OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2017 - 18 U 101/16
Fundstelle
openJur 2019, 8321
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 25 O 145/14
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das 17.5.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Der Kläger war seit dem Jahre 2001 als Handelsvertreter/Agenturinhaber der seinerzeitigen X Versicherung AG, später Y Versicherung AG bzw. Y Versicherung Aktiengesellschaft, und der X Lebensversicherung AG aufgrund eines mit beiden Gesellschaften abgeschlossenen gemeinsamen "Agenturvertrages" tätig. Ab dem 1.4.2002 besaß der Kläger eine Schadensregulierungsvollmacht ("Exkassokompetenz"), die sich zuletzt auf bis zu 1.500,00 € je Schadenfall belief. Es existierte eine "Arbeitsanweisung für die Agenturregulierung" (Anlage C13 zur Klageerwiderung), die dem Agenturinhaber u.a. die Anlage von Schäden in der Gegenstandsversicherung untersagte und die Regulierung jeglicher Schäden u.a. verwandter Personen verbot. Am 10.9.2014 begab sich der Kläger auf Veranlassung der Beklagten in die Regionaldirektion der Beklagten nach N, wo er mit einer Reihe von Vorwürfen betreffend seine Regulierungstätigkeit konfrontiert wurde. Am selben Tag gab er vor dem Notar Dr. H in N ein notarielles Schuldanerkenntnis über 40.000,00 € zugunsten der Beklagten zu 1) und 3) nebst Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung ab, auf dessen Inhalt verwiesen wird. Ferner unterzeichneten der Kläger und der Mitarbeiter der Beklagten A noch während ihrer Anwesenheit beim Notar ein weiteres schriftliches, mit "Schuldanerkenntnis" überschriebenes Dokument, in dem es u.a. heißt:

In der Zeit vom 01.01.2010 bis 10.09.2014 wurden seitens des Schuldners eine Vielzahl von Schadensfällen reguliert. Die Ermittlungen der Gläubigerin haben ergeben, dass teilweise gegen die Richtlinien zur Agenturregelung verstoßen wurde, so dass zu Lasten der Gläubigerin zu Unrecht Zahlungen an Versicherungsnehmer und Dritte geleistet wurden.

Insoweit stehen der Gläubigerin gegenüber dem Schuldner u.a. Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen zu. ...

Schließlich unterzeichnete der Kläger ein zwölfseitiges "Protokoll" über das mit ihm geführte Gespräch, in dem u.a. das Regulierungsverhalten des Klägers in Bezug auf siebzehn Versicherungsnehmer (einschließlich des Klägers selbst) bzw. von ihnen gemeldete Schadensfälle dargestellt wird. Das Schriftstück enthält weitere Feststellungen zu dem Gespräch zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern der Beklagten am 10.9.2014. Am Abend des 10.9.2014 sandte der Kläger eine E-Mail an das Vorstandsmitglied P der Beklagten zu 3), in der er sich u.a. für sein "Fehlverhalten" entschuldigte und um ein Gespräch bat.

Seine Schuldanerkenntnisse focht der Kläger in anwaltlicher Vertretung gegenüber den Beklagten zu 1) unter dem 16.9.2014 an. Unter dem 16.9.2014 sprach die Beklagte zu 3) ihm gegenüber die fristlose, hilfsweise die Kündigung zum nächst zulässigen Termin aus. Am 17.9.2014 erklärte der Kläger seinerseits die fristlose Kündigung des Agenturvertrages gegenüber den Beklagten zu 1) und 2); diese Kündigung wurde u.a. noch am selben Tag dem Mitarbeiter der Beklagten zu 3) L in N ausgehändigt. Ebenfalls am 17.9.2014 erreichte den Kläger die fristlose Kündigung der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014, die in den Briefkasten seiner Wohnung eingeworfen worden war. Nähere Einzelheiten betreffend die Bemühungen der Beklagten zu 3) um eine Übergabe ihrer Kündigung im Laufe des 17.9.2014 sind streitig. Am 18.9.2014 sprach der Kläger eine Kündigung nunmehr gegenüber sämtlichen drei Beklagten aus. Am 17.10.2014 verlangte der Kläger einen Buchauszug und forderte einen Ausgleich gem. § 89 b HGB. Diese Ansprüche wiesen die Beklagten mit Schreiben vom 7.11.2014 zurück.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe gegenüber den Beklagten ein Ausgleichsanspruch gem. § 89 b Abs. 1 HGB zu. Sie könnten sich nicht auf den Ausschluss gem. § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB berufen. Es fehle schon an einer vertragsbeendigenden Kündigung seitens der Beklagten, denn die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014 habe er erst am Abend des 17.9.2014 in seinem Briefkasten vorgefunden. Die Kündigung sei auch formell unwirksam, weil sie nicht von sämtlichen Vertragsparteien ausgesprochen worden sei, die seinerzeit den Agenturvertrag mit ihm geschlossen hätten. Überdies fehle es an einem wichtigen Grund, zu dem die Beklagten bislang nicht hinreichend vorgetragen hätten. Auf die Geschehnisse am 10.9.2014 lasse sich die Kündigung jedenfalls nicht stützen. Bei der Unterredung an diesem Tag sei ihm die erbetene Möglichkeit, die Vorwürfe zu prüfen, versagt worden. Er habe überdies unter dem Einfluss von Psychopharmaka gestanden und sei damit bedroht worden, er stehe "am nächsten Tag auf der Straße", wenn er sich nicht zur Zahlung eines Betrages von 40.000,00 € verpflichte. Lediglich aufgrund eines Rates seines Lebensgefährten habe er abends eine E-Mail an den Vorstand der Beklagten zu 1) versandt, in welcher er die Vorwürfe eingeräumt habe, um mit diesem persönlich ein Gespräch führen zu können. Des Weiteren sei zumindest eine Abmahnung erforderlich gewesen, bevor die Beklagten zur fristlosen Kündigung hätten greifen dürfen.

Da ihm die Grundlagen seines Ausgleichsanspruchs nicht bekannt seien, sei er auf die Geltendmachung von Auskunftsansprüchen angewiesen. Der Kläger hat weiterhin gemeint, er könne auch die Feststellung verlangen, dass der Agenturvertrag durch seine fristlose Kündigung vom 17. bzw. "hilfsweise" vom 18.9.2014 beendet worden sei; auch für die Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten "aufgrund der Beendigung des Agenturvertrages vom 01.07.2014 seit dem 17.09.2014" bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 7.4.2016 eine Berechnung des ihm nach seiner Auffassung zustehenden Ausgleichs mit zunächst 145.199,63 € vorgenommen. Er hat bestritten, dass die Beklagten die behaupteten Beträge zur "Zukunftssicherung" aus eigenen Mitteln für ihn aufgebracht hätten; demzufolge lägen auch die Voraussetzungen nicht vor, unter denen eine Berücksichtigung bei dem Anspruch aus § 89 b HGB zu erfolgen habe.

Er hat die Auffassung vertreten, seine Eigenkündigung stehe selbst dann, wenn sich ein begründeter Anlass im Sinne von § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB nicht erweisen lasse, einem Ausgleichsanspruch nicht entgegen, weil ihm aufgrund seiner depressiven Erkrankung seit dem 11.9.2014 eine Fortführung der Tätigkeit für die Beklagten ohnehin nicht mehr zumutbar gewesen sei. Dies lasse sich bereits dem (Ober-)Gutachten des Dr. T, das im (vorgerichtlichen) Verfahren der Inanspruchnahme der Berufungsunfähigkeitsversicherung eingeholt worden sei, entnehmen.

