LAG Hamm, Urteil vom 20.12.2017 - 2 Sa 192/17
Fundstelle
openJur 2019, 13047
  • Rkr:
Verfahrensgang

1. Nach § 6b Abs. 5 BDSG i.d.F. v. 14.1.2003 sind die Daten einer offenen Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts und zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke in einem öffentlich zugänglichen Ladenlokal unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen

2. Es ist mit dieser Vorschrift ist es nicht vereinbar, wenn ein Ladeninhaber die Videoaufzeichnungen wegen eines bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge der Filiale im dritten Quartal 2016 im dritten Quartal festgestellten Verdachts auf Wareschwund auswertet, die im Zeitpunkt der Auswertung nahezu sechs Monate alt sind.

3. Wegen der Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den Verstoß gegen den Datenschutz besteht ein Beweisverwertungsverbot. Die fraglichen Videoaufzeichnungen nicht zum Nachweis der vom Arbeitgeber behaupteten vorsätzlichen Vermögensschädigungen verwertet werden.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 19.01.2017 - 4 Ca 1501/16 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vom Beklagten mit Schreiben vom 13.08.2016 erklärten fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie um Schadensersatzansprüche, die vom Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemacht werden.

Die 1970 geborene Klägerin ist verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Sie war in der Zeit vom 24.03.2016 bis zum 13.08.2016 bei dem Beklagten im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig, der u.a. in J einen Tabak- und Zeitschriftenhandel mit angeschlossener Lottoannahmestelle betrieb. Der Beklagte schloss seine Lottoannahmestelle in J zum 21.09.2016. Die Klägerin hat zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 450,00 € erzielt. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.

Mit Schreiben vom 13.08.2016 (Bl. 4 d.A.), das von dem Beklagten und einer Frau H unterzeichnet ist, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos "wegen der begangenen Straftaten" (wegen der weiteren Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf die Anlage zur Klageschrift verwiesen). Das Kündigungsschreiben wurde der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz durch eine Mitarbeiterin der Innenrevision, Frau I, sowie die weitere Mitarbeiterin Q übergeben.

Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit ihrer am 18.08.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Die hat die Ansicht vertreten, dass die fristlose Kündigung mangels Vorliegens eines wichtigen Kündigungsgrundes unwirksam sei, weil sie den Beklagten nicht vorsätzlich geschädigt, insbesondere kein Geld unterschlagen habe. Der Beklagte könne die ausgesprochene fristlose Kündigung auch nicht auf einen dringenden Tatverdacht stützen, weil sich sein Vorbringen weitgehend in der Äußerung von vagen Verdachtsmomenten erschöpfe und sie vor Ausspruch der Kündigung zu den erhobenen Tatvorwürfen gar nicht angehört worden sei.

Die Klägerin hat - soweit dies für das Berufungserfahren von Interesse ist - beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13.08.2016 aufgelöst ist.

Der hat Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen sowie widerklagend

die Klägerin zur Zahlung von 475,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2016 zu verurteilen.

Der Beklagte hat behauptet, bei einer stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge der Filiale in J im dritten Quartal 2016 sei ein Warenschwund, insbesondere bei Tabakwaren festgestellt worden. Daraufhin sei ab dem 01.08.2016 das in der Filiale installierte Videogerät von der Zeugin G analysiert worden. Für den Zeitraum vom 01.01. bis 30.06.2016 seien zwei Arbeitstage der Klägerin analysiert worden. Am 03.02.2016 habe die Klägerin in drei Fällen Tabakwaren im Wert von insgesamt 35,00 € verkauft, das Geld jedoch in die Lottokasse gelegt. Um 13.05 Uhr sei sie mit der Lottokasse ins Büro gegangen und sofort wieder zurückgekommen, habe die Kasse jedoch in der anderen Hand gehalten. Am 04.02.2016 habe es in drei Fällen Unregelmäßigkeiten gegeben und zwar um 10.10 Uhr, 12.25 Uhr und 13.25 Uhr. Die Klägerin habe um 13.03 Uhr den Verkaufsraum mit Lottokasse für zwei Minuten verlassen, um 13.29 Uhr sei die Ablösung erschienen, um 13.41 Uhr sei das Geld gezählt worden. Die Abrechnungen beider Tage wiesen nur geringe Differenzen aus, die unterhalb der meldepflichtigen Grenzen lägen. Die Videoüberwachung erfolge öffentlich und sei das einzige Mittel, welches einen kausalen Zusammenhang zwischen Kunde, Warenzuteilung, gezahltem Geldbetrag, Eingabe in die Kasse und Herausgabe des Wechselgeldes darstelle. Die Videoaufzeichnung diene auch der Aufdeckung von Straftaten Dritter, sodass deren Rechtmäßigkeit nicht zu beanstanden sei. Für die Videoanalyse einer sechsstündigen Schicht sei ein Zeitaufwand von ca. 10 Stunden erforderlich, da die einzelnen Sequenzen vor- und zurückgespult werden müssten. Am 13.08.2016 seien der Klägerin die Vorwürfe ausführlich erläutert worden, sie habe Gelegenheit gehabt, diese zu entkräften, habe jedoch lediglich erklärt, sie habe nichts gemacht, was die Zeuginnen I und Q bestätigen könnten. Für die Analysen sei insgesamt ein Zeitaufwand von 24 Stunden erforderlich gewesen. Je Stunde sei ein Stundensatz von 13,80 € zzgl. Arbeitgeberanteile anzusetzen. Diese Kosten habe die Klägerin neben den unterschlagenen Beträgen zu ersetzen, sodass er insgesamt eine Zahlung von 475,31 € nebst Zinsen verlangen könne.

