VG Düsseldorf, Urteil vom 28.02.2018 - 29 K 4191/16
Fundstelle
openJur 2019, 12184
  • Rkr:

Zur arbeitsschutzrechtlichen Aufklärungsbefugnis der zuständigen Behörde bei

Zielvereinbarungen

Tenor

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt 3/4, das beklagte Land 1/4 der Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine Ordnungsverfügung der Bezirksregierung E. , mit der diese Auskunft über die im Jahr 2015 bei der Klägerin abgeschlossenen Zielvereinbarungen begehrt.

In der Niederlassung der Klägerin in E. sind ca. 1000 Mitarbeiter beschäftigt, davon 70 Führungskräfte. 25 % der Mitarbeiter sind direkt am Standort E. tätig. Zwischen der Klägerin und ver.di gibt es einen Haustarifvertrag. Danach beträgt die Regelarbeitszeit 38 Stunden pro Woche, mit den Mitarbeitern kann eine pauschale Mehrarbeit von bis zu 3 Stunden wöchentlich vereinbart werden.

Zwischen Mitarbeiter und Führungskraft werden bei der Klägerin individuelle Arbeitsziele vereinbart (so genannte Personal Business Commitments (PBC)). Dazu gibt es eine "Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess" (GBV PBC) zwischen der Klägerin und dem Gesamtbetriebsrat der Klägerin, die bis Ende 2015 galt. Hiernach bilden die individuellen PBC das wesentliche Kriterium bei der Beurteilung der Leistung aller Mitarbeiter. Das PBC dient nach Nr. 1 der Gesamtbetriebsvereinbarung der Definition und Vereinbarung des individuellen Beitrags der Mitarbeiter zur Erreichung der J. -Geschäftsziele, der aufgabenorientierten Förderung und Entwicklung und der leistungsorientierten Beförderung. Die vereinbarten Ziele berücksichtigen die Tätigkeit, das Anforderungsprofil und die Verantwortlichkeit des Mitarbeiters und müssen in der vereinbarten Arbeitszeit erfüllbar sein (Nr. 5.1 GBV PBC). Nach Angaben der Klägerin werden die vereinbarten Ziele in einem Onlinetool niedergelegt und können nicht von einer zentralen Stelle eingesehen werden; Wirksamkeitskontrollen erfolgen erfolgsorientiert über das Nichterreichen von Zielvorgaben. Am Jahresende erfolgt eine Bewertung der jährlichen Gesamtleistung, die dem Mitarbeiter erläutert wird. Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, Einspruch gegen seine Bewertung einzulegen. Dieser Einspruch wird in einer Einspruchskommission, bestehend aus je einem Vertreter der Personalabteilung und dem Betriebsrat behandelt.

In den Geschäftsbereichen der Klägerin, in denen Service-Leistungen erbracht werden, wird in den Zielvereinbarungen eine so genannte Utilization-Quote zugrunde gelegt. Dabei handelt es sich um eine Messgröße für Produktivität und Auslastung eines Mitarbeiters. Die Utilization gibt die Arbeitszeit an, die ein Mitarbeiter verbracht hat, um ein bestimmtes fiskalisches Ziel zu erreichen. Produktive Zeiten sind nur die abrechenbaren Zeiten ("billable hours"). Berechnungsbasis für die produktive Auslastung des Mitarbeiters sind 2080 Stunden pro Kalenderjahr (52 Wochen mit je 40 Stunden pro Woche) für Vollzeitmitarbeiter. Die Utilization der Mitarbeiter in Prozent berechnet sich, indem die erfassten Stunden durch die theoretisch verfügbaren Stunden geteilt und mit 100 multipliziert werden. Die ohne Überstunden maximal erreichbare produktive Auslastung liegt den Angaben der Klägerin zufolge bei 86,5 % und setzt voraus, dass ein Mitarbeiter seinen Urlaub vollständig nimmt, an Feiertagen nicht arbeitet sowie keine Reisezeiten, keine Weiterbildungsmaßnahmen, keine J. Toolpflege und keine krankheitsbedingten Ausfälle hat. Reisezeiten sind nur dann produktiv, wenn der Kunde diese Zeit bezahlt oder während der Reise an Projektaufgaben gearbeitet wird. PBC-Ziel für das Jahr 2014 war das Erreichen einer produktiven Auslastung von 80 %. Dies bedeutet, dass die Mitarbeiter 80 % der verfügbaren Stunden auf Projekte leisten sollen, um diese Vorgabe zu erfüllen.

Aufgrund einer Beschwerde des Betriebsrats der Klägerin fand am 17. Januar 2013 eine Besprechung mit Vertretern des Betriebsrats bei der Bezirksregierung E. statt. Aufgrund der sehr knappen Zeitkalkulationen verbunden mit unrealistischen Zielen im Projektmanagement könnten Projekte und Arbeitsanfälle nicht in den gesetzlichen Grenzen der Arbeitszeit bewältigt werden. Die Umsetzung von Zielen sei nicht an Zeiten gekoppelt, d.h. Consultingzeiten würden auf Basis von 40 Stunden pro Woche und 52 Wochen pro Jahr festgelegt ohne Berücksichtigung von Feiertagen, Urlaub oder Krankmeldungen. Mitarbeiter seien deswegen teilweise gezwungen über die gesetzlich geregelte Höchstarbeitszeit hinaus zu arbeiten, um die vorgegebenen Ziele zu bewältigen. Die abrechenbaren Zeiten ("billable hours") beruhten auf den für die USA geltenden Arbeitszeiten (2080 Jahresstunden) und wichen von den in Deutschland geltenden Arbeitszeiten (1976 Jahresstunden gemäß Tarifvertrag) ab.