Der Kläger, der zunächst u.a. beantragt hat,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 17.9.2009 bis 17.9.2014 einen Buchauszug zu erteilen, der Auskunft gibt über sämtliche Geschäfte, die er für die Beklagten vermittelt und/oder betreut hat, wobei die Auskunft unter Einschluss näher bezeichneter "Punkte" gem. lit. a) - i) zu erstellen ist;

2. die Beklagten für den Fall, dass der Buchauszug nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt sein sollte, zu verurteilen, die Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer Auskunft eidesstattlich zu versichern,

3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, ihm einen Ausgleichsanspruch aus den sich aus der Auskunft zu 1. ergebenden Geschäften in noch zu bestimmender Höhe nebst Zinsen zu zahlen,

hilfsweise für den Fall, dass das Gericht die Stufenklage für unzulässig erachten sollte,

festzustellen, dass ihm ein Ausgleichsanspruch aus den sich aus der Auskunft zu 1. ergebenden Geschäften in noch zu bestimmender Höhe zusteht,

hat diese Anträge für erledigt erklärt und zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass die vorgenannten Anträge erledigt sind,

2. - nach Rücknahme eines weitergehenden Betrages von 13.676,28 € - die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 131.523,35 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.10.2014 zu zahlen,

3. festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Agenturvertrag vom 01.07.2001 durch die fristlose Kündigung des Klägers vom 17.9.2014, hilfsweise vom 18.9.2014, beendet wurde,

4. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihm aufgrund der Beendigung des Agenturvertrages vom 01.07.2001 seit dem 17.09.2014 entstanden sind und noch entstehen werden.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen;

die Beklagte zu 3) hat widerklagend beantragt,

festzustellen, dass der Agenturvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 3) durch die fristlose Kündigung der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014 beendet worden ist.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten haben geltend gemacht, der Agenturvertrag mit dem Kläger habe zunächst zwischen diesem und den Beklagten zu 1) und 2) bestanden, ab 2009 mit der Beklagten zu 1) und ab einer Umstrukturierung zum 1.4.2014 nur noch mit der Beklagten zu 3). Die Beklagten zu 1) und 2) seien Rechtsvorgängerinnen der Beklagten zu 3), wie dem Kläger auch bestens bekannt sei. Der Kläger habe die ihm erteilte Regulierungsvollmacht in einer ganzen Reihe von Fällen missbraucht, wie die Abteilung Schadenmanagement aufgrund eines Hinweises der Vertragsabteilung im August 2014 herausgefunden habe. Allein im Zeitraum von Januar 2012 bis August 2014 habe der Kläger solchermaßen Regulierungen im Umfang von 108.000,00 € vorgenommen.

Am 10.9.2014 habe es keine "Drucksituation" gegeben; Beeinträchtigungen des Klägers durch Psychopharmaka hätten nicht vorgelegen. Der Kläger, der die Gespräche - wie unstreitig blieb - jederzeit hätte abbrechen können, sei der Situation vollkommen gewachsen gewesen; er habe den vorgeschlagenen Zahlungsbetrag von zunächst 43.000,00 € auf 40.000,00 € heruntergehandelt.

Die Kündigung der Beklagten zu 3) sei dem Kläger durch Einwurf in den Briefkasten seiner Privatwohnung am 17.9.2014 bereits um 12.30 Uhr zugegangen, nachdem er zuvor dort und in seinem Büro nicht persönlich habe angetroffen werden können.

Ein Ausgleichsanspruch stehe dem Kläger aufgrund seiner zugestandenen Verhaltensweisen, die zur fristlosen Kündigung berechtigt hätten, nicht zu. Diese fristlose Kündigung sei auch von der alleinigen Vertragspartnerin des Klägers, der Beklagten zu 3), am 16.9.2014 ausgesprochen worden.

Die Beklagten haben "vorsorglich" geltend gemacht, der Ausgleichsanspruch des Klägers belaufe sich rechnerisch auf 29.559,42 €. Er sei aber auch deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagten für ihn bei der Y Lebensversicherung AG eine Direktversicherung zur Deckung einer Alters- und Berufsunfähigkeitsrente (sog. Zukunftssicherung) unterhalten hätten. Der Barwert dieser Versicherung, der allein aus Mitteln der Beklagten aufgebracht worden sei, belaufe sich auf 52.637,11 € - bzw. angesichts der per 1.3.2016 anerkannten Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit sogar auf 145.729,34 € - und sei auf einen etwaigen Ausgleichsanspruch anzurechnen. Die Einzahlungen der Beklagten in die bestehende Direktversicherung hätten sich auf 49.894,43 € summiert. Ebenfalls zu berücksichtigen seien erfolgsabhängige Zuschüsse an den Kläger, die sich auf 17.884,85 € belaufen hätten. Darüber hinaus haben die Beklagten darauf verwiesen, dass Auskunftsansprüche aus § 87 c HGB gerade nicht zur Vorbereitung eines Ausgleichsanspruchs geltend gemacht werden könnten. Soweit Provisionsansprüche verjährt seien (hier bis zum 31.12.2011), scheide ohnehin eine Auskunftserteilung aus.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 17.5.2016 die Klage abgewiesen, der Widerklage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, es könne offenbleiben, ob die Eigenkündigung des Klägers oder die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) dem jeweiligen Adressaten zuerst zugegangen sei. Denn die Kündigung des Klägers habe jedenfalls mangels eines wichtigen Kündigungsgrundes keine Wirkung entfaltet. Der Kläger habe weder hinreichend vorgetragen noch unter Beweis gestellt, dass er am 10.9.2014 zur Abgabe seiner Erklärungen durch Drohungen oder Nötigungen gebracht worden sei oder dass er sich wegen der vorherigen Einnahme von Medikamenten in einer seine Willensfreiheit beeinträchtigenden Situation befunden habe. Soweit sich der Kläger darauf berufe, zum Zeitpunkt seiner Kündigungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Fortführung der Agentur in der Lage gewesen zu sein, sei ihm jedenfalls im vorliegenden Fall ein Nachschieben dieses Kündigungsgrundes verwehrt. Hingegen habe die formell wirksame Kündigung seitens der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014 den Agenturvertrag beendet. Die vom Kläger am 10.9.2014 unterschriebenen Dokumente belegten erhebliche schuldhafte Vertragsverletzungen, angesichts derer eine Abmahnung nicht mehr erforderlich gewesen sei. Die Kündigung des Klägers vom 18.9.2014 sei ohnehin nicht zu berücksichtigen, da sie erst nach der Beendigung des Agenturvertrags erklärt worden sei. Der Ausgleichsanspruch sei gem. § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB entfallen; der Kläger könne sich demgegenüber nicht auf § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB und ein Nachschieben der angeblichen Erkrankung berufen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter.

Was die Wirksamkeit seiner ersten Eigenkündigung vom 17.9.2014 angehe, so akzeptiert er die Ausführungen des Landgerichts, wonach ein wichtiger Grund für diese Kündigung jedenfalls nicht erwiesen sei. Das Landgericht habe aber verkannt, dass er vorgetragen habe, wegen seiner Erkrankung zur Fortführung der Agentur nicht mehr in der Lage gewesen zu sein. Dieser Umstand sei zu berücksichtigen, weil er zulässigerweise habe nachgeschoben werden dürfen. Das Landgericht hätte folglich ggf. Beweis erheben müssen.

