OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2017 - 20 U 68/16
Fundstelle
openJur 2019, 10746
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 O 261/15
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 25.02.2016 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung des Fortbestehens ihres Krankenversicherungsvertrages, nachdem der Beklagte den Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung angefochten und den Rücktritt erklärt hat.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz sowie wegen der vor dem Landgericht gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, weil die Klägerin ihre stationären und ambulanten Behandlungen nicht arglistig verschwiegen habe und weil sie nicht gem. § 19 Abs. 5 Satz 1 VVG auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen worden sei. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe.

Die Berufung des Beklagten wendet sich gegen die Verneinung der Arglist.

Er bestreitet, dass die Klägerin den Hintergrund der verschwiegenen stationären Behandlung nicht als Krankheit, sondern nur als Folge ihrer Beziehungsprobleme eingeordnet habe.

Die Klägerin habe sich im März 2011 aufgrund diverser Beschwerden in stationäre Behandlung begeben und so offenbar selber akuten Behandlungsbedarf gesehen, der über drei Wochen angedauert habe. Der Klägerin sei auch von einem Arzt mitgeteilt worden, dass danach noch ambulanter Behandlungsbedarf wegen einer psychischen Störung mit Krankheitswert bestand.

Wegen der stationären und ambulanten Behandlung sei widerlegt, dass die Klägerin die nicht angezeigten Behandlungen nur als Ausdruck des nicht erfüllten Kinderwunsches angesehen habe - dies zumal angesichts von damaliger Krankschreibung und Erstattung der Kosten durch Krankenversicherer und Beihilfe.

Der Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des angefochenen Urteils abzuweisen;

hilfsweise,

den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Paderborn zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Klägerin habe nicht arglistig gehandelt, weil sie die nicht angezeigten Behandlungen nur als Ausfluss ihrer Beziehungsprobleme eingeordnet habe. Kenntnis von einer depressiven Störung habe sie nie gehabt.

Der Senat hat die Klägerin im Termin am 13.01.2017 persönlich angehört

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Die auf Feststellung des Fortbestand des Krankenversicherungsvertrages gerichtete Klage ist abzuweisen, weil der Vertrag mit der Anfechtung des Beklagten rückwirkend unwirksam geworden ist.

Der Versicherer kann den Versicherungsvertrag gem. §§ 22 VVG, 123 Abs. 1 BGB anfechten, wenn er durch arglistige Täuschung zur Abgabe seiner Vertragserklärung bestimmt worden ist.

Eine arglistige Täuschung setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss mit jedenfalls bedingtem Vorsatz unrichtige Angaben gemacht und auch billigend in Kauf genommen hat, dass diese Angaben Einfluss auf die Entscheidung des Versicherers haben, und dass der Versicherer den Versicherungsantrag aufgrund dieser Täuschung angenommen hat (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG 29. Aufl. 2015, § 22, Rn. 7; OLG Hamm, Beschluss vom 10. November 2015 - I-20 U 165/15 -, Rn. 20, juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. November 2012 - 5 U 343/10, 5 U 343/10 - 55 -, Rn. 54, juris).

1.

Die Klägerin hat bei Antragstellung nicht nur die ambulante Psychotherapie verschwiegen, sondern auch die Frage nach stationären Behandlungen in den letzten fünf Jahren verneint.

Dabei räumt die Klägerin ein, dass ihr die Frage nach einem stationären Aufenthalt im Antragsgespräch gestellt worden ist.

Unstreitig hatte sich die Klägerin im Zeitraum vom 13.03. bis zum 06.04.2011 stationär in der X in Y stationär behandeln lassen.

Die Klägerin stellt insofern nicht in Abrede, dass ihr dieser stationäre Aufenthalt im Antragsgespräch am 06.03.2014 bewusst war. Sie hat dazu im Senatstermin ausgeführt, sie habe schon bei den ersten Gesundheitsfragen nach Behandlungen in den letzten drei Jahren für sich überlegt, dass im Jahr 2011 das Nuklearunglück in Fukushima passiert sei, zu dem sie die Berichterstattung im Krankenhaus verfolgt habe. Damit war der Klägerin im Antragsgespräch präsent, dass sie sich stationär hatte behandeln lassen.

Der stationäre Aufenthalt fiel auch in den von der Klägerin erfragten Zeitraum. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Vermittler der Beklagten wie im Antragsformular nach einem Zeitraum von fünf Jahren gefragt hatte oder - wie die Klägerin behauptet - nach einem Zeitraum von drei Jahren. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.03.2014 lag der Klinikaufenthalt vom 13.03. bis 06.04.2011 noch keine drei Jahre zurück.