Die Klägerin hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Zur Begründung der Widerklage hat die Klägerin vorgetragen, dass weder eine vorsätzliche Vermögensschädigung vorliege, noch der Verdacht einer solchen Schädigung bestehe. Dementsprechend stünden dem Beklagten auch keine Zahlungsansprüche zu.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.01.2070 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 13. 08. 2016 nicht aufgelöst worden sei und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte die erklärte Kündigung nicht darauf stützen könne, dass die Klägerin am 03.02. und 04.02.2016 von Kunden Geld für Tabakwaren entgegen genommen, nicht ordnungsgemäß in das Kassensystem eingegeben und schließlich an sich genommen habe. Denn insoweit habe der Beklagte keine Tatsachen dargelegt und unter Beweis gestellt, die im Falle ihrer Beweisbarkeit eine solche Tatbegehung durch die Klägerin dokumentieren würden, sodass es Eingehens auf die Frage eines möglichen Beweisverwertungsverbotes der Videoaufzeichnung nicht bedürfe. Die vom Beklagten behaupteten und unter Beweis gestellten Vorgänge legten im Falle ihrer Beweisbarkeit zwar nahe, dass es seitens der Klägerin zu Unregelmäßigkeiten hinsichtlich der Handhabung der Kassenvorgänge an den fraglichen Tagen gekommen sei. Soweit der Beklagte der Klägerin jedoch vorwerfe, Geld für Tabakwaren von Kunden entgegen und dann an sich genommen zu haben, ziehe er damit lediglich Schlüsse aus dem Verhalten der Klägerin. Ein entsprechender Vorgang werde vom Beklagten weder konkret behauptet noch unter Beweis gestellt. Der Beklagte sei lediglich davon ausgegangen, dass die behaupteten Verhaltensweisen der Klägerin und die dokumentierten Kassendifferenzen damit zu erklären seien, dass die Klägerin das Geld selbst eingesteckt habe. Dies sei jedoch für eine Tatkündigung nicht ausreichend.

Der Beklagte könne die ausgesprochene Kündigung auch nicht darauf stützen, dass jedenfalls der Verdacht einer vorsätzlichen Schädigung zur Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung führe. Der Beklagten sei zwar zuzugeben, dass auch der Verdacht einer schwer wiegenden Pflichtverletzung eine fristlose Kündigung rechtfertigen könne. Der Verdacht müsse aber auf konkrete - vom kündigenden darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen - Tatsachen gestützt werden und dringend sein, d.h. es müsse eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Verdacht auch zu Recht erhoben werde. Die Umstände, die ihn begründeten, dürften nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen könnte. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichten dementsprechend zu Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Die vor einer Verdachtskündigung als Wirksamkeitsvoraussetzung erforderliche Anhörung des Arbeitnehmers setze darüber voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich eine Gelegenheit erhalte, die Verdachtsmomente zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Sie müsse sich daher auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Diese Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Verdachtskündigung lägen vorliegend nicht vor. Zwar habe der Beklagte Tatsachen dargelegt, die geeignet gewesen sein, einen dringenden Tatverdacht gegenüber der Klägerin zu begründen. Nach den Behauptungen des Beklagten sei jedoch keine ordnungsgemäße vorherige Anhörung der Klägerin erfolgt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des von dem Beklagten und einer seiner Mitarbeiterin unterzeichneten Kündigungsschreibens vom 13.08.2016 sei die Kündigung im Hinblick auf die begangenen Straftaten erklärt worden. Der Kündigungsentschluss habe damit mit der Abfassung des Kündigungsschreibens durch den Kündigungsberechtigten bereits festgestanden, so dass die vom Beklagten behauptete Anhörung der Klägerin anlässlich der Übergabe der Kündigung durch zwei Botinnen keine Anhörung zu einer Verdachtskündigung im Sinne der Rechtsprechung gewesen sei. Der Beklagte habe durch die Mitarbeiterin I und Q keine ergebnisoffene Anhörung der Klägerin zu den Vorwürfen durchführen lassen, sondern habe eine Kündigung wegen der Begehung von Straftaten aussprechen wollen und auch ausgesprochen. Es lägen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Verdachtskündigung beabsichtigt gewesen sei, in deren Vorfeld der Klägerin Gelegenheit zu Stellungnahme gegeben werden sollte, bestehende Verdachtsmomente auszuräumen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Botinnen lediglich den Hintergrund der Kündigung erläutern sollten, zumal dem Vorbringen des Beklagten auch nicht zu entnehmen sei, dass diese Mitarbeiterin berechtigt gewesen seien, je nach dem Ergebnis der angeblichen Anhörung von einer Übergabe des Kündigungsschreibens abzusehen. Da die erklärte Kündigung als Verdachtskündigung bereits mangels einer ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin unwirksam sei, bedürfe es auch keiner Entscheidung darüber, ob das entsprechende Vorbringen des Beklagten im Schriftsatz vom 18.01.2017 als verspätet zurückzuweisen wäre.