Es bleibe ferner dabei, dass die Kündigung seitens der Beklagten zu 3) unwirksam sei. Das notwendige Verschulden des Handelsvertreters habe der Unternehmer nachzuweisen, was die Kammer verkannt habe und woran es hier gefehlt habe. Auch seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen hätten bei der Frage des Verschuldens(-nachweises) berücksichtigt werden müssen. Auf die E-Mail an P hätte das Landgericht ohnehin nicht abstellen dürfen, ohne zuvor den Zeugen C zu den Hintergründen befragt zu haben. Eine Vielzahl von Vorwürfen bezüglich seines Regulierungsverhaltens habe sich unterdessen in dem weiteren Verfahren vor dem Landgericht Münster 16 O 62/15 als unzutreffend erwiesen. Letztlich sei den Beklagten angesichts ihrer Eintrittspflicht in den betreffenden Fällen auch kein Schaden entstanden.

Jedenfalls sei seine zweite Eigenkündigung wirksam geworden.

Selbst wenn sich die Kündigung der Beklagten zu 3) als wirksam erweisen sollte, führte dies nicht zum (völligen) Wegfall des Ausgleichsanspruchs, wenn er, der Kläger, seinerseits wegen Krankheit hätte kündigen dürfen; in diesem Sinne sei der Bundesgerichtshof (Urt. vom 3.5.1995, BB 1995, S. 1437) zu verstehen. Auch insoweit zeige sich, dass seine Erkrankung nicht habe unbeachtet bleiben dürfen.

Auch die Feststellungsanträge erwiesen sich mithin als begründet; für den Antrag zu 1) folge dies daraus, dass Auskunft jedenfalls nach dem Urteil des Senats vom 19.7.2009 (18 U 173/08) auch zur Ermittlung des Ausgleichsanspruchs begehrt werden könne.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 17.5.2016 (Az. 25 O 145/14)

1. festzustellen, dass der Rechtsstreit hinsichtlich der Anträge aus der Auskunftsstufe in der Hauptsache erledigt ist,

2. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn einen Betrag von 131.523,35 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.10.2014 zu zahlen,

3. festzustellen, dass der zwischen den Parteien abgeschlossene Agenturvertrag vom 01.07.2001 durch die fristlose Kündigung des Klägers vom 17.9.2014, hilfsweise vom 18.9.2014, beendet wurde,

4. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm sämtliche Schäden zu ersetzen, die ihm aufgrund der Beendigung des Agenturvertrages vom 01.07.2001 seit dem 17.09.2014 entstanden sind und noch entstehen werden sowie

5. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung und führen auf Nachfrage des Senats näher aus, dass die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) am 17.9.2014 gegen 12.30 Uhr von ihren Mitarbeitern L und B in den Briefkasten der Wohnung des Klägers eingelegt worden sei. Sie bekräftigen ihre Auffassung, dass diese Kündigung vor der Eigenkündigung des Klägers zugegangen sei. Es habe auch ein wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Agenturvertrags wegen schuldhaften Verhaltens des Klägers vorgelegen, so dass der Ausgleichsanspruch ausscheide. Dies ergebe sich bereits aus den vom Kläger unterzeichneten Dokumenten; Anhaltspunkte für eine sittenwidrige "Drucksituation" lägen nicht vor. Seine Eigenkündigung sei hingegen unwirksam. Der Kläger sei nicht krankheitsbedingt an der Fortführung der Agentur, ggf. durch "Ersatzkräfte", gehindert gewesen. Sie verweisen darauf, dass der Kläger noch bei seiner Anhörung im einstweiligen Verfügungsverfahren (LG Münster 16 O 319/14) am 11.11.2014 eine Arbeitsunfähigkeit mit keinem Wort erwähnt habe. Noch in der Verhandlung vor der Kammer am 4.8.2015 habe sein Prozessbevollmächtigter - wie unstreitig ist - erklärt, der Umstand, dass er (der Kläger) seine Tätigkeit ohnehin nicht mehr hätte fortsetzen können, sei "nicht als Kündigungsgrund erfolgt". Der Kläger, so meinen die Beklagten, könne diesen - vermeintlichen - Grund auch nicht nachschieben. Jedenfalls ergebe die Billigkeitsprüfung, dass der Kläger keine Ausgleichsforderung erheben könne.

Die Beklagten haben u.a. näher zur Stellung der Beklagten zu 3) als (alleiniger) Vertragspartnerin des Klägers infolge von Ausgliederungs- und Übernahmeverträgen mit den Beklagten zu 1) und 2) ausgeführt.

Der Senat hat die Zeugen L und B vernommen; wegen ihrer Aussagen und der weiteren Erörterungen im Termin wird auf den Berichterstatter-Vermerk vom 19.1.2017 verwiesen. Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Antrag zu 1. - Feststellung der Erledigung der Anträge aus der Auskunftsstufe

Der Kläger ist bereits in erster Instanz von der auf den Ausgleichsanspruch bezogenen Stufenklage (ursprüngliche Klageanträge zu Ziff. 1. - 3.) auf einen bezifferten Antrag übergegangen. Dies ist prozessual statthaft.

Der Senat schließt sich indes der Auffassung an, dass in einem solchen Fall kein Raum für eine einseitige Erledigungserklärung der "alten" Anträge besteht, und zwar auch nicht im Hinblick auf ein Kosteninteresse (BGH NJW 2001, 833; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 254 Rn. 12). Zwar hat das Landgericht infolge der einseitigen Erledigungserklärung (im Urteil S. 16 ist offensichtlich versehentlich von einer übereinstimmenden Erledigungserklärung die Rede) einen diesbezüglichen Feststellungsantrag angenommen und ihn in der Sache abgewiesen. Für eine Korrektur des landgerichtliches Tenors besteht gleichwohl keine Veranlassung; auch die Kostenentscheidung verlangt nicht nach einer Veränderung.

II. Antrag zu 2. - Ausgleichsanspruch in Höhe von 131.523,35 € nebst Zinsen

Dem Kläger steht kein Ausgleichsanspruch gem. §§ 92 Abs. 2, 89 b Abs. 1 HGB gegen die Beklagten zu.

1.

Der Kläger nimmt alle drei Beklagten gesamtschuldnerisch auf den Ausgleich in Anspruch.

Voraussetzung für diese Inanspruchnahme ist grundsätzlich, dass zwischen dem Kläger und sämtlichen Beklagten ein Handels- bzw. Versicherungsvertretervertrag im Sinne der §§ 84ff, 92 HGB bestand, der sodann beendet wurde.

Die Einstandspflicht der Beklagten zu 3) für einen etwaigen Ausgleichsanspruch ist zwischen den Parteien unstreitig und bedarf daher an dieser Stelle keiner näheren Betrachtung.

