LAG Köln, Urteil vom 25.10.2017 - 3 Sa 254/17
Fundstelle
openJur 2019, 14560
  • Rkr:
Verfahrensgang

Ein Arbeitnehmer, der arbeitstäglich zwischen 03:00 Uhr und 06:00 Uhr Tageszeitungen zustellt, hat Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag (hier: 25 %) auf den gesetzlichen Mindestlohn.

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 31.01.2017 - 6 Ca 1728/16 - teilweise abgeändert und der Feststellungsantrag zu Ziffer 2 wird abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Beklagte zu tragen. Die Kosten der zweiten Instanz haben der Kläger zu 78 % und die Beklagte zu 22 % zu tragen.

4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für den Kläger wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

              Der Kläger ist bei der Beklagten als teilzeitbeschäftigter Zeitungszusteller beschäftigt. Mit Datum vom 28.02.2007 schlossen die Parteien einen Arbeitsvertrag, wonach der Kläger für seine Tätigkeit eine Stücklohnvergütung erhält zuzüglich Erschwerniszuschlag und Nachtzuschlägen. Die Arbeitszeit des Klägers liegt im Zeitraum zwischen 3:00 Uhr morgens und 6:00 Uhr morgens. Mit der Einführung des Mindestlohnes für Zeitungszusteller wurde die tägliche Arbeitszeit des Klägers für seine Zustellbezirke und auf insgesamt 2,75 (dezimal) Stunden festgelegt. Für die Berechnung des Mindestlohns werden seitdem die monatlichen Stücklöhne/Grundlöhne sowie eine Besitzstandspauschale zugrunde gelegt. Weiterhin erfolgt eine Aufstockung mit einer Zulage, um den Mindestlohn zu erreichen. Im Jahre 2016 betrug der Mindestlohn für Zeitungszusteller 7,23 € die Stunde.