Nach zwei Besprechungen im Hause der Klägerin bat die Bezirksregierung E. die Klägerin mit Schreiben vom 27. Mai 2013 und 8. November 2013, die Zielvereinbarungen ihrer Mitarbeiter dahingehend zu prüfen, ob die Ziele hinsichtlich der expliziten und impliziten Zeitvorgaben realistisch sind, und um die Mitteilung im Einzelnen bezeichneter, konkreter Inhalte der Zielvereinbarungen.

Unter dem 25. Juli 2013 sowie dem 20. Dezember 2013 stellte die Klägerin den Inhalt und den Prozess der Zielvereinbarungen im Allgemeinen dar und teilte mit, dass eine Auswertung der Zielvereinbarungen nicht möglich und wegen der unterschiedlichen Tätigkeiten auch nicht sinnvoll sei. Weniger als 10 % der Mitarbeiter der Klägerin hätten ihre Ziele nicht in ausreichendem Maße erreicht. Mit dem eigentlichen Thema "Arbeitszeit" hätten diese Punkte nichts zu tun. Eine Überprüfung der individuellen Zielerreichung erfolge nur, wenn ein Mitarbeiter Einspruch gegen seine Leistungsbewertung für das vergangene Jahr einlegt.

Nach Aufforderung durch die Bezirksregierung legte die Klägerin unter dem 4. Juni 2014 Arbeitszeitnachweise für den Monat März 2014 vor. Danach wurde die werktäglich zulässige Arbeitszeit von 10 Stunden im Betrieb E. häufig deutlich überschritten.

Nach weiteren Besprechungen und Schriftverkehr richtete die Bezirksregierung E. unter dem 27. Januar 2015 ein Revisionsschreiben an die Klägerin, mit der sie unter Fristsetzung und Hinweis auf ihre Überwachungsaufgabe um Beantwortung konkreter Fragen zum Thema Zielvereinbarungen bat.

Die Erteilung der gewünschten Auskünfte lehnte die Klägerin mit Schreiben vom 6. März 2015 mit der Begründung ab, es fehle an einer Ermächtigungsgrundlage für die angeforderten Auskünfte.

Nach Anhörung der Klägerin erließ die Bezirksregierung E. mit Bescheid vom 2. März 2016 eine Ordnungsverfügung und ordnete unter Festsetzung einer Verwaltungsgebühr i.H.v. 750 € "aufgrund des § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG" folgendes an:

1. Bezogen auf alle Zielvereinbarungen, die in Ihrem Hause im Jahr 2015 abgeschlossen wurden, sind mir folgende Angaben schriftlich mitzuteilen:

a. Wie viele Zielvereinbarungen wurden insgesamt abgeschlossen?

b. Wie viele davon wurden im Midyear Review verändert?

c. Wie viele davon wurden zu einem anderen Zeitpunkt verändert?

d. Wie viele Zielvereinbarungen fallen sowohl unter die Kategorien a. als auch b.?

e. Wie viele Zielvereinbarungen wurden mit Ablauf des Jahres zu 100 % hinsichtlich der Utilization oder anderer vereinbarter Arbeitsmengen erfüllt?

2. Bezogen auf alle Zielvereinbarungen des Jahres 2015, in denen eine Utilization-Quote vereinbart wurde, sind mir folgende Informationen in einer tabellarischen Aufstellung zuzusenden:

a. Angabe des Arbeitsbereichs

b. Anzahl der Mitarbeiter in diesem Arbeitsbereich

c. Prozent der Reisezeiten dieser Mitarbeiter, die der Utilization zugerechnet werden können

d. Gesamtsumme aller Reisezeiten im Jahr 2015 über alle Mitarbeiter dieses Bereichs, die von einer Utilization-Vereinbarung betroffen waren. Sollten Ihnen hier noch keine exakten Daten vorliegen, da die diesbezügliche Erfassung erst dieses Jahr begonnen hat, bitte ich um Erfahrungs- bzw. Schätzwerte.

e. Auflistung der vereinbarten Utilization-Quoten (konkrete Prozentzahlen) mit Angabe der Anzahl der Mitarbeiter, die diese Quote vereinbart haben

f. Anzahl der Zielvereinbarungen zur Utilization-Quote, die einen unbestimmten oder nicht messbaren Begriff wie "möglichst" beinhalten

g. Anzahl der Zielvereinbarungen zur Utilization-Quote, die im Midyear-Review verändert worden

h. Anzahl der Zielvereinbarungen zur Utilization-Quote, die zu einem anderen Zeitpunkt verändert wurden

i. Anzahl der Zielvereinbarungen, die sowohl unter die Kategorien g. als auch h. fallen

j. Anzahl der Zielvereinbarungen zur Utilization-Quote, die zu 100 % hinsichtlich der Utilization-Vereinbarung erreicht wurden.

3. Zusendung von je 20 Zielvereinbarungen aus jedem dieser Arbeitsbereiche. Sind weniger als 20 Mitarbeiter in einem Arbeitsbereich beschäftigt, sind alle Zielvereinbarungen vorzulegen. Die Auswahl gemäß S. 1 ist wie folgt vorzunehmen:

Alle Mitarbeiter, unabhängig vom Arbeitsbereich, sind alphabetisch zu sortieren und mir dann die Zielvereinbarungen folgender Mitarbeiter zuzusenden

die der ersten vier Mitarbeiter, ab Namensbeginn mit Buchstabe "A" +

die der ersten vier Mitarbeiter, ab Namensbeginn mit Buchstabe "F" +

die der ersten vier Mitarbeiter, ab Namensbeginn mit Buchstabe "K" +

die der ersten vier Mitarbeiter, ab Namensbeginn mit Buchstabe "Sch" +

die der ersten vier Mitarbeiter, ab Namensbeginn mit Buchstabe "U" +.

Sollte eine Kategorie keine vier Mitarbeiter enthalten, bitte ich die fehlende Anzahl an Zielvereinbarungen in der nächsten Kategorie aufzustocken. Für die Kategorie "U" beginnt die Zuordnung wieder bei "A".

