LAG Hamm, Urteil vom 14.11.2018 - 2 Sa 458/18
Fundstelle
openJur 2019, 13061
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 Ca 1715/17
  • nachfolgend: Az. 5 AZR 53/19

Eine Verfallklausel, in einem vor dem Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossenen Arbeitsvertrag ist aus Gründen des Vertrauensschutzes dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien keine Verfallklausel vereinbaren wollten, die gegen eine gesetzliche Verbotsnorm verstößt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verfallklausel nach ihrem Wortlaut Ansprüche nicht erfasst, die auf strafbare oder unerlaubte Handlungen gestützt werden.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.04.2018 - 5 Ca 1751/17 - wird Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Überstundenvergütung für den Zeitraum vom 01.1.2014 bis zum 31.5.2017.

Der 1969 geborene und verheiratete Kläger war ab 2008 als Kraftfahrer im Fernverkehr bei der Beklagten angestellt. Die Parteien schlossen unter dem 14.07.2010 einen Arbeitsvertrag, der unter anderem folgende Regelungen vorsah:

§ 2 Arbeitszeit

(1) Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt gem. § 21a ArbZG 48 Stunden. Sie kann auf bis zu 60 Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von 16 Wochen im Durchschnitt 48 Stunden wöchentlich nicht überschritten werden. ...

§ 4 Entlohnung

Für seine Arbeit erhält der Mitarbeiter folgende Entlohnung:

Gehalt einschl. Urlaub- und Weihnachtsgeld 2.100,00 Euro

sowie eine Prämie in Höhe von: 100,00 Euro

Die Prämienzahlung ist anrechenbar und richtet sich nach der wöchentlichen Anwesenheit ...

§ 12 Verfall von Ansprüchen/Verjährung

(1) Alle Ansprüche der Vertragsparteien aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden. Dies gilt nicht für solche Ansprüche, die auf eine strafbare Handlung oder eine unerlaubte Handlung gestützt werden. Die Versäumung der Ausschlussfrist führt zum Verlust des Anspruchs.

..."

Wegen der weiteren Einzelheiten des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 14.7.2010 einen Arbeitsvertrag wird auf Bl. 93-105 der Akte Bezug genommen.

Die Prämie i.H.v. 100 € monatlich wurde regelmäßig gezahlt.

Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers zum 30.6.2017.

Mit der am 31.7.2017 beim Arbeitsgericht Bielefeld eingegangenen Schriftsatz macht der Kläger Überstundenvergütung i.H.v. insgesamt 8.053,21 € geltend. Zugleich hat er Klage auf Zahlung von 360 € Verzugsschadenspauschale erhoben. Die Klage ist der Beklagten am 08.08.2017 zugestellt worden.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Vergütung von 752,26 Überstunden für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 31.o5.2017. Unter Zugrundelegung eines Bruttostundenlohnes i.H.v. 10,71 € stehe unter Berücksichtigung von Rundungen ein Gesamtbetrag i.H.v. 8.053,21 € zu.

Der Kläger hat unter Darlegung des Beginns und des Endes der Arbeitszeit sowie der in Abzug gebrachten Pausen die Arbeitszeit für jeden einzelnen Arbeitstag aufgelistet, von den sich pro Monat ergebenden Arbeitszeiten jeweils 207,84 Stunden bezahlter Arbeitszeit abgezogen und insoweit die Ansicht vertreten, dass die errechneten Differenzzeiten vergütungspflichtige Überstunden seien. Im Zusammenhang mit der Ermittlung der Überstunden hat Kläger die Ansicht vertreten, dass er einen etwaigen Ausgleich einer Arbeitszeit von über 48 Stunden in einer Woche in einem Referenzzeitraum nach § 2 Abs. 1 S. 2 Arbeitsvertrag nicht darlegen müsse. Denn insoweit handele es sich um eine anspruchsvernichtende Einwendung, für die die Beklagte die Beweislast trage. Wegen der Einzelheiten der vom Kläger errechneten Stunden wird auf die monatlichen Stundenzettel (Bl. 50 bis 90 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat behauptet, die Überstunden seien auf von der Beklagten angeordneten Touren entstanden. Die Arbeitszeiten seien angesichts der Auslieferung verderblicher Lebensmittel auch im dringenden betrieblichen Interesse der Beklagten gewesen.

