungsscheinnummer 6.4461207.06, bei dem der Kläger versicherte Person ist, zu kündigen;

2. die Beklagte zu verurteilen, die in ihrem Besitz befindliche Original-Versicherungspolice vom 09.01.2001 des fondgebundenen Lebensversicherungsvertrages Deutsche Fondpolice der B Lebensversicherungs AG mit der Versicherungsscheinnummer ... an die B Lebensversicherungs AG Kundenservice Direktion H, T4-Ring, H zu übersenden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass schon keine Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers bestehe. Jedenfalls stehe der Schutz des § 3 BetrAVG der Kündigung der betrieblichen Altersversorgung und der Auszahlung des bisherigen Betrages dem Begehren des Klägers entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig ausgetauschten Schriftsätze der Parteien sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 611 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag und den daraus resultierenden arbeitgeberseitigen Neben- und Fürsorgepflichten auf Kündigung der betrieblichen Altersversorgung in Form der Lebensversicherung bei der B Lebensversicherungs AG durch die Beklagte.

1.

Es ist nach Auffassung der Kammer bereits zweifelhaft, ob sich der klägerische Anspruch überhaupt aus einer Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ergeben kann oder ob die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht vielmehr gerade gegen den vom Kläger begehrten Anspruch spricht.

Die allgemeine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist Ausfluß des in § 242 BGB niedergelegten Gedankens von Treu und Glauben und bestimmt den Inhalt des Schuldverhältnisses. Danach darf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nicht grundlos Nachteile zufügen oder ihn der Gefahr eines Schadens aussetzen (vgl. BAG 09.03.1995 - 2 AZR 497/94 -, juris Rn. 17). Die Beklagte fügt dem Kläger durch die Nichtkündigung des Lebensversicherungsvertrages nach Einschätzung des Gerichts bereits keinen Nachteil zu, auch wenn dieser nach seinem Vortrag dringend auf das Geld angewiesen ist. Gerade in finanziellen Notlage ist es wichtig, die Altersversorgung für die Zukunft im Blick zu behalten und diese Rücklagen nicht zu schmälern. Nach Auffassung der Kammer kommt daher der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht gerade dadurch nach, in dem er den Arbeitnehmer vor einer - möglicherweise kurzschlussartigen - Auflösung des Versicherungsvertrages bewahrt. Dem Kläger würde zudem ein erheblicher finanzieller Schaden durch die Auflösung des betrieblichen Altersversorgungsvertrages entstehen.

2.

Aber selbst wenn man das Bestehen des Anspruchs grundsätzlich bejahen würde, steht einer solchen Auflösung des Altersversorgungsvertrages jedenfalls der Schutzgedanke der §§ 3, 4 BetrAVG entgegen.

a.

§ 3 Abs. 1 BetrAVG regelt die Möglichkeit der Abfindung einer fortbestehenden Versorgungsanwartschaft. Danach soll eine Abfindung nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Unternehmen nur unter eng begrenzten Voraussetzungen möglich sein. Um den Versorgungszweck nicht zu gefährden, sollen nur kleinere Anwartschaften abgefunden werden können. Nach den engen Grenzen des Gesetzes erlaubt § 3 BetrAVG die Abfindung einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft durch eine einmalige Zahlung nur dann, wenn der Arbeitnehmer zustimmt und die Anwartschaft auf einer Versorgungszusage beruht, die weniger als zehn Jahre vor dem Ausscheiden gegeben wurde. Eine Übertragung einer bestehenden Anwartschaft, also eines Versicherungsvertrages vom Arbeitgeber auf den Arbeitnehmer, sieht das Gesetz gemäß § 4 BetrAVG nur im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Wenn § 3 Abs. 1 BetrAVG bereits ein grundsätzliches Verbot der Auflösung einer bestehenden unverfallbaren Anwartschaft gegen Zahlung einer Abfindung vorsieht, wäre es ein unerträglicher Wertungswiderspruch, wenn man einen entschädigungslosen Verzicht zulassen würde, obwohl die in § 3 BetrAVG bezeichneten Versorgungsanwartschaften nicht einmal gegen die Zahlung einer Abfindung aufgehoben werden dürfen. Nur diese Auslegung wird dem Zweck der Vorschrift gerecht (vgl. auch Blomeyer, Probleme des Verschlechterungsverbotes des § 17 Abs. 3 BetrAVG, betriebliche Altersversorgung 1988).

Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 3 BetrAVG nicht, da es sich um eine andere Fallkonstellation handelt. Insoweit ist dem Kläger Recht zu geben: Es handelt sich nicht um den Fall des § 3 BetrAVG, denn der Kläger begehrt keine Abfindung. Der Schutzzweck der Norm muss jedoch in diesem Fall in Form eines Erst-Recht-Schlusses Geltung beanspruchen. Wenn eine Auflösung des Versicherungsvertrages bereits gegen Zahlung einer Abfindung zum Schutz des Arbeitnehmers nur unter ganz engen, erschwerten Voraussetzungen möglich ist, dann muss dies erst recht gelten, wenn der Arbeitnehmer für die Beendigung des Vertrages noch nicht einmal eine Abfindung erhält. Der mit § 3 BetrAVG bezweckten Bestandssicherung muss sich selbst das Interesse des Arbeitgebers an einer vorzeitigen Abwicklung von Versorgungsansprüchen unterordnen. Der Arbeitnehmer soll nach dem Schutzzweck der Norm letztlich vor sich selbst geschützt werden (Schlewing/Henssler/Schipp/Schnitker/ Pakirnus, Arbeitsrecht der betrieblichen Altersversorgung und Zeitwertkonten, Teil 11 Rdn 3).

b.

Zudem wäre die Beklagte einem erheblichen Haftungsrisiko ausgesetzt. Denn selbst wenn der Kläger nunmehr erklären würde, er verzichte unwiderruflich auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der betrieblichen Altersversorgung, stünde das einem späteren Regress gegen die Beklagte nicht entgegen (vgl. BAG 17.06.2014 - 3 AZR 412/13 - juris).

c.

Letztlich sind - trotz der vom Kläger vorgelegten Unterlagen - die Ausführungen des Klägers zu seiner finanziellen Notlage, die selbst nach seinem eigenen Vortrag Voraussetzung für die Auslösung der Nebenpflicht des Arbeitgebers sein sollten, nicht substantiiert dargelegt. Warum der Kläger allein aus dieser Versicherung den Betrag von 4.000,00 € generieren kann und auf keine andere Weise, bleibt ebenso unklar wie der Umstand warum gerade dieser Betrag allein dem Kläger in seiner Notlage helfen kann.

II.

1.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert ist nach dem Wert des Versicherungsvertrages bemessen.

2.

Der Kläger hat als unterlegene Partei gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.