OLG Hamm, Beschluss vom 23.05.2016 - 32 SA 21/16
Fundstelle
openJur 2019, 13566
  • Rkr:

Nimmt ein Kläger einen Anlagenberater wegen fehlerhafter Beratung und Prospektfehlern in Bezug auf mehrere Kapitalanlagen mit unterschiedlichen Prospekten in Anspruch und verklagt er neben dem Anlageberater jeweils die Prospektverantwortlichen der Kapitalanlagen, die keinen gemeinsamen Gerichtsstand haben, können die Prospektverantwortlichen nicht als Streitgenossen anzusehen sein. Deswegen kann eine Gerichtsstandbestimmung , die es dem Kläger ermöglichen würde, alle Beteiligten in einem Rechtsstreit zu verklagen, unzulässig sein.

Tenor

Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird auf Kosten der Klägerin nach einem Streitwert von 8.400 € zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin beantragt die Bestimmung des Gerichtsstands gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für eine vor dem Landgericht T erhobene Klage auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung und Prospektfehlern.

Die Klägerin erwarb nach ihrem Vortrag nach Beratung und / oder Vermittlung durch den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) - gegen die sie die Klage mittlerweile zurückgenommen hat - eine Beteiligung an verschiedenen Fonds, nämlich an der "T”, deren Gründungsgesellschafterin der Beklagte zu 3) sei, an der "I”, deren Gründungsgesellschafterin die Beklagte zu 4) sei sowie an der "G", deren Gründungsgesellschafterin die Beklagte zu 5) sei.

Der Beklagte zu 1) hat seinen Sitz in K. Der Beklagte zu 3) hat seinen Sitz in Stade, die Beklagten zu 4) hat ihren Sitz in C und die Beklagte zu 5) hat ihren Sitz in E.

Die Klägerin behauptet, nicht anleger- und objektgerecht beraten worden zu sein. Prospekte seien ihr nicht oder jedenfalls nicht vor der Zeichnung übergeben worden. Die Beratung sei auch aufgrund vorhandener Prospektfehler fehlerhaft erfolgt. Die Prospekte klärten über Haftungs- und andere Risiken nicht hinreichend auf.

Die Klägerin beantragt die Bestimmung des Gerichtsstands durch das Oberlandesgericht Hamm und vertritt die Auffassung, dass die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorliegen und zweckmäßig das Landgericht T als zuständiges Gericht zu bestimmen sei. Unerheblich sei, ob einer der Beklagten seinen allgemeinen Gerichtsstand in T habe. Die Beklagte zu 4) ist der Meinung, dass mangels Streitgenossenschaft der Beklagten die Bestimmung des Gerichtsstands nicht möglich ist. Die Beklagte zu 5) ist der Auffassung, dass das Oberlandesgericht Hamm schon unzuständig sei und auch die Voraussetzung der Streitgenossenschaft fehle.

II.

1.

Das Oberlandesgericht Hamm ist zur Entscheidung über den Antrag gem. § 36 Abs. 1, Abs. 2 ZPO berufen, da das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über den Gerichten des allgemeinen Gerichtsstands der Beklagten der Bundesgerichtshof ist und das zunächst angerufene Landgericht T zu seinem Bezirk gehört.

2.

Der Gerichtsstandsbestimmung steht nicht entgegen, dass der Rechtsstreit bereits rechtshängig ist, da die Bestimmung nach dem Verfahrensstand unter Berücksichtigung des Zwecks des Bestimmungsverfahrens noch sinnvoll wäre.

3.

Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen jedoch nicht vor.

a)

Allerdings ist ein gemeinsamer Gerichtsstand für alle Klagen, der die Bestimmung ausschlösse (vgl. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2016, § 36 ZPO Rn. 15 m.w.N.), nicht gegeben bzw. nicht sicher feststellbar.

Für die Klagen gegen den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 3), den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 4) sowie den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 5) ist jeweils ein ausschließlicher Gerichtsstand am Sitz des Anbieters nach § 32b ZPO begründet. Dass dieser für alle genannten Klagen am gleichen Gericht begründet ist, ist nicht (sicher) feststellbar.

(1)

Für die Klagen gegen die Beklagten zu 3), 4) und 5) folgt der Gerichtsstand des § 32b ZPO aus § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

(a)

Die Klagen haben jeweils einen Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation zum Gegenstand. Die Klägerin stützt ihre Klagen jeweils auch auf unzureichende oder falsche Prospektangaben (vgl. S. 20ff. des Schriftsatzes 17.06.2015, Bl. 534 ff. d. A.).