Die Widerklage, mit der der Beklagte die Erstattung der angeblich unterschlagen Geldbeträge und der Kosten für die Sichtung der Videobänder geltend mache, sei ebenfalls unbegründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe zwar der Arbeitnehmer wegen Verletzung arbeitsrechtliche Pflichten dem Arbeitgeber die durch die Tätigkeit eines Detektivs entstandenen notwendigen Kosten zu ersetzen, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines konkreten Tatverdachts einem Detektiv die Überwachung des Arbeitnehmers übertrage und der Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung überführt werde. Die vom Beklagten behaupteten und nicht hinreichend spezifizierten angeblichen Kosten für die Auswertung der seien jedoch nicht aufgrund eines konkreten Verdachts gegen die Klägerin entstanden. Vielmehr sei die Auswertung der Videoaufzeichnungen nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten erfolgt, weil aufgrund der Überprüfung der Warenaufschläge ein grundsätzlicher Verdacht hinsichtlich eines Warenschwundes bei Tabakwaren in der Filiale Iserlohn bestanden habe. Dass bei Beginn der Auswertung bereits ein konkreter Verdacht gegen die Klägerin bestanden habe, könne dem Vorbringen des Beklagten nicht entnommen werden. Wenn in einem solchen Fall der Auswertung von Videoaufzeichnungen oder bei einer Überwachung durch einen Detektiv sich zufälligerweise eine Tatbegehung durch einen bestimmten Arbeitnehmer ergebe, gehörten die insoweit entstandenen Kosten zum allgemeinen Betriebsrisiko des Arbeitgebers und seien nicht von dem betreffenden Arbeitnehmer zu erstatten.

Gegen das am 04.02.2017 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Beklagte am 20.02.2017 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist zum 04.05.2017 am 03.05.2017 begründet.

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 13.08.2016 festgestellt habe. Das Arbeitsgericht habe es versäumt, vorliegend von einer Tatkündigung auszugehen. Denn es sei keine Sachverhaltenskonstellation denkbar, nach welcher nicht die Klägerin, sondern ein Dritter die relevanten Geldbeträge vereinnahmt haben sollte. Dies sei zum einen bereits deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin während der Schicht allein tätig gewesen sei, zum anderen aber auch deshalb, weil es an den zwei relevanten Tagen keine Eingriffe Dritter durch Raub oder Diebstahl hinsichtlich des Kasseninhalts gegeben habe. Da die Auswertung der Videoaufzeichnung bezogen auf die Tage des 03.02. und 04.02.2016 ergeben habe, dass die Klägerin am 03.02.2016 einen Betrag i.H.v. 35,00 € bzw. 18,00 € nicht registriert und in die Kassen eingelegt habe, stünde eine vorsätzliche Vermögensschädigung insoweit positiv fest. Das gleiche gelte bezogen auf den 04.02.2016. An diesem Tag habe die Klägerin zunächst gegen 10:05 Uhr eine Schachtel Zigaretten für 5,00 € verkauft, ohne dies in die Sortimentkasse einzugeben und habe den Zahlungsbetrag in die Lottokasse eingelegt. Um 12:20 Uhr habe sie eine Tabakdose im Wert von 18,50 € verkauft, aber lediglich 1,00 € in die Sortimentkasse eingelegt und den Restbetrag für eigene Zwecke vereinnahmt. Ebenfalls am 04.02.2016 habe sie nach dem Verkauf eine Schachtel Zigaretten es unterlassen, den Zahlungsbetrag von 5,00 € in die Sortimentkasse einzugeben, so dass aufgrund dieser Auffälligkeiten und der jeweiligen Kassenbestände festgestanden habe, dass die Klägern die vorsätzlichen Schädigung tatsächlich begangen habe. Zumindest habe jedoch aufgrund dieser Umstände der dringende Tatverdacht bestanden, so dass die ausgesprochene Kündigung jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Verdachtskündigung wirksam sei. Denn die Zeuginnen I und Q hätten vor der Aushändigung des Kündigungsschreibens vom 13.08.2016 die Sachverhalte des 03.02. und des 04.02.2016 geschildert und die Klägerin auch dazu befragt. Den Zeuginnen sei auch von ihm aufgegeben worden, im Falle der Entkräftung der Vorwürfe die Kündigung nicht zu überreichen. Da jedoch die Klägerin sich zu den einzelnen Sachverhalten überhaupt nicht eingelassen, sondern lediglich schlicht nach detaillierter Befragung als Schutzbehauptung erklärt habe, dass sie nichts gemacht habe, hätten sich die Zeuginnen auch zur Aushändigung der Kündigung entschieden. Da aus den dargelegten Gründen die Tatbegehung durch die Klägerin feststehe, zumindest aber dringender Tatverdacht bestanden habe, sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Unabhängig davon aber habe das Arbeitsgericht es versäumt, sich hilfsweise auch damit auseinander zusetzen, ob vorliegend die Kündigung als ordentliche und fristgemäße Beendigungskündigung anzusehen sei. Insoweit habe das Arbeitsgericht übersehen, dass die Filiale des Beklagten in J geschlossen worden sei, so dass sich das Arbeitsgericht auch mit dem Aspekt einer wirksamen Kündigung wegen Betriebsstilllegung hätte befassen müssen.

