OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.12.2017 - 16 B 390/17
Fundstelle
openJur 2019, 7380
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 9 L 2552/16
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 24. März 2017 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, über die im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter entscheidet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 87a Abs. 2 und 3 VwGO), hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung durch den Senat führt zu keinem für den Antragsteller günstigeren Ergebnis.

Der Antragsteller ist auch nach Auffassung des Berichterstatters des Senats als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, weil er als gelegentlicher Cannabiskonsument nicht zwischen Konsum und Fahren getrennt hat.

Das mangelnde Trennen folgt bereits daraus, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Blutentnahme am 12. Juli 2016, 17.30 Uhr, einen Gehalt von 5 ng/ml des psychoaktiven Cannabiswirkstoffs THC im Blutserum aufgewiesen hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und - soweit ersichtlich - der anderen Obergerichte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit belegt bereits ein zeitnah zum Führen eines Kraftfahrzeuges festgestellter THC-Wert von 1 ng, dass nicht zwischen dem Cannabiskonsum und der motorisierten Verkehrsteilnahme getrennt worden ist. Dieser ist hier deutlich überschritten.

Überdies ist der Antragsteller auch - zumindest - als Gelegenheitskonsument einzustufen.

Der Senat nimmt in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Auffassung in der Rechtsprechung an, dass dem im Straßenverkehr unter THC-Einfluss angetroffenen Fahrerlaubnisinhaber, der sich darauf beruft, es habe sich um einen einmaligen, gleichsam experimentellen Konsum ohne Wiederholungsgefahr gehandelt, eine Mitwirkungsobliegenheit dahingehend trifft, die näheren Umstände dieses Konsums in substanziierter, widerspruchsfreier und inhaltlich nachvollziehbarer Weise zu schildern, was dem Betreffenden schon wegen der Singularität dieses Vorganges unschwer möglich sein sollte und auch zuzumuten ist. Kommt der Betroffene dieser Erklärungsobliegenheit nicht nach oder verfehlt seine Darstellung hinsichtlich ihrer Glaubhaftigkeit die genannten Anforderungen, kann ohne weiteres auf einen mehrmaligen und damit gelegentlichen Cannabiskonsum geschlossen werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 - 16 A 432/16 -, NWVBl. 2017, 378 = juris, Rn. 47 ff., m. zahlr. w. N.

Zu der erwartbaren Darstellung gehört insbesondere die Erläuterung, welche äußeren Umstände den drogenauffällig Gewordenen gerade zu diesem Zeitpunkt dazu veranlasst haben, erstmalig Cannabis zu versuchen, vor allem aber auch, was den Betreffenden nach diesem Konsum dazu bewegt hat, trotz der behaupteten Unerfahrenheit mit dem Verlauf eines Haschisch- oder Marihuanarausches schon relativ bald nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug zu führen. Der Grund für die Mitwirkungsobliegenheit des mit Cannabis auffällig gewordenen Kraftfahrzeugführers liegt darin, dass es ausgesprochen unwahrscheinlich ist, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch unerfahrener Erstkonsument bereits wenige Stunden nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät.

An einer solchen substanziierten und glaubhaften Darstellung des vom Antragsteller behaupteten Erstkonsums fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat überzeugend ausgeführt, dass und warum die Einlassung des Antragstellers, er habe - von einem lange zurückliegenden Konsum abgesehen - am Vorabend der Verkehrsauffälligkeit erst- und einmalig Cannabis konsumiert, nicht mit gesicherten Erkenntnissen über den Abbau von THC im Körper vereinbart werden kann. Dem Vortrag des Antragstellers, wegen einer Ibuprofen-Einnahme am Vormittag des Tattages müsse sich das Abbauverhalten verändert haben, ist das Verwaltungsgericht mit dem Hinweis entgegengetreten, schon zur Zeit der Einnahme dieses Schmerzmedikamentes müsse das THC im Körper des Antragstellers abgebaut gewesen sein, so dass eine Auswirkung der Medikamenteneinnahme auf den THC-Wert beim Antragsteller ausscheide. Diesem Argument ist der Antragsteller mit der Beschwerdebegründung nicht entgegengetreten. Auf die Frage der kombinierten Wirkungsweise von Cannabis und Ibuprofen bzw. auf im Zusammenhang damit vom Antragsteller aufgeworfenen (beweis-)verfahrensrechtlichen Fragen kommt es aus diesem Grunde nicht an.

