LG Düsseldorf, Urteil vom 29.03.2018 - 37 O 44/17
Fundstelle
openJur 2019, 13879
  • Rkr:
Tenor

I.

Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für die Akupressur- Manschette J zu werben:

1.

"löst Verkrampfungen",

2.

"schnelle Hilfe bei Ischias- und Rückenschmerzen",

3.

"über 80% der Probanden bestätigen Schmerzlinderung",

4.

"Wirksamkeit durch klinische Studie belegt",

sofern dies geschieht wie aus Anlage K 3 ersichtlich.

II.

Der Beklagten werden für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das gerichtliche Verbot zu I. als Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, und Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.

Zu verhängende Ordnungshaft wird gegen organschaftliche Vertreter der Beklagten festgesetzt.

III.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 178,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. Juni 2017 (Rechtshängigkeit) zu zahlen.

IV.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Kosten der Streithilfe werden der Streithelferin auferlegt.

V.

Das Urteil ist aus dem Tenor zu I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 50.000,00 und aus dem Kostentenor zu IV. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweiligen Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf gehört, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden. Zu den Mitgliedern des Klägers gehören unter anderem 120 Unternehmen der Heilmittelbranche und 45 Unternehmen aus dem Bereich Heilwesen/Dienstleistungen. Der Kläger ist nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage, seine satzungsmäßigen Aufgaben tatsächlich wahrzunehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten seines Vorbringens zur Klagebefugnis wird auf die Darstellung in der Klageschrift Bezug genommen.

Die Beklagte betreibt ein Einzelhandelsunternehmen. Sie warb mit den streitgegenständlichen Werbeaussagen für die von ihr vertriebene Akupressur-Manschette J. So im in ganz Deutschland in millionenfach zur Verbreitung gelangten Prospekt S (KW 08/2017) auf Seite 40 (Anlage K 3). Diese Produkt wurde ihr von ihrer Streithelferin geliefert, die auch die beanstandeten Werbeaussagen zur Verfügung stellte.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die beanstandeten Werbeaussagen mangels hinreichender wissenschaftlicher Absicherung der in Anspruch genommenen Wirkungen irreführend sei. Er mahnte die Beklagte deswegen mit Schreiben vom 28. Februar 2017 (Anlage K 4) erfolglos ab.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie bringen insbesondere vor, die schmerzlindernde Wirkungsweise von Akupressurbandagen und -manschetten sei seit 1965 wissenschaftlich belegt. Eine in Spanien durchgeführte klinische Studie habe die schmerzlindernde Wirkung des Produkts nochmals bestätigt und erfülle alle Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis. Sie sei auch von einer Ethikkommission genehmigt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Streithelferin zum Wirksamkeitsnachweis wird auf ihr schriftsätzliches Vorbringen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Der gerichtsbekannte Kläger ist unter Zugrundelegung seines unstreitigen Vortrags nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt (vgl. BGH GRUR 2015, 1240 ff., Rn 12 ff.).

II.

Der Klageantrag zu I. ist begründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 3 Abs. 1, 3a, 5, 8 UWG i. V. m. § 3 HWG zu. Die von der Beklagten für das von ihr vertriebene Produkt in Anspruch genommenen Wirkungen zur Hilfe bei Ischias-, und Rückenschmerzen sowie Verkrampfungen beim Tragen des Produktes im Bereich der linken bzw. rechten Wade sind im Sinne des § 3 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz irreführend, weil sie nicht hinreichend wissenschaftlich belegt sind.

Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware wie etwa Vorteile enthält. Gemäß § 3 HWG liegt eine unzulässige irreführende Werbung insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Insoweit sind - wie allgemein bei gesundheitsbezogener Werbung - besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können. Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen. Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit kommt insbesondere in Betracht, wenn die als Beleg angeführte Studie den vom Verkehr nach den Umständen des Einzelfalls zugrundegelegten Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg nicht entspricht. Welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind, hängt von den im Wesentlichen tatrichterlich zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist. Ob auch diesen Anforderungen nicht genügende Untersuchungen, z.B. nachträglich anhand vorliegender Studiendaten im Rahmen einer sogenannten Subgruppenanalyse oder im Wege der Zusammenfassung mehrerer wissenschaftlicher Studien (Metaanalyse) erstellte Studien eine Werbeaussage tragen können, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei kommt es für die Frage der Irreführung neben der Einhaltung der für diese Studien geltenden wissenschaftlichen Regeln vor allem darauf an, ob der Verkehr in der Werbung hinreichend deutlich auf die Besonderheiten der Art, Durchführung oder Auswertung der jeweiligen Studie und gegebenenfalls auf die in ihr selbst gemachten Einschränkungen im Hinblick auf die Validität und Bedeutung der gefundenen Ergebnisse hingewiesen und ihm damit die nur eingeschränkte wissenschaftliche Aussagekraft der Studie vor Augen geführt wird (vgl. zum Vorstehenden: BGH Urt. v. 6. Februar 2013, I ZR 62/11 Rn 15 ff. - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil m.w.Nw.).