4. Darstellung, wie Sie die Wirksamkeitskontrolle über die Angemessenheit der Aufgabenübertragung an ihrer Mitarbeiter im Rahmen der Zielvereinbarungen gewährleisten. Der Prozess der Wirksamkeitskontrolle ist zu beschreiben, insbesondere welche Stichproben in welchen Zeitabständen von Ihnen hinsichtlich welcher Kriterien geprüft werden.

Die Vorlage der angeordneten Auskünfte und Unterlagen (Maßnahmen Punkt 1-4) hat innerhalb von sechs Wochen nach Bestandskraft dieser Verfügung zu erfolgen.

Die in der Beschwerde vom 17. Januar 2013 gemachten Angaben ließen eine unverhältnismäßige Belastung der Mitarbeiter durch die Gestaltung von Zielvereinbarungen möglich erscheinen. Es ergäben sich zudem Zweifel an der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen sowie der Kontrolle der Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Aus den Zielvereinbarungen könnten sich unmittelbar Auswirkungen auf den Umfang der von den Mitarbeitern zu leistenden Arbeit und damit auch auf ihre Gesundheit ergeben. Sie seien für die Beurteilung psychischer Belastungen relevant. Die Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC-Prozess stelle ein Mittel des Arbeitsschutzes dar, mit dem Mitarbeiter vor überfordernden Zielvereinbarungen geschützt werden sollen. Die angeforderten Unterlagen sollen die Überprüfung der Eignung sowie der Wirksamkeit der dort vorgesehenen Maßnahmen ermöglichen.

Die Klägerin hat hiergegen am 1. April 2016 Klage erhoben. Sie trägt vor: Insgesamt fielen im Betrieb E. unter den PBC-Prozess 323 Mitarbeiter. Intention der Bezirksregierung sei es, auf den Inhalt der individuell abgeschlossenen Zielvereinbarungen Einfluss zu nehmen und ihr Vorgaben zu machen, welchen Inhalt Zielvereinbarungen haben könnten bzw. haben dürften. Eine Kontrolle des Zielvereinbarungsprozesses zwischen Führungskraft und Mitarbeiter durch eine übergeordnete Instanz finde nicht statt. Die Utilization-Ziele seien in Zielvereinbarungen der Geschäftsbereiche enthalten, in denen Serviceleistungen erbracht würden. Dies betreffe in E. 165 Mitarbeiter. Der Führungskraft sei es aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht möglich, die Anzahl der so genannten "billable hours" zur Grundlage der Leistungsbeurteilung zu machen. Die Leistungsbeurteilung bestehe folglich nicht darin festzustellen, wie viele abrechenbare Zeiten der Mitarbeiter geleistet habe. Es gebe nur wenige Einsprüche gegen die Leistungsbeurteilungen. Nach der ab 2016 geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung Checkpoint würden individuelle und jeweils aktuelle Ziele vereinbart, die vom Mitarbeiter beeinflussbar seien. Die Zielerreichung fließe in die Bewertung ein. Eine direkte Auswirkung der Leistungsbeurteilung auf die Vergütung gebe es nicht mehr. Die vom beklagten Land eingeforderten Auskünfte und Unterlagen seien zur Überwachung ungeeignet. Weder aus den in Ziffern 1. und 2. geforderten Auskünften noch aus den mit Ziffer 3. angeforderten Unterlagen ließen sich Rückschlüsse darauf ziehen, ob die Klägerin ihre Verpflichtungen gemäß §§ 3 ff. ArbSchG erfülle, insbesondere ob es durch den Abschluss von Zielvereinbarungen zu einer psychischen Belastung der Mitarbeiter komme. Die Auswirkungen von Zielvereinbarungen auf die psychische Gesundheit eines Mitarbeiters ließen sich einheitlich überhaupt nicht feststellen. Weder die Vereinbarung einer Utilization-Quote als solche noch die Höhe der Quote gäben Aufschluss darüber, ob es bei dem Mitarbeiter zu einer negativen Beanspruchung komme. Die Überprüfung des Verfahrens zum PBC Prozess auf Grundlage der Gesamtbetriebsvereinbarung gehöre nicht zu den Aufgaben der Bezirksregierung, sondern sei Aufgabe des Betriebsrats. Zielvereinbarungen seien ein Instrument der Unternehmenssteuerung und der Mitarbeiterführung. Der Zielvereinbarungsprozess stelle keine Maßnahme des Arbeitsschutzes dar. Eine Überprüfung des Zielvereinbarungsprozesses finde über das Konfliktlösungssystem statt. Die Maßnahme der Bezirksregierung sei auch nicht erforderlich. Es sei eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG durchgeführt worden. Den Ergebnissen dieser Gefährdungsbeurteilung werde vorgegriffen. Die Bezirksregierung überschreite ihre Kompetenzen, wenn sie konkrete Vorgaben zu einer Zielvereinbarung machen wolle.

Im Erörterungstermin vom 5. Februar 2018 hat das beklagte Land die angefochtene Ordnungsverfügung hinsichtlich Ziffer 1a, Ziffer 2a und b sowie Ziffer 4 aufgehoben. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit daraufhin insoweit für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt,