Der Kläger hat außerdem die Ansicht vertreten, dass die Verfallklausel in § 12 des Arbeitsvertrages insoweit unwirksam ist, als sie auch Ansprüche auf Zahlung des Mindestlohns betreffe, was zur Gesamtunwirksamkeit der Klausel führe. Die Klausel sei zudem intransparent gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag i.H.v. 8.053,21 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus 510,22 € brutto seit dem 1.2.2014, aus weiteren 18,09 € brutto seit dem 1.3.2014, aus weiteren 222,78 € brutto seit dem 1.4.2014, aus weiteren 340,75 € brutto seit dem 1.5.2014, aus weiteren 146,78 € brutto seit dem 1.6.2014, aus weiteren 81,57 € brutto vom 1.6.2014 bis zum 30.6.2014, aus weiteren 381,22 € brutto seit dem 1.8.2014, aus weiteren 27,19 € brutto seit dem 1.9.2014, aus weiteren 261,85 € brutto seit dem 1.10.2014, aus weiteren 28,58 € brutto seit dem 1.12.2014, aus weiteren 125,47 € brutto vom 1.11.2014 bis zum 30.11.2014, aus weiteren 132,64 € brutto seit dem 1.1.2015, aus weiteren 126,97 € brutto seit dem 1.2.2015, aus weiteren 182,85 € brutto seit dem 1.3.2015, aus weiteren 427,04 € brutto seit dem 1.4.2015, aus weiteren 369,12 € brutto seit dem 1.5.2015, aus weiteren 158,33 € brutto seit dem 1.6.2015, aus weiteren 259,93 € brutto seit dem 1.7.2015, aus weiteren 83,93 € brutto vom 1.7.2015 bis zum 31.7.2015, aus weiteren 254,15 € brutto seit dem 1.9.2015, aus weiteren 333,92 € brutto seit dem 1.10.2015, aus weiteren 228,88 € brutto seit dem 1.11.2015, aus weiteren 259,50 € brutto seit dem 1.12.2015, aus weiteren 72,05 € brutto seit dem 1.1.2016, aus weiteren 107,37 € brutto seit dem 1.2.2016, aus weiteren 186,17 € brutto seit dem 1.3.2016, aus weiteren 425,32 € brutto seit dem 1.4.2016, aus weiteren 428,11 € brutto seit dem 1.5.2016, aus weiteren 148,33 € brutto seit dem 1.6.2016, aus weiteren 244,30 € brutto seit dem 1.7.2016, aus weiteren 83,93 € brutto vom 1.7.2016 bis zum 31.7.2016, aus weiteren 163,15 € brutto seit dem 1.9.2016, aus weiteren 345,89 € seit dem 1.10.2016, aus weiteren 236,91 € seit dem 1.11.2016, aus weiteren 259,50 € seit dem 1.12.2016, aus weiteren 72,05 € brutto seit dem 1.1.2017, aus weiteren 439,67 € brutto seit dem 1.2.2017, aus weiteren 23,66 € brutto vom 1.2.2017 bis zum 28.2.2017, aus weiteren 60,17 € seit dem 1.4.2017, aus weiteren 140,88 € vom 1.4.2017 bis zum 30.4.2017 sowie aus weiteren 177,28 € brutto seit dem 1.6.2017 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 360 € netto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, dass der Kläger die geltend gemachten Überstunden geleistet habe und dass diese Stunden erforderlich gewesen seien. Die Arbeitsstunden seien nicht angeordnet worden und die Touren hätten in der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitszeit erledigt werden können. Aufgrund der Vernichtung der Arbeitszeitnachweise nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Aufbewahrungszeitraum seien die vom Kläger behaupteten Arbeitszeiten für sie nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass der Kläger darzulegen und zu beweisen habe, dass für wöchentliche Arbeitszeiten über 48 Stunden kein Ausgleich innerhalb eines Referenzzeitraumes von 16 Wochen erfolgt sei.

