LG Wuppertal, Urteil vom 16.12.2011 - 2 O 255/11
Fundstelle
openJur 2019, 12901
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 193,90 € ab dem 19.12.2007 bis zum 27.12.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger macht als in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der N GmbH (im Folgenden Schuldnerin) Anfechtungsansprüche nach §§ 129, 133 Abs. 1 InsO geltend. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 19.12.2007 auf Antrag vom 04.09.2007 eröffnet.

In der Zeit vom 01.03.2003 bis zum 12.09.2007 zahlte die Schuldnerin rückständige Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte im Umfang von insgesamt 6.637,25 €. Sämtliche Beträge wurden an den vor Ort bei der Schuldnerin anwesenden Vollziehungsbeamten geleistet, wobei den Beitreibungen jeweils entsprechende Zwangsvollstreckungsaufträge der Beklagten an das Hauptzollamt als Vollstreckungsbehörde zugrunde lagen. Die Schuldnerin zahlte jeweils glatte Beträge in Höhe von 5.000,- €, 2.000,- € und 200,00 € in bar an den anwesenden Vollziehungsbeamten. Diese zum Zeitpunkt der Beitreibungen allein noch bei der Schuldnerin vorhandenen Barbeträge reichten dabei nicht aus, um alle Forderungen, die der Beitreibung unterlagen, zu befriedigen. Die Barbeträge wurden daher zum großen Teil auf Forderungen der Beklagten, aber auch auf Forderungen anderer Gläubiger verteilt.

Die Beklagte zahlte vorprozessual 193,90 € an den Kläger zurück.

Der Kläger meint, die Zahlungen der Beklagten unterlägen der Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO. Die Zahlungen seien Rechtshandlungen im Sinne von § 133 InsO, auch wenn sie an den anwesenden Vollziehungsbeamten geleistet worden seien. Er behauptet hierzu, die Schuldnerin habe in Kenntnis des Besuchs des Vollziehungsbeamten entsprechende Beträge in der Barkasse vorrätig gehabt. Er ist der Ansicht, die Schuldnerin habe mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt und die Beklagte habe Kenntnis hiervon gehabt. Beides sei schon daraus zu vermuten, dass die Zahlungen inkongruente Deckungshandlungen darstellten. Zudem behauptet er, die Schuldnerin sei zum Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähig gewesen. Die Beklagte habe dabei zumindest von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit Kenntnis gehabt. Er meint, die Beklagte sei auch zur Rückgewährung der von der Schuldnerin ausgeglichenen Vollstreckungskosten verpflichtet.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.443,35 € nebst Nutzungsentgelt in Höhe von 397,28 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 6.637,25 € ab 19.12.2007 bis zum 27.12.2010 und auf 6.443,35 € ab 28.12.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, sie hafte nicht für die Rückerstattung von Vollstreckungskosten. Die Vollstreckungskosten seien direkt von der Vollstreckungsbehörde, hier dem Hauptzollamt, vereinnahmt worden. Anders als bei einer Vollstreckung durch einen Gerichtsvollzieher seien diese Kosten somit nicht zunächst ihr zugeflossen. Sie hafte daher auch nicht für die Rückgewähr. Zudem sei von ihr keine Nutzungsentschädigung zu leisten. Ein solcher Anspruch setze voraus, dass sie entsprechende Zinsen auf die erhaltenen Beträge bezogen oder aber schuldhaft zu erzielen unterlassen habe. Beide Voraussetzungen lägen aber nicht vor, da sie als Sozialversicherungsträgerin die für die Fremdversicherungsträger bestimmten Mittel arbeitstäglich weiterleiten müsse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und bis auf einen Teil des geltend gemachten Zinsanspruchs - dieser Anspruch bezogen auf die vorprozessual erstatteten 193,90 € ergibt sich aus §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1, 143 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB (Uhlenbruck/Hirte, 13. Auflage, § 143 InsO, Rn. 35 m.w.N.) - unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von 6.443,35 € aus §§ 129, 133 Abs. 1, 143 InsO. Dabei konnte dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Zahlungen der Schuldnerin an den vor Ort anwesenden Vollziehungsbeamten um Rechtshandlungen i.S.v. § 133 InsO handelte (vgl. hierzu zuletzt BGH vom 10.12.2009, IX ZR 128/08 und vom 03.02.2011, IX ZR 213/09), denn der Kläger hat schon nicht ausreichend darlegen können, dass die Beklagte Kenntnis von einem möglichen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin hatte. Dem Kläger kam dabei nicht als Beweisanzeichen zugute, dass es sich bei den Zahlungen um inkongruente Deckungshandlungen gehandelt hätte. Insoweit gilt, dass durch (angedrohte) Einzelzwangsvollstreckungen erlangte Deckungen, die außerhalb des Drei-Monats- Zeitraums der §§ 130,131 InsO erlangt werden, als kongruent anzusehen sind (BGH vom 20.01.2011, IX ZR 8/10, bei juris Rn. 13).