die Ordnungsverfügung des beklagten Landes vom 2. März 2016 aufzuheben.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht es geltend: Gegenstand der Ordnungsverfügung sei nicht die Gesamtbetriebsvereinbarung PBC, sondern die konkrete Ausgestaltung der Zielvereinbarungen. Es solle überprüft werden, ob es sich tatsächlich um individuelle oder um identische Ziele handele. Die Überprüfung sei insbesondere geboten, wenn die Klägerin keinen Einfluss auf die tatsächliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Zielvereinbarungen nehmen könne. Die angeführte geringe Zahl von Einsprüchen gegen Leistungsbeurteilungen sei als Indikator für eine nicht vorhandene psychische Fehlbelastung ungeeignet und für das beklagte Land nicht überprüfbar. Dass die Führungskräfte keinen Zugriff auf die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten haben, während sie gleichzeitig "die optimale Auslastung der Mitarbeiter" erreichen sollen, lasse eine Überprüfung möglicher Überlastungen der Mitarbeiter umso dringender geboten erscheinen, als dass die Führungskräfte selbst nicht über die notwendigen Informationen verfügten, um mögliche Überlastungen der Mitarbeiter zu vermeiden. Ob alle Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes eingehalten werden, sei anhand objektiver Kriterien zu messen. Es gehöre zu den Arbeitgeberpflichten zu verhindern, dass Zielvereinbarungen Gesundheitsgefahren verursachen. Inwieweit die Klägerin ihren Pflichten nachgekommen ist, sei Ziel der Überprüfung. Die Maßnahme sei erforderlich, da eine Überprüfung der Gefährdung der Beschäftigten nicht erst nach Abschluss der Gefährdungsbeurteilung zulässig sei. Durch die Gesamtbetriebsvereinbarung Checkpoint sei weder die zulässige psychische Belastung durch vereinbarte Ziele, noch die Möglichkeit der Wirksamkeitskontrolle verbessert worden. Bei der konkreten Ausgestaltung der Zielvereinbarungen handele es sich um einen Arbeitsprozess zur Festlegung von Steuerungsmaßnahmen, der seinerseits zu psychischen Fehlbelastungen führen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachund Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Gründe

Über die Klage kann im Einverständnis der Beteiligten die Vorsitzende anstelle der Kammer sowie ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§ 87a Abs. 2, 101 Abs. 2 VwGO).

Das Verfahren war einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Im Übrigen hat die Klage keinen Erfolg. Soweit der angefochtene Bescheid nicht aufgehoben worden ist, ist er rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Zu Recht stellt das beklagte Land auf das Arbeitsschutzgesetz ab. Mit der Ordnungsverfügung soll die Einhaltung der Pflichten des Arbeitgebers nach dem Arbeitsschutzgesetz überprüft werden. Die Zielvereinbarungen können zwar Einfluss auf die Arbeitszeitgestaltung haben; es handelt sich aber nicht um Regelungen der Arbeitszeit, deren Einhaltung nach der spezielleren Vorschrift des § 17 ArbZG zu überprüfen wäre (§ 1 Abs. 3 S. 1 ArbSchG).

Die Ordnungsverfügung kann allerdings entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht auf § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG gestützt werden. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber und die verantwortlichen Personen oder die Beschäftigten zu Erfüllung der Pflichten zu treffen haben, die sich aus diesem Gesetz und den aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergeben.

§ 22 ArbSchG regelt die Befugnisse der zuständigen Behörden. Sie haben nach Abs. 1 das Recht auf Erteilung von Auskünften und Überlassung von Unterlagen. § 22 Abs. 2 ArbSchG gibt den mit der Überwachung beauftragten Personen ein Betretungs- und Besichtigungsrecht sowie Prüfungs- und Untersuchungsrechte. § 22 Abs. 3 ArbSchG ermöglicht behördliche Anordnungen. Während die Rechte und Befugnisse nach § 22 Abs. 1 und 2 ArbSchG der Aufklärung dienen, ist Zweck einer auf § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG gestützten Anordnung die Beseitigung aller bevorstehenden oder andauernden Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz und der darauf beruhenden Rechtsverordnungen.

Vgl. Kunz, in: Kollmer/Klindt, Arbeitsschutzgesetz, 2. Aufl., § 22 Rz. 76, m.w.N..

Eine solche Anordnung hat das beklagte Land hier nicht getroffen. Sie begehrt mit ihrer Ordnungsverfügung Auskünfte sowie die Vorlage von Unterlagen. Ziel ist nicht die Beseitigung von möglichen Verstößen der Klägerin gegen das Arbeitsschutzgesetz, sondern zunächst die Aufklärung, ob die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes eingehalten werden. Diese Überprüfung kann in einem zweiten Schritt zur Folge haben, dass die Bezirksregierung als zuständige Behörde Anordnungen gegen die Klägerin erlässt, die dann auf § 22 Abs. 3 S. 1 ArbSchG gestützt werden können.

Bei der Ordnungsverfügung handelt es sich auch nicht um eine so genannte Ermittlungsanordnung, die auf der Grundlage von § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG zulässig ist.

Vgl. Kunz, a.a.O., § 22 Rz. 78.

Mit einer solchen Anordnung wird dem Adressaten aufgegeben, die Maßnahmen zu ermitteln und nachzuweisen, die geeignet und erforderlich sind, den von der Behörde festgestellten Mangel zu beheben bzw. den von der Behörde geforderten Zustand herzustellen. Gegenstand der Ermittlungsanordnung ist keine bestimmte (vollzugsfähige) Maßnahme, sondern nur die Ermittlung von Maßnahmen. Auch eine Ermittlungsanordnung setzt aber bevorstehende oder andauernde Verstöße gegen eine Arbeitsschutzvorschrift voraus, die beseitigt werden sollen. Unzulässig ist eine Ermittlungsanordnung, wenn dadurch erst festgestellt werden soll, ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorliegt, die eine Anordnung rechtfertigen würde.

Vgl. Kunz, a.a.O., § 22 Rz. 78.

So liegt der Fall hier. Die Ordnungsverfügung dient allein der Aufklärung des Sachverhalts. Nur und erst wenn diese Überprüfung Verstöße gegen die Vorgaben des Arbeitsschutzrechts ergeben sollte, kann die Bezirksregierung Anordnungen nach § 22 Abs. 3 ArbSchG erlassen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich aber aus anderen Rechtsgründen, als sie die Bezirksregierung E. angegeben hat, als rechtmäßig. Die mit der Ordnungsverfügung begehrte Erteilung von Auskünften und Überlassung von Unterlagen kann auf § 22 Abs. 1 S. 1 ArbSchG gestützt werden.

