AG Gladbeck, Beschluss vom 18.09.2006 - 18 II 19/06 WEG
Fundstelle
openJur 2019, 8121
  • Rkr:
Tenor

1. Die Anträge zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Gerichtskosten. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

2. Der Geschäftswert wird auf € 20.000,- festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller, die Antragsgegner zu 2) und die weiteren Beteiligten bilden die Wohnungseigentümergemeinschaft in Gladbeck, deren Verwalterin die Antragsgegnerin zu 1) ist. Die Eigentumsanlage besteht aus Wohn- und Gewerbeeinheiten. Gegenstand des Verfahrens ist die Reduzierung des Versicherungsumfangs für den Wohnturm (Block A) und die Tiefgarage (Block G) des Objekts.

Die wirtschaftliche Lage der Eigentümergemeinschaft ist seit Jahren desolat. Der Anteil der Eigentümer, die pünktlich und vollständig ihre Hausgelder zahlten, nahm immer weiter ab. Im Oktober 2005 gingen etwa von den nach dem Wirtschaftsplan angesetzten monatlichen Hausgeldzahlungen von gut 70 T€ nur noch knapp 20 T€ ein. In den Folgemonaten ging noch deutlich weniger Geld ein. Besonders dramatisch waren die Hausgeldausfälle bei den Wohnungseigentümern. Auch die liquiden Mittel der Gemeinschaft schrumpften zusammen. Auf dem Gemeinschaftskonto waren Ende August 2006 nur noch gut 2 T€ vorhanden.

Auch die Antragsteller gehören zu den Eigentümern, die seit langer Zeit ihre Hausgelder nicht zahlen.

Die Tiefgarage des Objekts ist seit geraumer Zeit wegen Baufälligkeit geschlossen. Am 15.11.2005 sah sich die Eigentümerversammlung wegen der desolaten finanziellen Lage veranlasst, die Versorgungsverträge zu kündigen und eine Versorgungssperre für den Wohnturm zu verhängen. Daraufhin erging eine Stilllegungsverfügung der Stadt Gladbeck vom 22.02.2006. Der Wohnturm ist nunmehr seit März 2006 unbewohnt. Die Gewerbeeinheiten des Objekts werden nach wie vor genutzt; z.T. haben sich die Eigentümer eigene Versorgungsleitungen legen lassen.

Gegen die Versorgungssperre und die Kündigung der Versorgungsverträge gerichtete Anträge hat das erkennende Gericht mit nicht rechtskräftigem Beschluss vom selben Tage (18 UR II 89/05) zurückgewiesen.

Bislang war das gesamte Objekt gegen Schäden durch Feuer, Leitungswasser und Sturm zum gleitenden Neuwert versichert. Die Versicherungsprämie belief sich dafür zuletzt auf rund 47 T€.

Die Gemeinschaft sah sich Anfang 2006 wegen ihrer finanziellen Lage jedoch nicht mehr imstande, die Versicherungsprämie aufzubringen. Die Versicherungen drohten daraufhin mit der Kündigung der Verträge.

Um einen Mindestversicherungsschutz aufrecht zu erhalten, handelte die Antragsgegnerin zu 1) mit den beteiligten Versicherungsgesellschaften eine Änderung der Verträge aus. Danach sollten die Wohnungen und Stellplätze künftig nur noch zum Zeitwert versichert werden, die Wohnungen zudem nur noch gegen Feuer und Sturm, die Garagen nur noch gegen Feuer. Die Gewerbeeinheiten sollten im üblichen Umfang versichert bleiben. Durch die Änderungen sollte sich die Jahresprämie um rund 26 T€ vermindern.

Die Eigentümerversammlung stimmte diesem Vorgehen am 25.04.2006 unter TOP 5 mit 144-4 Stimmen bei 14 Enthaltungen zu. Wegen des genauen Wortlauts des Beschlusses wird auf das Protokoll der Versammlung, Bl. 45 ff. d. A., verwiesen.

Die Antragsteller machen hiergegen formell- und materiellrechtliche Bedenken geltend.

