AG Menden, Urteil vom 27.10.2016 - 3 C 312/14
Fundstelle
openJur 2019, 13973
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 3 S 198/16
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung abzuwenden gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des insgesamt beizutreibenden Betrages leistet.

Der Streitwert wird festgesetzt auf EUR 4.546,16 €.

Tatbestand

Mit der Klage verfolgt der Kläger Schadensersatzansprüche aus einem Unfall, der sich am 02.06.2014 gegen 9:50 Uhr auf der H in N in Höhe der Hausnummer 15 zugetragen hat.

Der Kläger ist Eigentümer des G, EZ 058/2005, amtliches Kennzeichen XX-XX XXXX. Er befuhr die H in diesem G in Fahrtrichtung "A". Der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte P der Beklagten zu 1) mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX XXX stand auf einem der Parkplätze auf dem rechten Gehweg.

Der Kläger trägt vor, die Beklagte zu 1) habe die Tür des P kurz vor dem Moment geöffnet, als er vorbeigefahren sei, vielleicht als er noch 5-7m weg gewesen sei. Ursprünglich sei die Beklagte zu 1) neben dem P gestanden und die Tür sei eine Spaltbreit geöffnet gewesen. Dann habe die Beklagte zu 1) die Türe ganz aufgemacht. Er habe noch eine Vollbremsung eingeleitet und sei auch zum Stehen gekommen, allerdings erst nachdem er den P passiert habe. Es sei ihm jemand entgegen gekommen, sonst wäre er ausgewichen. Der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen. Er vertritt die Auffassung, ein Anscheinsbeweis spreche wegen des Türöffnens gegen die Beklagte zu 1). Die Nettoreparaturkosten würden 3.752,65 € betragen, die erstattungsfähigen Gutachterkosten 768,51 €. Zudem verfolgt er eine Auslagenpauschale von 25,00 €.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, gesamtschuldnerisch an ihn 4.546,16 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.08.2014 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten von 294,23 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten tragen vor, die Beklage zu 1) habe den P abgestellt. Dann habe sie ein Parkticket gelöst und sich wieder zum Fahrzeug begeben, um ihren zweijährigen Sohn aus dem Auto zu holen, um sich mit ihm zum Kinderarzt zu begeben. Die hintere linke Tür sei offen gewesen. Sie habe mit dem Entsichern und Abschnallen des Kindes bereits angefangen, als der Kläger vorbeigefahren sei und so dicht an ihr vorbei gefahren sei, dass er die geöffnete Tür des P gestreift habe. Als sie mit dem Abschnallen des Kinds angefangen habe, habe sie zum Kind gesagt, sie müssten noch warten, da komme ein anderes Auto. Sie habe sich zunächst über das Kind gebeugt, weil es 40°C Fieber gehabt habe, um zu schauen, wie es ihm geht, und es dann erst abgeschnallt. Der Kläger habe keinen ausreichenden Seitenabstand gehalten. Die Reparaturkosten würden lediglich 2.917,07 € betragen weil sich der Kläger auf eine freie Werkstatt verweisen lassen müsse und unter technischen Gesichtspunkten einzelne Positionen nicht erforderlich seien (Prüfbericht E Blatt 115-120 der Akte). Außerdem seien die Gutachterkosten überhöht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen I, B (vgl. Sitzungsniederschrift vom 04.03.2015, Blatt 162 ff. der Akte) und Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens (Blatt 185 der Akte) und Ergänzungsgutachten (Blatt 284 ff. der Akte). Den weiter benannten Zeugen F (Beweisantritt Blatt 164/164R) hat es nicht vernommen. Wegen der weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf die gewechselten Schriftsätze sowie den weiteren Inhalt der Akte.

Gründe

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagten (§§ 17 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, 115 VVG).

Die im Rahmen von § 17 Abs. 2 StVG gebotene Abwägung der Mitverursachungsanteile ergibt eine Haftungsquote von 100% zu Lasten des Klägers. Der Kläger hat gegen seine Rücksichtnahmepflichten aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Der Beklagten zu 1) kann kein Verschuldensvorwurf gemacht werden, eine etwaige Betriebsgefahr des P tritt hinter dem Verschulden des Klägers vollständig zurück.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass die Beklagte zu 1) bereits in das Auto gebeugt war und mit dem Entsichern des Kindersitzes und Abschnallen des Kindes beschäftigt war und die Türe mit einem Öffnungswinkel von ca. 40-45° geöffnet war, als der Kläger vorbei fuhr. Die Tür war hierbei schon so lange geöffnet, dass ein oder zwei Autos davor am P vorbeigefahren waren. Der Kläger hat die geöffnete Tür zu spät wahrgenommen, und eine Vollbremsung gemacht, als er sie dann - zu spät - wahrgenommen hat. So stellt sich der Sachverhalt nach Würdigung aller Beweismittel zur tatrichterlichen Überzeugung dar (§ 286 ZPO).

