LG Köln, Urteil vom 22.03.2016 - 21 O 226/15
Fundstelle
openJur 2019, 10896
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Parteien schlossen am 29.07.2007 einen Darlehensvertrag über eine Darlehenssumme in Höhe von 103.000,00 € (Blatt 5 ff. der Akte).

Der Darlehensvertrag enthielt eine Widerrufsbelehrung, in der es unter anderem hieß:

"Widerrufsrecht

Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung."

Zuvor hatte die Klägerin bei der Beklagten einen Bausparvertrag geschlossen. Auf Antrag der Klägerin vom 01.08.2007 (Anlage B 1) bildete die Beklagte aus diesem Bausparvertrag einen Restbausparvertrag in Höhe von 6.000,00 €, der gleichzeitig auf eine Bausparsumme von 103.000,00 € erhöht wurde. Für den Abschluss des Bausparvertrages bzw. für dessen Erhöhung berechnete sie gemäß § 1 Abs. 2 der dem Vertrag zugrunde gelegten Allgemeinen Bausparbedingungen (ABB) eine Abschlussgebühr in Höhe von 1 % der Bausparsumme, mithin 860,00 € (vgl. Anlage B 1). Der Betrag wurde 2007 eingezogen.

Im Jahre 2014 beabsichtigte die Klägerin, die finanzierte Immobilie zu veräußern. Auf ihre Anfrage berechnete die Beklagte mit Schreiben vom 25.02.2014 ein Aufhebungsentgelt in Höhe von 16.732,10 €. Die Klägerin zahlte diesen Betrag im April 2014 und löste das Darlehen ab. Im Anschluss gab die Beklagte die gestellten Sicherheiten frei.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 10.12.2014 ließ die Klägerin den Widerruf des streitgegenständlichen Darlehensvertrages erklären und das gezahlte Aufhebungsentgelt und die Bearbeitungsgebühr für die Erhöhung der Bausparsumme zurückfordern, was die Beklagte ablehnte.

Die Klägerin meint, die streitgegenständliche Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft, weil sie die Formulierung "frühestens" enthalte, die den Darlehensnehmer über den Fristbeginn im Unklaren lasse. Mit dem Widerruf des Darlehensvertrages falle die Rechtsgrundlage für die von der Beklagten vereinnahmte Bearbeitungsgebühr weg. Dass zwischen Darlehensrückabwicklung und -widerruf acht Monate Zeit vergangen seien, könne der Beklagten nicht zum Vorteil gereichen. Die Klägerin behauptet, sie sei aufgrund des Verkaufs darauf angewiesen gewesen, dass die Beklagte die vorzeitige Rückzahlung billige. Wenn sich die Abwicklung des Kaufvertrages verzögert hätte oder sie gar gescheitert wäre, hätte sich die Klägerin Schadenersatzansprüchen der Käufer ausgesetzt gesehen. Zudem sei die Klägerin bei Vornahme der von ihr geleisteten Zahlungen davon ausgegangen, zur Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet gewesen zu sein.

Die Klägerin behauptet ferner, sie habe aufgrund ihres Umzuges nach Verkauf der finanzierten Immobilie zunächst ihre Angelegenheiten ordnen müssen. Nachdem sie in der Presse von der Kritik der Gerichte an den praktizierten Vorfälligkeitsentschädigungen erfahren habe, habe sie ihre Bevollmächtigten gebeten, ihren Fall einmal zu überprüfen. Nachdem sie umzugsbedingt die entsprechenden Vertragsunterlagen nicht habe finden können, hätten ihre Bevollmächtigten mit Schreiben vom 10.11.2014 selbige bei der Beklagten anfordern müssten.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 17.592,10 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klägerin könne die Vorfälligkeitsentschädigung und die Bearbeitungsgebühr - die im Übrigen AGB-rechtlich zulässig sei - bereits deshalb nicht mehr zurückfordern, weil die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung getroffen und sich damit über die Beendigung des Darlehensvertrages geeinigt hätten. Jedenfalls aber sei die verwendete Widerrufsbelehrung wirksam, weil sie der Musterwiderrufserklärung gemäß Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV a.F. entspreche. Schließlich sei die Ausübung des Widerrufsrechts missbräuchlich. Etwaige Rückzahlungsansprüche der Klägerin seien aufgrund der erfolgten Darlehensablösung verwirkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche auf Rückzahlung der Klageforderung zu, insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

I.

Ob die von der Beklagten erteilte Widerrufsbelehrung fehlerhaft war oder diese sich auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsbelehrung in Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoV in der zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses gültigen Fassung berufen kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn ein etwaig noch bestehendes Widerrufsrecht wäre jedenfalls verwirkt.

1.