Ob auch die Beklagten zu 1) und 2) auf einen etwaigen Ausgleichsanspruch - oder einen Teil desselben - haften, ist hingegen davon abhängig, ob ihre Stellung als ursprüngliche Partner des Agenturvertrages fortbestanden hat oder ob sich jedenfalls eine Haftung infolge der von den Beklagten geltend gemachten Vorgänge gem. § 123 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 133 Abs. 1 S. 1 UmwG ergibt. Die in diesem Zusammenhang interessierende Frage, ob es sich bei dem Ausgleichsanspruch um eine bereits vor dem Wirksamwerden der Spaltung "begründete" Verbindlichkeit handelte, ggf. beschränkt auf denjenigen Ausgleichsbetrag, der im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Spaltung begründet war, kann jedoch aus den nachfolgenden Gründen offen bleiben.

2.

Ein Ausgleichsanspruch des Klägers scheitert an § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB. Infolge der Kündigung der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014 ist der Agenturvertrag beendet worden (im Folgenden unter a) und b)); für diese Kündigung lag auch ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Klägers vor (unter c)), der auch den Grund für die Kündigungserklärung bildete (unter d)).

a)

Die Kündigung der Beklagten zu 3) vom 16.9.2014, zugegangen infolge Einwurfs in den Briefkasten der Wohnung des Klägers am 17.9.2014, hat den Agenturvertrag beendet.

aa)

Die Beklagte zu 3), satzungsgemäß vertreten durch ein Vorstandsmitglied und eine Prokuristin, war als alleinige Vertragspartnerin des Klägers zur Kündigung des Agenturvertrags befugt.

Es kann dahinstehen, ob der Kläger die Feststellungen des Landgerichts, wonach die Beklagte zu 3) als alleinige Vertriebspartnerin des Klägers kündigen konnte, in der Berufungsinstanz rechtzeitig angegriffen hat. Soweit dies im Schriftsatz vom 17.1.2017 nunmehr geschehen ist, ist der Angriff angesichts des Vortrags der Beklagten zu dem Tatbestand des § 123 Abs. 3 Nr. 1 UmwG unzureichend:

Die Beklagte zu 3) ist infolge der jeweiligen Ausgliederung zur Aufnahme gem. § 123 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG anstelle der ursprünglichen Gesellschaften in den Agenturvertrag mit dem Kläger eingerückt. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob der Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung dahin zu verstehen ist, dass seit 2009 bis 2014 (lediglich) noch die Y Versicherung AG Vertragspartner war. Denn die von den Beklagten vorgelegten Auszüge aus dem Handelsregister belegen die erforderlichen Tatbestände der sog. Ausgliederung zur Aufnahme in Bezug auf beide ursprünglichen Vertragspartner des Klägers:

Die Auszüge aus dem Handelsregister des Amtsgerichts Düsseldorf betr. die jetzige Beklagte zu 3) (HRB ...1) weisen unter dem 17.3.2014 u.a. aus, dass die Gesellschaft "nach Maßgabe des Ausgliederungs- und Übernahmevertrages vom 17.02.2014 sowie der Zustimmungsbeschlüsse ihrer Hauptversammlung vom 17.02.2014 und der Hauptversammlung des übertragenden Rechtsträgers vom 17.02.2014 Teile des Vermögens nämlich den Teilbetrieb Vertrieb der Y Versicherung Aktiengesellschaft ... als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung übernommen" hat und dass die "Ausgliederung .. erst wirksam mit Eintragung auf dem Registerblatt des übertragenden Rechtsträgers" wird. Eine entsprechende Eintragung der Übertragung des Teilbetriebs "Vertrieb" - mit der Wirkung des § 131 UmwG - findet sich im Handelsregister der (vormaligen) Y Versicherung AG (Amtsgericht Düsseldorf HRB ...2) unter dem 17.3.2014. Ferner liegen entsprechende Eintragungen bezüglich eines Ausgliederungs- und Übertragungsbeschlusses betreffend den Teilbetrieb Vertrieb der X Lebensversicherung Aktiengesellschaft vor, nämlich im Handelsregister der der Beklagten zu 3) sowie im Handelsregister der (vormaligen) X Lebensversicherung Aktiengesellschaft (Amtsgericht Düsseldorf, HRB ...3) unter dem 20.3.2014.

Damit sind die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Übergangs der Vertragspartnerschaft bezüglich des Agenturvertrags mit dem Kläger auf die Beklagte zu 3) substantiiert dargelegt. Das bloße Bestreiten des Klägers, dass es sich bei der Beklagten zu 3) um seine Vertragspartnerin handele, genügt in einem solchen Fall nicht.

bb)

Die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) ist durch ihren Bezirksdirektor L gegen Mittag des 17.9.2014 in den Briefkasten der Wohnung des Klägers eingelegt worden, jedenfalls bevor der Kläger seine Eigenkündigung sodann in den Räumlichkeiten der Bezirksdirektion in N demselben Herrn L aushändigen ließ. Dieser Vorgang ist vom Kläger nur hinsichtlich der Uhrzeit des Einwurfs der Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) in seinen Briefkasten bestritten worden, nicht hingegen bezüglich des Erscheinens des Bezirksdirektors L in O am Vormittag des 17.9.2014. Jedenfalls steht der Vortrag der Beklagten - bis auf den genauen Zeitpunkt des Einwurfs des Kündigungsschreibens - durch die Vernehmung der Zeugen L und B zur Überzeugung des Senats fest. Beide Zeugen traten ruhig, sachlich und natürlich auf; es ergaben sich weder Widersprüche in ihren Aussagen noch Anhaltspunkte dafür, dass sie sich nicht an ihre Erinnerung hielten.

Sollte der Kläger die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) erst am Abend - nach seiner behaupteten Rückkehr aus E bzw. N - entgegengenommen haben, wie er allerdings nachvollziehbar darlegt, muss er sich gleichwohl nach § 242 BGB so behandeln lassen, als hätte er die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) bereits zuvor - und zwar vor Übergabe seiner Eigenkündigung an die Beklagte zu 3) - erhalten.

(1)

Das Wirksamwerden einer Willenserklärung unter Abwesenden hängt gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB von ihrem Zugang ab. Bei einem Einwurf in den Briefkasten ist der Zugang zu dem Zeitpunkt anzunehmen, zu dem mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist; der Zugang hängt nicht von der individuellen Kenntnisnahme ab (BAG NZA 2015, 1183, BGH NJW 2004, 1320).

(2)

Gleichwohl kann sich der Kläger im vorliegenden Fall nicht darauf berufen, die Leerung seines Briefkastens sei von den "Zustellgewohnheiten" der Post an der konkreten Anschrift und ferner davon abhängig, wann von einem alleinstehenden und berufstätigen Empfänger wie ihm werktäglich die Leerung des Briefkastens zu erwarten sei, und liege folglich nicht vor 18.00 Uhr.

Die Rechtsprechung fingiert unter bestimmten Voraussetzungen entweder den Zugang einer Willenserklärung selbst oder lediglich den (früheren) Zeitpunkt des Zugangs. Im Grundsatz führen schlichte Obliegenheitsverletzungen eines Empfängers nur zur sog. Rechtzeitigkeitsfiktion, während der Zugang als solcher (obwohl tatsächlich gar keine Willenserklärung abgegeben worden ist) nur bei schwerwiegenden Treueverstößen wie grundloser Annahmeverweigerung oder arglistiger Zugangsvereitelung fingiert wird (insbes. BGH NJW-RR 2007, 1567; Ascheid/Preis/Schmidt, KündigungsR, 5. Aufl., Kap. D Rn. 58f.). Für die Anwendung des § 242 BGB im Rahmen des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB ist allerdings - in beiden Konstellationen - mehr erforderlich als nur ein objektives Zugangshindernis im Bereich des Empfängers. Solche zusätzlichen Umstände sind jedoch gegeben, wenn der Empfänger den Zugang bewusst vereitelt oder verzögert oder wenn er mit dem Eingang rechtsgeschäftlicher Erklärungen rechnen muss und nicht dafür sorgt, dass diese ihn erreichen (BGH, Urt. vom 17.4.1996 - Az. IV ZR 202/95 - NJW 1996, S. 1967).

