LG Köln, Urteil vom 19.12.2018 - 28 O 201/18
Fundstelle
openJur 2019, 12074
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger ist Rechtsanwalt. Hinsichtlich des Todes eines Polizeibeamten, der am Chlodwigplatz in Köln am Karnevalsfreitag, dem 09.02.2018 von einer Straßenbahn erfasst wurde, meldete sich der Kläger als Zeuge. Zur Aufnahme seiner Zeugenaussage begab sich der Kläger am 10.02.2018 zum Polizeirevier der Bundespolizei am Kölner Hauptbahnhof, da er noch an demselben Tage Köln verlassen wollte, und wurde dort nach seiner Vernehmung festgenommen und wegen Fluchtgefahr und wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in Untersuchungshaft genommen und wenige Tage später am 20.02.2018 wieder freigelassen. Sein Flug nach Montenegro war für den 11.02.2018 geplant. Sowohl die Bahn- als auch die Flugreise hatte der Kläger bereits im Januar geplant. Das Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

In verschiedenen lokalen, aber auch deutschlandweiten Medien wurde umfangreich über diesen tödlichen Vorfall berichtet. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlagen B6 bis B10 Bezug genommen.

Die Beklagte ist verantwortlich für die Internetseite www.anonym.de. Am 12.02.2018 veröffentlichte die Beklagte dort einen Artikel mit der Überschrift "Polizist in Köln auf Gleise gestoßen: Verdächtiger wollte nach Montenegro fliehen". In diesem Artikel heißt es u.a. wie folgt: "Polizist in Köln auf Gleise gestoßen: Verdächtiger wollte nach Montenegro fliehen", "Verdächtiger plante wohl Flucht", "Einem Bericht des ‚Kölner Stadtanzeiger‘ zufolge wollte sich der 44-jährige Tatverdächtige gerade nach Montenegro (dorthin soll er Kontakte besitzen) absetzen, als die Polizei ihn am Flughafen Köln/Bonn festnahm." und "Der mutmaßliche Täter ist von Beruf angeblich Rechtsanwalt, berichtet der ‚Express‘". Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K4 Bezug genommen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.02.2018 forderte der Kläger von der Beklagten erfolglos die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. In der Folge entfernte die Beklagte den streitgegenständlichen Artikel von ihrer Internetseite. Mit anwaltlichem Schreiben vom 26.04.2018 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Abgabe einer Abschlusserklärung und zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für das Abschlussschreiben i.H.v. 1358,86 € auf. Mit E-Mail vom 29.05.2018 forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Abmahnung i.H.v. 597,74 € auf.

Der Kläger behauptet, dass er nicht nach Montenegro fliehen oder sich absetzen habe wollen. Er habe sich vielmehr freiwillig zu seiner Vernehmung am Kölner Hauptbahnhof begeben. Er ist der Meinung, durch die streitgegenständliche Berichterstattung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen zu sein, weil er anhand der in dem Artikel genannten Informationen und der vorangegangenen identifizierenden Berichterstattung in anderen Medien, hinsichtlich deren Einzelheiten auf die Anlagen K10 und K11 sowie K13 Bezug genommen wird, ohne Zweifel für eine Vielzahl von Personen erkennbar gewesen sei, da seine Identität aufgrund einer einfachen Internet-Recherche ermittelt hätte werden können. Ferner ist er der Auffassung, dass sich die Beklagte die Angaben anderer Medien mangels ausdrücklicher Distanzierung zu Eigen gemacht habe und die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung nicht vorlägen. Schließlich ist er der Auffassung, dass ihm die Beklagte vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 1956,60 €, hinsichtlich deren Berechnung auf die Anl. K7 und K8 Bezug genommen wird, zu zahlen habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatzweise für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, wobei die Ordnungshaft insgesamt 2 Jahre nicht übersteigen darf und an ihrem gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, zu unterlassen,

in Bezug auf den Kläger zu behaupten und/oder behaupten zu lassen:

a. "Verdächtiger wollte nach Montenegro fliehen (...)"

b. "(...) Verdächtiger plante wohl Flucht"

c. "(...) wollte sich der 44-jährige Tatverdächtige gerade nach Montenegro (dorthin soll er Kontakte besitzen) absetzen, als die Polizei ihn am Flughafen Köln/Bonn festnahm."

wie am 12.02.2018 auf der Internetseite https://anonym1 in dem Artikel mit der Überschrift "Polizist in Köln auf Gleise gestoßen: Verdächtiger wollte nach Montenegro fliehen" geschehen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1956,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (19.07.2018) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger aufgrund der wenigen im Artikel genannten Umstände mangels Erkennbarkeit keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerungen habe. Auch im Zusammenspiel mit Artikeln anderer Medien sei - so behauptet sie - eine Identifizierung des Klägers aufgrund von dort teilweise enthaltenen Falschinformationen nicht möglich gewesen, unabhängig davon, dass - so meint sie weiter - eine solche Identifizierbarkeit für eine Betroffenheit nicht ausreiche.