Da die Tatbegehung durch die Klägerin feststehe, zumindest insoweit der dringende Tatverdacht bestanden habe, stünden ihm entgegen der Auffassung des Arbeitsgericht die Schadensersatzansprüche zu, die bereits erstinstanzlich detailliert dargelegt worden seien. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts seien die Kosten für die Auswertung der Videoaufzeichnungen eines konkreten, gegen die Klägerin vorliegenden Verdachts, entstanden. Denn er habe bewusst die Mitarbeiterin I und Q ausgewählt, um so die Klägerin überführen zu können. Belegt werde dieser Befund gerade dadurch, dass er allein die durch die Klägerin geleisteten Schichten am 03. Und 04.02.2016 habe überprüfen lassen. Es handele sich damit entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts nicht um das allgemeine Betriebsrisiko des Arbeitgebers, sondern vielmehr um solche Kosten, die allein deshalb entstanden sein, um die Tatbegehung durch die Klägerin belegen zu können.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn, 4 Ca 1501/16 -, verkündet am 19.01.2017, zugestellt am 04.02.2017, abzuändern und die Klage abzuweisen,

sowie die Klägerin im Wege der Widerklage zu verurteilen, an ihn 475,31 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2016 zu zahlen

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das Urteil des Arbeitsgerichts. Sie bestreitet weiterhin Vermögensschädigungen zum Nachteil des Beklagten begangen zu haben und ist der Ansicht, dass auch eine wirksame Verdachtskündigung nicht vorliege, da sie jedenfalls vor Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Entgegen der Behauptung des Beklagten habe sie zu keinem Zeitpunkt das vom Kunden an sie für den Kauf von Tabakwaren usw. übergebene Geld an sich gebracht und für eigene Zwecke vereinnahmt, sondern jeweils in die Kasse eingelegt. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten habe sie die verkauften Sachen auch jeweils in die Registrierkasse eingebucht, so ihr schon keine Vertragspflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Soweit der Beklagte seine unzutreffenden Behauptungen auf die Vorlage der Videoaufzeichnungen stütze, so unterlägen diese einem Beweisverwertungsverbot, ganz abgesehen davon, dass die Videoaufnahmen die behaupteten Vertragspflichtverletzungen gar nicht belegten. Da sie keine Vermögensschädigung des Beklagten begangen habe und insofern auch kein dringender Tatverdacht bestanden habe, stünden dem auch die geltend gemachten Erstattungsansprüche nicht zu.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommenen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsergebnis hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 13.08.2016 aufgelöst worden ist und dem Beklagten die mit der Widerklage geltend gemachten Erstattungsansprüche nicht zustehen.

Ob der Beklagte entsprechend der Annahme des Arbeitsgerichts das Vorliegen von vorsätzlichen Vermögensschädigungen durch die Klägerin bereits nicht schlüssig dargelegt hat, kann offen bleiben. Offen bleiben kann auch, ob die Klägerin vor Aushändigung der Kündigung vom 13.08.2016 im Einzelnen zu den ihr vorgeworfenen Vertragspflichtverletzungen unter Schilderung der jeweiligen Kassenvorgänge angehört worden ist. In diesem Zusammenhang kann ebenfalls offen bleiben, ob zur ordnungsgemäßen Anhörung der Klägerin vorliegend auch nicht das Vorspielen der Videoaufzeichnungen gehören würde, weil erst aufgrund er aufgenommenen Verhaltensweisen der Klägerin Schlussfolgerungen auf das mögliche Vorliegen von vorsätzlichen Vertragspflichtverletzungen entsprechend der Annahme des Arbeitsgerichts möglich gewesen seien, sodass bereits aufgrund deren Kenntnis eine Entkräftung des Verdachts durch entsprechende Erklärungen der Klägerin möglich gewesen wäre. Es sich dabei also nicht nur um bloße Beweismittel für die auf diesen Aufzeichnungen eindeutig zu erkennende und feststehende vorsätzliche Vermögenschädigungen handeln würde, deren Vorlage jedenfalls grundsätzlich auch bei einer Verdachtskündigung nicht erforderlich ist. Schließlich bedarf es auch keiner Entscheidung, ob der Beklagte entsprechend der Annahme des Arbeitsgerichts zum Zeitpunkt der Abfassung des Kündigungsschreibens bereits den endgültigen Kündigungsentschluss gefasst hat, so dass der Klägerin allenfalls die Kündigungsgründe erläutert werden sollten bzw. wurden, oder ihr entsprechend ihrem Vorbringen der Verdacht nur pauschal vorgehalten wurde, sodass auch schon aus diesem Grund keine ordnungsgemäße Anhörung vor einer Verdachtskündigung vorliegen würde. Denn die Kündigung vom 13.08.2016 ist jedenfalls deswegen unwirksam, weil der Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung auf die Videoaufzeichnungen jedenfalls deshalb nicht berufen kann, weil er insoweit keinen zulässigen Beweis für die Richtigkeit der von der Klägerin bestrittenen Behauptungen angetreten hat. Sowohl für die Beweisführung durch die eingereichten Videosequenzen als auch für eine Zeugenvernehmung der Mitarbeiterin G, welche die Videoaufzeichnungen ausgewertet hat, besteht aus Gründen des Daten- und Persönlichkeitsschutzes ein Beweisverwertungsverbot. Denn die Videoaufzeichnungen bezogen auf den 03.02. und den 04.02.2016 sind nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten erst "ab dem 01.08.2016", also rund sechs Monate später ausgewertet und damit nicht entsprechend § 6 b Abs. 5 BDSG unverzüglich gelöscht worden. Da das Verwertungsverbot bereits deswegen anzunehmen ist, weil der Beklagte die Videoaufnahmen gesetzeswidrig entgegen § 6 b Abs. 5 BDSG nicht gelöscht hat, kann ebenfalls offen bleiben, ob eine dauerhafte offene Videoüberwachung auch des Arbeitsplatzes der Klägerin nach § 6 b BDSG zulässig war.

Ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei zu verwerten (vgl. auch Art. 8 Abs. 1 EMRK ) kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht, der die Kammer folgt, aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - z.B. von § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 S. 1 ZPO - ergeben. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG bestehenden Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden. Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen i.S.d. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind. Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften (so ausdrücklich BAG, Urt. v. 27.07.2017 - 2 AZR 681/16, juris, Rdnr. 16, 17 m.w.N.).

Greift jedoch die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Es muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen. Ein Beweisverwertungsverbot wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht umfasst dabei nicht nur das Beweismittel selbst, also in einem Fall wie hier eine In-Augenscheinnahme der Videoaufzeichnungen, sondern auch dessen mittelbare Verwertung wie etwa die Vernehmung eines Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials. Die Annahme eines Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbots setzt weiter voraus, dass es dem Schutzzweck etwa des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuwiderliefe, den inhaltlichen Gehalt des fraglichen Beweismittels zur Grundlage der gerichtlichen Entscheidung zu machen. Der Schutzzweck des BDSG gebietet es nicht, dem Arbeitgeber aus generalpräventiven Gründen eine prozessuale Verwertung datenschutzrechtswidrig erlangter Informationen generell zu verwehren. Ein Verbot kommt nur in Betracht, wenn mit der Verwertung ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der anderen Prozesspartei einhergeht. Ein solcher Eingriff scheidet aus, wenn die Unzulässigkeit allein aus der (Dritt-)Betroffenheit anderer Beschäftigter resultiert. Unschädlich ist es dabei, wenn der Arbeitgeber seinen Dokumentationspflichten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG, die grundsätzlich vor der Datenerhebung zu erfüllen sind, nur unvollständig nachgekommen ist (so ausdrücklich LAG Hamm, Urt. v. 12. 06.2017 - 11 Sa 858/16, (Revision 8 AZR - 421/17), juris, Rdnr. 40, 41 unter Hinweis auf Urt. v. BAG 20.10.2016 - 2 AZR 395/15).

Nach diesen Grundsätzen besteht für die Videoaufzeichnungen bezogen auf die Vorgänge vom 03.02. und den 04.02.2016 betreffend die Klägerin, ein Beweisverwertungsverbot, was zur Folge hat, dass weder die Aufzeichnungen selbst noch die Mitarbeiterin G als Zeugin vernommen werden darf, die die Aufzeichnungen der Kamera ausgewertet hat.

Nach § 6 b Abs. 5 BDSG sind die nach § 6 b Abs. 1 BDSG zulässigerweise erhobenen Daten unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen. Zu beachten ist dabei, dass bereits die nach § 6 b BDSG zulässige Videoüberwachung im konkreten Fall so ausgestaltet werden muss, dass ein möglichst schonender Eingriff in die Rechtssphäre der Betroffenen gewährleistet ist, was auch kurze Löschungsfristen beinhaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.01.2012 - 6 C 9/11, OVG Lüneburg, Urt. v. 07.09.2017 - 11 LC 59/16. Juris, Rdnr. 46 ff.; Grages/Plath CR 2017, 791, 792 f.). Ob die Videoaufzeichnungen, die dem Schutz gegen Überfall, Diebstahl us.w. dienen, grundsätzlich automatisiert unverzüglich zu löschen sind, wenn sich aus dem Inhalt der Auszeichnungen keine Relevanz für die Schutzzwecke ergibt (so wohl Schneider in Schneider, Handbuch EDV-Recht, 5. Aufl. 2017, Rdnr. 873; Becker in Plath § 6 d BDSG Rdnr. 30, 2. Aufl., 2016), kann offen bleiben. Denn auch wenn keine automatische Löschung erfolgt, muss der Arbeitgeber die Löschung nach der zwingenden Vorschrift des § 6 b Abs. 5 BDSG, an die strenge Anforderungen zu stellen sind, unverzüglich durchführen, was bereits schon aus dem ausdrücklich in § 3 a BDSG geregelten Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit (vgl. Becker in Plath § 6 b BDSG Rdnr. 30) und dem Gebot der möglichst geringen Eingriffs in die Rechtssphäre der von der Videoüberwachung betroffenen Personen folgt (vgl. auch Grages/Plath CR 2017, 791, 792). Bei der zwingenden Vorgabe der unverzüglichen Löschung ist von einer Frist von ein bis zwei oder zumindest nur wenigen Arbeitstagen nach Wegfall der Erforderlichkeit auszugehen (Simitis-Scholz, BDSG, 8.Aufl. 2014, § 6 b BDSG Rdnr. 140, 141, 144 ["für kleine überschaubare Läden ... Löschung noch am selben Abend"]; Wedde in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG 5. Aufl. 2016, § 6 b BDSG Rdnr. 60; vgl. auch Becker in Palth § 6 b BDSG Rdnr. 30: Löschung grds. innerhalb von 48 Stunden).

