OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.12.2016 - 19 A 2904/15
Fundstelle
openJur 2019, 8458
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 10 K 2367/14

Hat sich ein deutscher Auswanderer vor 1914 nach § 21 Abs. 1 Satz 3 StAG 1870 in die Matrikel eines Reichskonsulats in Brasilien eintragen lassen, indiziert diese Eintragung keine Matrikeleintragung auch seiner in Brasilien geborenen Kinder, wenn diese durch ihre Geburt auf brasilianischem Staatsgebiet auch die brasilianische Staatsangehörigkeit erworben haben (ius soli).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Senat entscheidet über die Berufungszulassung durch den Vorsitzenden als Berichterstatter, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§§ 87a Abs. 2, 3, 125 Abs. 1 VwGO).

Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Der Kläger bezeichnet die Feststellung des Verwaltungsgerichts als "unrichtig", sein Vater D. M. habe mit seiner Geburt am 18. Februar 1908 nicht nachweislich die deutsche Reichsangehörigkeit erworben, weil, so das Verwaltungsgericht, "nicht belegt ist, dass der Großvater des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit zu diesem Zeitpunkt noch besaß" (S. 7 des Bescheidabdrucks). Hiermit beruft sich der Kläger sinngemäß auf den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Gerichtsbescheids nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. In seiner Antragsbegründung weckt der Kläger keine solchen Zweifel.

Zunächst steht die genannte Feststellung nur scheinbar in dem vom Kläger gerügten Widerspruch zu den Aussagen des Verwaltungsgerichts auf den Seiten 8 und 11 des Bescheidabdrucks, der Großvater des Klägers habe seine deutsche Reichsangehörigkeit "spätestens am 30.12.1912" verloren. Denn mit der letztgenannten Datumsangabe hat das Verwaltungsgericht zugleich maßgeblich auf einen Staatsangehörigkeitsverlust auch des damals 4-jährigen Vaters des Klägers abgestellt. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die verunglückte Formulierung des Verwaltungsgerichts auf S. 7 des Bescheidabdrucks, ein Geburtserwerb des Vaters im Jahr 1908 lasse sich nicht feststellen, für das Entscheidungsergebnis unerheblich ist.

Keine ernstlichen Zweifel ergeben sich aus dem Einwand des Klägers, unstreitig habe sich sein Urgroßvater, der am 7. April 1848 in C. geborene und zwischen 1870 und 1875 nach Brasilien ausgewanderte E. M. , u. a. 1890 in die Matrikel des Reichskonsulats S. /Argentinien eintragen lassen. Denn aus einer Matrikeleintragung seines Urgroßvaters lässt sich weder im Sinn eines direkten Nachweises noch im Sinn eines Indizienbeweises auf eine Matrikeleintragung auch seines Großvaters, des am 30. Dezember 1881 in G. /Brasilien geborenen F. M. , schließen. Dem Großvater drohte im Gegensatz zum 1848 in C. geborenen Urgroßvater durch den Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit keine Staatenlosigkeit mehr. Er hatte, wie der Kläger unter Nr. 2 seiner Antragsbegründung ausdrücklich bestätigt, durch seine Geburt in Brasilien die brasilianische Staatsangehörigkeit nach dem dort auch damals schon geltenden Geburtsortprinzip (ius soli) hinzuerworben.

Vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2012 - 19 A 1170/11 -, OVGE 55, 93, juris, Rdn. 53.

Als Gegenindiz gegen ein Gebrauchmachen des Großvaters von der Möglichkeit, den drohenden Verlust seiner deutschen Reichsangehörigkeit durch eine Matrikeleintragung zu verhindern, hat das Verwaltungsgericht vielmehr zutreffend die Staatsangehörigkeitsangaben "brasilianisch" in dessen Sterbeurkunde und der Heiratsurkunde des Vaters des Klägers gewertet (S. 11 des Bescheidabdrucks).

Entgegen der Behauptung des Klägers hat das Verwaltungsgericht den Sachverhalt auch umfassend und sachlich zutreffend auf Indizien überprüft, die für eine Matrikeleintragung des Großvaters sprechen. Die kurz nach dem Tod des Urgroßvaters unter dem 6. September 1935 für ihn ausgestellte Sterbeurkunde mit der Staatsangehörigkeitsangabe "deutsch" hat es nur im Tatbestand erwähnt, aber zutreffend nicht als Indiz für eine Matrikeleintragung auch des Großvaters gewürdigt. Sie ist kein solches Indiz, weil, wie ausgeführt, der brasilianische Großvater im Gegensatz zum deutschen Urgroßvater nicht mehr von Staatenlosigkeit bedroht war. Hierin kann ein plausibler Grund dafür liegen, dass der Urgroßvater bis zu seinem Tod deutscher Reichsangehöriger geblieben ist, ohne dass daraus ein Rückschluss auf das Fortbestehen der deutschen Reichsangehörigkeit auch des Großvaters über den 30. Dezember 1912 hinaus zu ziehen ist.

Auch mit der Bescheinigung der argentinischen Bundeswahlkammer vom 15. April 2011 über die Nichteintragung des Großvaters in das Bundeswahlregister der Argentinischen Republik musste sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandersetzen. Auch sie ist entgegen der Auffassung des Klägers kein Indiz für das Fortbestehen seiner deutschen Reichsangehörigkeit. Seine Entscheidung, nicht die argentinische Staatsangehörigkeit zu beantragen, lässt sich nicht allein durch ein Festhalten an der deutschen Reichsangehörigkeit erklären, sondern ebenso damit, dass er auch als Brasilianer ohne Probleme in Argentinien leben konnte. Seine nur pauschal behaupteten "Erschwernisse im praktischen Lebensvollzug in Argentinien" hat der Kläger nicht näher konkretisiert.