(b)

Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift ist darüber hinaus nicht erforderlich, dass die Klage auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet ist. Der besondere Gerichtsstand ist vielmehr immer schon dann begründet, wenn es sich um eine Klage handelt, mit der nach dem beabsichtigten Klagevorbringen der Beklagte als Verantwortlicher des Prospekts für die Angaben in dem Verkaufsprospekt in Anspruch genommen werden soll. Eine Einschränkung dahin, dass die besondere Zuständigkeit auch bei einer Klage wegen der in § 32?b Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgeführten Handlungen nur noch dann zu bejahen ist, wenn der Emittent, der Anbieter oder die Zielgesellschaft zu den Beklagten gehören, stünde in Widerspruch zum Zweck der Vorschrift und zum Ziel der Neuregelung (BGH, Beschluss vom 30.07.2013 - X ARZ 320/13, NJW-RR 2013, 1302, 1303f., Rn. 24, beckonline).

Die Beklagten zu 3), 4) und 5) werden als Prospektverantwortliche der jeweiligen Kapitalmarktanlagen im Sinne des § 32b Abs. 1 2. HS. ZPO in Anspruch genommen. Zu den Prospektverantwortlichen gehört die Gründungsgesellschaft (BGH, Beschluss vom 08.12.2015 - X ARZ 573/15, NJW 2016, 1178, Rn. 8, beckonline; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 32b Rn. 6). Gründungsgesellschaften sind die Beklagten zu 3), 4) und 5) nach dem Vortrag der Klägerin.

(c)

Anhaltspunkte für einen nicht inländischen Sitz der Anbieter bestehen nicht.

(2)

Für die Klagen gegen den Beklagten zu 1) folgt der Gerichtsstand aus § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Danach ist für Klagen, in denen ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung geltend gemacht wird, der besondere Gerichtsstand des § 32b ZPO begründet, sofern die Klage sich auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft richtet.

(a)

Das Klagebegehren wird auf die Verwendung einer öffentlichen Kapitalmarktinformation gestützt.

Erforderlich ist insoweit lediglich, dass der Berater oder Vermittler eine im Prospekt enthaltene Information an den Interessenten weitergegeben hat. Ob er hierbei ausdrücklich oder konkludent auf den Prospekt Bezug genommen hat, ist hingegen jedenfalls dann unerheblich, wenn diese Information unmittelbar oder mittelbar auf den Prospekt zurückgeht (BGH, Beschluss vom 08.12.2015 - X ARZ 573/15, NJW 2016, 1178, 1179, Rn. 14, beckonline).

Die Klägerin hat ausdrücklich ausgeführt, die Ausführungen im Rahmen der Beratung hätten "natürlich" auf dem Prospekt beruht, auch wenn lediglich die positiven Aussagen des Prospekts übernommen worden seien. Der Prospekt sei Arbeitsgrundlage der Beratungsgespräche gewesen (S. 20 des Schriftsatzes vom 17.06.2015, Bl. 534 der Akte).

(b)

Die Klagen richten sich neben dem Beklagten zu 1) als Anlageberater/-vermittler auch gegen die Beklagten zu 3), 4) und 5) als jeweils Prospektverantwortliche. Das ist ausreichend.

Zwar verlangt § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO dem Wortlaut nach eine Klage gegen Emittent, Anbieter oder Zielgesellschaft. Es ist aber für die Anwendbarkeit von § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO - wiederum entgegen dem Wortlaut - ausreichend, dass die Klage zumindest gegen einen Beklagten auf eine der in § 32?b Abs.1 Nr. 1 ZPO aufgeführten Handlungen gestützt ist, auch wenn dieser nicht Emittent, Anbieter oder Zielgesellschaft ist. Es genügt also, dass neben dem Anlageberater bzw. -vermittler ein Prospektverantwortlicher mitverklagt ist, für den der Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründet ist (BGH, Beschluss vom 30.07.2013 - X ARZ 320/13, NJW-RR 2013, 1302, 1304, Rn. 18 und 28, beckonline; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 32b ZPO Rn. 7; Korth/Kroymann/Suilmann: Der ausschließliche Gerichtsstand bei fehlerhaften öffentlichen Kapitalmarktinformationen, NJW 2016, 1130, 1131, beckonline). Das ist hier, wie aufgezeigt, der Fall.