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe kann sich die Beklagte zum Beleg der therapeutischen Wirksamkeit von J nicht auf die als Anlage N1 vorgelegte klinische Studie aus dem Jahr 2015 und ebenfalls nicht auf den als Anlage N2 vorgelegten "Final Report", oder sonstige wissenschaftliche Arbeiten berufen.

Die klinische Studie von 2015 genügt den Mindestanforderungen an wissenschaftliche Forschung nicht und vermag die streitgegenständliche Werbung mit Heilwirkungen nicht zu rechtfertigen. Dies gilt selbst dann, wenn man im Hinblick auf die beworbene Wadenbandage einen eher niedrigen Anspruch an den Grad der Sicherheit der wissenschaftlichen Erkenntnis stellt. Mangels einer belastbaren wissenschaftlichen Studie liegt zur Untermauerung der in der Werbung behaupteten Schmerzlinderung nicht mehr als die Befürwortung einer spanischen Klinik bzw. der dort in die Studie involvierten zwei Ärzte vor. Denn die Studie wurde nicht veröffentlicht, sie ist im Gegenteil mit dem Wort "confidential" (vertraulich) gekennzeichnet. Damit ist sie von vornherein der Diskussion in Fachkreisen entzogen. Daran ändert die Bereitschaft der Beklagten, die Studie auf Anfrage zur Verfügung zu stellen, nichts. Eine vertrauliche Studie, die sich gegen Kritik der Peers immunisiert, kann grundsätzlich für sich nicht in Anspruch nehmen, hinreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis zu repräsentieren. Die Werbung erwähnt den Umstand, dass die Studie unveröffentlicht ist und damit auch keine veröffentlichten Gegenmeinungen existieren können, nicht. Die Studie leidet - die Kammer folgt insoweit der den Parteien bekannte Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe (Urt. v. 9. November 2017, 15 O 95/16 KfH, vgl. Anlage K10), auf die verwiesen wird - an ihaltlichen Mängeln, die sie zum Nachweis der von der Beklagten für ihr Produkt in Anspruch genommenen Wirksamkeitsbehauptungen ungeeignet machen.

Sonstige, den an sie zu stellenden Anforderungen genügende, "liquide" Wirksamkeitsnachweise legt die Beklagte nicht vor, dies gilt insbesondere für die als Anlagen zum Schriftsatz vom 24. Oktober 2017 vorgelegten Unterlagen, die sich - unbestritten - nicht auf das Produkt der Streithelferin beziehen.

Eine Beweisaufnahme über die angegriffenen Wirksamkeitsaussagen im vorliegenden Prozess kommt nicht in Betracht. Wer Werbeangaben auf dem Gebiet des Gesundheitswesens im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken verwendet, muss, wenn er in einem solchen Fall in Anspruch genommen wird, darlegen können, dass er über entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse verfügt. Nicht ausreichend ist es, dass er sich erst im Prozess auf ein Sachverständigengutachten beruft, aus dem sich die behauptete Wirkungsweise ergeben soll. Der Vorwurf, den Verkehr durch eine Angabe in die Irre geführt zu haben, für deren Richtigkeit der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte hat, kann hierdurch nicht ausgeräumt werden (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, UWG, 36. Aufl., § 5 Rn. 1.248 m.w.Nw.).

II.

Auch der Klageantrag zu II. ist begründet. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG kann der Kläger Ersatz der ihm für die vorgerichtliche Abmahnung in angemessener Höhe entstandenen Aufwendungen i.H.v. 178,50 € nebst Prozesszinsen gem. §§ 288 Abs. 1, 291 ZPO beanspruchen.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 101, 709 ZPO.

Streitwert: € 50.000,00