ArbG Minden, Urteil vom 11.05.2017 - 1 Ca 1382/16
Fundstelle
openJur 2019, 9355
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • nachfolgend: Az. 5 Sa 674/17 - 07.02.2018 Berufung zurückgewiesen
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 184,38 EUR brutto nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 131,70 EUR seit dem 01.09.2016 und auf 52,68 EUR seit dem 01.01.2017 zu zahlen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/5 und die Beklagte 3/5.

Der Streitwert für dieses Urteil wird auf 184,38 EUR festgesetzt.

Die Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung tariflichen Urlaubsgeldes, wobei die Parteien (nur) darüber streiten, ob der Gastronomiebereich der Beklagten unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Gaststätten- und Hotelgewerbes Nordrhein-Westfalen fällt.

Die Beklagte betreibt in P auf über 25.000 qm eine Bade- und Saunalandschaft mit 180 Arbeitnehmern (sowie etwa 120 Freiberuflern). Der Kläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 31.07.2012 (Bl. 8 ff. d.A.) seit dem 01.08.2012 bei ihr als Koch zu einem Stundenlohn von 10,38 EUR brutto, bzw. einem Monatsentgelt von 1.800,00 EUR brutto bei ihr beschäftigt. Er ist stellvertretender Vorsitzender ihres Betriebsrats.

Die Beklagte gehört zu der den Brüdern N und T U gehörenden "U"-Unternehmensgruppe, die bundesweit Thermalbäder und Wellnessanlagen betreibt. In der C Therme gibt es neben den Sauna-, Themen-, Fitness- und Wellnessbereichen sowie einem themenbezogenen Shop auch einen Gastronomiebereich mit insgesamt 48 Beschäftigten. Das betriebswirtschaftliche Aufgabenfeld wird von den Serviceabteilungen Verwaltung, Marketing, Technik, Rezeption und Reinigung erfüllt.

Der Gastronomiebereich besteht aus dem Bistro "M" sowie einem Bistro im Schwimmbadbereich (vgl. das Bild Anlage K 10 zum Schriftsatz des Klägers vom 06.02.2017) und einem Restaurant im Saunabereich. Der Zutritt zu den beiden letzteren Gastronomieangeboten der Beklagten ist allein den Besuchern der C Therme vorbehalten, die dafür also zuvor entsprechend Eintritt bezahlt haben müssen. Das Bistro "M" hingegen ist über einen separaten Eingang auch von außen für jedermann zugänglich; es ist durch eine Glasscheibe vom Schwimmbad-/Nassbereich der C Therme getrennt und durch eine Tür mit ihm verbunden, die ständig geschlossen sein muss, damit keine Bistrogäste die C Therme aufsuchen können, ohne zuvor Eintritt bezahlt zu haben. Das "M" verfügt über eine Außengastronomie auf der Sonnenterasse und wird regelmäßig auch von "Externen" frequentiert, beispielsweise Gästen eines nahegelegenen Hotels (vgl. Bilder Anlagen K 7 bis 9; K 21).

Der Gastronomiebereich verfügt über zwei Küchen: Eine für das Bistro "M" und das Schwimmbadbistro sowie die sogenannte Saunaküche. In dieser (in der eher höherwertige und -preisige Speisen für die Saunagäste zubereitet werden) ist der Kläger zurzeit tätig; er war aber auch schon für längere Zeit im "M" eingesetzt. Sein Vorgesetzter, der (auch als Ausbilder fungierende) Küchenchef L ist für den gesamten Gastronomiebereich zuständig. Zu diesem gehören neben den drei genannten Restaurants/Bistros ferner Kühlzellen, Frostzellen, Trockenlager, Kochbereich und Spülbereiche. Auch diese Bereiche dürfen, ebenso wie die Restaurants, aufgrund der HACAAP-Richtlinien wegen mangelnder Hygieneunterweisung nicht nur nicht von den Gästen der C Therme, sondern auch nicht von ihren nicht der Gastronomie zugeordneten Mitarbeitern betreten werden (vgl. das Rundschreiben der Beklagten an ihre Mitarbeiter vom 28.12.2013, Anlagen K 6).

Die Beklagte setzt in ihrer Gastronomieabteilung nur einschlägig qualifiziertes Fachpersonal ein. So hatte sie mit Stellenanzeige vom September 2016 (Anlage K 12) einen "Teamleiter Gastronomie/F&B (Food and Beverage)-Manager gesucht. Dieser ist mittlerweile eingestellt und wird ab Juni 2017 als Vorgesetzter des Küchenchefs dann die beiden Gastronomiebereiche (Sauna-Restaurant, "M"-Bistro) leiten, sein Service- und Küchenpersonal führen und betreuen usw.. Wegen weiterer Stellengesuche für die Gastronomie wird auf die Anlagen K 13 und 14, hinsichtlich der verschiedenen, von der Beklagten im Bistro "M" sowie dem Sauna-Restaurant angebotenen und beworbenen gastronomischen Events auf die Darlegungen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 06.02.2017 sowie die damit überreichten Analgen K 15 bis 20 verwiesen. Vor der Übernahme der C Therme durch die Gebrüder U war ihre Gastronomie an einen Pizzadienst verpachtet, nach der Übernahme wurde sie zunächst durch das H P mit betreut.