Dem Kläger mangels Verzuges kein Anspruch auf Zinszahlung sowie auf Zahlung des pauschalen Verzugsschadens zustehe. Eine Mahnung sei mangels kalendermäßig bestimmter Leistungszeit nicht entbehrlich. Die geltend gemachten Ansprüche jedenfalls weitgehend verfallen seien.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 10.04.2018 verurteilt, an den Kläger 683,68 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.08.2017 und eine Pauschale i.H.v. 40 € zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Klageabweisung wegen der darüber hinausgehenden Beträge hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Ansprüche wegen Ablaufs der dreimonatigen Verfallfrist des § 12 des Arbeitsvertrages erloschen seien, deren Wirksamkeit nicht zu beanstanden sei. Die Verfallklausel des 12 des vor dem Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen Arbeitsvertrag sei nicht wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Denn maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Transparenz sei der des Vertragsschlusses. Nachträgliche Entwicklungen, welche die Klausel nicht abbildet, könnten letztlich bereits aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht zur Intransparenz führen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses habe vorliegend eine andere Rechtslage gegolten, welche die Beklagte in ihrer Ausschlussklausel auch zutreffend dargestellt habe. Einschränkungen für Mindestentgelte hätten zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bestanden. Zukünftige Entwicklungen der Gesetzeslage habe sie zu diesem Zeitpunkt nicht absehen und somit auch noch nicht berücksichtigen können.

Die Verfallklausel des § 12 des Arbeitsvertrages differenziere zwar nicht zwischen Ansprüchen auf Mindestlohn und andere Leistungen, sondern umfasse vom Wortlaut her sämtliche Ansprüche. Die Unwirksamkeit infolge der Regelung in § 3 S. 1 MiLoG beziehe sich jedoch nur auf Ansprüche aus dem MiLoG. Denn aus der gesetzlichen Formulierung "insoweit" folge, dass sich die Unwirksamkeit allein auf Mindestlohnansprüche beziehe. Im Übrigen seien umfassende Ausschlussklauseln für Ansprüche oberhalb des Mindestlohnes jedenfalls in Bezug auf Arbeitsverträge vor Inkrafttreten des MiLoG wirksam. Das Bundesarbeitsgericht habe sich hierzu bislang nicht abschließend geäußert, jedoch in Bezug auf Altverträge festgehalten, dass eine einengende, den Mindestlohn nicht erfassende und damit den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Auslegung erwogen werden könnte (Für die streitgegenständlich geltend gemachten Überstunden ergeben sich keine Ansprüche nach dem MiLoG. Bereits durch das monatliche Grundgehalt i.H.v. 2.100 €, welches gerechnet auf 48 Stunden pro Woche einen Stundenlohn von 10,10 € brutto (2.100 € / 207,84 Stunden) ergebe, seien derartige Ansprüche erfüllt.