Die formellrechtlichen Bedenken beziehen sich darauf, dass die Versammlung vom "Generalbevollmächtigten" der Antragsgegnerin zu 1), Herrn, geleitet wurde, der auch für die Antragsgegnerin zu 1) die Einladungen versandt hatte. Außerdem war der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner zu 2, Herr Rechtsanwalt, bei den Beratungen der Versammlung zu TOP 4 anwesend gewesen.

Die Antragsteller sind der Ansicht, beide hätten insgesamt nicht an der Versammlung teilnehmen dürfen. Schon deshalb seien die dort gefassten Beschlüsse aufhebbar.

Die Anwesenheit der Herren war bereits Gegenstand der Überprüfung durch das erkennende Gericht in dem Verfahren 18 UR II 29/06 gewesen, in dem andere Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 25.04.2006 angefochten gewesen waren. Das Gericht hatte dort ausgeführt, der Generalbevollmächtigte der Antragsgegnerin zu 1) sei kraft seiner Zugehörigkeit zu dieser zur Teilnahme an der und zur Leitung der Versammlung berechtigt gewesen. Die Anwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner zu 2) bei den Beratungen zu einem vorausgegangenen Tagesordnungspunkt könne sich auf die nachfolgenden Beratungen und Abstimmungen nicht ausgewirkt haben (Beschluss vom 04.09.2006, nicht rechtskräftig). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der dortigen Akte und des dortigen Beschlusses verwiesen.

Materiellrechtlich verweisen die Antragsteller auf die Vorschrift des § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG, wonach die Eigentume zumindest gegen Feuer zum Neuwert zu versichern sind.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss der Eigentümerversammlung der WEG in Gladbeck zu TOP 5 für ungültig zu erklären.

Die weiteren Beteiligten schließen sich den Anträgen der Antragsteller an.

Die Antragsgegner beantragen,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie meinen zunächst, den Antragsteller fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da sie durch die Nichtzahlung ihrer Hausgelder selbst mit dazu beigetragen hätten, dass die Gemeinschaft nicht mehr in der Lage gewesen sei, die bisherigen Versicherungsprämien aufzubringen.

In der Sache tragen sie vor, dass die Aufrechterhaltung des bisherigen Versicherungsumfangs nicht mehr finanzierbar gewesen sei. Die einzige Alternative zur Reduzierung des Versicherungsschutzes sei die Kündigung der Verträge durch die Versicherungsgesellschaften und damit der Verlust jeglichen Versicherungsschutzes gewesen.

Weiter verweisen sie darauf, dass es jedem Eigentümer freistehe, sein Sondereigentum und seinen Anteil am Gemeinschaftseigentum selbständig höher zu versichern.

Die Antragstellerseite tritt dem Vortrag der Antragsgegner, die Gemeinschaft sei zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im bisherigen Umfang finanziell nicht in der Lage gewesen, nicht entgegen, ist jedoch der Ansicht, die Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung sei nicht im Rahmen des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens zu prüfen. Sie verweist auf die Parallele zur Zweistufigkeit von Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren in Hausgeldverfahren. Entsprechend sei es auch hier eine in einem gesonderten Verfahren zu prüfende Frage, ob die Aufrechterhaltung des bisherigen Versicherungsschutzes durchsetzbar sei.

Das Gericht hatte hierzu in dem Beschluss vom selben Tage zur Einstellung der Versorgung (18 UR II 89/05) ausgeführt, die Parallele zum Hausgeldverfahren gehe aus mehreren Gründen in die Irre. Die Frage der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit betreffe nicht erst die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs, sondern stehe bereits seiner Entstehung entgegen. Zudem seien die Eigentümergemeinschaft und auch das Gericht im Beschlussanfechtungsverfahren auf eine "einstufige" Prüfung beschränkt (s. näher den Inhalt des dortigen Beschlusses).

II.

Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.

1.

Die Antragsteller haben trotz ihrer Hausgeldrückstände ein Rechtsschutzbedürfnis. Jeder Eigentümer kann eine gerichtliche Klärung der Frage verlangen, in welchem Umfang das Eigentum versichert zu werden hat. Hausgeldansprüche kann die Gemeinschaft auf gesondertem Wege verfolgen.

2.