Der Antragsgegner durfte nach Auffassung des Senats gemäß § 11 Abs. 7 FeV auch ohne weitere Sachverhaltsaufklärung von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen, obwohl der Antragsteller, soweit ersichtlich, zuvor nicht wegen fehlenden Trennens von Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeugs auffällig geworden ist.

Vgl. dazu ausführlich: OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017, a. a. O., Rn. 143 ff. m. zahlr. w. N.

Der vom Antragsteller in Bezug genommenen Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, wonach in solchen Fällen die Fahrerlaubnis nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen zu entziehen ist,

vgl. Bay. VGH, Urteil vom 25. April 2017 - 11 BV 17.33 -, Blutalkohol 54 (2017), 268 = juris, sowie Beschluss vom 14. September 2016 - 11 CS 16.1467 -, juris,

folgt der Senat nicht. Er hat dazu in dem o. g. Urteil folgendes ausgeführt:

"Der letztgenannten Möglichkeit ist schon deshalb zu widersprechen, weil die maßgebliche Bestimmung der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV eindeutig ist, soweit dort die Fahreignung nur dann bejaht wird, "wenn Trennung" gegeben ist. In diesem Zusammenhang hat auch das Bundesverwaltungsgericht

- vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3.13 -, a. a. O., juris, Rn. 32 -

betont, dass eine ausreichende Trennung nur dann vorliegt, wenn der Betroffene Konsum und Fahren in jedem Fall (Hervorhebung nicht im Original) in einer Weise trennt, dass durch eine vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung seiner verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann.

Desgleichen bieten die Bestimmungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG bzw. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV keinen Anhaltspunkt dafür, dass die für den Fall fehlender Fahreignung oder Fahrbefähigung angeordnete Rechtsfolge der Fahrerlaubnisentziehung zu modifizieren wäre. Vor diesem Hintergrund erweist sich eine rechtssystematische Argumentation als wenig zielführend. Soweit auf die ähnliche Struktur von § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. e (gemeint ist wohl Buchst. b) und von § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV - in beiden Bestimmungen ist jeweils von "wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr" die Rede - hingewiesen wird, kann nicht unbeachtet bleiben, dass insgesamt das Überprüfungsinstrumentarium bei Alkohol- und bei Betäubungsmittelproblematik recht unterschiedlich ausgestaltet ist. § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV nimmt dabei insbesondere den Fall des (ungleichzeitigen) Zusammenfallens einer alkohol- und einer betäubungsmittelbezogenen Zuwiderhandlung in den Blick.

Vgl. dazu OVG NRW, Beschlüsse vom 29. Juli 2009 - 16 B 895/09 -, Blutalkohol 46 (2009), 433 = VRS 117 (2009), 120 = DAR 2009, 598 = NZV 2009, 522 = juris, Rn. 3 bis 7, und vom 17. August 2015 - 16 B 499/15 -; Bay. VGH, Beschluss vom 16. November 2010 - 11 CS 10.2031 -, juris, Rn. 22 ff.; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 44. Aufl. 2017, § 14 FeV Rn. 25.

Schon aus diesem Grund steht auch nicht zu befürchten, dass § 14 Abs. 2 Nr. 3 FeV bei strengem Verständnis des Trennungserfordernisses "keinerlei Anwendungsbereich" mehr hätte. Soweit schließlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof aus den Gesetzesmaterialien

- BR-Drucks. 302/08, S. 57 f. und S. 62 f. -

Argumente bezieht, ist darauf hinzuweisen, dass auf S. 57 (ganz unten) gerade der "Mischfall" aus Alkohol- und Drogenauffälligkeit angesprochen sein dürfte, wie das dort fettgedruckte Wort "und" nahelegt, während auf S. 62 f. die ganz andere Frage der Beurteilung von früherer Alkoholabhängigkeit und früherer Drogenabhängigkeit thematisiert ist.