Der Kläger hat gegen das am 13.04.2018 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 03.05.2018 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.07.2018 am 16.07.2018 begründet. Zur Begründung der Berufung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, dass die Klage entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts im vollen Umfang begründet sei. Denn er habe tatsächlich die geltend gemachten Überstunden geleistet. Die Vergütungsansprüche seien entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht nach § 13 des Arbeitsvertrages verfallen, weil diese Klausel unwirksam sei, was aus § 307 Abs.1 in Verbindung mit § 3 Satz 1 MiLoG sowie aus § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB folge. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stehe § 3 Satz 1 MiLoG der Wirksamkeit der Klausel nicht nur insoweit entgegen, wie Ansprüche auf den zwingenden gesetzlichen Mindestlohn betroffen sein. Vielmehr sei die Verfallklausel insgesamt unwirksam. Das Verständnis des Arbeitsgerichts hinsichtlich der Reichweite des § 3 Satz 1 MiLoG sei möglicherweise noch vom Wortlaut dieser Vorschrift gedeckt. Ein solches Verständnis sei aber nichts zwingend. Vielmehr lasse sich diese Vorschrift auch dahingehend verstehen, dass jegliche den Mindestlohn unterschreitende oder dessen Geltung erschwerenden oder beschränkenden Vereinbarungen unzulässig seien und deren Unzulässigkeit auch zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel führe. Nur ein solches Verständnis werde dem Sinn und Zweck des Verbotstatbestandes gerecht. Ziel des gesetzlichen Verbots in § 3 Satz 1 MiLoG sei einerseits die materiell rechtliche Absicherung des Anspruchs aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Der gesetzliche Verbotstatbestand solle sicherstellen, dass der Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG nicht durch abweichende Parteivereinbarungen umgangen werden könne, was mangels Disposivität des Anspruchs ohnehin nicht möglich sei. Dieser Zweck werde auch im Falle einer einschränkenden Auslegung des Verbotstatbestandes erreicht. Auch dann, wenn lediglich die Mindestlohnansprüche gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG vom Anwendungsbereich des § 3 Satz 1 MiLoG umfasst seien, würden diese hinreichend geschützt. Die gesetzgeberische Zielsetzung des § 3 Abs. 1 Satz 1 MiLoG gehe jedoch über den unmittelbaren Schutz der Ansprüche gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG hinaus. § 3 Satz 1 MiLoG betreffe nicht nur den Mindestlohn unterschreitende Vereinbarungen, sondern auch solche, die dessen Geltendmachung beschränken oder ausschlössen, was insbesondere auch für Ausschlussfristen gelte. Hintergrund dieses erweiterten Anwendungsbereichs sei, dass Ansprüche gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG auch durch Verstreichen einer Ausschlussfrist löschen könnten, was dem zwingenden Charakter des § 1 Abs. 1 MiLoG auch aus der Sicht des Gesetzgebers entgegenstehe. Dabei bestehe der Sinn und Zweck des flankierenden Verbotstatbestandes in § 1 Satz 1 MiLoG darin, die Durchsetzung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohntatbestandes gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG zu gewährleisten, wobei diese Vorschrift dem § 9 AEntG nachgebildet sei. Im Anwendungsbereich des § 9 AEntG hat das Bundesarbeitsgerichts aber bereits festgestellt, dass eine Vereinbarung, die den Anspruch eines Arbeitnehmers gemäß § 2 PflegeArbbV in Verbindung mit §§ 9 Satz 3, 13 AEntG beschränke, nicht nur insoweit teilnichtig, sondern insgesamt nichtig sei. Nichts anderes könne auch im Geltungsbereich des MiLoG gelten, dafür eine geltungserhaltende Reduktion dieser Klausel kein Raum vorhanden sei. Dazu bestehe auch keine Veranlassung, insbesondere fehle es an einer von der gesetzlichen Grundkonstellation abweichenden Risikoverteilung, da das Risiko einer unwirksamen Klausel regelmäßig der Verwender trage. Ein Bedürfnis, den Verwender im Wege der Geltungserhaltenden Reduktion von der Folge der Verwendung einer unwirksamen Klausel zu schützen bestehe nach der gesetzgeberischen Wertung nicht. Dementsprechend sei auch nicht einzusehen, warum die ausgehend von ihrem Wortlaut unterteilbare Klausel des § 13 des Arbeitsvertrages nicht insgesamt unwirksam sein sollte. Die Ausschlussklausel in § 13 Abs. 1 des Arbeitsvertrages sei darüber hinaus auch wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB unwirksam. Das Arbeitsgericht habe zwar insoweit zunächst zutreffend festgestellt, dass Ausschlussklausel im Anwendungsbereich des MiLoG mangels hinreichender Transparenz unwirksam seien, wenn die Ansprüche gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG nicht ausdrücklich vom Wortlaut der Klausel ausgenommen würden. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stehe vorliegend nicht entgegen, dass es sich um einen sogenannten "Altvertrag" handele. Dieser Umstand stehe der Intransparenz gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB nicht entgegen, insbesondere sei der Vertrag nicht gemäß § 133, 157 BGB dahingehend auszulegen, dass von der Ausschlussklausel Ansprüche auf dem gesetzlichen Mindestlohn überhaupt nicht erfasst seien. Es sei zwar zutreffend, dass das Mindestlohngesetz im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht in Kraft gewesen sei und sich die vertragliche Regelung folglich seiner Zeit noch als hinreichend transparent erwiesen habe. Dies ändere aber nichts daran, dass sie mit dem Inkrafttreten des MiLoG Intransparent geworden sei. Der Gewährung eines umfassenden Vertrauensschutzes stehe entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts der Sinn und Zweck des MiLoG entgegen. Würde § 3 Satz 1 MiLoG aufgrund eines weitreichenden Vertrauensschutzes nur zur Intransparenz künftig verwandter Klausel führen, bliebe dessen Schutzzweck im weit überwiegenden Teil des Anwendungsbereichs, nämlich bezogen auf bereits vereinbarte Klausel, leer. Aus Arbeitgebersicht spreche dann vieles dafür, die partiell unwirksamen und intransparent erkannten Ausschlussklausel nur bei Neuverträgen zu verändern in der Hoffnung, dass diese im Bereich der Altverträge die betroffenen Arbeitnehmer von der Geltendmachung ihrer berechtigten Ansprüche abhalten würden, was nicht richtig sein könne.