Die von dem Beklagten ab dem 01.08.2016 begonnene Auswertung des mit der Kassenkamera aufgezeichneten Arbeitsverhaltens der Klägerin im Kassenbereich am 03.02. und 04.02.2016, also rund sechs Monate später, verstößt eindeutig und besonders schwerwiegend gegen die Pflicht zur unverzüglichen Löschung gegen § 6 b Abs. 5 BDSG. Der Beklagte wäre nämlich verpflichtet gewesen, die Aufzeichnungen vom 03.02. und 04.02.21016 unverzüglich, auf jeden Fall deutlich vor dem 01.08.2016 zu löschen. Die Möglichkeit der offenen Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit einer Videokamera ist unter den Voraussetzungen des § 6 b BDSG und zu den in dieser Vorschrift genannten Zwecken zulässig und eröffnet dem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit zu einer dauerhaften Beobachtung des Verhaltens der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz und zur Auswertung der Videoaufzeichnungen als Beweismittel bei Bedarf, die entgegen § 6 Abs. 5 BDSG gesetzeswidrig nicht gelöscht worden sind. Vielmehr ist der Arbeitgeber bei einer auf § 6 b DBSG gestützten Überwachung wegen der zwingenden Pflicht zur unverzüglichen Löschung verpflichtet, die Videoaufzeichnungen, sofern keine automaische Löschung erfolgt, jedenfalls unverzüglich zu überprüfen und beim bestehenden Anlass die Auswertung der Videoaufzeichnungen auch zügig durchzuführen (vgl. Becker in Plath § 6 b BDSG Rdnr. 30). Der Beklagte hat demgegenüber keinerlei Gründe vorgetragen, wieso die monatelange Aufbewahrung der unter Berufung auf § 6 b DBSG gemachten Aufzeichnungen zulässig sein sollte, obwohl die Videobeobachtung des Arbeitnehmers in seinem Arbeitsbereich während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit einen intensiven Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt (vgl. BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15, juris, Rdnr. 30). Es mag sein, dass die Auswertung der Videoaufzeichnungen für die einzelnen Tage entsprechend dem Vorbringen des Beklagten sehr zeitaufwendig ist, was aber zum einen den Beklagten nicht davon entbindet, die gesetzliche Löschungspflicht, die gerade bei der Zulässigkeit des Eingriffs berücksichtigt wird, zu ignorieren. Zum anderen ist zu beachten, dass die Videoüberwachung nach § 6 b BDSG nur zur Wahrung der in dieser Vorschrift genannten Zwecke erlaubt ist, wobei die Pflicht zur unverzüglichen Löschung des § 6 b Abs. 5 BDSG gerade auch dem Umstand Rechnung trägt, dass die Beobachtung in öffentlich zugänglichen Räumen erfolgt, sodass die Löschung zwingend durchzuführen ist, wenn die mit der Überwachung in den öffentlichen Räumen verbundene berechtigte Interesse nicht mehr bestehen. Ob Eingriffe Dritter vorgelegen oder Anhaltspunkte dafür bestanden haben, lässt sich relativ feststellen, sodass für die Feststellung bzw. Aufklärung derartiger Eingriffe keine Aufbewahrung der Videoaufzeichnungen. Da an die Bewertung der Erforderlichkeit i.S.d. § 6 b BDSG besonders dann hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn in öffentlich zugänglichen Räumen geleichzeitig Arbeitsplatze angesiedelt sind und von den Videokameras erfasst werden (vgl. Wedde in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, § 6 b BDSG Rdnr. 42) und die Intensität des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer deshalb besonders hoch ist, weil die Videokamera den Kassenbereich ohne zeitliche Beschränkung während der Schicht überwacht (so BAG, Beschl. v. 14.12.2004 - 1 ABR 34/03, juris, Rdnr. 44 ff.), müssen auch an die Löschungspflicht des Arbeitgebers strenge Anforderungen gestellt werden, um nicht aus einem fortdauernden gesetzeswidrigen Verhalten und auch noch nach Monaten Vorteile zu ziehen. Vorliegend kommt hinzu, dass die lückenlose Dokumentation des Arbeitsverhaltens der Klägerin von dem Beklagten trotz des intensiven Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin während der einzelnen Tage monatelang gespeichert worden ist, um sie irgendwann auszuwerten und nach möglichen Kündigungsgründen oder sonstigen Unregelmäßigkeiten zu suchen, einen fortgesetzten und besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die zwingende Vorschrift des § 6 b Abs. 5 BDSG darstellt. Denn der Beklagte hat mit seinem Verhalten deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass für ihn nur die Verfolgung der eigenen wirtschaftlichen Interessen ohne Rücksicht auf das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin entscheidend ist und er die Videoaufnahmen, die gestützt auf § 6 b BDSG gemacht wurden, entgegen der zwingenden gesetzlichen Löschungspflicht des § 6 Abs. 5 BDSG wie in einem Archiv lange Zeit aufbewahrt hat, um sie bei eventuellem Bedarf - wie vorliegend - als Beweismittel präsentieren zu können. Aufgrund des besonders schwerwiegenden Eingriffs in das Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch die monatelang unterbliebene Löschung der Videoaufzeichnungen besteht daher ein Beweisverwertungsverbot, das sich auch auf die Vernehmung der benannten Zeugin G erstreckt, die die Videoaufzeichnungen ausgewertet hat (so auch LAG Hamm, Urt. v. 12. 06.2017 - 11 Sa 858/16, juris, (Revision 8 AZR - 421/17); zust. Klein ArbRAktuell 2017, 548).

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG.