Sie ist ferner der Meinung, dass das Verhalten des Klägers, nämlich der Umstand, dass er sich zunächst nur als Zeuge gemeldet und einen möglichen Tatbeitrag nicht preisgegeben habe, seine Inhaftierung wegen Fluchtgefahr, seine Kontakte nach Montenegro und seine geplante Reise dorthin am nächsten Tag zum Zeitpunkt der Berichterstattung darauf hingedeutet hätten, dass der Kläger die Absicht gehabt habe, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Vor diesem Hintergrund, dem hohen öffentlichen Informationsinteresse an dem tödlichen Zwischenfall und in Anbetracht des Umstands, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Berichterstattung als Rechtsanwalt Beschuldigter eines vorsätzlichen Tötungsdelikts gewesen sei, habe sie in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, so dass der Kläger die Beweislast für die Unwahrheit der Äußerungen trage. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sie sich ausreichend von den Berichterstattungen anderer Medien distanziert und den gegen den Kläger bestehenden Verdacht als solchen und nicht als feststehend dargestellt habe. Schließlich meint sie, dass aufgrund der zuvor genannten Umstände die Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung hinsichtlich des Verdachts einer geplanten Flucht vorgelegen hätten. Der Umstand, dass sie dem Kläger keine Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben habe, sei dadurch gerechtfertigt gewesen, dass sich der Kläger in Untersuchungshaft befunden habe, andere Kontaktmöglichkeiten nicht bekannt gewesen seien und eine hohes öffentliches Informationsinteresse bestanden habe. Der unstreitig unzutreffende Umstand, dass der Kläger nicht am Flughafen, sondern am Bahnhof verhaftet worden sei, sei aufgrund der - unstreitigen - Reisepläne des Klägers persönlichkeitsrechtlich unerheblich. Schließlich komme eine Erstattung der begehrten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wegen des Abschlussschreibens bereits deshalb nicht in Betracht, da sie vor der Zusendung desselben bereits den Antrag nach § 926 Abs. 1 ZPO gestellt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat mangels Erkennbarkeit gegen die Beklagte keinen Unterlassungsanspruch hinsichtlich der streitgegenständlichen Äußerungen gemäß den §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Erkennbarkeit des Betroffenen zu bejahen, wenn er auf Grund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar wird. Hierfür ist die Nennung des Namens, auch in abgekürzter Form, nicht unbedingt erforderlich; es kann bereits die Übermittlung von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt (vgl. BGH, Urt. v. 21.6.2005 - VI ZR 122/04, juris; OLG Köln, Urt. v. 14.06.2018 - 15 U 157/17; OLG Dresden, Urt. v. 5.9.2017 - 4 U 682/17). Dafür kann unter Umständen die Schilderung von Einzelheiten aus dem Lebenslauf des Betroffenen oder die Nennung seines Wohnortes und seiner Berufstätigkeit ausreichen (vgl. OLG Dresden, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; Burkhardt in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Auflage 2018, Kapitel 12, Rn. 43). Hinsichtlich der Erkennbarkeit wird nicht auf den Durchschnittsrezipienten abgestellt, sondern es kann auch die Erkennbarkeit im Bekanntenkreis ausreichen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Köln, Urt. v. 05.06.2012 - 15 U 15/12; OLG Hamburg NJW-RR 1993, 923). Grundrechte können nicht nur dann betroffen sein, wenn eine persönlichkeitsverletzende Äußerung eine Verbreitung in einem großen Kreis von Dritten erfährt, sondern auch dann, wenn sie an solche Leser gerät, die auf Grund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, den Betroffenen zu identifizieren. Gerade für Leser mit Einblick in das berufliche oder persönliche Umfeld des Betroffenen sind die Information in ihrem persönlichkeitsverletzenden Teil aussagekräftig und in der Folge für die in Bezug genommene Person besonders nachteilig (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.07.2004 - 1 BvR 263/03).