Dies war der Klägerin auch bewusst.

Zwar hat sie in ihrer Anhörung vor dem Senat unter anderem auch erklärt, sie sei im Zusammenhang mit den ersten Antragsfragen davon ausgegangen, dass sich das Unglück in Fukushima Anfang des Jahres 2011 ereignet habe und sie habe deshalb möglicherweise auch den Klinikaufenthalt zeitlich falsch eingeordnet.

Der Senat hält es indes für erwiesen, dass der Klägerin im Antragsgespräch bewusst war (zumindest) innerhalb der letzten drei Jahre stationär behandelt worden zu sein. Dies hat die Klägerin vorprozessual und schriftsätzlich nie in Abrede gestellt, sondern die Verneinung der entsprechenden Antragsfrage stets nur damit begründet, dass sie die Krankenhausbehandlung allein mit ihrer Ehe und nicht mit einer Erkrankung in Verbindung gebracht habe. Auch vor dem Senat hat die Klägerin darauf verwiesen und zunächst erklärt, sie habe sich im Hinblick auf den Klinikaufenthalt nicht verrechnet. Erst auf Vorhalt hat sie eine unzutreffende zeitliche Einordnung des Klinikaufenthaltes für möglich gehalten und dazu verschiedene, teils widersprüchliche Angaben gemacht. Jedenfalls habe sie aber die Behandlung in der X deshalb nicht angegeben, weil sie diese wegen der zugrundeliegenden Eheprobleme für bedeutungslos gehalten habe.

Der Senat wertet diese Einlassung insgesamt dahin, dass der Klägerin die stationäre Behandlung im abgefragten Zeitraum bei Beantwortung der Antragsfragen zumindest im Sinne eines bedingten Vorsatzes bewusst war.

Im Ergebnis lässt sich so feststellen, dass die Klägerin mit dem Versicherungsantrag bewusst unrichtige Angaben zu ihrem Gesundheitszustand gemacht hat.

2.

Das Verschweigen des stationären Aufenthaltes war auch arglistig.

Die arglistige Täuschung setzt kein betrügerisches Handeln voraus. Es genügt, wenn der Anfechtungsgegner mit seiner Täuschung die Willensentschließung seines Verhandlungspartners - jedenfalls bedingt vorsätzlich - beeinflussen wollte. Dies ist anzunehmen, wenn sich der Versicherungsnehmer bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er die Wahrheit sage (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG 29. Aufl. 2015, § 22, Rn. 7; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 14. November 2012 - 5 U 343/10, 5 U 343/10 - 55 -, Rn. 63, juris; OLG Hamm, Urteil vom 17. August 2007 - 20 U 26/07 -, Rn. 50, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. September 2014 - I-4 U 41/13, 4 U 41/13 -, Rn. 49, juris).

Den ihm nach § 123 BGB obliegenden Beweis von Arglist als innerer Tatsache kann der Versicherer regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien führen (OLG Hamm, Beschluss vom 13. November 2015 - 20 U 191/15 -, Rn. 7, juris).

Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand etwa aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien (OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. September 2014 - I-4 U 41/13, 4 U 41/13 -, Rn. 50, juris).

Liegen aber objektiv falsche Angaben vor, so trifft den Versicherungsnehmer nach ständiger Rechtsprechung eine sekundäre Darlegungslast; er muss plausibel darlegen, wie und weshalb es zu den objektiv falschen Angaben gekommen ist (BGH, Beschluss vom 07. November 2007 - IV ZR 103/06 -, Rn. 1, juris, m.w.N.; OLG Hamm, Beschluss vom 13. November 2015 - 20 U 191/15 -, Rn. 7, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 09. Januar 2012 - 3 U 86/11 -, Rn. 12, juris).

Eine solche plausible Erklärung für das Verschweigen der dreiwöchigen Krankenhausbehandlung hat die Klägerin nicht gegeben.

Die Klägerin, die von Beruf Gymnasiallehrerin ist, hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat angegeben, sie habe die Ursachen der stationären Behandlung allein in ihrer Ehe und dem unerfüllten Kinderwunsch gesehen, weshalb sie gar nicht auf den Gedanken gekommen sei, die Frage nach einem stationären Aufenthalt zu bejahen.

