ArbG Hamm, Beschluss vom 28.06.2016 - 1 SHa 8/16
Fundstelle
openJur 2019, 10066
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 AR 7/16
Tenor

Auf die Beschwerde des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09.05.2016 wird dem Arbeitsgericht Bocholt unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 20.04.2016 - 3 AR 7/16 - aufgegeben, im Wege der Rechtshilfe die im Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14.04.2016 - 5 Ca 1181/15 - mit den laufenden Nummern 1 bis 4, 6 bis 14 sowie 16 bis 18 zu den im Beweisbeschluss bezeichneten Tatsachen zu vernehmen.

Gründe

I. Das Arbeitsgericht Wiesbaden wendet sich mit seiner Beschwerde vom 09.05.2016 dagegen, dass es das Arbeitsgericht Bocholt mit Schreiben vom 20.04.2016 (3 AR 7/16) abgelehnt hat, im Wege der Rechtshilfe die im Beweisbeschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 14.04.2016 - 5 Ca 1181/15 - benannten Zeugen zu den im Beweisbeschluss bezeichneten Tatsachen zu vernehmen.

Im Ausgangsverfahren vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden zum Aktenzeichen 5 Ca 1181/15 fordert der dort klagende Verein von der Beklagten 64.652,44 € an Beiträgen für gewerbliche Arbeitnehmer für die Monate Dezember 2010 bis Dezember 2013. In Erfüllung einer gerichtlichen Auflage vom 13.10.2015 hat der klagende Verein unter Benennung von 18 Zeugen - streitig - vorgetragen, die gewerblichen Arbeitnehmer der Beklagten nähmen zu mehr als 50 % ihrer persönlichen Arbeitszeit baugewerbliche Tätigkeiten im Sinne eines einschlägigen Tarifvertrages wahr. Am Schluss der mündlichen Kammersitzung vom 14.04.2016 hat das Arbeitsgericht Wiesbaden folgenden Beschluss verkündet:

Beweisbeschluss:

I.

Es soll Beweis erhoben werden über die Behauptung, jeder der nachbenannten Zeugen habe während seiner Tätigkeit für die Beklagte in den Kalenderjahren 2010 - 2013 in jedem der vorbezeichneten Kalenderjahr zu mehr als der Hälfte seiner persönlichen Arbeitszeit folgende Arbeiten ausgeführt:

- Abbrucharbeiten, d. h. Abbruch von Gebäuden und Gebäudeteilen,

- Tiefbauarbeiten,

- Rohrleitungsarbeiten,

- Aushub von Baugruben, Verfüllen und Verdichten von Baugruben,

- Pflasterarbeiten, d. h. wie Verlegung von Betonsteinpflaster, incl. aller Vor- und Nacharbeiten wie Aushub, Schotter einbauen, Verdichten, Planum herstellen, Verlegung, Entsandung.

Der Beschluss enthält ferner die namentliche Benennung von 18 Zeugen unter Angabe der konkreten Beschäftigungsdaten. Ferner hat das Arbeitsgericht Wiesbaden unter III. des Beschlusses die für die Ladungsanschriften der Zeugen zuständigen Arbeitsgerichte - und damit auch das Arbeitsgericht Bocholt - im Wege der Rechtshilfe um Vernehmung der Zeugen ersucht.

Das Arbeitsgericht Bocholt hat mit Schreiben vom 20.04.2016 folgendes mitgeteilt:

"Der Vorsitzende sieht sich angesichts des Akteninhalts nicht in der Lage, durch qualifizierte Rückfrage zu einzelnen Tagen, Wochen oder Monaten oder Baustellen zu hinterfragen, woher Zeugen eine prozentuale Wertung ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten herleiten. Es kann daher auch nicht beurteilt werden, ob Nachfragen anwesender Parteivertreter zuzulassen sind oder nicht. Ein Fragerecht kann aber nicht generell versagt werden.

In diesem Stadium wird die Rechtshilfe abgelehnt."

Dagegen richtet sich der als Beschwerde bezeichnete Rechtsbehelf des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 09.05.2016, den das Arbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Bescheid sei rechtswidrig. Die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtshilfeersuchen nach § 158 Abs. 2 GVG abgelehnt werden könne, lägen nicht vor. Darüber hinaus verletze der Beschluss den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, da er ohne Anhörung der Parteien erlassen worden sei. Eine Ablehnung des Rechtshilfeersuchens nach § 158 Abs. 2 S. 1 GVG durch das ersuchte Gericht sei nur dann zulässig, wenn es dem ersuchten Richter nicht möglich sei, die Beweiserhebung durchzuführen. Der Beweisbeschluss enthalte ausschließlich Tatsachen, die der ersuchte Richter feststellen könne.

Das Arbeitsgericht Bocholt hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die Parteien erhielten Gelegenheiten zu rechtlichem Gehör.