Es kann dahinstehen, ob den Kläger hier eine Obliegenheit traf, die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) alsbald, hier noch im Laufe des Nachmittags des 17.9.2014, zur Kenntnis zu nehmen. Jedenfalls hat er die Kenntnisnahme dieser Kündigung bewusst verweigert und in diesem Sinn den Zugang verzögert, um zuvor seine Eigenkündigungen übergeben zu können. Dies stellt ein Verhalten dar, das ihm nach § 242 BGB - und dem auch in § 162 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, wonach niemand aus einer von ihm treuwidrig herbeigeführten Lage Vorteile ziehen soll (Münchener Kommentar BGB/Westermann, 7. Aufl., § 162 Rn. 18) - die Berufung darauf versagt, seine eigene Kündigung sei früher zugegangen.

Die bewusste Verweigerung der Kenntnisnahme der Kündigung trotz bestehender Möglichkeit dazu entnimmt der Senat den folgenden Umständen:

Der Kläger wollte auch im Anschluss an das Gespräch ("Protokoll") am 10.9.2014 den Agenturvertrag mit der Beklagten zu 3) fortführen. Das folgt auch aus der abendlichen Mitteilung an das Vorstandsmitglied Blaeser, und zwar auch dann, wenn diese Mitteilung unter dem vom Kläger behaupteten Einfluss seines Lebensgefährten C formuliert wurde.

Einen plausiblen Anlass für einen plötzlichen Sinneswandel hat er nicht aufzeigen können. Namentlich die behauptete neuerliche Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfe nach dem 10.9.2014 erklärt einen solchen Sinneswandel nicht, zumal ein Ausscheiden aus den Diensten der Beklagten zu 3) für den Kläger erkennbar mit gravierenden wirtschaftlichen und persönlichen Folgen verbunden war.

Selbst wenn sich der Kläger erst im Laufe des 17.9.2014, einem Mittwoch - etwa anlässlich der Beratung bei seinem Prozessbevollmächtigten in Ibbenbüren - dazu entschlossen haben sollte, seinerseits den Agenturvertrag sofort zu beenden, hätte immer noch kein nachvollziehbarer Anlass dafür bestanden, sogleich persönlich sowie in Anwesenheit von Rechtsanwalt M die Übergabe von Kündigungserklärungen in N und E zu bewirken. Das hätte ohne weiteres per Fax oder jedenfalls auf dem Postweg mit Zugang (spätestens) am Folgetag bewirkt werden können.

Den einzigen nachvollziehbaren Anlass für die Erklärung der Eigenkündigung und deren Übergabe noch am selben Tag bot deshalb die - bereits abgegebene, aber noch nicht zugegangene - Kündigungserklärung der Beklagten zu 3), und zwar insofern, als der Kläger - ggf. aufgrund anwaltlicher Beratung - hier noch die Gelegenheit sah, die Rechtslage durch eine "überholende" Eigenkündigung für ihn günstiger zu gestalten, und zwar auch im Hinblick auf die Folgen der Kündigungserklärung des Unternehmers für seinen Ausgleichsanspruchs gem. § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB.

Diese Situation bot sich dem Kläger im Laufe des 17.9.2014. Angesichts der unstreitigen Umstände ist davon auszugehen, dass dem Kläger spätestens bei der Beratung durch Rechtsanwalt M am (Vor-)Mittag des 17.9.2014, bei der der Vater des Klägers zugegen war, bekannt wurde, dass der Bezirksdirektor L an eben diesem Vormittag in der Agentur in O erschienen war, um die Kündigung zu übergeben. Denn während des Aufenthalts L's in der Agentur hatte ein Telefonat zwischen ihm und dem Vater des Klägers stattgefunden. Der Kläger, der ausweislich der Bekundung des Zeugen L noch kurze Zeit vor dem 17.9.2014 bei ihm angefragt hatte, ob schon "etwas" aus E eingegangen sei, wusste, dass es keinen anderen Anlass für das Erscheinen L's in O gab als die Übergabe der Kündigungserklärung. Er wusste auch, dass L nicht unverrichteter Dinge nach N zurückfahren, sondern die Kündigungserklärung in O - entweder in der Agentur oder an seiner Wohnung - zurücklassen werde.

Außer dem Zweck, die Eigenkündigungen in N und in E noch vor Leerung seines Briefkastens zu übergeben, hielt den - im Übrigen krankgeschriebenen - Kläger nichts davon ab, jedenfalls nach Beendigung der Beratung in Ibbenbüren zu seiner Wohnung nach O zurückzukehren, um die Kündigung der Beklagten zu 3) dem Briefkasten zu entnehmen.

b)

Abgesehen davon wäre nach Auffassung des Senats der Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) auch dann die Ausschlusswirkung gem. § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB beizumessen, wenn sie dem Kläger erst am Abend des 17.9.2014 und nach Zugang seiner Eigenkündigung bei der Beklagten zu 3) bzw. ihrem Repräsentanten L in N zugegangen wäre.

Wenngleich § 89 b Abs. 3 HGB als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist und eine nicht mehr wirksam gewordene Kündigung des Unternehmers aus wichtigem Grund deshalb nicht mehr zu einem Ausschluss des Ausgleichs führen, sondern nur noch im Rahmen des Billigkeitsausgleichs berücksichtigt werden kann (BGH, Urt. vom 3.5.1995 - Az. VIII ZR 95/94 - NJW 1995, S. 1958; Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn/ Löwisch, HGB, 3. Aufl., § 89b Rn. 66), gilt dies nach Auffassung des Senats jedenfalls dann nicht, wenn der Handelsvertreter zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung des Unternehmers schon abgegeben ist, durch außergewöhnliche Bemühungen ihrem Zugang durch eine Eigenkündigung zuvorkommt. Auch Art. 18 lit. a) der Richtlinie 86/653/EWG vom 18.12.1986 steht diesem Verständnis nicht entgegen. Die Richtlinie gilt nicht (direkt) für Versicherungsvertreter und kommt allenfalls indirekt über § 92 Abs. 2 HGB zur Anwendung, wenn und insoweit eine gespaltene Auslegung des § 89 b Abs. 3 HGB zu vermeiden ist (so BGH, Urt. vom 25.10.2012, Az. VII ZR 56/11, bezüglich § 90 a HGB; Baumbach/Hopt, a.a.O., § 84 Rn. 3). Inhaltlich knüpft Art. 18 lit. a) zwar den Ausschluss an eine "Beendigung" des Vertrages durch den Unternehmer und ist insofern deutlicher als das deutsche Recht in § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB, das auf die Kündigung des Vertragsverhältnisses durch den Unternehmer Bezug nimmt, worunter auch bereits die Abgabe einer Kündigungserklärung verstanden werden kann. Doch bedeutet auch der Text der Richtlinie nicht, dass Fragen des Zugangs der maßgeblichen Erklärungen sowie einer etwaigen Zugangsvereitelung gleichsam ausgeblendet werden. Anderenfalls wäre es in vergleichbaren Situationen dem Handelsvertreter oder ggf. auch dem Unternehmer gleichsam überlassen, über den Eintritt der Ausschlusswirkung des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB bzw. des Art. 18 lit. a) der Richtlinie zu disponieren.

c)

Die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) führte auch zur sofortigen Beendigung des Agenturvertrags, weil ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Klägers vorlag.