In der Berücksichtigung dieser Bestimmung des Arbeitsschutzgesetzes als Rechtsgrundlage für die Ordnungsverfügung liegt keine Umdeutung dieser Maßnahme. Bei der Prüfung gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Verwaltungsgericht alle einschlägigen Rechtsvorschriften und - nach Maßgabe der Sachaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO - alle rechtserheblichen Tatsachen zu berücksichtigen, gleichgültig, ob die Normen und Tatsachen von der erlassenden Behörde zur Begründung des Verwaltungsaktes angeführt worden sind oder nicht.

BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1982 - 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356, 357 m.w.N..

Demgegenüber besteht die Umdeutung in einem verändernden Eingriff in den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes.

BVerwG, Urteil vom 10. Juni 1981 - 8 C 15.81 - BVerwGE 62, 300, 306.

Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Der angefochtene Bescheid bleibt auf die Erteilung von Auskünften und die Vorlage von Unterlagen gerichtet.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 ArbSchG kann die zuständige Behörde vom Arbeitgeber oder von den verantwortlichen Personen die zur Durchführung ihrer Überwachungsaufgabe erforderlichen Auskünfte und die Überlassung von entsprechenden Unterlagen verlangen. Durch diese Befugnis erhält die Arbeitsschutzbehörde die Möglichkeit, durch gezielte Einzelfragen und das Verlangen von Unterlagen arbeitsschutzrechtliche Sachverhalte zu ermitteln. Die Behörde kann von ihrem Recht auf Auskunftserteilung sowie von ihrem Recht auf das Überlassen von Unterlagen nur Gebrauch machen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Überwachungsaufgaben erforderlich ist. Maßstab ist die Zielsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten zu sichern und zu verbessern. Ob eine Maßnahme erforderlich ist, ist am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen. Die Maßnahme muss zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig sein.

Vgl. Kollmer, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung und ergänzende Vorschriften, § 22 ArbSchG, Rz. 6.

Das Auskunftsverlangen setzt keinen bestimmten Verdacht auf einen Gesetzesverstoß voraus.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. November 1987 - 3 C 52/85 - , juris (zur Lebensmittelkontrolle im Supermarkt).

Danach hat die Klägerin der Bezirksregierung die geforderten Informationen zu erteilen und die in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung benannten Zielvereinbarungen zu überlassen.

Die Bezirksregierung ist die zuständige Behörde im Sinne des § 22 Abs. 1 ArbSchG. Sie ist gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Arbeits- und technischen Gefahrenschutzes (Zuständigkeitsverordnung Arbeits- und technischer Gefahrenschutz - ZustVO ArbtG) i.V.m. Anlage 1 zuständig für Verwaltungsaufgaben, die nach dem Arbeitsschutzgesetz durchzuführen sind. Die Klägerin ist als Arbeitgeberin (§ 2 Abs. 3 ArbSchG) die richtige Adressatin. Soweit unter Ziffer 1 der Ordnungsverfügung bestimmte Angaben zu den im Jahr 2015 abgeschlossenen Zielvereinbarungen mitzuteilen sind und unter Ziffer 2 im einzelnen bezeichnete Informationen zu Zielvereinbarungen in einer tabellarischen Aufstellung verlangt werden, macht die Bezirksregierung von ihrem Auskunftsrecht Gebrauch. Bei den nach Ziffer 3 der Ordnungsverfügung vorzulegenden Zielvereinbarungen handelt es sich um Unterlagen im Sinne des § 22 Abs. 1 ArbSchG.

Die von der Bezirksregierung begehrten Auskünfte und Unterlagen dienen auch der Erfüllung ihrer Überwachungsaufgaben. Die Informationen zu den im Jahr 2015 abgeschlossenen Zielvereinbarungen sollen der Behörde die Bewertung ermöglichen, ob die Klägerin ihrer Arbeitsschutzverantwortung nachkommt und die Arbeit entsprechend dem Vorsorgegebot in § 4 Nr. 1 ArbSchG gestaltet.

Nach § 21 Abs. 1 ArbSchG ist die Überwachung des Arbeitsschutzes nach diesem Gesetz staatliche Aufgabe. Die zuständigen Behörden haben die Einhaltung dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu überwachen und die Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer Pflichten zu beraten. Die Überwachung dient vor allem der Feststellung, ob die Arbeitsschutzvorschriften ausreichend beachtet und die Arbeitsschutzpflichten erfüllt werden.

Vgl. Kunz, a.a.O. § 21 ArbSchG, Rz. 2, 5.

Wie sich aus § 22 ArbSchG ergibt, beschränkt sich die Überwachungsaufgabe der Aufsichtsbehörden nicht auf die Beseitigung von Verstößen gegen das Arbeitsschutzgesetz (vgl. § 22 Abs. 3). Die Überwachung besteht vielmehr auch im Sammeln und Auswerten von Informationen darüber, ob die Normadressaten ihre rechtlichen Pflichten erfüllen (vgl. § 22 Abs. 1 und 2).

Nach § 3 Abs. 1 ArbSchG trägt der Arbeitgeber eine umfassende Arbeitsschutzverantwortung. Wichtigste Ausprägung der Gewährleistungspflicht des Arbeitgebers für den Arbeitsschutz ist die in S. 1 geregelte Handlungspflicht. Der Arbeitgeber muss die erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen im Sinne des § 2 Abs. 1 ArbSchG treffen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Dies können sowohl Gefahren durch die Arbeit selbst sein als auch solche, die von der Arbeitsumgebung ausgehen.

Vgl. Wiebauer, in: Landmann/Rohmer, a.a.O., § 3 ArbSchG, Rz. 10.

Vorgaben dazu, wie der Arbeitgeber beim Arbeitsschutz vorzugehen hat, machen unter anderem die in § 4 ArbSchG geregelten Grundsätze. Nach § 4 Nr. 1 ArbSchG hat er die Arbeit so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird.