Nach dieser Bestimmung kann zwar der Arbeitgeber zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten eines Beschäftigten - ggf. auch heimlich - erheben, wenn dies zur Aufdeckung von Straftaten dient und die Datenerhebung nicht unverhältnismäßig ist. Es ist auch anerkannt, dass diese Vorschrift auch bei Überwachungen in öffentlich zugänglichen Räumen zur Rechtfertigung von - auch heimlichen - Videoüberwachungen herangezogen werden kann. Voraussetzung für eine Erhebung von Daten nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG ist aber, dass im Zeitpunkt des Beginns der Videoüberwachung bereits tatsächliche Anhaltspunkte für begangene Straftaten existieren, also ein durch konkrete Tatsachen belegter "Anfangsverdachts” vorliegt, sodass nur vage Anhaltspunkte oder bloße Mutmaßungen nicht genügen. Der durch konkrete Tatverdacht muss dabei auch aktenkundig gemacht werden, d.h. es müssen Schaden, Verdächtigenkreis und die Indizien, warum gerade die überwachte Person oder eine abgrenzbare überwachte Personengruppe verdächtig ist, schriftlich oder elektronisch dokumentiert werden, wobei auch das Vorliegen eines konkreten Tatverdachts nicht genügt, um eine flächendeckende Überwachung durchzuführen (vgl. dazu ErfK/Franzen § 32 BDSG, Rdnr. 31, 32, 18. Aufl. 2018,). Vor Durchführung einer Überwachung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG müssen außerdem weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung ausgeschöpft sein (BAG, Urt. v. 20.10.2016 - 2 AZR 395/15, juris, Rdnr. 25 ff.). Diese Voraussetzungen waren hier im Zeitpunkt der entscheidungserheblichen Überwachungsmaßnahmen am 03.02. und 04.02.2016 nicht erfüllt, was der Beklagte auch selbst bezogen auf die Klägerin bzw. die anderen Mitarbeiterinnen substantiiert nicht behautet hat. Vielmehr hat der Beklagte selbst behauptet, dass bei der stichprobenartigen Ermittlung der Warenaufschläge durch seine Innenrevision im dritten Quartal des Jahres 2016 festgestellt wurde, das insbesondere Tabakwaren fehlten, weshalb das Videogerät, welches sich aufgrund eines Einbruchsdiebstahls in Gelsenkirchen befand, ab dem 01.08.2016 analysiert wurde. Dadurch unterscheidet sich der hier gegebene Sachverhalt von dem des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 20.10.2016 (2 AZR 395/15). Denn in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren Inventurdifferenzen unstreitig bereits vor dem Beginn der Videoüberwachung festgestellt worden, sodass die Videoüberwachung gerade wegen der festgestellten Differenzen durchgeführt wurde. Die zum Beweis angebotenen Videokonsequenzen sind somit vorliegend nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gewonnen worden und es lagen zum Zeitpunkt ihrer Anfertigung auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vor, sodass die Annahme des Verwertungsverbots auch nicht an der Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG scheitert.

Schließlich kann sich der Beklagte zur Rechtfertigung seines Vorgehens auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Verwertbarkeit von sog. Zufallsfunden stützen. Für eine Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG ist ein durch konkrete Tatsachen belegter "einfacher" Verdacht ausreichend, der über vage Anhaltspunkte und bloße Mutmaßungen hinausreichen muss. Fällt bei einer zulässigen Videoüberwachung nach § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegen andere Verdächtige ein sog. Zufallsfund an, indem eine bislang nicht verdächtigte Person mit strafbarem Verhalten auffällt, so kann die Verwertung des Zufallsfundes nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG zulässig sein, auch wenn die Videoüberwachung im Hinblick auf die jetzt betroffene Person bislang anlasslos war (BAG 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 - ). Vorliegend ist jedoch zum einen die Videoüberwachung gerade nicht nach § 32 BDSG, sondern nach § 6 b BDSG erfolgt. Zum anderen ist die Klägerin nicht im Rahmen einer zulässigen Überwachung "zufällig" aufgefallen, sondern gerade im Rahmen bewusst angeordneten Analyse von Videoaufzeichnungen, auf die der Beklagte nur deswegen noch wie auf ein Archiv zugreifen konnte, weil er die gesetzlich zwingend in § 6 b Abs. 5 BDSG vorgeschriebene Pflicht zur unverzüglichen Löschung der Videoaufzeichnungen schlicht und einfach ignoriert hat. Aus alldem folgt, dass die fristlose Kündigung vom 13.08.2016 weder unter dem Gesichtspunkt der Tatkündigung noch als Verdachtskündigung wirksam ist, sodass die Berufung des Beklagten insoweit zurückzuweisen ist, als das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung festgestellt hat.

Zu Unrecht rügt der Beklagte mit der Berufungsbegründung, dass das Arbeitsgericht sich nicht mit einer ordentlichen Kündigung befasst und dabei übersehen habe, dass "vor dem Hintergrund der Annahme einer Betriebsschließung von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von dem konkreten Inhalt der Kündigungserklärung" nach §§ 133, 140 BGB auszugehen sei.