              Mit vorliegender Klage begehrt der Kläger Nachzahlungen auf die gewährten Nachtzuschläge für den Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich Juli 2016 sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, einen Nachtzuschlag auf den gesetzlichen Mindeststundenlohn in Höhe von mindestens 25 Prozent zu zahlen. Im Zeitraum Januar 2016 bis einschließlich Juli 2016 leistete der Kläger 472,65 Arbeitsstunden (vgl. die Auflistung der einzelnen Stunden in der Klageschrift). Die in diesem Zeitraum gezahlten Nachtzuschläge auf den Stücklohn betragen 470,06 €.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ein Nachtzuschlag von 25 % auf den Mindestlohn sei angemessen. Er übe regelmäßige Nachtarbeit an mindestens 270 Tagen im Jahr aus. Sein soziales Leben sei durch die tägliche Nachtarbeit und auch die Arbeit an manchen Feiertagen im Jahr sehr eingeschränkt. Er stehe jeden Morgen um 02:30 Uhr auf und müsse daher am Vortag, damit er mindestens 6 Stunden Schlaf bekomme, um 20:00 Uhr zu Bett gehen. Dadurch sei sein Familienleben sehr eingeschränkt. Zudem verrichte er seine Arbeitszeit im Bergbereich bei Dunkelheit. Durch seine Tätigkeit sei er dabei den unterschiedlichsten Witterungsverhältnissen ausgesetzt.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Monate Januar 2016 bis Juli 2016 als Nachtzuschlag einen Betrag in Höhe von 387,39 € netto zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm einen Nachtzuschlag von mindestens 25% auf den gesetzlichen Mindestlohn für Zeitungszusteller gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, ein über den vertraglichen Anspruch hinausgehender gesetzlicher Anspruch auf Zahlung eines Nachtzuschlages bestehe nicht, da ein solcher Anspruch mit dem von der Beklagten bereits gezahlten Nachtzuschlag vollständig abgegolten sei. Der von ihr gezahlte Nachtzuschlag sei angemessen im Sinne des § 6 Abs. 5 ArbZG. Hinsichtlich der Bestimmung der Höhe eines angemessenen Nachtzuschlages verbiete sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes die Festsetzung eines einheitlichen, in allen Fällen angemessenen Zuschlages. Dem Arbeitgeber stehe insoweit ein Beurteilungsspielraum zu. Der gesetzlichen Wertung des § 2 Abs. 4 und 5 ArbZG, wonach Nachtarbeit bis zu zwei Stunden und gelegentliche Nachtarbeit an weniger als 48 Tagen pro Jahr nicht nachtzuschlagspflichtig sei, liege zugrunde, dass die vom Gesetzgeber unerwünschten Beeinträchtigungen durch Nachtarbeit umso intensiver seien, je länger und häufiger während der Nachtzeit gearbeitet werden müsse. Dies bedeute, dass die angemessene Höhe des Nachtzuschlages regelmäßig geringer ausfalle, wenn nicht während der gesamten, sondern nur während eines Teils der Nacht gearbeitet werde oder die Häufigkeit der Nachtarbeit im Laufe eines Jahres nur geringfügig über der Grenze von 48 Tagen liege. Für den Kläger müsse der Nachtzuschlag demnach gering ausfallen, da er nicht während der gesamten Nachtzeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr, sondern nur zu einem Teil, von 03:00 Uhr bis 06:00 Uhr, arbeite. Auch die Lage der Arbeitszeit während der Nachtzeit müsse bei der Beurteilung der Angemessenheit berücksichtigt werden. Liege die Arbeitszeit in den Randzeiten der Nacht, so müsse der angemessene Zuschlag geringer sein, als wenn das Arbeitszeitfenster in der Kernzeit der Nacht liege. Denn wer in den Randzeiten arbeite, habe nur eine verschobene Nachtruhe und wer mitten in der Nacht plötzlich zur Arbeit müsse, der habe eine unterbrochene Nachtruhe und damit eine höhere Belastung. Ein weiterer bedeutender Gesichtspunkt bei der Einzelfallbewertung sei die Notwendigkeit der Nachtarbeit, also die Frage, ob sie auf den Tag verschiebbar sei oder zwingend während der Nachtzeit stattzufinden habe. § 6 Abs. 5 ArbZG verfolge auch den Zweck, unnötige Nachtarbeit für den Arbeitgeber unattraktiv und teuer zu machen. Zeitungen müssten jedoch zwingend in der Nachtzeit zugestellt werden. Insbesondere dann, wenn beide Kriterien „Umfang und Belastung durch die Nachtarbeit“ und „Notwendigkeit der Nachtarbeit“ zusammentreffen würden, sei im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall im Ergebnis ein niedriger Nachzuschlag anzusetzen. Dies sei vorliegend der Fall.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 31.01.2017 stattgegeben. Es hat die Beklagte zur Zahlung von Nachtzuschlägen in Höhe von 387,39 € netto verurteilt und darüber hinaus festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen Nachtzuschlag von mindestens 25% auf den gesetzlichen Mindestlohn für Zeitungszusteller gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe einen gesetzlichen Anspruch auf Zahlung von Nachtzuschlägen, nachdem die Beklagte ihr Wahlrecht zwischen Freizeitausgleich und Zuschlagzahlung durch die stetige Zahlung eines Nachtzuschlags bereits ausgeübt habe. Als angemessen hat das Arbeitsgericht einen Zuschlag in Höhe von 25% angesehen, da es unter Abwägung aller relevanten Umstände keine überzeugenden Gründe gesehen hat, von dem im Regelfall zu zahlenden Zuschlag abzuweichen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 58 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 17.02.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.03.2017 Berufung eingelegt und hat diese am 03.04.2017 begründet.

Die Beklagte meint zunächst, das Arbeitsgericht habe dem Feststellungsantrag jedenfalls nicht in der vom Kläger gewünschten pauschalen Reichweite stattgeben dürfen, da die tenorierte Feststellung die grundlegende Voraussetzung einer mehr als zweistündigen Tätigkeit in der Nacht nicht widerspiegele. Dies werde insbesondere vor dem Umstand relevant, dass der Kläger einen seiner beiden Zustellbezirke zum 28.02.2017 gekündigt habe und seitdem nur noch in dem verbleibenden Bezirk Zeitungen zustelle. Seither habe sich die tägliche Arbeitszeit des Klägers auf unter zwei Stunden verringert. Entgegen der Behauptungen des Klägers sei es unzutreffend, dass dieser für den verbliebenen Zustellbezirk bei einer ausschließlich fußläufig ausgeübten Zustelltätigkeit insgesamt 2 Stunden und 55 Minuten täglich benötige. Wie sich diese behauptete Zustelldauer ermittle, sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar und bedürfe der näheren Überprüfung, wie dies in einer bei der Beklagten geltenden Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeitermittlung im Einzelnen geregelt sei.