Beim Arbeitsschutz zu berücksichtigen sind sämtliche Gefährdungen, die mit der Arbeit im unmittelbaren Zusammenhang stehen (vgl. § 5 ArbSchG). Dazu gehören auch psychische Belastungen bei der Arbeit (vgl. §§ 4 Nr. 1, 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG). Dementsprechend sind nach dem allgemeinen Grundsatz in § 4 Nr. 4 ArbSchG bei Arbeitsschutzmaßnahmen nicht nur Technik, soziale Beziehungen und der Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz in den Blick zu nehmen, sondern auch Arbeitsorganisation und sonstige Arbeitsbedingungen. Zu den Arbeitsbedingungen gehören die organisatorische Gestaltung der Arbeitszeit sowie des Arbeitsablaufs und der Arbeitsintensität, aber auch inhaltliche Modalitäten wie etwa Arbeitsaufgabe, Tätigkeitsspielraum und Verantwortung.

Vgl. Wiebauer, a.a.O., § 4 ArbSchG, Rz. 22; Kreizberg, in: Kollmer/Klindt, § 5 Rz. 93.

Danach stellen die im Betrieb der Klägerin auf der Grundlage der GBV PBC mit den Mitarbeitern geschlossenen Zielvereinbarungen Umstände im Sinne des § 3 Abs. 1 ArbSchG dar, die die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit gefährden können und folglich der arbeitsschutzrechtlichen Gewährleistungspflicht der Klägerin als Arbeitgeberin unterfallen.

Die Vereinbarung individueller Arbeitsziele im Betrieb der Klägerin hat einen konkreten Einfluss auf den Arbeitsablauf und den Arbeitsinhalt des jeweiligen Beschäftigten. Die Ziele bestimmen die Anforderungen an den Mitarbeiter. Da sie auf Zielerreichung ausgelegt sind, sind sie geeignet den Anforderungsdruck zu erhöhen. Für die Utilization-Quote gilt das in besonderem Maße. Ferner können die individuellen Geschäftsziele priorisiert werden (vgl. Ziffer 5.2 GBV PBC) und dadurch den Tätigkeitsspielraum einschränken. Das Abstellen auf abrechenbare Zeiten bei der Produktivität des Mitarbeiters erhöht den Termindruck und beeinflusst direkt den Arbeitsinhalt, weil nicht abrechenbare Zeiten vermieden werden. Eine Utilization-Quote kann sich auf die Arbeitszeit auswirken. Als wesentliches Kriterium bei der Beurteilung der Leistung der Mitarbeiter können Zielvereinbarungen ferner Auswirkungen auf die Arbeitsintensität haben und zu einer stärkeren physischen oder psychischen Beanspruchung führen. Bezogen auf die Führungskräfte, denen die Durchführung des PBC-Prozesses obliegt und die die Leistung der Mitarbeiter zu bewerten haben, bestimmen Zielvereinbarungen deren Verantwortungsbereich.

Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch die im Betrieb der Klägerin geschlossenen Zielvereinbarungen kann eine Quelle von Gesundheitsgefährdungen der Mitarbeiter, etwa arbeitsbedingtem Stress sein. Ob die Zielvereinbarungen tatsächlich zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Mitarbeiter führen können und deshalb Arbeitsschutzmaßnahmen erfordern, ist Gegenstand der Überprüfung, nicht Voraussetzung dafür. Auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen und Erkenntnisse der Bezirksregierung ist jedenfalls die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit durch die Zielvereinbarungen gegeben. Allgemein kann Leistungsdruck, wie er etwa durch das Ziel einer produktiven Auslastung des Mitarbeiters von 80 % erzeugt wird, zu Überforderung und Dauerstress führen. Zudem stellen Ziele, die nicht erreicht werden können, eine psychische Belastung dar. Zu gesundheitlichen Gefährdungsfaktoren zählen auch ein hoher Termindruck sowie die Zunahme der Arbeitsintensität und des Anforderungsdrucks.

Vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 9. März 2012 - 13 TaBV 100/10 -, juris, Rz. 39, m.w.N..

Dass es nach Angaben der Klägerin bei ihr keine bekannt gewordenen psychischen Belastungen von Mitarbeitern aufgrund der mit ihnen abgeschlossenen Zielvereinbarungen gibt, steht diesem Befund nicht entgegen. Es muss kein Schaden eingetreten sein, um Arbeitsschutzmaßnahmen auszulösen. Das Arbeitsschutzgesetz geht vielmehr über eine reine Gefahrenabwehr hinaus und setzt mit dem Begriff der Gefährdung bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt an. Während unter Gefahr eine Sachlage definiert wird, die bei ungehindertem Ablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, wird als Gefährdung bereits die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung bezeichnet ohne bestimmte Anforderungen an deren Ausmaß oder Eintrittswahrscheinlichkeit,

BAG, Urteil vom 12. August 2008 - 9 AZR 1117/06- . juris, Rz.20 f..

Die geringe Zahl an Einsprüchen gegen die Leistungsbeurteilungen hat hinsichtlich der möglichen Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten durch die Zielvereinbarungen ebenfalls keine Aussagekraft. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch die im Betrieb der Klägerin geschlossenen Zielvereinbarungen ist objektiv als Quelle von Gesundheitsgefährdungen der Mitarbeiter geeignet. Ob sie zu relevanten psychischen Belastungen führt, kann erst nach einer Überprüfung der Zielvereinbarungen festgestellt werden. Die Entscheidung, gegen eine Beurteilung Einspruch einzulegen oder nicht, wird im Übrigen häufig arbeitsschutzunabhängige Gründe haben.