Verwirkung setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre (Zeitmoment), der Gegner sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (Umstandsmoment), und die verspätete Geltendmachung daher gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt. Die erforderliche Zeitdauer, die seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechts verstrichen sein muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 242 Rn 93 m. w. N.). Zu berücksichtigen sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Intensität des von dem Berechtigten geschaffenen Vertrauenstatbestandes und das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten. Ein Verhalten des Berechtigten, das einem konkludenten Verzicht nahekommt, mindert die erforderliche Zeitdauer. Die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten wird wesentlich bestimmt durch den Umfang seiner Vertrauenssituation und seinen Informationsstand (ständige Rspr., so auch OLG Köln, Urteil vom 25.01.2012, Aktenzeichen 13 U 30/11).

2.

Nach diesen Vorgaben sieht die Kammer das Zeitmoment in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin mehr als 7 Jahre hat verstreichen lassen, bevor sie mit Schreiben vom 10.12.2004 den Widerruf des Darlehensvertrages erklären ließ, als erfüllt an. Insbesondere kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die Klägerin von dem trotz Fristablauf tatsächlich - d.h. aus rechtlichen Gründen - fortbestehenden Widerrufsrecht Kenntnis hatte (Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Auflage 2015, § 242, Rn. 94). Das ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn es - wie hier - nicht um eine (vollständig) fehlende, sondern nur um eine nicht ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung geht (OLG Köln, a.a.O.).

3.

Angesichts der vollständigen, beiderseitigen Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Darlehensvertrag ist die Kammer der Auffassung, dass auch das Umstandsmoment erfüllt ist.

a)

Denn die Klägerin hat ohne jeden Vorbehalt bereits am im April 2014 das streitgegenständliche Darlehen vollständig abgelöst und die von der Beklagten geforderte Vorfälligkeitsentschädigung gezahlt. Ein solches Verhalten konnte die Beklagte bei verständiger Würdigung nur so verstehen, dass die Klägerin ihr Widerrufsrecht nicht mehr geltend machen werde. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Darlehensnehmer nach vorbehaltloser Rückabwicklung eines Darlehensvertrages erst acht Monate später den Widerruf erklärt. Selbst zugunsten der Klägerin unterstellt, dass der Darlehensnehmer den Widerruf - trotz und nach zuvor erfolgter vorbehaltloser Ablösung des Darlehens - innerhalb einer "Bedenkzeit" weiterhin erklären könnte, ohne sich den Einwand der Verwirkung entgegenhalten lassen zu müssen, wäre eine solche Bedenkzeit jedenfalls nach mehr als acht Monaten längst abgelaufen.

b)

An dieser Beurteilung ändert es nichts, dass die Klägerin das Darlehen ablöste, weil sie ihre Immobilie verkaufen wollte und daher auf die Freigabe der Sicherheiten angewiesen war. Zum einen trägt sie schon nicht substantiiert vor, dass die Beklagte überhaupt vom beabsichtigten Immobilienverkauf wusste; hinsichtlich der Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten ist aber - wie dargestellt - maßgeblich auf dessen Vertrauenssituation und Informationsstand abzustellen. Zum anderen hat die Klägerin - wie ebenfalls dargestellt - die Vorfälligkeitsentschädigung vorbehaltlos gezahlt; hätte sie sich in einer Zwangssituation gesehen und das Vertrauen der Beklagten auf das Behaltendürfen der geleisteten Zahlung beseitigen wollen, hätte es nahegelegen, dass sie diese Zahlung unter Vorbehalt leistet.

c)

Der Vortrag der Klägerin, sie habe nach dem Umzug zunächst ihre Angelegenheiten ordnen müssen und ihre Bevollmächtigten hätten bereits am 10.11.2014 die Vertragsunterlagen bei der Beklagten angefordert, ist unerheblich. Wieso die Beklagte von dem Erfordernis für die Klägerin, ihre Angelegenheiten ordnen zu müssen, hätte wissen können und inwieweit dieser Umstand Einfluss auf den bei ihr geschaffenen Vertrauenstatbestand haben sollte, ist nicht ersichtlich. Soweit die klägerischen Bevollmächtigten bereits am 10.11.2014 Unterlagen zum Darlehensvertrag angefordert haben, ist ebenfalls zweifelhaft, ob dies überhaupt geeinigt wäre, das auf Beklagtenseite geschaffene Vertrauen zu beseitigen. Dies kann aber dahin stehen, da die Beklagte jedenfalls auch bereits am 10.11.2014 nach den dargestellten Grundsätzen darauf vertrauen durfte, dass die Klägerin den Darlehensvertrag nicht mehr widerrufen werde.

II.

Die Klägerin kann die Bearbeitungsgebühr für die Erhöhung des Bausparvertrages auch nicht deshalb zurückfordern, weil diese AGB-rechtlich unzulässig ist. Denn nach der grundlegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 07.12.2010, Aktenzeichen XI ZR 3/10) halten Bearbeitungsgebühren bei Bausparverträgen der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen den §§ 91, 709 Satz 1 und 2 ZPO.

IV.

Der Streitwert beträgt 17.592,10 €.