Es kann dahinstehen, ob es dem Kläger bereits aufgrund des im Rahmen seines Schuldanerkenntnisses vom 10.9.2014 erklärten Verzichts auf "Einwendungen jedweder Art zu Grund und Höhe der Schuld" versagt ist, sich nunmehr auch gegenüber der fristlosen Kündigung vom 16.9.2014 darauf zu berufen, es liege gar kein zumal schuldhaftes Fehlverhalten seinerseits vor, das einen wichtigen Grund darstelle.

Denn jedenfalls aufgrund bestimmter Erklärungen des Klägers, die Gegenstand des am 10.9.2014 aufgenommenen "Protokolls" waren, durfte die Beklagte zu 3) davon ausgehen, dass der Kläger erhebliche - im Übrigen schuldhafte - Vertragsverletzungen gegenüber den Beklagten bei der Abwicklung von Versicherungsfällen begangen hatte, die das Vertrauensverhältnis so zerstörten, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 89 a Abs. 1 S. 1 HGB für die sofortige Beendigung des Agenturvertrags vorlag und überdies die weiteren Voraussetzungen des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB für einen Ausschluss des Ausgleichsanspruchs erfüllt waren. Dies betrifft zumindest folgende "Fälle":

aa)

Der Kläger hat sich gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten am 10.9.2014 zur Abrechnung eigener Schäden u.a. dahingehend geäußert, dass er "mehrfach bewusst abgerechnete Schäden über falsche Verträge zwischen der Ferienwohnung und seinem Erstwohnsitz abrechnen ließ." Damit hat er eingeräumt, (Hausrat-)Schäden über Policen geltend gemacht zu haben, die sich nicht auf die entsprechenden Wagnisse bezogen. Das stellt - unabhängig von dem tatsächlichen Eintritt der gemeldeten Versicherungsfälle und der Eintrittspflicht des Versicherers - ein betrügerisches Verhalten dar, weil der Kläger damit den Konsequenzen einer sog. Sanierung bestimmter eigener Verträge entgehen wollte. Ein solches Verhalten zerstört die Vertrauensgrundlage zu den Beklagten, weil die von den Beklagten zu Recht vorausgesetzte persönliche Integrität des Klägers nicht (mehr) vorhanden ist.

Darüber hinaus offenbart das Protokoll jedenfalls in einzelnen Fällen ein im Zusammenwirken mit dem jeweiligen Versicherungsnehmer schädigendes Verhalten des Klägers gegenüber den Beklagten bzw. den Missbrauch der "Exkasso-Vollmacht":

(1)

Dies betrifft etwa die Regulierung des zweiten Schadens der Versicherungsnehmerin R an einem Ceran-Kochfeld, der dem Kläger im August 2014 gemeldet worden war. Hier ersetzte der Kläger die Kosten eines neuen Herdes, wofür die Glasversicherung unstreitig keine Grundlage bot.

(2)

Ferner ist die Regulierung des von der Versicherungsnehmerin S ebenfalls im August 2014 gemeldeten Schadens an ihrem Fernsehgerät in Höhe von 1.249,00 € durch einen bewussten Missbrauch der "Exkasso-Vollmacht" vorgenommen worden, weil eine Gegenstandsversicherung zugrunde lag, bezüglich derer dem Kläger die Schadensanlage (sowie die Regulierung) untersagt war. Dies geschah, obwohl er bereits Ende 2012 - wie unstreitig blieb - darüber "belehrt" worden war, zu solchen Maßnahmen nicht berechtigt zu sein. Die Frage, ob die Beklagte zu 1) tatsächlich in Höhe des regulierten Betrages einstandspflichtig war oder nicht, geht den Kläger im Verhältnis zu seiner Vertragspartnerin, der Beklagten zu 3), schlicht "nichts an" und relativiert die Illoyalität seines Verhaltens nicht, weil er keine Berechtigung hatte, sich in die Bearbeitung und Regulierung solcher Schäden einzuschalten.

(3)

Überdies stellt das Verhalten des Klägers im Fall W (seinem Großvater) einen eklatanten, ebenfalls die Vertrauensgrundlage betreffenden Verstoß gegen die Regulierungsvorschriften dar. Wie sich bei der Befragung am 10.9.2014 herausstellte, handelte es sich bei dem Versicherungsnehmer um einen Verwandten (Großvater), der überdies die Wohnung, deren Hausrat (Tisch) im Frühjahr 2013 nach Darstellung des Klägers durch Brand beschädigt worden war, bereits seit ca. zwei Jahren verlassen hatte. Unabhängig davon, ob gem. § 11 der Bedingungen angesichts des der Beklagten zu 1) nicht mitgeteilten Umzugs des Versicherungsnehmers überhaupt noch Versicherungsschutz für den dortigen Hausrat bestand, setzte sich der Kläger erneut über die Beschränkungen der "Exkasso-Vollmacht" betreffend die Regulierung von Schäden verwandter Personen hinweg.

bb)

Der Kläger handelte in den vorgenannten Fällen jeweils auch schuldhaft im Sinne des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB, und zwar vorsätzlich (§ 276 Abs. 1 S. 1 BGB). Zu Recht verweist der Kläger darauf, dass für dieses Verschulden der Unternehmer darlegungs- und beweispflichtig sei. Dieses Verschulden steht aber zur Überzeugung des Senats fest, weil es sich jeweils um zielgerichtete Bearbeitungen von Schadensfällen durch den Kläger als "Profi" handelte, bei denen er die jeweils einfach gelagerte rechtliche Situation bezüglich der Reichweite seiner "Exkasso-Vollmacht" und bezüglich der Folgen richtiger Angaben für die Eintrittspflicht des Versicherers bzw. den Fortbestand bestimmter eigener Versicherungen überblickte und zumindest in Kauf nahm, entgegen den vertraglichen und gesetzlichen Grenzen seines Handelns auf Kosten der Versicherer für den jeweiligen Versicherungsnehmer Leistungen zu bewirken oder - bei den gemeldeten Eigenschäden - nachteilige Folgen für sich selbst zu vermeiden.