Im Übrigen ist die Beklagte der Auffassung, das Arbeitsgericht habe bei der Beurteilung der Angemessenheit der Höhe des Nachtzuschlags nicht alle vorliegenden Umstände in zutreffender Weise berücksichtigt und sei daher zu einer unzutreffenden Wertung gelangt. Sie meint, das Arbeitsgericht hätte zwingend die beiden Umstände, dass der Kläger zum einen nur in den Randzeiten der Nacht tätig werde und zum anderen jedenfalls bis zum 28.02.2017 nur 2,75 Stunden täglich gearbeitet habe, als Umstände für eine Absenkung des angemessenen Prozentsatzes würdigen müssen. Außerdem hätte zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden müssen, dass vorliegend die Tätigkeit des Klägers zwingend während der Nacht zu erbringen sei, wie sich aus dem Umstand ergebe, dass anders eine fristgerechte Verteilung der Tageszeitungen nicht sichergestellt werden könne. Dementsprechend hätte das Arbeitsgericht unter Berücksichtigung der drei vorgenannten Umstände einen Nachtzuschlag von 10% für angemessen erachten müssen. Da die von der Beklagten auf den Stücklohn gezahlten Nachtzuschläge unstreitig über dieser 10 Prozentmarge lägen, hätte die Klage aus Sicht der Beklagten keinen Erfolg haben dürfen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 31.01.2017 - 6 Ca 1728/16 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt dem angefochtenen Urteil bei und hält mit dem Arbeitsgericht einen Nachtzuschlag auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 25% für angemessen und nimmt ansonsten auf seinen erstinstanzlichen Vortrag Bezug.

Im Übrigen bestätigt der Kläger die Kündigung eines Zustellbezirks zum 28.02.2017 und behauptet, dass er für die Zustelltätigkeit in dem verbleibenden Bezirk insgesamt 2 Stunden 55 Minuten täglich benötige, da er diese nunmehr insgesamt fußläufig - und nicht mehr wie bisher teilweise mit dem Auto - ausführe. Insoweit nimmt er Bezug auf ein erstinstanzlich beim Arbeitsgericht Bonn anhängiges weiteres Verfahren (4 Ca 1901/17) bei dem unter anderem die Vergütungen für die Monate März bis Juli 2017 geltend gemacht sowie die Feststellung einer täglichen Arbeitszeit von 2,92 Stunden begehrt würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Gründe

I.              Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.              Das Rechtsmittel hat in der Sache nur teilweise Erfolg soweit das klägerische Feststellungsbegehren betroffen ist. Hinsichtlich des Zahlungsantrags bleibt die Berufung ohne Erfolg.

1.              Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung des von ihm begehrten Nachtzuschlags verpflichtet ist. Dieses Feststellungsbegehren des Klägers ist durch die zweitinstanzlich veränderten Sachumstände unzulässig geworden.

Dem Feststellungsbegehren des Klägers fehlt zweitinstanzlich das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Ein solches besteht grundsätzlich immer nur dann, wenn dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass die Beklagte es ernsthaft bestreitet und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH, Urteil vom 13.01.2010- VIII ZR 351/08, NJW 2010, 1877; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 256 Rn. 7)

An der letztgenannten Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Zwischen den Parteien ist mittlerweile auch der Umfang der aktuellen täglichen Arbeitsleistung des Klägers im Streit und damit ist insbesondere streitig, ob der Kläger überhaupt mehr als zwei Stunden während der Nachtzeit im Sinne von§ 2 Abs. 3 ArbZG arbeitet und so die Grundvoraussetzung für die Zuschlagspflicht nach §  6 Abs. 5 ArbZG erfüllt. Hier kann eine Feststellung im Sinne des klägerischen Begehrens keine endgültige Klarheit über die Zuschlagspflicht herstellen. Hinzu kommt, dass der Kläger zwischenzeitlich die von dem Feststellungsbegehren umfassten Zeiträume teilweise beziffert erstinstanzlich klageweise geltend macht. Hier greift der Vorrang der Leistungsklage und macht eine gleichzeitige Feststellung unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 17.02.1998 - VI ZR 342/96, NJW 1998, 1633).

2.              Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 611a Abs. 2 BGB, 6 Abs. 5 ArbZG einen Anspruch auf Zahlung von 387,39 €.

a)              Die Berechnung der Klageforderung ist unstreitig. Es handelt sich hierbei um die Differenz zwischen den von der Beklagten auf den Stücklohn gezahlten Nachtzuschlägen und einem Nachtzuschlag in Höhe von 25% auf den gesetzlichen Mindestlohn für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Juli 2016 gemäß der Aufstellung des Klägers in der Klageschrift vom 17.08.2016(Bl. 2 f. d. A.).