Die Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung setzt nach ständiger Rechtsprechung voraus, dass eine ordentliche Kündigung dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht und dass dieser Wille dem Kündigungsempfänger im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung erkennbar geworden ist. Die Umdeutung verlangt dabei weder einen besonderen Antrag des Kündigenden, noch muss er sich ausdrücklich auf die Umdeutung berufen. Das Gericht muss vielmehr von sich aus prüfen, ob aufgrund der feststehenden Tatsachen eine Umdeutung des Rechtsgeschäfts in Betracht kommt oder nicht (vgl. BAG, Urteil vom 25.10.2012 - 2 AZR 700/11, juris, Rdnr. 21; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.01.2011 - 5 Sa 459/10, juris, Rdnr. 32).

Der Beklagte hat nach dem eindeutigen Wortlaut des Schreibens vom 13.08.2016 ausdrücklich "wegen der begangenen Straftaten außerordentlich fristlos zum 13.08.2016" gekündigt.

Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass jedenfalls in den Fällen, in denen im Zeitpunkt des Kündigungszugangs das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien mangels Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG noch nicht anwendbar war, regelmäßig davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber bei Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch zum nächst zulässigen Termin gewollt hat, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Kündigung nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens - wie hier - ausdrücklich fristlos wegen einer Straftat erklärt worden ist. Denn in diesem Fall ist für den Arbeitnehmer erkennbar, dass der Arbeitgeber, der für eine ordentliche Kündigung keinen Kündigungsgrund gebraucht hätte, sich von ihm auch dann trennen möchte, wenn die von ihm angenommene Straftat nicht bewiesen werden kann (vgl. BAG, Urt. v. 15.11.2001 - 2 AZR 310/00, NJW 2002, 2972; LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27.04.2017 - 1 Sa 293/16, juris; Urt. v. 06.01.2011 - 5 Sa 459/10, juris, Rdnr. 32). Ob auch bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes regelmäßig davon auszugehen ist, dass es dem mutmaßlichen Willen des Kündigenden entspricht, das Arbeitsverhältnis zum nächstmöglichen Zeitpunkt auch aus anderen Gründen als der in dem Kündigungsschreiben ausdrücklich genannten Straftat zu beenden und dieser Wille auch für den Kündigungsempfänger erkennbar war, kann offen bleiben (vgl. dazu Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzrecht, 11. Aufl., 2016 = KR/Gmeier/Rinck § 13 KSchG Rdnr. 72 ff.; Schaub/Linck § 123 Rdnr. 66, 17. Aufl., 2017). Denn der Beklagte hat weder erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz vorgetragen, dass die Entscheidung bezüglich der endgültigen Schließung der Filiale in Iserlohn bereits in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 13.08.2016 bereits objektiv vorlag, was in materiellrechtlicher Hinsicht aber zwingende Voraussetzung für die Rechtfertigung der Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG erforderlich wäre. Vielmehr hat der Beklagte insoweit erstinstanzlich im Schriftsatz vom 16.09.2016 lediglich vorgetragen, dass die Filiale, in der die Klägerin gearbeitet hat, "zum 21.09.2016 geschlossen wird", was nicht ausreicht, um das Vorliegen der Voraussetzungen einer betriebsbedingten Kündigung im Zeitpunkt des Kündigungszugangs annehmen zu können. Auch in der Berufungsinstanz beschränkt sich das Vorbringen des Beklagten im Wesentlichen lediglich darauf, dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls wegen der Schließung der Filiale in Iserlohn beendet worden ist, ohne konkret vorzutragen, diese Entscheidung bereits am 13.08.2016 tatsächlich vorlag. Eine Umdeutung der unwirksamen fristlosen Kündigung in eine nach § 140 BGB wirksame Kündigung scheidet somit bereits aus den dargelegten Gründen aus.

Schließlich ist die Berufung des Beklagten auch insoweit unbegründet, als er rügt, dass das Arbeitsgericht zu Unrecht die Widerklage abgewiesen hat.

Soweit der Beklagte rügt, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass er sich "bewusst und gewollt die beiden von der Klägerin geleisteten Schichten als alleinige Mitarbeiterin an diesen Tagen ausgewählt hat, um so die Person der Klägerin überführen zu können, so dass die Ausführungen des Arbeitsgerichts, die Kosten für die Auswertung der Videobänder seien nicht aufgrund eines konkreten Verdachts gegen die Klägerin entstanden, nicht nachvollziehbar seien", so übersieht er, dass für die Erstattungsfähigkeit der Kosten, die aufgewendet worden sind, um den Arbeitnehmer einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung zu überführen, nicht ausreicht, dass der Arbeitgeber irgendwelche Vermutungen anstellt oder subjektiv - aus welchen Gründen auch immer - von einer strafbaren Handlung eines bestimmten Arbeitnehmers ausgeht. Vielmehr muss bereits vor der kostenverursachenden Maßnahme durch Tatsachen begründete konkrete Tatverdacht bestanden haben, den der Beklagte auch in der Berufungsinstanz nicht dargelegt hat. Der Anspruch auf die Erstattung der für die Auswertung der Videoaufzeichnung geltend gemachten Kosten in Höhe von 430,56 € scheitert bereits aus diesem Grunde, ohne dass es auf deren Höhe ankommt. Davon unabhängig ist die Wiederklage insgesamt deshalb unbegründet, weil aus den dargelegten Gründen wegen des Beweisverwertungsverbots die vorsätzliche Schädigung des Beklagten durch die Klägerin weder positiv festgestellt noch ein entsprechender Tatverdacht angenommen werden kann. Aus alldem folgt, dass die Berufung des Beklagten unbegründet ist.

Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des erfolglos betriebenen Berufungsverfahrens zu tragen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat die Kammer gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.