Die nach den vorstehenden Grundsätzen erforderliche Übermittlung von Teilinformationen durch den Beitrag ist nicht schon dann gegeben, wenn der interessierte Leser auf Basis dieser Teilinformationen erst eine Internetrecherche vornehmen muss, um damit den Kläger zu identifizieren. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich nach herrschender Meinung die Umstände, die zur Identifizierung und damit Erkennbarkeit des Betroffenen führen, aus dem in Rede stehenden Artikel selbst ergeben müssen; es reicht gerade nicht aus, wenn ein interessierter Leser die Identität durch eigene Recherchen ermittelt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 14.06.2018 - 15 U 157/17; BVerfG, Beschl. v. 13.06.2007 - 1 BvR 1783/05; LG Düsseldorf AfP 2000, 470; Burkhardt, a.a.O.). In diesem Zusammenhang kommt der Gedanke zum Tragen, dass die kollidierenden Grundrechte einem angemessenen Ausgleich zugeführt werden müssen. Eingedenk des Umstands, dass in der heutigen Zeit durch den Einsatz von Internetsuchmaschinen quasi grenzenlose Recherchen möglich sind, die gegebenenfalls auch mit nur sporadischen Anknüpfungspunkten zu einem "Treffer" führen, kann die Übermittlung allein solcher Anknüpfungspunkte in der jeweils angegriffenen Berichterstattung für die Erkennbarkeit noch nicht ausreichen. Denn die Möglichkeiten einer von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten (auch kritischen) Berichterstattung würden letztlich unzumutbar erschwert, wenn Presseorgane bei der Abfassung eines Beitrags jede per Internet zu recherchierende Erkennbarkeit auf die betreffenden Personen zu prüfen bzw. gegebenenfalls zu vermeiden hätten (vgl. OLG Köln, a.a.O.; Burkhardt, a.a.O.). Denn die Konsequenz der Annahme, dass eine - erfolgreiche - Internetrecherche anhand von Teilinformationen, die für sich betrachtet nicht für eine Identifizierbarkeit genügten, für die Erkennbarkeit des jeweils Betroffenen ausreicht, wäre, dass ein Presseorgan, das sich um eine hinreichende Anonymisierung des Betroffenen bemüht hätte, möglicherweise allein deshalb haften würde, weil ein anderes Presseorgan eine Identifizierbarkeit des Betroffenen herbeigeführt hat. Eine solche "Mithaftung" erscheint jedoch im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 GG äußerst bedenklich.

Vor diesem Hintergrund ist der Kläger nicht erkennbar, da über den Beschuldigten in dem streitgegenständlichen Artikel lediglich berichtet wird, er sei 44 Jahre alt, er sei angeblich Rechtsanwalt und er solle Kontakte nach Montenegro haben. Diese zum Teil nicht als feststehend behaupteten Merkmale reichen nach Auffassung der Kammer nicht für eine Erkennbarkeit des Klägers aus, da in dem Artikel weder mitgeteilt wird, dass der Beschuldigte Rechtsanwalt in Montenegro ist, noch berichtet wird, dass der Beschuldigte berufliche Kontakte nach Montenegro haben soll. Folglich wäre eine Erkennbarkeit des Klägers nur dann gegeben, wenn es lediglich einen 44jährigen deutschen Staatsangehörigen gäbe, der Rechtsanwalt ist und private oder berufliche Kontakte nach Montenegro hat. Dies ist jedoch weder ersichtlich noch seitens des Klägers vorgetragen worden. Da der Kläger zudem nicht vorgetragen hat, allein anhand der im Artikel der Beklagten genannten Merkmale erkannt worden zu sein, liegt eine Betroffenheit des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers nicht vor.

2.

Aus den unter Ziffer 1. genannten Gründen hat der Kläger gegen die Beklagte auch keinen Schadenersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.H.v. insgesamt 1956,60 €.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91,709 ZPO.

Streitwert: 20.000,- €

Rechtsbehelfsbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,

1. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder

2. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Landgericht zugelassen worden ist.

Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils (Datum des Urteils, Geschäftsnummer und Parteien) gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.

Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht Köln zu begründen.

Die Parteien müssen sich vor dem Oberlandesgericht Köln durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.

Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.

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