Bzgl. der Teilnahme des Generalbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 1) und des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner zu 2) an der Versammlung bzw. an vorangegangenen Beratungen der Versammlung bleibt das Gericht bei seiner Auffassung, dass diese nicht zu beanstanden ist und die gefassten Beschlüsse nicht aufhebbar macht (s. näher Beschluss vom 04.09.2006, 18 UR II 29/06).

3.

Es liegt auf der Hand, dass der angegriffene Beschluss nicht den Anforderungen des § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG entspricht. Die Eigentümerversammlung durfte ihn gleichwohl treffen, da sie nicht mehr in der Lage war, die Anforderungen der gesetzlichen Vorschrift zu zumutbaren Bedingungen zu erfüllen.

a)

Wie das Gericht bereits in seinem Beschluss vom heutigen Tage zur Stilllegung des Wohnturms (18 UR II 89/05) ausgeführt hat, stößt das Recht in der an die Grenzen der Realität. Schon der Volksmund weiß: Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.

Die desolate finanzielle Lage der Eigentümergemeinschaft ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie die Tatsache, dass sie aus den hereinkommenden Hausgeldern und den vorhandenen liquiden Mitteln die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im bisherigen Umfang nicht mehr finanzieren kann.

Es ist bekannt, dass Versicherungsgesellschaften Versicherungsschutz nicht aus Menschenfreundlichkeit oder christlicher Nächstenliebe gewähren, sondern nur gegen Bezahlung der Prämien. Bleiben diese aus, folgt auf kurz oder lang eine Kündigung der Versicherungsverträge - dies ist bei der Eigentümergemeinschaft nicht anders als beim Privatkunden. Konkret hatten die Gesellschaften hier ja schon mit einer Kündigung der Verträge gedroht.

Die Alternativen zu dem angegriffenen Beschluss stellten sich danach ergreifend schlicht dar:

b)

Entweder hätte die Gemeinschaft an den bisherigen Verträgen festgehalten, aber die Prämien nicht mehr in vollem Umfang bezahlt. Dann wäre der Versicherungsschutz in absehbarer Zeit durch eine Vertragskündigung von seiten der Versicherungsgesellschaften gänzlich entfallen.

Es versteht sich, dass ein solches Ergebnis erst recht nicht im Sinne der Vorschrift des § 21 Abs. 5 Nr. 3 WEG gewesen wäre.

c)

Oder aber die Gemeinschaft hätte kurzfristig dafür sorgen müssen, dass mehr Geld in die Kasse kommt, um die laufenden Verträge mit den Versicherungen zu bezahlen.

Wie das Gericht bereits in seinem zitierten Beschluss zur Einstellung der Versorgung ausgeführt hatte, waren neue Geldquellen schon faktisch nicht in Sicht. Erst am 15.11.2005 hatte die Gemeinschaft die Erhebung einer von der Antragsgegnerin zu 1) zur Abstimmung gestellten Sonderumlage von nominal 500 T€ zur Erhöhung der Liquidität einstimmig bei Enthaltungen abgelehnt. Auf der Eigentümerversammlung vom 25.04.2006 wurden neben dem (vom Gericht durch Beschluss vom 04.09.2006, 18 UR II 29/06, bestätigten) Wirtschaftsplan für die Monate Mai bis Dezember 2006 keine weiteren Maßnahmen zur Erhöhung der Liquidität beschlossen.

Faktisch wäre eine Erhöhung der Liquidität also allenfalls auf gerichtlichem Wege mit erheblicher Zeitverzögerung zu erreichen gewesen. Zeit aber hatte die Gemeinschaft genauso wenig wie Geld, da absehbar war, dass die Versicherungsverfahren mit einer Kündigung wegen der Nichtzahlung von Prämien nicht darauf warten würden, dass neben den Entscheidungsprozessen innerhalb der Gemeinschaft auch noch etwaige Gerichtsverfahren abgeschlossen sein würden.

Die Eigentümer wären aber auch aus rechtlicher Sicht nicht verpflichtet gewesen, frisches Geld für die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes im bisherigen Umfang zur Verfügung zu stellen. Dies wäre ihnen - faktisch also den wenigen noch zahlenden Eigentümern - nicht zumutbar gewesen; es hätte die Grenzen der gemeinschaftlichen Treuepflichten überschritten.