Der vorstehende Sachverhalt ergibt sich vornehmlich aus den glaubhaften Angaben der Beklagten zu 1), die detailreich und lebendig war und auch emotional gut nachvollziehbar. Der Beklagten zu 1) war noch in der Anhörung der Grauen des Schrecks des Unfallereignisses von damals auf eine sehr eindringliche Weise deutlich anzumerken, sie hat dieses Grauen subjektiv erlebt und auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang davor noch mit ihrem im Auto befindlichen Kind gesprochen und es abzuschnallen versucht.

Weiterhin folgt das Gericht auch der glaubhaften Aussage des glaubwürdigen Zeugen B. Dieser hat bekundet, wie er die hintere linke Türe teilweise offen wahrgenommen hat und die Beklagte zu 1) in das Auto gebeugt hat, so dass er nur ihren Rücken sah. Er hat von sich aus das bislang nicht bekannte Detail beigetragen, dass bei dieser geöffneten Türe bereits zwei Autos vor am P vorbeigefahren kam, bevor der Kläger kam. Auch die Aussage des Zeugen B ist für das Gericht sehr gut nachvollziehbar, detailreich und plausibel gewesen. Er hat auch Einschränkungen seiner Wahrnehmung zugestanden, so hat er etwa bekundet, dass er zwar nicht die ganze Tür sehen konnte, aber die obere Türkante.

Die Angaben des Klägers waren nicht geeignet, die Angaben der Beklagten zu 1) und des unbeteiligten Zeugen B zu entkräften. Es fehlte schon an der emotionalen Nachvollziehbarkeit der Aussage, der Kläger machte hier kurze und sehr dürftige Angaben und Schuldzuweisungen, Details eines selbst erlebten Sachverhalts wurden in seinen Angaben nicht emotional nachvollziehbar transportiert, die Schilderung des Geschehens blieb bruchstückhaft.

Die Aussage des Zeugen I war zum Unfallhergang nicht ergiebig. Er hat den Unfall erst gesehen, als er schon passiert war. Das einzige, was er beitragen konnte, ist dass er den Eindruck hatte, dass sich ein Kind im Auto der Beklagten zu 1) befand. Außerdem hat er eine übersichtliche Unfallskizze gefertigt (Blatt 166 der Akte).

Das erste Sachverständigengutachten war nur sehr eingeschränkt ergiebig. Der Nachweis, die Behauptung des Klägers sei erst unmittelbar oder während der Kollision geführt worden, war mit dem Mitteln des technischen Sachverständigengutachtens nicht nachvollziehbar (Blatt 195 der Akte). Es sind schließlich Bilder des Beklagtenfahrzeugs zur Akte gereicht worden (Blatt 262 ff.) - dass dies so lang gedauert hat, ist der Grund für die unerfreulich lange Verfahrensdauer. Das Gericht war allerdings gehalten, dem Beweisantritt der Klägerseite hierzu weiter nachzugehen. Das Ergänzungsgutachten führt dann aus, dass ein Öffnungswinkel der Tür von 30-45° technisch plausibel ist, wenn eine Person dazwischen steht, müsse die Tür jedoch um mehr als 30° geöffnet gewesen sein. Weiter kann er noch bestätigen, dass die Angaben des Klägers zur Vollbremsung während der Kollision wahr sind, wobei er auch anmerkt, dass es zur Motivlage für die Vollbremsung natürlich nichts sagen kann: Es bleibt nach dem technischen Sachverständigengutachten offen, ob die Vollbremsung erfolgte, weil die geöffnete Tür zu spät gewesen wurde oder weil die Tür so spät geöffnet wurde.

Der Sachverständige hat sein Gutachten unter Darlegung der wesentlichen Grundlagen nachvollziehbar und plausibel erstattet. An seiner Qualifikation bestehen keine Zweifel.

Bei diesem Sachverhalt ist kein Raum für einen Anscheinsbeweis, wie ihn sich der Kläger vorstellt. Richtig ist zwar, dass wer ein- oder aussteigt, sich so verhalten muss, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmenden ausgeschlossen ist (§ 14 Abs. 1 StVO), und richtig ist auch, dass hieraus ein Anscheinsbeweis folgt, da sich gemeinhin schon aus der Tatsache, dass es trotz vermeintlich äußerster Sorgfalt zum Unfall gekommen ist. Die Beweisaufnahme entkräftet jedoch den Anscheinsbeweis. Die Beklagte zu 1) hat nichts falsch gemacht. Es muss ihr gestattet sein, am Straßenrand die Tür für das Kind zu öffnen und das Kind herauszunehmen, das ist sozialadäquates Verhalten, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Parkplätze auf dem Gehweg direkt am Straßenrand befinden. Es ist schon gar nicht möglich, die Straße so lange zu überblicken, um auszuschließen dass ein Auto vorbeifährt für die gesamte Zeit, die man braucht, um ein Kind abzuschnallen und aus dem Auto zu nehmen. Hier muss eher der Verkehr einen Bogen machen oder anhalten. Bei der H handelt es sich nicht um eine Hauptverkehrsader, sondern um eine kleine Straße mit begrenzt Verkehr. Damit, dass der Kläger trotzdem in die schon länger geöffnete Türe gefahren ist, hat er gegen das Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Arnsberg, Brückenplatz 7, 59821 Arnsberg, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Arnsberg zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Arnsberg durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

Ganzenmüller

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