OLG Hamm, Urteil vom 09.01.2018 - 19 U 151/17
Fundstelle
openJur 2019, 8984
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 O 390/16

Das Recht zum Widerruf eines Darlehensvertrages durch den Darlehensnehmer kann verwirkt sein, wenn der Widerruf mehr als zwölf Jahre nach Vertragsschluss ausgesprochen und das widerrufene Darlehen zuvor vom Darlehensnehmer auf eigenen Wunsch nach Ablauf der ersten Zinsfestschreibungsperiode vorzeitig abgelöst wurde. (Redaktioneller Leitsatz der Pressestelle des Oberlandesgerichts Hamm)

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das am 1.6.2017 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens nach einem Streitwert von 19.397,54 € zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die geltend gemachten Ansprüche aus § 346 Abs. 1 BGB stehen den Klägern nicht zu, weil sie ihre Widerrufsrechte zum Zeitpunkt ihrer Ausübung bereits verwirkt hatten und sich die drei Darlehensverträge daher durch den Widerruf nicht in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt haben.

Die Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment, für das die maßgebliche Frist mit dem Zustandekommen des Verbrauchervertrags zu laufen beginnt, ein Umstandsmoment voraus. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BGH XI ZR 442/16 v. 14.3.2017, Juris-Rn. 27; XI ZR 501/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 40; XI ZR 564/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 37).

Im vorliegenden Fall ist das Zeitmoment erfüllt. Die für das Zeitmoment maßgebliche Frist beginnt mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. BGH XI ZR 455/16 v. 10.10.2017, Juris-Rn. 21 a. E.). Seit dem Abschluss der Darlehensverträge haben die Kläger über 12 Jahre verstreichen lassen, bis sie von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch machten.

Das Umstandsmoment ist ebenfalls erfüllt.

Ein Vertrauen darauf, dass der Darlehensnehmer sein Widerrufsrecht nicht mehr ausüben würde, kann ein Kreditinstitut zwar nicht bereits aus seinem vertragstreuen Verhalten während der Laufzeit des Darlehens ableiten. Ebenso kommt es für das Umstandsmoment nicht darauf an, wie gewichtig der Fehler war, der zur Wirkungslosigkeit der Widerrufsbelehrung führte. Das Risiko, dass ein auch nur geringfügiger Fehler erst nachträglich aufgedeckt wird, trägt nicht der Verbraucher, sondern das Kreditinstitut (vgl. BGH XI ZR 564/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 39, 40).

Ein über die schlichte Vertragstreue hinausgehendes Verhalten der Kläger stellt hingegen der Umstand dar, dass sie die drei Darlehen bereits am 20.6., 10.7. und 2.9.2014 auf eigenen Wunsch vorzeitig, nämlich nach Ablauf der ersten Zinsfestschreibungsperioden, zurückgeführt haben. Nach der Rechtsprechung des BGH (XI ZR 482/15 v. 11.10.2016, Juris-Rn. 31; XI ZR 455/16 v. 10.10.2017, Juris-Rn. 21) hat eine vorzeitige, insbesondere auf Wunsch des Darlehensnehmers erfolgte Vertragsabwicklung im Rahmen des Umstandsmoments Gewicht. Aufgrund ihrer kann das Kreditinstitut in besonderem Maße davon ausgehen, dass auch der Darlehensnehmer das Vertragsverhältnis als endgültig abgeschlossenen Vorgang betrachtet und nicht später seinen Bestand als solchen rückwirkend in Frage stellen will.

Das Vertrauen hierauf konnte umso weiter erstarken, je mehr Zeit die Kläger nach der Ablösung bis zur Erklärung des Widerrufs vergehen ließen. Im vorliegenden Fall handelte es sich um weitere ca. 1 ¾ bis 2 Jahre.

Ein Widerruf kann entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht bereits in der vorzeitigen Kündigung der Darlehensverträge zum Ende der ersten Zinsbindungsfrist gesehen werden. Soweit die Kläger auf den Grundsatz abstellen, für die Ausübung des Widerrufsrecht genüge es, den Vertragsschluss nicht mehr gegen sich gelten lassen zu wollen, kommt ein solcher Wille durch die vorzeitige Erfüllung aber gerade nicht zum Ausdruck. Der Wunsch eines Darlehensnehmers nach vorzeitiger Aufhebung ist nicht auf eine Beseitigung der vertraglichen Bindung gerichtet ist, sondern nur auf eine vorzeitige Erbringung der geschuldeten Leistung (vgl. BGH XI ZR 482/15 v. 11.10.2016, Juris-Rn. 33).