Der Kläger ist angesichts all dessen der Ansicht, der "Betriebsteil" Gastronomie der Beklagten fiele eindeutig unter den fachlichen Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.04.2016 (im Folgenden nur MTV).

Mit Schreiben der Gewerkschaft NGG vom 15.09.2016 (Bl. 18 ff. d.A.) hat er daher tarifliches Urlaubsgeld von insgesamt 368,76 EUR brutto geltend gemacht, hilfsweise für 19 von ihm zwischen dem 01.03. und dem 19.08.2016 genommene Urlaubstage jeweils 13,17 EUR = 250,23 EUR brutto. Nach teilweiser Klagerücknahme und

-erweiterung vom 06. 02.2017 verlangt er nun noch das tarifliche Urlaubsgeld für zehn Urlaubstage vom 08. bis zum 19.08.2016 sowie vier weitere vom 01. und 02., sowie 05. und 07.12.2016.

Er stellt daher zuletzt noch den Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 184,38 EUR brutto nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 131,70 EUR seit dem 01.09.2016 und auf 52,68 EUR seit dem 01.01.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, sie falle nicht unter den MTV, da ihr Gastronomiebereich keine (selbständige) Betriebsabteilung im Sinne dieses Tarifvertrages sei; er sei nämlich nicht erkennbar räumlich von ihren übrigen Bereichen getrennt, es erfolge vielmehr ein fließender Übergang von einem Bereich in den anderen. Sie verweist darauf, dass unternehmerische Entscheidungen ganzheitlich, im Interesse des wirtschaftlichen Gesamtwohls der C Therme getroffen würden und dass insbesondere ihr Geschäftsführer Nolte, nicht aber die Abteilungsleiter, über Einstellungen und Entlassungen entscheide; Betriebszweck und -schwerpunkt der C Therme sei die Bereitstellung von Fitness- und Wellnessangeboten sowie Thermalbädern für ihre Gäste, das Angebot von Speisen und Getränken diene lediglich zu dessen Abrundung. Letzteres ergibt sich nach Auffassung der Beklagten beispielsweise auch daraus, dass sämtliche Mitarbeiter des Gastronomiebereichs ihre Arbeitskleidung tragen und dass er über keine eigene Postanschrift oder von ihrem Telefonsystem "abgekoppelte" Telefon- und /oder Faxnummern verfügt.

Zwischen den Parteien waren in der Vergangenheit bereits mehrere ähnliche Rechtsstreite anhängig, in denen der Kläger u.a. die tariflichen Jahressonderzahlungen nach § 9 MTV für die Jahre 2013 bis 2015 geltend gemacht hatte. Insbesondere aufgrund gerichtlicher Vergleiche vom 23.09.2014 (2 Ca 626/14) sowie vom 29.04.2016 (2 Ca 472/16) hat die Beklagte - ohne Anerkennung einer entsprechenden rechtlichen Verpflichtung - die Ansprüche des Klägers (wohl auf Hinweise der jeweiligen Kammervorsitzenden) umfänglich erfüllt. Seinen Anspruch auf die entsprechende Jahressonderzahlung für das Jahr 2016 hat der Kläger bereits außergerichtlich geltend, aber noch nicht rechtshängig gemacht; insoweit haben sich die Parteien auf ein Ruhen des Verfahrens verständigt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und der von ihnen überreichten Unterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen - der Höhe nach unstreitigen - Anspruch auf Zahlung des zusätzlichen tariflichen Urlaubsgeldes von 13,17 EUR für zehn im August 2016 sowie vier weitere im Dezember 2016 genommene Urlaubstage und damit auf (14 x 13,17 EUR =) 184,38 EUR brutto (§§ 7.4.3, 7.5.1 MTV).

Dieser Tarifvertrag ist mit Wirkung zum 01. Mai 2016 für allgemeinverbindlich erklärt worden. Seine Rechtsnormen finden damit nach den §§ 5 Abs. 4 S. 1, 4 Abs. 1 S. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die damit insoweit tarifgebundene Beklagte fällt auch entgegen ihrer Ansicht bezüglich ihres Gastronomiebereichs unter den betrieblichen Geltungsbereich des § 1.2 MTV. Dieser gilt nämlich "für alle Betriebe, Betriebsabteilungen und Einrichtungen, die Beherbung und Bewirtung oder eines von beiden gewähren, insbesondere die nach den §§ 1 bis 2 und den §§ 9 bis 2 des Gaststättengesetzes erlaubnispflichtigen ... sowie für die nach § 25 des Gaststättengesetzes erlaubnisfreien Betriebe."

Der "Gastronomiebereich" der C Therme ist eine Betriebsabteilung im Sinne dieser Tarifvertrages.