Der Kläger hat den bisherigen Klageantrag zu 2) zurückgenommen und beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 10.04.2018 - 5 Ca 1715/17 - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag i.H.v. 8.053,21 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus 510,22 € brutto seit dem 1.2.2014, aus weiteren 18,09 € brutto seit dem 1.3.2014, aus weiteren 222,78 € brutto seit dem 1.4.2014, aus weiteren 340,75 € brutto seit dem 1.5.2014, aus weiteren 146,78 € brutto seit dem 1.6.2014, aus weiteren 81,57 € brutto vom 1.6.2014 bis zum 30.6.2014, aus weiteren 381,22 € brutto seit dem 1.8.2014, aus weiteren 27,19 € brutto seit dem 1.9.2014, aus weiteren 261,85 € brutto seit dem 1.10.2014, aus weiteren 28,58 € brutto seit dem 1.12.2014, aus weiteren 125,47 € brutto vom 1.11.2014 bis zum 30.11.2014, aus weiteren 132,64 € brutto seit dem 1.1.2015, aus weiteren 126,97 € brutto seit dem 1.2.2015, aus weiteren 182,85 € brutto seit dem 1.3.2015, aus weiteren 427,04 € brutto seit dem 1.4.2015, aus weiteren 369,12 € brutto seit dem 1.5.2015, aus weiteren 158,33 € brutto seit dem 1.6.2015, aus weiteren 259,93 € brutto seit dem 1.7.2015, aus weiteren 83,93 € brutto vom 1.7.2015 bis zum 31.7.2015, aus weiteren 254,15 € brutto seit dem 1.9.2015, aus weiteren 333,92 € brutto seit dem 1.10.2015, aus weiteren 228,88 € brutto seit dem 1.11.2015, aus weiteren 259,50 € brutto seit dem 1.12.2015, aus weiteren 72,05 € brutto seit dem 1.1.2016, aus weiteren 107,37 € brutto seit dem 1.2.2016, aus weiteren 186,17 € brutto seit dem 1.3.2016, aus weiteren 425,32 € brutto seit dem 1.4.2016, aus weiteren 428,11 € brutto seit dem 1.5.2016, aus weiteren 148,33 € brutto seit dem 1.6.2016, aus weiteren 244,30 € brutto seit dem 1.7.2016, aus weiteren 83,93 € brutto vom 1.7.2016 bis zum 31.7.2016, aus weiteren 163,15 € brutto seit dem 1.9.2016, aus weiteren 345,89 € seit dem 1.10.2016, aus weiteren 236,91 € seit dem 1.11.2016, aus weiteren 259,50 € seit dem 1.12.2016, aus weiteren 72,05 € brutto seit dem 1.1.2017, aus weiteren 439,67 € brutto seit dem 1.2.2017, aus weiteren 23,66 € brutto vom 1.2.2017 bis zum 28.2.2017, aus weiteren 60,17 € seit dem 1.4.2017, aus weiteren 140,88 € vom 1.4.2017 bis zum 30.4.2017 sowie aus weiteren 177,28 € brutto seit dem 1.6.2017 zu zahlen.