Bei Antragstellung ist die Klägerin indes unstreitig lediglich danach gefragt worden, ob überhaupt eine stationäre Behandlung erfolgt war, ohne dass danach differenziert wurde, ob eine bestimmte Erkrankung zugrunde lag. Es ist so schon nicht plausibel, dass die Klägerin den auf den Eheproblemen beruhenden Krankenhausaufenthalt nicht als mitteilungspflichtig erkannte.

Die Klägerin hat auch nicht erklärt, weshalb die stationäre Behandlung wegen der aus den Eheproblemen resultierenden Belastungen aus ihrer Sicht für den Versicherer bedeutungslos gewesen sein sollte.

Sie hat dazu auf entsprechenden Vorhalt erklärt, sie habe seinerzeit den stationären Aufenthalt über die Beihilfe und den Vorversicherer abgerechnet und sich für die Dauer auch krankschreiben lassen. Der Klägerin war damit bei Antragstellung bewusst, dass der stationäre Aufenthalt ebenso wie bei einer organischen Erkrankung Erstattungspflichten für den privaten Krankenversicherer auslöst. Weshalb sie dennoch meinte, die Behandlung sei für den Beklagten ohne Bedeutung, erschließt sich nicht.

Die Klägerin hat insofern auch nicht geltend gemacht, dass sie davon ausging, sie werde nie wieder in eine vergleichbare Lage kommen, die einen stationären Aufenthalt wie im Jahr 2011 erforderlich machen könnte.

Zwar hat die Klägerin darauf verwiesen, dass sie die seinerzeit aufgrund des unerfüllten Kinderwunsches aufgetretenen Eheprobleme mit ihrem Mann habe bewältigen können, zumal im Februar 2014 ihr Sohn zur Welt gekommen war. Daraus hat die Klägerin aber nicht den Schluss gezogen, dass sie nie wieder unter Eheproblemen oder ähnlichen Belastungen leiden werde, die entsprechende Behandlungen wie im März 2011 nach sich ziehen könnten.

Maßgeblich für die Annahme der Arglist ist zudem, dass der Versicherungsnehmer das für die Vertragsannahme relevante Interesse des Versicherers an der zutreffenden Beantwortung der Antragsfragen erkennt. Dem Versicherungsnehmer steht es in diesem Zusammenhang aber nicht zu, seiner Risikoeinschätzung Vorrang zu geben vor der Risikoprüfung des Versicherers und ihm so Informationen vorzuenthalten, die er für belanglos hält. Tut er dies dennoch, so macht er deutlich, dass er die Entscheidung des Versicherers in die von ihm als richtig angesehene Richtung lenken will. Dies genügt für die Annahme von Arglist.

So liegt der Fall hier: Indem die Klägerin den stationären Aufenthalt nicht mitteilte, weil sie ihn für den Beklagten für bedeutungslos hielt, umging sie eine entsprechende Risikoprüfung des Versicherers, obwohl ihr bewusst war, dass er auch danach gefragt hatte.

Vor diesem Hintergrund ist die Arglist der Klägerin auch nicht damit widerlegt, dass sie mit dem Krankenversicherungsvertrag beim Beklagten keine Besserstellung gegenüber dem Vorversicherer anstrebte. Eine Bereicherungsabsicht ist nicht Voraussetzung für den Nachweis der Arglist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 29. Juli 2014 - 12 U 159/13 -, Rn. 31, juris).

Ebenso wenig kommt der Klägerin zugute, dass sie im Antragsgespräch davon ausging, der Beklagte werde gegebenenfalls alle Informationen zu ihrem Gesundheitszustand erlangen können. Darauf kommt es für die Feststellung der Arglist nicht an, sondern nur darauf, ob der Versicherungsnehmer zumindest bedingt vorsätzlich davon ausging, der Versicherer werde den Antrag möglicherweise nicht so annehmen, wenn er uneingeschränkt die Wahrheit sage.

Davon ist angesichts der bewusst unrichtigen Beantwortung der Antragsfrage zu stationären Aufenthalten auszugehen, weil die Klägerin das Verschweigen des Krankenhausaufenthaltes nicht plausibel erklärt hat.

3.

Der Beklagte ist mit der arglistigen Täuschung zur uneingeschränkten Annahme des Versicherungsantrags i. S. d. § 123 Abs. 1 BGB bestimmt worden. Er hat unwidersprochen vorgetragen, dass er den Antrag im Hinblick auf die Klägerin abgelehnt hätte, wenn er von den ambulanten und stationären Behandlungen der Klägerin wegen ihrer psychischen Probleme erfahren hätte. Das Verschweigen des Krankenhausaufenthaltes war damit zumindest mitursächlich für die Vertragsentscheidung des Beklagten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.