Unerheblich ist auch, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung PBC seit 2016 von der Gesamtbetriebsvereinbarung Checkpoint abgelöst wurde. Auch wenn das Zielvereinbarungsverfahren in Teilen geändert wurde und insbesondere nunmehr der Betriebsrat auf dessen Verlangen über die vereinbarten Ziele informiert werden muss, bleibt es inhaltlich dabei, dass bestimmte Ziele vereinbart werden und möglichst zu erfüllen sind. Die Zielerreichung fließt nach wie vor in die Bewertung ein.

Die Qualifizierung von Zielvereinbarungen als Instrument der Unternehmenssteuerung und der Mitarbeiterführung ändert nichts daran, dass Zielvereinbarungen auch die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten gestalten. Das zeigt schon der Begriff "Mitarbeiterführung". In der Präambel der Gesamtbetriebsvereinbarung zum PBC Prozess heißt es dementsprechend, dass die individuellen PBC einerseits der Geschäftssteuerung dienen und somit zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Andererseits fördern sie aber auch die Motivation sowie die berufliche Entwicklung und leistungsorientierte Beförderung der Mitarbeiter. Insoweit besteht die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit, was in die Arbeitsschutzverantwortung der Klägerin fällt.

Ziel der Ordnungsverfügung ist die Überprüfung, ob die im Jahr 2015 geschlossenen Zielvereinbarungen die psychische Gesundheit der Beschäftigten gefährden können und die Klägerin ihrer daraus folgenden Arbeitsschutzverantwortung nach §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 1 ArbSchG nachkommt. Zu diesem Zweck fordert das beklagte Land von der Klägerin bestimmte Informationen und Unterlagen an. Entgegen der Auffassung der Klägerin macht die Bezirksregierung in der Ordnungsverfügung weder konkrete Vorgaben dazu, was in einer Zielvereinbarung vereinbart werden kann, noch, welche Regelungen nicht Gegenstand einer Zielvereinbarung sein können. Die mit der Ordnungsverfügung angeforderten Auskünfte und Unterlagen dienen lediglich der Aufklärung im Rahmen der behördlichen Überwachung. Zur Erreichung dieses Ziels sind sie geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig.

Die mit Ziffer 1 be sowie mit Ziffer 2 gj der Ordnungsverfügung begehrten Auskünfte zu den Zielvereinbarungen mit und ohne Utilization-Quote betreffen Veränderung und Erfüllung der Zielvereinbarungen sowie der Vereinbarungen zur Utilization-Quote. Die Zahl der Veränderungen im "Midyear Review" oder zu einem anderen Zeitpunkt lässt Rückschlüsse auf den Anforderungsdruck zu, der durch die vereinbarten Ziele entstehen kann. Die Angabe, wie viele Zielvereinbarungen zu 100 % hinsichtlich der Utilization oder anderer vereinbarter Arbeitsmengen erfüllt wurden, ist ein Indiz für die Arbeitsintensität. Arbeitsinhalt und -organisation gehören zu den Problemfeldern, die Ursachen psychischer Fehlbeanspruchungen sein können.

Wiebauer, a.a.O., § 4 ArbSchG, Rz. 22.

Mit Ziffer 2 cj der Ordnungsverfügung verlangt die Bezirksregierung nähere Auskünfte zum Inhalt der Zielvereinbarungen mit einer Utilization-Quote. Diese Zielvereinbarungen nehmen in besonderem Maße Einfluss auf den Arbeitsinhalt, weil die betroffenen Beschäftigten bei der Arbeitsplanung ihr Hauptaugenmerk auf die abrechenbaren Stunden legen sollen. Die begehrten Informationen zu den Reisezeiten der Mitarbeiter (Ziffer 2 c und d) lassen vor dem Hintergrund, dass Reisezeit in der Regel nicht zu den abrechenbaren Stunden rechnet, Folgerungen auf den bestehenden Anforderungsdruck zu. Die Informationen können auch hinsichtlich der Gestaltung der Arbeitszeit und des Arbeitsablaufs Aussagekraft haben. Hierbei handelt es sich ebenfalls um arbeitsbedingte Faktoren, die Einfluss auf die psychische Gesundheit haben können. Die Angaben zur Höhe der vereinbarten Utilization-Quoten (Ziffer 2 e) liefern Anhaltspunkte zum Leistungsdruck. Soweit die Anzahl der Zielvereinbarungen zur Utilization-Quote anzugeben ist, die einen unbestimmten oder nicht messbaren Begriff wie "möglichst" enthalten, lässt dies Rückschlüsse auf die Arbeitsbelastung der Beschäftigten, aber auch auf deren Tätigkeitsspielraum zu.

Mit der Zusendung von je 20 Zielvereinbarungen aus jedem Arbeitsbereich nach Ziffer 3 der Ordnungsverfügung kann sich die Bezirksregierung ein vollständiges Bild über die in den verschiedenen Arbeitsbereichen geschlossenen Vereinbarungen machen. Ohne Kenntnis des Inhalts der Zielvereinbarungen ist eine zuverlässige Beurteilung der Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten nicht möglich.

Die geforderten Auskünfte und Unterlagen sind danach insgesamt geeignet, um sachgerecht überprüfen zu können, ob mit den Zielvereinbarungen eine Gefährdung der psychischen Gesundheit der Beschäftigten verbunden sein könnte. Die Feststellung einer konkreten Gefahr für die Gesundheit der Mitarbeiter oder gar einer psychischen Fehlbeanspruchung der Mitarbeiter durch den Abschluss von Zielvereinbarungen ist nicht das Ziel der Ordnungsverfügung.