Wie das Gericht bereits in seinem Beschluss zur Einstellung der Versorgung ausgeführt hat, folgt aus dem Gemeinschaftsverhältnis zwar die Treuepflicht der Eigentümer, Liquiditätsengpässe zu überbrücken und der Gemeinschaft über "Durststrecken" hinwegzuhelfen. Es versteht sich, dass die Eigentümer dabei ggf. auch eigene finanzielle Einbußen in Kauf zu nehmen haben.

Diese Treuepflicht gilt allerdings nur, solange es sich tatsächlich um einen zwischenzeitlichen Engpass der Gemeinschaft handelt und sich langfristig wieder eine Perspektive abzeichnet, zu einem normalen und geordneten Gemeinschaftsleben ohne unvertretbare Belastungen für einzelne Eigentümer zurückkehren zu können.

Genau diese Perspektive besteht bei der Straße nicht mehr. Die gegenwärtige Situation ist nur der bisherige Endpunkt eines langjährigen wirtschaftlichen Niedergangs der Gemeinschaft. Gerichtsbekanntermaßen haben insbesondere die abnehmende Attraktivität des Wohnraums im "Wohnsilo" vor dem Hintergrund eines mehr als entspannten Gladbecker Wohnungsmarkts, die Entwicklung des Objekts zum sozialen Brennpunkt und der Zerfall einer zahlungsfähigen Eigentümerschaft zu diesem Niedergang der Gemeinschaft beigetragen.

Das Objekt ist heute auch baulich in einem desolaten Zustand. Eine hinreichende Marktnachfrage nach den Wohnungen ist für die nächsten Jahre nicht abzusehen. Genauso wenig ist abzusehen, dass eine nennenswerte Zahl der zahlungsunfähigen und größtenteils "ausvollstreckten" Wohnungseigentümer kurz- oder mittelfristig wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen werden.

Kurz: Es steht nicht zu erwarten, dass selbst bei äußerster Anspannung der wirtschaftlichen Möglichkeiten der verbliebenen zahlungsfähigen Eigentümer die "Durststrecke" in absehbarer Zeit überwunden werden kann und in der Straße wieder ein leidlich funktionierendes Wohnhochhaus und eine bestimmungsgemäß nutzbare Tiefgarage bestehen.

Wenn aber diese Perspektive nicht mehr besteht, dann verschwände jede Liquidität, die in die Aufrechterhaltung der bisherigen Standards für diese Blöcke gepumpt würde, in einem "Groschengrab", wovon letztlich niemand etwas hätte.

Die Tragung von Lasten, die sich am Ende als offensichtlich sinnlos erweisen würden, kann von niemandem verlangt werden; ein solches Ansinnen wäre schlicht unzumutbar.

d)

Das Gericht hält dabei an seiner Auffassung fest, dass Fragen der Möglichkeit und Zumutbarkeit ohne Einschränkung im Erkenntnisverfahren zu prüfen sind (s. ausführlich Beschluss vom 18.09.2006, 18 UR II 89/05).

e)

Im Ergebnis begegnet es also keinen Bedenken, dass die Gemeinschaft sich entschieden hat, mit dem angegriffenen Beschluss einen Mindestversicherungsschutz aufrecht zu erhalten und einen Verlust des gesamten Versicherungsschutzes abzuwenden.

Wenn keine Möglichkeit mehr besteht, die gesetzlichen Anforderungen unter zumutbaren Bedingungen in vollem Umfang zu erfüllen, kann die Gemeinschaft sich zulässigerweise für das "kleinere Übel" entscheiden.

Es ist ausdrücklich festzuhalten, dass sie von ihrem Ermessen in sehr nachvollziehbarer und sachgerechter Weise Gebrauch gemacht hat, indem sie den Versicherungsschutz eben für die nicht mehr nutzbaren Blöcke heruntergefahren und ihn für die weiter nutzbaren Gewerbeeinheiten (wo auch die Hausgeldausfälle weit weniger dramatisch sind) in bisherigem Umfang aufrecht erhalten hat.

4.

Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 47 S. 1 WEG in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Bzgl. der außergerichtlichen Kosten bleibt es beim Grundsatz des § 47 S. 2 WEG, dass eine Erstattung unterbleibt.

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