Die Beklage beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das Urteil des Arbeitsgerichts. Sie ist insbesondere weiterhin der Auffassung, dass das Arbeitsgericht unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des LAG Nürnberg sowie der weit überwiegenden Meinung im Schrifttum zurecht festgestellt habe, dass vertragliche Ausschlussklauseln wirksam seien und § 3 Satz 1 MiLoG der Wirksamkeit der Klausel nur insoweit entgegen stehen könne, wie Ansprüche auf den zwingenden gesetzlichen Mindestlohn betroffen seien. Ausschlussklauseln für Ansprüche oberhalb des Mindestlohnes seien ebenfalls in Bezug auf Arbeitsverträge, die vor Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen worden seien wirksam. Eine andere Bewertung, insbesondere nachträgliche Entwicklungen könnten jedenfalls aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht zu Intransparenz einer bis zum Inkrafttreten des Gesetzes wirksamen Vertragsklausel führen.

Wegen des Parteienvorbringens im Übrigen wird auf die vorgetragenen Inhalte der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die vom Kläger in der Berufungsinstanz weiter verfolgten Zahlungsansprüche wegen des Ablaufs der dreimonatigen Verfallfrist des § 12 des Arbeitsvertrages abgewiesen. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz, dass sich im Wesentlichen auf Rechtsausführungen beschränkt gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen.

Der Kläger macht zu Unrecht unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2018 (5AZR 703/15) geltend, dass die gesetzgeberische Wertung des § 3 Abs. 1 S. 1 MiLoG über den unmittelbaren Schutz des Mindestlohnes hinausgehe, sodass alle Vereinbarungen, die gesetzlichen Mindestlohn beschränken oder ausschließen insgesamt nichtig seien. Die Verfallfristklausel des § 12 des Arbeitsvertrages zumindest aber Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sei, weil sie den Eindruck vermittle, dass sie auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasse.

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass sich eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB auch daraus ergeben kann, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Denn Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen sind nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet, Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen, wozu auch gehört, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen wirtschaftliche Nachteile und Belastungen soweit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Der Verwender muss somit die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschreiben, dass für ihn kein ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum entsteht. Die Beschreibung muss für den anderen Vertragsteil nachprüfbar und darf nicht irreführend sein. Dementsprechend hat das Arbeitsgericht auch zu Recht entschieden, dass bei der Bewertung der Transparenz einer Vertragsklausel auf die Erwartungen und Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen ist, was der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht, der auch die Berufungskammer folgt (vgl. EuGH, Urt. v. 20.09.2018, C-51/17, juris, Rdnr. 79 ff.; BAG, Urt. v. 18.09.2018 - 9 AZR 162/18, juris, Rdnr. 42 ff.; BAG, Urt. v. 26.01.2017 -- 6 AZR 671/15, juris, Rdnr. 19 ff.; BGH, Urt. v. 23.02.2011 - XII ZR 101/09, juris, Rdnr. 10; BGH, Urt. v. 25.02.2016 - VII ZR 156/13, juris, Rdnr. 31). Denn die die an die Transparenz von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gestellten Anforderungen dürfen den Verwender nicht überfordern. Die Verpflichtung, den Klauselinhalt möglichst klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren. Dementsprechend kann auch im Hinblick auf das Transparenzgebot nicht verlangt werden, dass eine Regelung auch künftige Gesetzesänderungen berücksichtigt, auf die der Verwender keinen Einfluss hat und jedenfalls regelmäßig nicht voraussehen kann. Denn dem Verwender kann auch im Hinblick auf das zu beachtende Transparenzgebot nichts Unmögliches abverlangt werden. Ist eine Klausel bei Vertragsschluss transparent, verliert sie ihre Wirksamkeit nicht, wenn spätere Gesetzesänderungen zu ihrer Intransparenz führen (so ausdrücklich BAG, Urt. v. 18.09.2018 - 9 AZR 162/18, juris, Rdnr. 42; vgl. auch LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 06.04.2018 - 11 Sa 40/17, juris, Rdnr. 98 ff.). Der vom Kläger geltend Verstoß des § 12 des Arbeitsvertrages gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB scheitert somit daran, dass es sich vorliegend um einen sog. Altvertrag handelt, der vor dem Inkrafttreten des MiLoG abgeschlossen wurde, sodass die Intransparenz nicht nachträglich eintreten kann.