b)              Der Kläger hat in dem streitbefangenen Zeitraum von Januar bis einschließlich Juli 2016 unstreitig Nachtarbeit im Sinne von § 2 Abs. 5 ArbZG geleistet, denn er hat während des gesamten Zeitraums für die Beklagte im täglichen Umfang von 2,75 Stunden im Zeitraum zwischen 3:00 Uhr und 6:00 Uhr an die Abonnenten Tageszeitungen in zwei ihm zugeordneten Zustellbezirken zugestellt.

c)              Die Parteien haben unstreitig einen finanziellen Ausgleich für Nachtarbeit vereinbart. Die gesetzliche Wahlschuld des § 6 Abs. 5 ArbZG ist damit im vorgenannten Sinn konkretisiert. Jedenfalls hat die Beklagte sich gegenüber den geltend gemachten Zahlungsansprüchen des Klägers zu keinem Zeitpunkt auf die Möglichkeit der Gewährung von Freizeitausgleich berufen, sondern in der Vergangenheit vielmehr stetig einen Nachtzuschlag auf die Stückvergütung gezahlt.

d)              Mangels einschlägiger tariflicher Ausgleichsregelungen steht dem Kläger daher gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG ein angemessener Nachtarbeitszuschlag zu. Dieser ist regelmäßig auf das vom Arbeitgeber zu zahlende Bruttoentgelt zu leisten (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14, NZA 2016, 426). Wegen der gesetzlichen Regelung in § 6 ArbZG sind Nachtzuschläge anders als Sonn- und Feiertagszuschläge nicht mindestlohnwirksam und damit zusätzlich zum gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen (vgl. BAG, Urteil vom 24.05.2017- 5 AZR 431/16, NZA 2017, 1387 Rz. 17; ebenso LAG Niedersachsen, Urteil vom 27.04.2016 - 13 Sa 848/15, NZA-RR 2016, 400).

Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen die erkennende Kammer keine Veranlassung sieht, ist als "angemessen" im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG - wie bereits das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt hat - regelmäßig eine Nachtzuschlag von 25% anzusehen (vgl. BAG, Urteil vom 16.04.2014- 4 AZR 802/11, NZA 2014, 1277; BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14, NZA 2016, 426).

Im Anschluss an die Begründung des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts in der vorgenannten Entscheidung kommt eine Erhöhung oder Verminderung des Umfangs des von § 6 Abs. 5 ArbZG geforderten Ausgleichs für Nachtarbeit in Betracht, wenn Umstände im Zusammenhang mit der Erbringung der Arbeitsleistung vorliegen, die den regelmäßig angemessenen Wert von 25% wegen der im Vergleich zum Üblichen niedrigeren oder höheren Belastung als zu gering oder zu hoch erscheinen lassen. So kann sich der Zuschlag erhöhen, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Aspekten die normalerweise mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Das ist nach der Rechtsprechung des 10. Senats regelmäßig bei Dauernachtarbeit der Fall, was dann zu einer entsprechenden Erhöhung des Zuschlags auf 30% führt. Andererseits kann ein geringerer Ausgleich erforderlich sein, wenn beispielsweise in die Nachtarbeit in nicht unerheblichem Umfang Zeiten von Arbeitsbereitschaft fallen. Schließlich muss nach der vorgenannten Rechtsprechung auch beurteilt werden, ob der vom Gesetzgeber mit dem Lohnzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen kommen kann. Relevant wird dies in den Fällen, in denen Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung unvermeidbar ist. Demgegenüber sind rein wirtschaftliche Erwägungen von vornherein nicht geeignet, eine Abweichung vom Regelwert nach unten zu begründen (so insgesamt BAG, Urteil vom 09.12.2015 - 10 AZR 423/14, NZA 2016, 426 mit weiteren Nachweisen).

Würdigt man ausgehend von der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sämtliche vorliegend in Betracht kommenden Umstände, so ist nach der Beurteilung der erkennenden Kammer ein Nachtzuschlag in Höhe von 25% angemessen. Dabei geht die Kammer von folgenden Erwägungen aus:

Für eine Erhöhung des Regelzuschlags von 25% spricht der Umstand, dass der Kläger unstreitig sog. Dauernachtarbeit zu leisten hat. Seine tägliche Arbeitsleistung erfolgt ausschließlich in dem für die Nachtarbeit im Sinne des ArbZG maßgeblichen Korridor zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr. Völlig zu Recht geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass eine dauerhafte Nachtarbeit für den betroffenen Arbeitnehmer eine deutlich höhere Belastung darstellt und aus diesem Grund eine Erhöhung des Zuschlags auf 30% angezeigt ist.