Soweit jeweils die Beklagten zu 1) und 3), zu 1) und 4) und zu 1) und 5) gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen werden, liegt mithin ein gemeinsamer Gerichtsstand am Ort des Anbieters der Vermögensanlage gem. § 32b Abs. 1 ZPO vor.

(3)

Die Beklagten zu 3), 4) und 5) werden dagegen nicht als Streitgenossen gem. den §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen.

In Streitgenossenschaft stehen wie dargelegt lediglich jeweils der Beklagte zu 1) und der Beklagte zu 3), der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 4) und der Beklagte zu 1) und die Beklagte zu 5). Darüber hinaus ist Streitgenossenschaft zwischen den Beklagten nicht gegeben.

Die Beklagten zu 3), 4) und 5) stehen untereinander nicht in Streitgenossenschaft.

Der Begriff der Streitgenossenschaft ist gem. den § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO und den §§ 59, 60 ZPO zugrunde liegenden Zweckmäßigkeitserwägungen weit auszulegen. Ausreichend ist, dass (nach dem Vortrag der Klägerseite) die gegen die Streitgenossen geltend gemachten Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt, so dass mit ihrer Behandlung in einem Verfahren ein geringerer prozessualer Aufwand verbunden ist und einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 06.05.2013 - X ARZ 65/13, NJW-RR 2013, 1399, beckonline Rn. 8; Toussaint in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, Stand: 01.12.2015, § 36 ZPO Rn. 12 m.w.N.). Die Voraussetzungen der Streitgenossenschaft sind danach zu bejahen, wenn eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig sind und wenn keine Unübersichtlichkeit oder Verwirrung der Prozessführung droht (Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 59 ZPO Rn. 7 m.w.N.). Nicht ausreichend sind dagegen lediglich gleiche rechtliche oder tatsächliche Vorfragen - z. B. im Rahmen der zu beurteilenden Fehlerhaftigkeit des Verkaufsprospektes einer Kapitalanlagegesellschaft -, auch wenn insoweit eine einheitliche Rechtsprechung wünschenswert wäre (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 19.03.2013 - 11 AR 4/13, BeckRS 2013, 06139, beckonline).

Die gegen die Beklagten zu 3) bis 5) gerichteten Ansprüche haben keinen rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang. Deren Gegenstand sind gänzlich unterschiedliche Prospekte mit unterschiedlichen Angaben für unterschiedliche Vermögensanlagen. Die Verbindung in einem Verfahren würde die Gefahr fehlender Übersicht und der Verwirrung mit sich bringen. Die Gefahr widerstreitender Entscheidungen besteht ebenfalls nicht. Dem steht selbst mit Blick auf die gegen den Beklagten zu 1) geltend gemachten Ansprüche entgegen, dass den Anlagen unterschiedliche Beratungsgespräche zugrundelagen.

(4)

In dieser Konstellation liegen die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung nicht vor. Eine Gerichtsstandsbestimmung ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Zweckmäßigkeitserwägungen, die § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zugrundeliegen, nicht allein deshalb möglich, weil jeweils der Beklagte zu 1) gesamtschuldnerisch mit den Gründungsgesellschaften in Anspruch genommen wird und die Klägerin, hätte sie allein den Beklagten zu 1) verklagt, diesen im Wege der Klagehäufung gem. § 260 ZPO für alle Beratungen mit einer Klage in Anspruch hätte nehmen können.

§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist keine Generalklausel, die immer dann, wenn für Klagen ein gemeinsamer Gerichtsstand nicht begründet ist, die Bestimmung des Gerichtsstands ermöglicht (OLG Frankfurt a.a.O.; Senat, Beschluss vom 21.03.2016 - 32 SA 9/16, Rn. 8, juris). Durch die gegen den Beklagten zu 1) und gleichzeitig gegen die Prospektverantwortlichen gerichteten Klagen wurde jeweils der besondere Gerichtsstand des § 32b Abs. 1 ZPO begründet. Es lag in der Hand der Klägerin, zu entscheiden, ob sie entweder allein den Beklagten zu 1) (in dessen Gerichtsstand) aus allen Beratungsverhältnissen oder aber den Beklagten zu 1) gesamtschuldnerisch mit der jeweiligen Gründungsgesellschafterin in dem Gerichtsstand des § 32b ZPO in Anspruch nehmen wollte.

4.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist in den Fällen der Zurückweisung des Antrags eine Kostenentscheidung zu treffen. Den Wert des Verfahrens hat der Senat mit 20 % des Streitwerts der Klage, den die Klägerin unangegriffen mit 42.000 Euro angegeben hat, bemessen.