II. Die zulässige Beschwerde des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist begründet.

1. Die Beschwerde ist nach den §§ 13, 78 ArbGG, 159 GVG zulässig. Nach den §§ 159 GVG, 13 ArbGG entscheidet das Landesarbeitsgericht, zu dessen Bezirk das ersuchte Gericht gehört, sofern dieses das Ersuchen ablehnt. Damit war das Landesarbeitsgericht Hamm zur Entscheidung befugt. Die Antragsbefugnis des Arbeitsgerichts Wiesbaden für den von ihm eingelegten Rechtsbehelf einer Beschwerde im weiteren Sinne ergibt sich aus § 159 Abs. 2 ArbGG.

2. Die Beschwerde des Arbeitsgerichts Wiesbaden ist begründet.

a) Nach den §§ 13 Abs. 2 ArbGG, 158 Abs. 1 GVG kann ein Rechtshilfeersuchen grundsätzlich nicht abgelehnt werden. Die einzige gesetzlich geregelte Ausnahme zu diesem Grundsatz enthält § 158 Abs. 1 S. 1 GVG. Danach kann das Ersuchen eines im Rechtszug vorgesetzten Gerichts um Rechtshilfe dann abgelehnt werden, wenn die vorzunehmende Handlung nach dem Recht des ersuchten Gerichtes verboten ist. Angesichts des klaren Wortlauts in § 158 Abs. 1 GVG und des eng umrissenen - und im Übrigen selbstverständlichen - Ablehnungsgrundes in § 158 Abs. 2 S. 1 GVG können weitere Ausnahmen allenfalls dann angenommen werden, wenn es dem ersuchten Gericht nicht möglich ist, dem Ersuchen nachzukommen. Das mag dann gelten, wenn die Beweisfrage völlig unklar und damit für das im Wege der Rechtshilfe ersuchte Gericht nicht durchführbar ist (GMP-Germelmann, ArbGG, 8. Auflage, § 13 Rn 5; Zöller-Lückemann, ZPO, 31. Auflage, § 158 GVG Rn 1), etwa weil ein Beweisthema nicht genannt ist oder der Beweisbeschluss nicht eindeutig erkennen lässt, welche streitigen Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme seien sollen (BAG 26.10.1999 - 10 AS 5/99 Rn 27; Zöller-Lückemann, ZPO, 31. Auflage, § 158 Rn 1). Das ersuchte Gericht hat allerdings nicht darüber zu befinden, ob dem ersuchenden Gericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist alleine Aufgabe des dem ersuchenden Gericht vorgesetzten Prozessgerichts (BAG, 26.10.1999 - 10 AS 5/99, juris Rn 22). Dies gilt auch für die Rechtsfrage, ob das ersuchende Gericht durch Erhebung des Beweises den Beibringungsgrundsatz, der das zivilprozessuale Verfahren bestimmt, überschreitet und eine unzulässige Ausforschung betreibt. Die rechtliche Abgrenzung zwischen verfahrensrechtlich noch zulässiger Beweiserhebung und unzulässiger Ausforschung ist in vielen Fällen ausgesprochen schwierig und in der Praxis umstritten. Würde das ersuchte Gericht über die Grenzfälle entscheiden wollen, wäre dies im Ergebnis eine Kontrolle der Rechtsfindung des ersuchenden Richters, die ihm nicht zusteht, weil dies alleine Aufgabe des dem ersuchenden Gericht übergeordneten Prozessgerichts ist (BAG, 26.10.1999 - 10 AS 5/99, juris Rn 24 ff. m.w.N.).

b) Unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze durfte das Arbeitsgericht Bocholt das Rechtshilfeersuchen nicht ablehnen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden weist in seiner Beschwerde zutreffend darauf hin, der Beweisbeschluss enthalte konkrete Angaben dazu, zu welchen baugewerblichen Tätigkeiten die benannten Zeugen im Einzelnen vom Arbeitsgericht vernommen werden sollen. Sämtliche Tätigkeiten sind vom Arbeitsgericht Wiesbaden in seinem Beweisbeschluss ausdrücklich benannt. Zutreffend weist das Arbeitsgericht Wiesbaden auch darauf hin, dass jeder der als Zeuge benannten Arbeitnehmer der Beklagten aufgrund eigener Wahrnehmung darüber Auskunft geben könne, inwieweit er mehr als 50% seiner persönlichen Gesamtarbeitszeit mit entsprechenden Arbeiten befasst war. Zu entscheiden, inwieweit das Ergebnis der Beweisaufnahme nach Vernehmung der Zeugen auf der Basis des Beweisbeschlusses des Arbeitsgerichts Wiesbaden die klägerischen Behauptungen zu tragen vermag, ist nach § 286 ZPO wiederum Sache des ersuchenden Arbeitsgerichts Wiesbaden.

Dem Arbeitsgericht Bocholt war demgemäß aufzugeben, dem Ersuchen des Arbeitsgerichts Wiesbaden zu entsprechen.