Keine ernstlichen Zweifel bestehen weiter an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts auf S. 10 des Bescheidabdrucks, eine unterstellte Mitgliedschaft des Großvaters im Deutschen Verein/Club Aleman in S. , in der Deutschen Evangelischen Gemeinde in S. und im Deutsch-Argentinischen Schulverein sowie seine darin zum Ausdruck kommenden religiösen, kulturellen und sozialen Aktivitäten seien als Indiziennachweis für eine Matrikeleintragung unergiebig. Hiergegen wendet der Kläger ohne Erfolg ein, das Verwaltungsgericht habe seine Angaben "selektiv" gewürdigt, insbesondere bei seiner Indizienprüfung berücksichtigen müssen, dass das bewusste Festhalten an diesen Mitgliedschaften auch am Ende des Zweiten Weltkriegs "als Bestätigung des Selbstverständnisses von Großvater und Vater des Klägers als deutsche Staatsangehörige zu werten" sei. Auf ein solches Selbstverständnis kommt es nicht an. Maßgeblich ist nach § 30 Abs. 2 Satz 1 StAG vielmehr der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erbringende objektive Nachweis einer Matrikeleintragung des Großvaters in der Zeit bis zum Außerkrafttreten der §§ 13 Nr. 3, 21 Abs. 1 Satz 1 StAG 1870 mit Ablauf des 31. Dezember 1913. Hierfür sind die genannten religiösen, kulturellen und sozialen Aktivitäten keine hinreichenden Indizien. In ihnen kommt fraglos ein Festhalten an der deutschen Sprache und an der deutschen Kultur (oder mit den Worten des Klägers: an der deutschen Identität) zum Ausdruck, welches heute den Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit im Sinn der 2. Alternative des Art. 116 Abs. 1 GG kennzeichnet, jedoch nicht gleichbedeutend ist mit einem Fortbestehen auch der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinn der 1. Alternative des Art. 116 Abs. 1 GG. Für letzteres haben die genannten Aktivitäten keine hinreichende Aussagekraft, weil auch zahlreiche deutsche Auswanderer in Südamerika, welche ihre deutsche Reichsangehörigkeit verloren hatten, sich gleichwohl zeitlebens ihre deutsche kulturelle Identität bewahrt haben.

Dazu OVG NRW, Beschluss vom 9. Januar 2008 - 12 A 1842/06 -, juris, Rdn. 6 ff.

Unzutreffend ist schließlich auch der Vorwurf des Klägers an das Verwaltungsgericht, es habe sich nicht mit der Handhabung des StAG 1870 in der Verwaltungspraxis im Jahr 1912 auseinander gesetzt. Auf S. 8 des Bescheidabdrucks hat es vielmehr ausdrücklich die Würdigung der Staatspraxis zu § 21 Abs. 1 Satz 1 StAG 1870 in der Kaiserzeit in Bezug genommen, welche der Senat im bereits zitierten Beschluss vom 6. Juni 2012 vorgenommen hat. Auch mit seiner Würdigung, der Großvater habe seine deutsche Reichsangehörigkeit "spätestens" am 30. Dezember 1912 verloren, hat es ersichtlich zugunsten des Klägers die frühere Verwaltungspraxis der deutschen Staats- und Reichsbehörden zugrunde gelegt, welche um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert zunehmend der neueren Auffassung wich, nach welcher der Großvater seine deutsche Reichsangehörigkeit bereits mit seinem 10. Geburtstag am 30. Dezember 1891 verloren hat.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 6. Juni 2012, a. a. O., Rdn. 42 - 44.

Für ein Außerkrafttreten des Verlusttatbestandes in § 21 Abs. 1 Satz 1 StAG 1870 vor dem 1. Januar 1914 zeigt der Kläger keine Anhaltspunkte auf. Sein Hinweis auf eine Reichstagssitzung bereits am 23. Februar 1912 als Beginn der gesetzgeberischen Bemühungen um eine Abschaffung dieses Verlusttatbestandes ist insoweit unergiebig. Gleiches gilt für seine pauschale Behauptung, diese Bemühungen hätten nicht näher konkretisierte "Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis der Behörden und Konsulate bis zum Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 01.01.1914" gehabt.

Sollte der Kläger mit seiner Rüge "in formeller Hinsicht", das Verwaltungsgericht habe seinen Antrag auf mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 2015 übergangen, den Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen wollen, liegt auch dieser nicht vor. Denn der Kläger hat es versäumt, diesen Antrag als Rechtsmittel zu stellen. Er hat ihn lediglich als Reaktion auf die Anhörung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO, also vor Ergehen des angefochtenen Gerichtsbescheids gestellt. Nach dessen Ergehen hat er den hier streitigen Berufungszulassungsantrag gestellt. Hätte er stattdessen auch zu diesem Zeitpunkt mündliche Verhandlung beantragt, hätte er damit eine solche herbeiführen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG. Die Bedeutung des Staatsangehörigkeitsausweises für den Kläger, auf die es nach diesen Vorschriften für die Streitwertfestsetzung ankommt, bemisst der Senat in ständiger Praxis in Anlehnung an Nr. 42.2 des Streitwertkatalogs 2013 (http://www.bundesverwaltungsgericht.de/medien/pdf/streitwertkatalog.pdf) mit dem doppelten Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).

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