Dafür, dass der Kläger (bereits) zu den betreffenden Zeitpunkten seines Verhaltens krankheits- oder medikationsbedingt in seiner Verantwortlichkeit ausgeschlossen oder eingeschränkt war (§§ 276 Abs. 1 S. 2, 827 S. 1 BGB), sind erst recht keine Anhaltspunkte ersichtlich. Solche ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers, der vielmehr darauf abstellt, erst infolge der Geschehnisse vom 10.9.2014 eine Exazerbation seiner Erkrankung erlitten zu haben. Soweit der Kläger auf die erstinstanzlichen Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 7.4.2016 (Bl. 504ff. d.A.) und auf die dort zitierte Stellungnahme des Dr. med. Z verweist, wonach sich eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung seiner Tätigkeit im Rahmen des Agenturvertrags nicht erst am Tage der Kündigung, sondern schon geraume Zeit früher, ggf. bereits zum Zeitpunkt der Verlagerung der Agentur in die Innenstadt bzw. der entsprechenden Weisung der Beklagten zu 3), ergeben habe, lassen sich auch daraus keine Anhaltspunkte für eine Einschränkung des Bewusstseins oder der Willensbestimmung im Sinne des § 827 S. 1 BGB zu den jeweiligen Zeitpunkten der soeben erörterten Verhaltensweisen entnehmen. Denn die Stellungnahmen des Dr. med. Z wie auch die des Prof. Dr. T betreffen die Frage, ob der Kläger im Hinblick auf seine verringerte Belastbarkeit und auf seine depressive Erkrankung den konkreten Anforderungen der Tätigkeit als Inhaber der Agentur noch gewachsen ist oder nicht. Über einen Ausschluss oder eine Minderung der Verantwortlichkeit im Sinne des § 827 S. 1 BGB ist damit noch keine Aussage getroffen, abgesehen davon, dass sich die konkrete psychische Befindlichkeit des Klägers in den jeweiligen Zeitpunkten im Nachhinein nicht mehr aufklären lässt.

cc)

Dass das Protokoll jedenfalls bezüglich der vorgenannten Fälle unzutreffende Sachverhaltsangaben aufweist, behauptet auch der Kläger nicht. Der diesbezügliche maßgebliche Sachverhalt ist vielmehr unstreitig. Der Kläger greift zwar die Entstehung von Schäden bei den Beklagten infolge seiner Verhaltensweisen - in den vorgenannten und in den anderen Fällen - an, doch handelt es sich dabei um versicherungsrechtliche Erwägungen, die stets um die Frage kreisen, inwieweit der Sachversicherer den entschädigten Versicherungsnehmern tatsächlich zumal in vorgenommener Höhe zur Regulierung verpflichtet war.

Der Kläger kann sich schließlich auch nicht darauf berufen, die Beklagten seien an einer Verwertung der am 10.9.2014 erfolgten Angaben gehindert. Zu diesen Angaben des Klägers, wie sie am 10.9.2014 protokolliert worden sind, ist es weder infolge einer vertrags- oder gar sittenwidrigen Einwirkung der Mitarbeiter der Beklagten auf ihn noch infolge einer Erkrankung gekommen; auch sind sie inhaltlich nicht durch Medikamenteneinfluss geprägt worden.

Die Beklagte zu 3) durfte angesichts der sich ihr bietenden Anhaltspunkte für eine vertragswidrige "Regulierungspraxis" des Klägers zu den von ihr eingeschlagenen Maßnahmen, namentlich auch zu einer intensiven Befragung des Klägers greifen, ohne ihm zuvor Gelegenheit zu einer "Vorbereitung" zu geben, zumal es dem Kläger unstreitig freistand, die Befragung von sich aus jederzeit zu beenden.

Für krankheits- oder medikationsbedingte Einwirkungen, die die inhaltliche Richtigkeit der protokollierten Angaben des Klägers in Frage stellen und deshalb die indizielle Wirkung seiner Ausführungen abschwächen oder gar ganz entfallen lassen, liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor. Der Kläger reklamiert zwar eine krankheits- und medikationsbedingte Einschränkung seiner "Widerstandsfähigkeit" sowie seiner Konzentrations- und "Entscheidungsfähigkeit". Diese - behaupteten - Defizite betreffen aber bereits nicht seine Erinnerungs- und Wahrnehmungsfähigkeit bei der Erörterung der einzelnen Fälle, sondern sind auf die rechtsgeschäftlichen Erklärungen zur Anerkennung einer Schadensersatzpflicht bezogen. Weder eine Depression als solche noch die Einnahme der vom Kläger benannten Mittel führen "automatisch" zu einer Trübung des Erinnerungsvermögens oder der Realitätswahrnehmung. Dafür, dass bei der Abgabe seiner sachverhaltsbezogenen Erklärungen gegenüber den Mitarbeitern der Beklagten besondere Umstände obwalteten, etwa eine plötzliche Verschlechterung des behaupteten Krankheitsbildes, ggf. im Zusammenhang mit der Einnahme der Medikamente, liegen keine Hinweise vor. Namentlich das Auftreten des Klägers am 17.9.2014 ließ keine Ausfallerscheinungen körperlicher oder psychischer Art erkennen. Für die Einholung eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens in Bezug auf eine etwaige Trübung des Bewusstseins oder des Erinnerungsvermögens des Klägers bestehen deshalb keine hinreichenden Anknüpfungspunkte. Über die potentielle Wirkung der verschriebenen Psychopharmaka bedarf es gleichfalls keiner sachverständigen Aufklärung.

dd)

Bereits angesichts der soeben genannten Verstöße war die Beklagte zu 3) ohne Abmahnung zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.

Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen die Regulierungsanweisungen, also "eigenmächtige" Zahlungen an Versicherungsnehmer, einen wichtigen Grund für eine - abmahnungslose - fristlose Kündigung dar. Vielmehr kann - in Abhängigkeit auch von der Höhe angerichteter Schäden - sich die Notwendigkeit einer Prüfung dahingehend ergeben, ob eine Abmahnung bzw. der Entzug der "Exkasso-Vollmacht" die berechtigten Interessen der Beklagten zu 3) daran, das vertragsgemäße Verhalten des Klägers bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin sicherzustellen, befriedigt.

Im vorliegenden Fall brauchte die Beklagte zu 3) jedoch nicht von der fristlosen Kündigung abzusehen, und zwar auch nicht im Hinblick auf die Dauer des Agenturvertrags von 13 Jahren und den wirtschaftlichen Erfolg des Klägers. Denn die Verhaltensweisen des Klägers stellten irreparable Verletzungen des Vertrauensverhältnisses dar. Der Kläger hat mit der mehrfachen Überschreitung seiner Befugnisse im Rahmen der Regulierung einen Mangel an Verlässlichkeit und Loyalität gezeigt, den die Beklagte zu 3) nicht bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist - die hier gem. § 12 Ziff. 1. des Agenturvertrags mit einer Frist von sechs Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres, hier also erst zum Ablauf des 31.3.2015 hätte erklärt werden können - hinzunehmen brauchte.

ee)

Das Kündigungsrecht der Beklagten zu 3) ist auch nicht verspätet geltend gemacht worden. Es kommt nicht darauf an, ob die Beklagte zu 3) sich zur Begründung ihrer fristlosen Kündigung auf Vorkommnisse berufen kann, die am 10.9.2014 bereits (mehr als) zwei Jahre zurücklagen und die zwischenzeitlich ohne Weiteres näher hätten aufgeklärt werden können. Denn jedenfalls das vom Kläger erst am 10.9.2014 offenbarte Verhalten bezüglich der Meldung eigener (Hausrat-)Schäden sowie das Verwandtschaftsverhältnis zum Versicherungsnehmer W, aber auch die erst im August 2014 vorgenommenen vertragswidrigen Regulierungen stellten Kündigungsgründe dar, die die Beklagte zu 3) nicht früher aufzuklären hatte, auch wenn bei ihr bereits geraume Zeit zuvor ein Verdacht auf vertragswidrige Regulierungspraxis des Klägers bestanden haben sollte. Die noch innerhalb der Wochenfrist nach dem 10.9.2014 erklärte und übermittelte Kündigung war daher rechtzeitig.

d)

Die den Ausgleich ausschließende Wirkung kommt einer Kündigung seitens des Unternehmers nur dann zu, wenn ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigungserklärung besteht (BGH, Urt. vom 16.2.2011 - Az. VIII ZR 226/07 - NJW-RR 2011, S. 614). Auch dies ist hier erfüllt: Es ist unstreitig, dass die Beklagte zu 3) ihre Kündigung wegen und nicht etwa nur gelegentlich der am 10.9.2014 für sie zutage getretenen schuldhaften Verhaltensweisen erklärte.