Bedenken gegen die Geeignetheit des Mittels ergeben sich nicht daraus, dass, wie die Klägerin meint, unklar ist, welche Maßnahmen das beklagte Land im Anschluss treffen will. Diese Frage stellt sich erst im nächsten Schritt, wenn es gegebenenfalls um den Erlass von Anordnungen nach § 22 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz geht. Vorliegend geht es nur um die Aufklärung, ob die Klägerin ihrer Arbeitsschutzverantwortung nachkommt, und ob die verlangten Informationen und Unterlagen geeignet sind, diesen Sachverhalt zu erhellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind zulässige Anordnungen der Bezirksregierung im weiteren Verlauf im Rahmen ihrer Überwachungsaufgabe nach § 21 ArbSchG auch nicht ausgeschlossen, weil sie in den Inhalt der Zielvereinbarungen oder der Gesamtbetriebsvereinbarung dazu eingreifen würde. Sollten sich Hinweise auf bevorstehende oder bestehende Verstöße gegen das Arbeitsschutzrecht ergeben, kann der Klägerin beispielsweise aufgegeben werden, die Wirksamkeitskontrolle über die Angemessenheit der Aufgabenübertragung an die Beschäftigten im Rahmen der Zielvereinbarungen zu gewährleisten.

Die Erteilung der Auskünfte und Übersendung der Unterlagen sind auch erforderlich. Es bedarf eines möglichst umfassenden Überblicks über die Ausgestaltung und Umsetzung des Zielvereinbarungsverfahrens, um ein verlässliches Bild über die Beanspruchung der Beschäftigten durch die Zielvereinbarungen zu erhalten. Ein anderes, ebenso geeignetes, aber weniger belastendes Mittel als die Auskunftserteilung ist nicht ersichtlich. Die im Konzern der Klägerin durchgeführte Gefährdungsbeurteilung stellt kein solches Mittel dar. Zwar ist es in erster Linie Sache des Arbeitgebers, dafür zu sorgen, dass seine Arbeitnehmer bei der Arbeit keinen Schaden erleiden (§§ 3-14 ArbSchG). Kernstück des betrieblichen Arbeitsschutzes ist dabei die auf die konkreten Verhältnisse im Betrieb abgestimmte Gefährdungsbeurteilung.

Wiebauer, a.a.O., § 5 ArbSchG, Rz. 1.

Neben die Eigenverantwortung des Arbeitgebers tritt aber die staatliche Arbeitsschutzaufsicht (§ 21 Abs. 1 ArbSchG). Selbst wenn der Arbeitgeber auf der Grundlage von § 5 ArbSchG ermittelt hat, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes in seinem Betrieb erforderlich sind, entbindet das die zuständige Behörde nicht von ihrer Überwachungspflicht. Das Gesetz stellt diese Tätigkeit nicht in das Ermessen der zuständigen Ämter. Diese müssen die arbeitsschutzrechtlichen Sachverhalte selbst ermitteln. Aus denselben Gründen entfällt die Aufsichtspflicht auch nicht durch die Überwachung der Einhaltung der Gesamtbetriebsvereinbarung PBC oder Checkpoint durch den Gesamtbetriebsrat und die lokalen Betriebsräte. In den Mitwirkungs- und Mitbestimmungsprozess zwischen der Klägerin und dem Gesamtbetriebsrat und lokalen Betriebsrat greift die Ordnungsverfügung nicht ein. Inwieweit der Betriebsrat seine Überwachungsaufgabe hinsichtlich der individuellen Zielvereinbarungen wahrnehmen kann, ist im Übrigen zwischen Klägerin und Betriebsrat umstritten. Die Klägerin stellt den Auskunftsanspruch des Betriebsrates zu Zielvereinbarungen grundsätzlich in Frage. Auf die Beschwerde der Klägerin gegen entsprechende Urteile der Landesarbeitsgerichte ist hierzu ein Verfahren beim Bundesarbeitsgericht anhängig (Az. 1 ABR 3/17).

Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne liegt ebenfalls vor. Der für die Klägerin mit der Zusammenstellung und Übersendung der Informationen und Unterlagen in zeitlicher und finanzieller Hinsicht verbundene Aufwand steht nicht außer Verhältnis zur beabsichtigten Aufklärung des der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten dienenden arbeitsschutzrechtlichen Sachverhalts.

Sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Informationsverlangen der Bezirksregierung auch nicht lediglich den Zweck, die ihr obliegende Aufsicht zu erleichtern.

Vgl. Kollmer, a.a.O. § 22 ArbSchG, Rz. 7 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1969 - VII C 166.66.

Ohne die Mitwirkung der Klägerin ist bei den komplexen betriebsinternen Regelungen und Abläufen eine verlässliche Überwachung nicht möglich. Deshalb dient das Verlangen von Auskünften und Unterlagen nicht lediglich der Erleichterung der Aufsicht, sondern ermöglicht sie überhaupt erst.

Die zur Vorlage der Auskünfte und Unterlagen gesetzte Frist von sechs Wochen nach Bestandskraft der Verfügung ist ausreichend bemessen.

Auf das Auskunfts- und Vorlageverweigerungsrecht gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 und 3 ArbSchG hingewiesen worden.

Die Festsetzung einer Verwaltungsgebühr i.H.v. 750 € beruht auf § 2 Abs. 2 GebG NRW i.V.m. § 1 Abs. 1 AVerwGebO NRW, Tarifstelle 1.1.2 c) und ist wegen des hohen Verwaltungsaufwands auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.

Die einheitlich zu treffende Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 S. 1, 162 Abs. 2 S. 1 VwGO. Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, hat das Gericht berücksichtigt, dass die Klägerin die mit Ziffer 2a sowie mit Ziffer 4 begehrten Angaben bereits im Verwaltungsverfahren erteilt hat und das beklagte Land insoweit im Gerichtsverfahren unterlegen wäre. Die Auskünfte zu Ziffer 1 a und Ziffer 2 b wurden hingegen erst in der Klagebegründung bzw. im Erörterungstermin gegeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§§ 124a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO). Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, ob Zielvereinbarungen Umstände im Sinne des § 3 Abs. 1 ArbSchG darstellen, die die Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit gefährden können und folglich der arbeitsschutzrechtlichen Gewährleistungspflicht des Arbeitgebers unterfallen, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Zielvereinbarungen ab und ist damit eine Frage des Einzelfalls.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.