Dass den Klägern das Bestehen der Widerrufsrechte in dem Zeitraum zwischen Ablösung und Widerruf bewusst gewesen wäre, ist nicht Voraussetzung für die Annahme einer Verwirkung, weil bei der Prüfung eines aus Treu und Glauben begründeten Rechtsverlustes eine objektive Beurteilung geboten ist (vgl. BGH IV ZR 73/13 v. 16.7.2014, Juris-Rn. 36 a. E.; V ZR 190/06 v. 16.3.2007, Juris-Rn. 8; II ZR 15/56 v. 27.6.1957, Juris-Rn. 13; RG II 25/31 v. 27.10.1931). Auch wenn die Beklagte davon ausgegangen sein sollte oder hätte davon ausgehen müssen, dass die Kläger vom Fortbestand ihrer Widerrufsrechte keine Kenntnis hatten, würde das die Annahme von Verwirkung nicht ausschließen (vgl. XI ZR 455/16 v. 10.10.2017, Juris-Rn. 21).

Wegen der bereits erfolgten Abwicklung der Darlehen kann auch die Möglichkeit, den Belehrungsfehler durch eine Nachbelehrung zu heilen und das Widerrufsrecht dadurch zum Erlöschen zu bringen, nicht gegen eine Verwirkung angeführt werden. Zwar besteht die Möglichkeit der Nachbelehrung auch nach Beendigung des Verbraucherdarlehensvertrages von Gesetzes wegen fort. Sinnvoll ist sie jedoch nicht mehr, weil die Willenserklärung des Verbrauchers, deren fortbestehende Widerruflichkeit in das Bewusstsein des Verbrauchers zu rücken Ziel der Nachbelehrung ist, für den Verbraucher keine in die Zukunft gerichteten wiederkehrenden belastenden Rechtsfolgen mehr zeitigt (vgl. BGH XI ZR 501/15 v. 12.7.2016, Juris-Rn. 41). Der Gesichtspunkt, dass die Beklagte bis zur vorzeitigen Ablösung die Möglichkeit einer sinnvollen Nachbelehrung gehabt hätte und sie nicht genutzt hat, beseitigt die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens nicht (vgl. BGH XI ZR 482/15 v. 11.10.2016, Juris-Rn. 30 a. E.).

Entgegen der Auffassung der Kläger fehlt es auch nicht an hinreichender Feststellbarkeit von Vermögensdispositionen, die die Beklagte aufgrund des von ihnen erweckten Vertrauens getroffen hat und die ihr die nunmehrige Ausübung der Widerrufsrechte nach Treu und Glauben unzumutbar erscheinen lassen. Diese Dispositionen sind nämlich darin zu erblicken, dass ein Kreditinstitut die an es zurückgeflossenen Geldmittel im Rahmen seines Geschäftsbetriebs entweder seinerseits zur Ablösung von Refinanzierungsmitteln verwendet oder erneut als Darlehen ausgibt oder in sonstiger Weise anlegt. Dabei handelt es sich gerade um die Eigenart seiner Geschäftstätigkeit als Kreditinstitut, was den Fall von der von den Klägern angeführten Entscheidung BGH VII ZR 177/13 v. 23.1.2014 unterscheidet. Diese hatte von einem Architekten vereinnahmtes Honorar zum Gegenstand. Ein Architekt verwendet sein Honorar nicht typischerweise dazu, es im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit erneut gewinnbringend einzusetzen. Vielmehr handelt es sich um sein privates Einkommen, für das eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten denkbar ist. Wenn der BGH es dort für die Annahme einer Vermögensdisposition nicht ausreichen gelassen hat, dass der Architekt mit dem Honorarzufluss "in anderer Weise kalkuliert" habe (a. a. O. Juris-Rn. 15), steht das deshalb für den vorliegenden Fall eines Kreditinstituts der Bejahung einer hinreichenden Vermögensdisposition nicht entgegen.

Darüber hinaus ist zwar zu bedenken, dass ein Kreditinstitut aufgrund des Umfanges seines Geschäftsvolumens durch die Ansprüche aus einem einzelnen Widerrufsfall, auf den hier nur abzustellen ist, nicht in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht werden dürfte. Jedoch besteht zwischen dem Zeit- und dem Umstandsmoment eine Wechselwirkung insofern, als an das letztere desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH XII ZR 224/03 v. 19.10.2005, Juris-Rn. 23), hier über 12 Jahre.

Da nach allem der Hauptanspruch nicht gerechtfertigt ist, sind auch die Nebenforderungen auf Zinsen und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht begründet.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 543 Abs. 2 ZPO.