3.

Der Senat vermag sich der Auffassung des Klägers, wonach sein Ausgleichsanspruch trotz vertragsbeendender Wirkung der Kündigung der Beklagten zu 3) ganz oder teilweise allein deshalb erhalten bleibe, da er selbst eine - für sich betrachtet - den Ausgleichsanspruch gem. § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB wahrende Eigenkündigung, gestützt auf den nachgeschobenen angeblichen Grund der Erkrankung, ausgesprochen hat, nicht anzuschließen. Ein solches Verständnis ergibt sich weder aus dem Wortlaut des § 89 b Abs. 3 Nr. 1 und 2 noch aus Art. 18 lit. a) und b) der Richtlinie oder aus Sinn und Zweck dieser Regelungen. Es liefe vielmehr auf eine ungerechtfertigte Besserstellung desjenigen Handelsvertreters hinaus, der zwar durch ein schuldhaftes Verhalten Anlass zur fristlosen Kündigung seitens des Unternehmers gegeben hat, selbst aber in der Lage gewesen wäre, aufgrund der in § 89 b Abs. 3 Nr. 1 HGB genannten Umstände "ausgleichsunschädlich" zu kündigen. Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 1995, S. 1958) lässt sich ein solches Ergebnis nicht herleiten.

Soweit erörtert wird, ob noch Fälle des Eintritts ausgleichswahrender Tatbestände während des auslaufenden Vertragsverhältnisses denkbar sind (z.B. Emde, Vertriebsrecht, 3. Aufl., § 89 b Rn. 337ff.), bedarf dies keiner Prüfung. Denn eine solche Situation ist im vorliegenden Fall nicht entstanden, weil die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) den Agenturvertrag sofort beendet hat.

III. Antrag zu 3. - Feststellung der Beendigung des Agenturvertrags durch die Eigenkündigung vom 17.9.2014, hilfsweise durch die Eigenkündigung vom 18.9.2014

Die begehrte Feststellung der vertragsbeendigenden Wirkung der Eigenkündigung des Klägers kann Gegenstand der hier vorliegenden Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO) sein. Zulässigkeitsvoraussetzung ist die Vorgreiflichkeit des festzustellenden Rechtsverhältnisses für die Entscheidung über die Hauptklage. Das Rechtsschutzbedürfnis liegt bereits vor, wenn das streitige Rechtsverhältnis womöglich über den gegenwärtigen Prozess hinaus zwischen den Parteien Bedeutung gewinnen kann (BGH, Urt. vom 21.2.1992 - Az. V ZR 273/90 - NJW 1992, S. 1897).

Nach Auffassung des Senats stellt die behauptete Beendigung des Agenturvertrags durch die Eigenkündigung des Klägers ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO dar. Denn das Gesetz selbst knüpft z.B. in § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB rechtliche Folgen daran, durch wessen Kündigung das Handelsvertreterverhältnis beendet worden ist.

1.

Gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) fehlt es indes an der Vorgreiflichkeit der Frage der vertragsbeendenden Wirkung der beiden Eigenkündigungen. Denn die Klagen auf Ausgleich gem. § 89 b Abs. 1 HGB sowie auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung, scheitern gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) bereits deshalb, weil allein die Beklagte zu 3) Vertragspartnerin des Klägers ist.

2.

Gegenüber der Beklagten zu 3) besteht zwar im Hinblick auf die genannten "Hauptanträge" Vorgreiflichkeit der Frage, ob der Agenturvertrag durch die Eigenkündigung des Klägers beendet worden ist.

Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis lässt sich nicht verneinen: Zwar werden die Fragen des Ausgleichsanspruchs und der Schadensersatzpflicht bereits durch die entsprechenden "Hauptanträge" geklärt. Doch ist es, insbesondere angesichts der weiteren Auseinandersetzungen der Parteien um die Äußerungen der Beklagten auch gegenüber der AVAD, denkbar, dass die Frage, wer den Agenturvertrag beendet hat, noch Bedeutung gewinnt.

Der Antrag ist jedoch bezüglich beider Eigenkündigungen unbegründet, denn die Vertragsbeendigung ist, wie bereits dargelegt, durch die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) eingetreten, deren Zugang zu einem Zeitpunkt anzunehmen ist, der vor der Übergabe der (ersten) Eigenkündigung an den Bezirksdirektor L der Beklagen zu 3) lag.

IV. Antrag zu 4. - Feststellung einer Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aufgrund der Beendigung des Agenturvertrags seit dem 17.9.2014

1.

Auch insoweit gilt, dass die Feststellungsbegehren gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) bereits unzulässig sind. Es fehlt an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis. Denn der Agenturvertrag besteht (bzw. bestand) allein mit der Beklagten zu 3). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Grundsatz, wonach bereits der schlüssige Vortrag des Klägers ausreicht, um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis annehmen zu können. An dieser Schlüssigkeit fehlt es hier, jedenfalls nachdem die Beklagte zu 3) im Einzelnen vorgetragen hat, woraus sich ergibt, dass sie alleinige Vertragspartnerin des Klägers in Bezug auf den Agenturvertrag geworden ist. Für eine etwaige Schadensersatzpflichtigkeit der Beklagten zu 1) und 2) dem Kläger gegenüber ist nichts vorgetragen, zumal die angeblich schadensauslösenden Verhaltensweisen, namentlich die Befragung vom 10.9.2014 sowie die Veranlassung des Klägers zur Abgabe der Schuldanerkenntnisse, sämtlich nach dem Zeitpunkt lagen, zu dem der Agenturvertrag auf die Beklagte zu 3) übergegangen ist.

2.

Die Zulässigkeit des Antrags gegenüber der Beklagten zu 3) ist hingegen zu bejahen. Dass der Kläger durch die Beendigung seiner Tätigkeit einen Schaden erlitten hat, der jedenfalls bei Klageerhebung noch nicht bezifferbar war, ist anzunehmen.

Der Antrag ist jedoch unbegründet, weil die Beklagte zu 3), wie dargelegt, zur fristlosen Kündigung berechtigt war.

V. Antrag zu 5. - Widerklage der Beklagten zu 3)

Die Feststellungswiderklage der Beklagten zu 3) ist aus denselben Gründen zulässig, die bei dem Feststellungsantrag des Klägers unter Ziff. III. dargestellt worden sind. Das betrifft auch das Rechtsschutzbedürfnis.

Zu Recht hat das Landgericht dieser Widerklage stattgegeben, denn die Kündigungserklärung der Beklagten zu 3) hat den Agenturvertrag beendet (s.o.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung rechtfertigen eine Befassung des Bundesgerichtshofs nicht.