Demgegenüber ist auf der anderen Seite ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Tätigkeit eines Zeitungszustellers von Tageszeitungen zwingend in der Nachtzeit zu erbringen ist, da anders eine Zustellung bis zum frühen Morgen eines jeden Tages nicht gewährleistet werden kann. Sie ist aber unabdingbare Voraussetzung für den Verkauf einer Tageszeitung im Abonnement mit täglicher Auslieferung an die Kunden (so auch LAG Bremen, Urteil vom 07.12.2016- 3 Sa 43/16). Daher geht es insoweit nicht allein um rein wirtschaftliche Erwägungen. Dieser Umstand kann auch nicht mit dem Argument der auch bei einer zwingenden Nachtarbeit gleichermaßen eintretenden gesundheitlichen Belastung des Arbeitnehmers ausgeräumt und insgesamt für unbeachtlich erklärt werden, wie dies in der vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung des Arbeitsgerichts Trier vertreten wird (vgl. ArbG Trier, Urteil vom 21.06.2016- 3 Ca 1527/15). Denn diesem Umstand ist im Rahmen der Berücksichtigung der besonders belastenden Dauernachtarbeit bereits Rechnung getragen.

Als weitere berücksichtigungsfähige Umstände bleiben schließlich noch die geringe tägliche Stundenzahl von 2,75 Arbeitsstunden sowie der Umstand, dass die Arbeitszeit des Klägers in den Korridor zwischen 3:00 Uhr und 6:00 Uhr morgens und damit eher in den Randbereich der Nachtarbeit fällt. Beiden Umstände kommt nach Auffassung der erkennenden Kammer kein besonderes Gewicht zu.

So scheidet der vermeintlich geringe Umfang der täglichen Arbeitszeit von 2,75 Stunden bereits nach der gesetzlichen Systematik als Gewichtungsaspekt aus, da das ArbZG die Voraussetzungen für eine zuschlagspflichtige und damit rechtlich relevante Nachtarbeit in § 2 Abs. 3 und 4 ArbZG gesetzlich festlegt. Immer wenn ein Arbeitnehmer mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen23:00 Uhr und 6:00 Uhr arbeitet, entsteht eine besondere Belastung, die durch den gesetzlichen Nachtarbeitszuschlag ausgeglichen werden soll. Soweit diese Belastung mit der Anzahl der Arbeitsstunden steigt, wird dem durch den prozentualen und damit abhängig vom Umfang der Tätigkeit erfolgenden Zuschlag Rechnung getragen. Zusätzliche Auswirkungen auf den Prozentsatz hat der Arbeitsumfang nicht. Von daher führt eine unterhälftige Nachtarbeit nicht zu einer Absenkung und eine mehr als 3,5 Stunden dauernde Nachtarbeit nicht zu einer Erhöhung des Prozentsatzes.

Gleichermaßen unbeachtlich ist der Einwand, der Kläger arbeite lediglich in den Randzeiten der Nachtzeit im Sinne des § 6 Abs. 3 ArbZG. Denn die Lage der täglichen Arbeitszeit des Klägers führt nicht zu einer Verminderung des Zuschlagsprozentsatzes, da dies für die gesundheitliche Belastung des Klägers ohne Belang ist. Insofern ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die gesundheitliche Belastung des Klägers durch fehlenden Nachtschlaf nicht erst mit dem Arbeitsbeginn um 3:00 Uhr einsetzt, sondern auch eine vorherige normale Nachtruhe des Klägers wegen der Vorbereitungs- und Wegezeiten unmöglich ist.

Zusammenfassend ergibt sich damit das Bild eines erweiternden, eines vermindernden und zweier indifferenter Umstände. Ohne insoweit eine rein mathematische Rechnung vorzunehmen kommt die erkennende Kammer bei einer wertenden Gewichtung dieser vier Umstände insgesamt zu einer Beibehaltung des 25%igen Regelsatzes. Denn beide Abweichungen nach oben und unten bieten keine Anhaltspunkte für eine derart gravierende Verlagerung der Gewichtung, dass diese insgesamt eine nachhaltige Veränderung des Prozentsatzes gebieten würden. Schließlich ist die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des LAG Köln vom 02.06.2005 (6/8 Sa 206/05) mit dem vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht nicht vergleichbar und damit nicht einschlägig. Zum einen datiert sie auf einen Zeitraum vor Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes. Zum anderen betont sie im Orientierungssatz ausdrücklich die Besonderheiten des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts, die sich von dem vorliegenden Sachverhalt deutlich unterscheiden.

III.              Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die Revisionszulassung für die Beklagte beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.