Ebenfalls rügt der Kläger zu Unrecht, dass das Arbeitsgericht nicht die Gesamtunwirksamkeit der Verfallklausel des § 12 des Arbeitsvertrages angenommen hat.

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der Verstoß gegen § 3 S. 1 MiLoG grundsätzlich zur Teilunwirksamkeit einer den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmenden tariflichen Verfallklausel führt. Ebenfalls zuzugeben ist dem Kläger auch, dass eine Teilunwirksamkeit einer nicht teilbaren Verfallklausel in einem Formularvertrag im Hinblick auf das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion grundsätzlich zur Gesamtunwirksamkeit der Verfallklausel führt. Gleichwohl hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die vom Kläger in der Berufungsinstanz weiter verfolgten Zahlungsansprüche nach § 12 des Arbeitsvertrages verfallen sind.

Gibt aber eine Rechtsnorm eine eindeutige Grenze der Unwirksamkeit vor, stellt die Aufrechterhaltung des nicht verbotenen Teils einer Klausel nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt, nicht in jedem Falle eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion (vgl. BAG, Urt. v. 24.08.2016 - 5 AZR 703/15, juris, Rdnr. 27). Dementsprechend geht im Bereich des Mindestlohngesetzes bei dem hier vorliegenden "Altvertrag" die ganz herrschende Auffassung auch unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im Ergebnis zu Recht davon aus, dass Ansprüche, die den dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, von einer den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmenden, im Übrigen aber nicht zu beanstandenden Verfallklausel erfasst werden. Durch die Formulierung in § 3 MiLoG "insoweit unwirksam" wird aber deutlich, dass der Ausschluss grundsätzlich andere als die Mindestlohnansprüche nicht erfasst. Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der durch den § 3 MiLoG verhindern wollte, dass den Arbeitnehmern der ihnen zustehende Mindestlohn durch Ausschlussfristen nach einer relativ kurzen Frist wieder genommen werden könnte. Die Auslegung der Verfallsfrist führt nach den vom BAG entwickelten Kriterien, die darauf abstellen, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach ihrem objektiven und typischen Sinn so ausgelegt werden sollen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, grundsätzlich nur die von den Parteien für regelungsbedürftig gehaltenen Fälle erfassen soll, sodass Fälle, die durch zwingende gesetzliche Verbote oder Gebote geregelt sind, regelmäßig gerade nicht geregelt werden sollen. Dementsprechend ist auch regelmäßig davon auszugehen, dass die Vertragspartner keine Klausel aufstellen wollten, die gegen eine Verbotsnorm verstößt (vgl. BAG, Urt. v. 20. Juni 2013 - 8 AZR 280/12, juris, Rdnr. 22 m.w.N.), sodass die Klausel nicht insgesamt unwirksam ist. Vielmehr ist nach Auslegung des § 12 des Arbeitsvertrages das Mindestlohngesetz zu beachten, sodass die Verfallklausel insoweit unwirksam ist. Im Übrigen unterliegen die anderen Ansprüche der Verfallfrist. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn die Verbotsnorm - wie vorliegend - erst nach der vertraglichen Vereinbarung aufgestellt wurde (so LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 06.04.2018 - 11 Sa 40/17, juris, Rdnr. 96; vgl. auch Bayreuther, DB 2017, 487 ff., 491 und BAG, Urt. v. 24.08.2016 - 5 AZR 703/15, Rdnr. 20). Dies muss erst Recht gelten, wenn die verwendete Verfallklausel - wie hier § 12 Abs. 1 S. 2 des Arbeitsvertrages - Ansprüche, die auf eine strafbare Handlung oder unerlaubte Handlung gestützt werden, herausnimmt, weil damit klar zum Ausdruck gebracht wird, dass, dass die Vertragsparteien keine Verfallklausel vereinbarten wollten, die Hinblick gesetzliche Verbotsnormen i.S.d. § 134 unwirksam wären.

Aus alldem folgt, dass die Berufung des Klägers unbegründet ist.

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Frage der umstrittenen Wirksamkeit der den Mindestlohn nicht herausnehmenden Verfallfristen in einem "Altvertrag" bisher noch nicht abschließend Anlass geklärt ist.

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