Umstände, die für eine Kenntnis der Beklagten vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin sprechen und die von dem Kläger vorgetragen wurden, sind, dass die Schuldnerin die ausstehenden Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr zahlen konnte, die Beklagte daraufhin die Zwangsvollstreckung einleitete und die Schuldnerin hieraufhin Zahlungen an den anwesenden Vollziehungsbeamten in Raten vornahm. Allein diese Umstände reichen jedoch nicht aus, die Kenntnis, auch nicht im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO, zu begründen. Hierfür müsste der Beklagten nähere Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin zur Verfügung gestanden haben. Diese Einsicht ist jedoch für sie als Sozialversicherungsnehmerin grundsätzlich nicht gegeben, und der Kläger trägt auch keine Tatsachen vor, die eine solche Einsicht in diesem Einzelfall begründen könnte. Gleichfalls ist auch nicht erkennbar, dass die Beklagte aufgrund des Zahlungsverhaltens der Schuldnerin den Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit oder auch nur eine drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ziehen konnte. Hierfür hätten die Verbindlichkeiten der Schuldnerin bei der Beklagten über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen werden müssen. Dies wird von der Beklagten bestritten. Entsprechender Vortrag des Klägers fehlt. Insbesondere hat er nicht vorgetragen, dass die Beklagte mit der Begleichung der Sozialversicherungsbeiträge über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten in Rückstand war (vgl. hierzu BGH vom 13.06.2006, IX ZB 238/05). Nach seinem Vortrag sollen die Verbindlichkeiten lediglich in einem Zeitraum zwischen drei und vier Monaten nicht beglichen worden sein. Auch ist kein "beträchtlicher Umfang" der rückständigen Verbindlichkeiten ersichtlich.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ausgleich der Vollstreckungskosten in Bezug auf die vorprozessual erstatteten 193,90 € in Höhe von 6,10 € zu. Zu Recht verweist die Beklagte darauf, dass diese Vollstreckungskosten nach § 115 Abs. 2 AO direkt der Vollstreckungsbehörde, hier dem Hauptzollamt, zustehen. Die Beklagte hat somit dadurch, dass die Schuldnerin die Vollstreckungskosten ausgeglichen hat, keine Befreiung von einer Verpflichtung gegenüber der Vollstreckungsbehörde und damit nichts erlangt. Sie schuldet demgemäß auch keine Rückgewähr.

Schließlich steht dem Kläger kein Anspruch auf Wertersatz für tatsächlich gezogene bzw. schuldhaft nicht gezogene Nutzungen nach §§ 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 987 BGB in Bezug auf die erstatteten 193,90 € zu, denn die Beklagte war als Sozialversicherungsträger verpflichtet, die vereinnahmten Gelder sogleich weiterzuleiten. Sie konnte somit aus diesen Geldern weder Nutzungen ziehen noch kann ihr der Vorwurf gemacht werden, schuldhaft insoweit keine Nutzungen gezogen zu haben.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert:

Bis zum 17.07.2011: 6.637,25 €,

seither: 6.443,35 €.

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