Schließlich kann eine Aufweichung der fahrerlaubnisrechtlichen Reaktion auf einen potenziell die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdenden Gebrauch der illegalen Droge Cannabis nicht mit etwaigen Wertungswidersprüchen bei der Behandlung von Alkoholverstößen gerechtfertigt werden. Gegen einen solchen Widerspruch ist schon mit entscheidendem Gewicht einzuwenden, dass Intensität, Verlauf und Dauer einer Cannabisbeeinflussung deutlich schwieriger zu bestimmen sind, als dies bei Alkohol der Fall ist; es erweist sich bereits als weithin unmöglich, den einer sehr großen Spannbreite unterliegenden Wirkstoffgehalt erworbenen Haschischs oder Marihuanas zuverlässig einzuschätzen, wobei nicht einmal die Beimischung sonstiger Stimulantien gänzlich ausgeschlossen werden kann.

Vgl. zum Ganzen BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, a. a. O., juris, Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 - 3 C 3.13 -, a. a. O., juris, Rn. 51 f.; OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 - 16 B 237/12 -, juris, Rn. 11; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22. November 2012 - 10 S 3174/11 -, a. a. O., juris, Rn. 55."

Hieran hält der Senat auch weiterhin fest.

Der Beschwerde verhilft es auch nicht zum Erfolg, dass das aufgrund des Geschehens vom 12. Juli 2016 eingeleitete Bußgeldverfahren noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Lediglich ein noch anhängiges Strafverfahren, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, entfaltet eine Sperrwirkung für das fahrerlaubnisrechtliche Entziehungsverfahren (§ 3 Abs. 3 Satz 1 StVG); für ein ordnungswidrigkeitenrechtliches Verfahren gilt dies nicht. Im Übrigen besteht auch ohne eine rechtskräftige Bußgeldentscheidung eine gesicherte Tatsachengrundlage für die Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller kann auch nichts für sich daraus herleiten, dass das Verwaltungsgericht noch nicht über das Hauptsacheverfahren entschieden hat. Die sich darauf stützende Annahme des Antragstellers, das Verwaltungsgericht halte die Sach- und Rechtslage für unsicher bzw. weiter klärungsbedürftig, ist spekulativ. Abgesehen hatte das Verwaltungsgericht bereits einen Termin für die mündliche Verhandlung im Klageverfahren anberaumt, wobei die nachfolgende Aufhebung des Termins auf eine Erkrankung des Antragstellers Rücksicht genommen hat.

Doch selbst wenn wegen der oben wiedergegebenen Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Reaktion auf eine erstmalige Auffälligkeit im Straßenverkehr im Zusammenhang mit Cannabis und der diesbezüglich noch ausstehenden höchstrichterlichen Klärung von offenen Erfolgsaussichten der Klage ausgegangen würde,

vgl. Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 6. Auflage 2014, § 80 Rn. 94,

hätte die Beschwerde des Antragstellers keinen Erfolg. Denn die vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung fiele zu seinen Lasten aus. Die Abwägung der Interessen, die für eine sofortige Vollziehung sprechen, mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers ergibt, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung der Entziehungsverfügung überwiegt. Angesichts der Gefahren, die aus der Teilnahme drogenbeeinflusster Personen am motorisierten Straßenverkehr für höchstrangige Rechtsgüter - Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum - einer nicht absehbaren Zahl anderer Verkehrsteilnehmer erwachsen, ist das öffentliche Interesse an der vorläufigen Fernhaltung des Antragstellers vom Kraftfahrzeugverkehr höher zu bewerten als sein individuelles Mobilitätsinteresse. Das würde selbst dann gelten, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis das derzeitige Arbeitsverhältnis des Antragstellers gefährden würde; indessen trägt er dies gar nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).