1. Das Bundesarbeitsgericht definiert in seinem von der Beklagten auch selbst herangezogenen Urteil vom 24.02.2010 - 10 AZR 759/08 (AP Nr. 319 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau = NZA 2010, 671 - Ls) eine "Betriebsabteilung" als einen räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteil, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (ebda., Rn. 14). Um eine solche handelt es sich bei dem von der Beklagten sogenannten "Gastronomiebereich" (richtigerweise danach wohl: Gastronomieabteilung) der C Therme in P.

a) Die beiden Küchen und die drei Restaurants, bzw. Bistros, insbesondere aber das Bistro "M" sind (für jedermann deutlich) erkennbar von der eigentlichen Badelandschaft, dem Nass- und Schwimmbereich der C Therme räumlich getrennt. So dürfen deren Räumlichkeiten nur von den dort Beschäftigten, nicht aber vom anderen Personal der Beklagten betreten werden. Das "M" ist nicht einmal unmittelbar in die eigentlichen Räumlichkeiten der C Therme "integriert". Es ist ein "normaler", für jeden externen Besucher frei zugänglicher Restaurantionsbetrieb.

b) Die Gastronomie der C Therme beschäftigt (ausschließlich) entsprechend ausgebildetes, bzw. jedenfalls qualifiziertes Fachpersonal eben dieser Branche und wird von einem "Teamleiter" (bzw. zurzeit kommissarisch vom Küchenchef) geleitet. Sein aus der Stellenanzeige der Beklagten vom September 2016 ersichtliches Aufgabenfeld macht die personelle (und auch organisatorische) Abgrenzung dieses Bereichs vom eigentlichen "Badebetrieb" der C Therme deutlich. Folgerichtig sind auch Bewerbungen von Köchen/Jungköchen an den derzeitigen Küchenchef L zu richten (vgl. etwa Anlage K 13). Ein Personalaustausch zwischen den Mitarbeitern der Gastronomie und den anderen Beschäftigten in der C Therme findet - unstreitig - nicht statt.

c) Die (technischen) Betriebsmittel der drei Restaurants und der beiden Küchen werden nur dort, nicht auch im übrigen Bereich der C Therme eingesetzt.

d) Der eigene Betriebszweck der Gastronomie, nämlich das Vor- und Zubereiten von Speisen und Getränken und deren Abgabe an die Gäste der C Therme und auswärtige Bistrobesucher, d.h. die Bewirtung von (internen und externen) Gästen mag - wie es die Beklagte ausdrückt - zur Abrundung ihres "eigentlichen" Betriebszwecks des Betreibens eines Thermen- und Saunabereichs und der Bereitstellung der entsprechenden Fitness- und Wellnessangebote dienen, er ist damit aber eben gerade dessen Hilfszweck. Dies reicht nach dem zitierten Urteil des BAG aus.

2. Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf dieses weitgehend damit argumentiert, dass ihre Gastronomieabteilung keine "selbständige" Betriebsabteilung sei, übersieht sie möglicherweise, dass der hier einschlägige Tarifvertrag dieses einschränkende Kriterium - im Gegensatz zu dem der BAG-Entscheidung zugrunde liegende Tarifvertrag - gerade nicht enthält. Vielmehr zeigt gerade die in § 1.2 MTV enthaltene, gewissermaßen von der Größenordnung her "absteigende" Aufzählung der Begriffe Betrieb, Betriebsabteilung und Einrichtungen, dass die Tarifparteien ersichtlich so umfassend wie möglich alle "Bereiche" der Tarifgeltung unterwerfen wollten, in denen (unabhängig von der Beherbung) auch nur eine Bewirtung von Gästen stattfindet.

Auch die von der Beklagten des weiteren herangezogene und zitierte Entscheidung des LAG Hamburg, Beschluss vom 03.09.2009 - 7 TaBV 1/09 - juris ist vorliegend nicht einschlägig, da sie sich zur betriebsverfassungsrechtlich relevanten Abgrenzung der Begriffe Betrieb, Betriebsteil und Nebenbetrieb im Sinne des § 4 BetrVG verhält.

3. Ist somit der "Gastronomiebereich" der C Therme als Betriebsabteilung im Sinne des § 1.2 MTV zu qualifizieren, kann dahinstehen, ob es sich dabei nicht ohnehin und jedenfalls um eine "Einrichtung" im Sinne dieser Tarifvorschrift handelt.

Die Zinsansprüche sind aus den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB, 5.2.4 S. 1 MTV, 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, 92 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 ZPO.

Den (Urteils-)Streitwert hat die Kammer in Höhe der zuletzt noch geltend gemachten Forderung festgesetzt (§§ 61 Abs. 1 ArbGG, 48 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1 GKG, 4 Abs. 1, 5 ZPO).

Der zwischenzeitlich (zu Recht, da infolge tariflichen Verfalls unbegründet) zurückgenommene weitergehende Zahlungsantrag war bei der Kostenentscheidung mit zu berücksichtigen und für den Verfahrenswert entsprechend anzusetzen.

Der Verfahrenswert (§§ 63 Abs. 2 S. 2, 40 GKG) beläuft sich damit auf (368,76 + 52,68 =) 421,44 EUR.

Die Zulassung der Berufung beruht auf § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG.