LAG Hamm, Urteil vom 20.06.2016 - 15 Sa 1886/15
Fundstelle
openJur 2019, 7144
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 10.11.2015 - 2 Ca 1459/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Anspruch des Klägers auf Deputatkohle.

Der Kläger war seit 1953 bei verschiedenen Arbeitgebern als Bergmann tätig. Nach einer Unterbrechung von 1966 bis 1977 aus gesundheitlichen Gründen kehrte er in den Bergbau zurück und schied am 31.08.1987 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bergbau AG O, Werksdirektion Q, aus der aktiven Tätigkeit aus. Am 11.07.1980 wurde dem Kläger ein Bergmannsversorgungsschein erteilt.

Die Beklagte und deren Rechtsvorgängerin wandten auf das Arbeitsverhältnis den Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus (im Folgenden: MTV) an. Dort regelt § 54 MTV, dass den nach dem 01.05. 1953 ausgeschiedenen Arbeitern ein Hausbrandbezugsrecht nach Anlage 7 des MTV zusteht. Hiernach erhalten sowohl Empfänger von Bergmannsrenten als auch Inhaber eines Bergmannsversorgungsscheins, die weniger als 25, aber mindestens 20 Jahre im Deutschen Steinkohlenbergbau, davon zuletzt mindestens 5 Jahre bei Mitgliedern des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau beschäftigt waren, Hausbrandkohlen auf Antrag. Der Anspruch beläuft sich auf 2,5 t pro Jahr.

Seit 1981 gewährten die Rechtsvorgängerin der Beklagten und später die Beklagte den insoweit Bezugsberechtigten zusätzlich 2 t Hausbrandkohlen jährlich zu einem verbilligten Landabsatzabgabepreis. Grundlage war eine Empfehlung des Unternehmensverbandes Ruhrbergbau vom 05.06.1981 (Bl. 94 d.A.).

Schließlich erhielten aus dem aktiven Arbeitsverhältnis ausgeschiedene Arbeiter und deren Witwen 1 t Kohle zusätzlich bei Vorliegen gesundheitlicher Einschränkungen.

Bereits seit 1952 bestand die Wahlmöglichkeit, anstelle von Versorgung mit Kohle eine finanzielle Beihilfe in Anspruch zu nehmen; mit Tarifvertrag vom 13.04.1976 als Energiebeihilfe bezeichnet. Jährlich wurde die Höhe der Energiebeihilfe pro Tonne Kohle durch die Tarifvertragsparteien festgelegt. Seit dem 01.07.1997 stagniert die Höhe und beträgt derzeit 126,29 € abzüglich 4,09 € pro Tonne, in Summe 122,20 € /Tonne.

Durch Tarifvertrag vom 29.04.2015 wurde zu § 54 MTV aufgenommen die Anlage 7a, wirkend zum 01.05.2015. Seitdem gilt:

"Ab dem 01.01.2019 entfällt der Anspruch auf Hausbrandkohlen. Anstelle von Hausbrandkohlen erhalten alle Anspruchsberechtigten Energiebeihilfe nach den weiter anzuwendenden Regelungen der Anlage 7.

Die Ansprüche auf Energiebeihilfe nach Anlage 7 II (Ausgeschiedene) können durch den Arbeitgeber oder sonst Leistungsverpflichteten gemäß der Tabelle abgefunden werden.

Die Abfindungshöhe berechnet sich nach der Höhe des individuellen Anspruchs auf Energiebeihilfe und dem Lebensalter im Jahr der Auszahlung der Abfindung sowie einer bestehenden bzw. nicht bestehenden Hinterbliebenenabsicherung.

Die Abfindung wird in dem Kalenderjahr ausgezahlt, in dem keine anderen Leistungen der Anlage 7 bezogen worden sind."

Die Höhe der Abfindung ergibt sich aus den Anhängen 1 und 2 zur Anlage 7a des Tarifvertrags (Bl. 32, 33 d.A.). Die dortige Tabelle legt zugrunde einen Betrag pro Tonne von 122,20 EUR und eine Überlebenswahrscheinlichkeit der Bezugsberechtigten nach den "Richttafeln 2005G". Auf eine Rentendynamik wurde verzichtet. Für die Rentner bzw. Rentnerinnen ab 88 bzw. ab 85 wurde von einer weiteren Absenkung des Wertes trotz abnehmender Überlebenswahrscheinlichkeit abgesehen. Zudem wurde der sich ergebende fiktive Wert abgezinst. Für weitere Einzelheiten wird auf Bl. 50 d. A. verwiesen.

Zudem hat Beklagte angekündigt, die Deputatleistungen einzustellen, somit auch die Belieferung mit verbilligter oder aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen gewährter Kohle.

Der Kläger hat in seiner am 11.08.2015 eingereichten Klage die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Deputatkohle um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung handele, in die nicht mehr eingegriffen werden dürfe. Die Beklagte werde die Förderung nicht einstellen, sondern über verbundene Unternehmen weiterhin über Kohle verfügen. Im Übrigen müsse sie jedenfalls die Kohle zur Bedienung des Deputatanspruches beschaffen. In jedem Fall sei die Abfindung im Hinblick auf den Wert einer Tonne Kohle/des Verkaufspreises derselben viel zu niedrig angesetzt. Er habe zudem Anspruch auf die zusätzliche Belieferung mit verbilligter Kohle und Kohle "auf Attest", weil die Beklagte über Jahre hinweg diese Leistungen erbracht habe und diese nunmehr nicht einstellen dürfe.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass der Kläger Anspruch auf die Lieferung von Deputat-Kohle gegen die Beklagte über das Jahr 2018 hinaus und zwar wie folgt hat:

2,5 Tonnen Deputatkohle, 1 Tonne auf ärztliches Attest aufgrund gesundheitlicher Gebrechen, 2 Tonnen verbilligte Kohle sowie eine Tonne zum Landabsatz;

2. hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, an den Kläger eine Abfindung für den Verlust des Naturalanspruchs auf Deputatkohle zu zahlen, deren Höhe sich nach dem Verkaufspreis je Tonne Kohle bemisst, zu dem die Kohle gehandelt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, sie sei aufgrund der Stilllegung der Kohleförderung in Deutschland nicht mehr verpflichtet ist, den Kläger mit Hausbrand zu versorgen. Sie sei nicht verpflichtet, Kohle, über die sie nicht mehr selbst verfüge, zu Bedingungen des Deputatanspruchs anzukaufen. Auch sei ihr dies gar nicht möglich. Denn der Anspruch des Klägers sei auf die Belieferung mit deutscher Steinkohle gerichtet, die es nach der Einstellung der Förderung jedoch insgesamt nicht mehr geben werde. Auch keines ihrer Schwesterunternehmen könne danach noch deutsche Steinkohle zur Verfügung stellen.

Mit Urteil vom 10.11.2015 hat das Arbeitsgericht Herne die Klage abgewiesen und seine Entscheidung wesentlich wie folgt begründet:

Ansprüche des Klägers folgten nicht aus dem ihm erteilten Bergmannsversorgungsschein. Dieser fordere nur die Gleichbehandlung aktiver und ausgeschiedener Bergleute. Die vorliegenden Eingriffe träfen jedoch Aktive und Ausgeschiedene gleichermaßen.

Den Anspruch auf 2,5 t Deputatkohle hätten die Tarifvertragsparteien wirksam durch einen Anspruch ersetzt, der nunmehr nach dem Willen des Leistenden entweder in Natur oder aber in einer Abfindung bestehe. Insoweit besteht weder eine Anspruch auf Versorgung über den 01.01.2019 hinaus noch auf die hilfsweise am Verkaufspreis orientierte Berechnung.

Es handele sich bei der streitgegenständlichen Leistung um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung, da er an biometrische Risiken anknüpfe.

Die Tarifvertragsparteien seien berechtigt, der Beklagten als Versorgungsschuldnerin ein Wahlrecht zwischen der Fortgewährung des Deputaanspruches und einer Abfindung einzuräumen. Das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG sei nach § 30 g Abs. 2 BetrAVG nicht anzuwenden, da die Leistung bereits vor dem 01. Januar 2005 erstmals gezahlt worden sei. Die Tarifvertragsparteien seien berechtigt, auch verschlechternd in eine Versorgungsregelung einzugreifen. Denn es bestehe kein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers dahin, dass ihm das Deputat in jeder Hinsicht unverändert lebenslang zustehe.

Auch sei der Deputatanspruch auf Verschaffung eines nur endlich vorhandenen Rohstoffs gerichtet. Der Versorgungsempfänger müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Verfügbarkeit eines Rohstoffes wie der Kohle zwangsläufig abhängig von der jeweiligen Lagerstätte sei. Anlass der Einstellung der Produktion sei der Wegfall staatlicher Förderung gewesen. Wenn aus einem solchen Anlass die autonome Unternehmerentscheidung getroffen werde, die Produktion einzustellen, könne der Versorgungsempfänger den Arbeitgeber nicht dazu zwingen, allein zur Erfüllung des Versorgungsanspruchs weiterhin das Risiko wirtschaftlicher Betätigung auf sich zu nehmen. Wenn statt eines ebenso zu erwägenden kompensationslosen Wegfalls die Tarifvertragsparteien von einer Einstellung der Eigenförderung ausgingen und sich auf eine Einmalzahlung verständigten, handelten sie damit innerhalb ihres weiten Ermessenspielraums.

Ebenso wenig sei von einem über die Förderung hinausgehenden Anspruch auf Zuwendung verbilligter Kohle auszugehen. Denn auch diesem Anspruch sei immanent, dass die Beklagte über den Rohstoff selbst verfüge und diesen auch noch am Markt zum Verkauf anbiete.

Ein Anspruch auf Überlassung von Kohle aus gesundheitlichen Gründen sei nicht hinreichend dargetan. Insoweit käme nur ein Anspruch aus betrieblicher Übung in Betracht. Der Kläger stelle jedoch nicht dar, worin im Einzelnen die Übung bestanden habe und insbesondere unter welchen Bedingungen zusätzliche Kohle "auf Attest" abgegeben worden sei. Zudem greife auch hier der immanente Vorbehalt der Verfügbarkeit aufgrund eigener Förderung.

Gegen das ihm am 04.12.2015 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29.12.2015 Berufung eingelegt und diese mit demselben Schriftsatz begründet.

Der Kläger meint, § 9 Abs. 2 BVSG NW verbriefe ihm sein Hausbrandbezugsrecht gegenüber dem letzten Bergbau-Arbeitgeber oder dessen Rechtsnachfolger. Den Tarifvertragsparteien stehe es nicht an, verschlechternd in seine Versorgungsregelung einzugreifen; sein Vertrauen in lebenslangen Genuss der Deputatkohle verbleibe. Auch sei die Geschäftsgrundlage der Versorgung mit Deputatkohle nicht entfallen, denn die Beklagte habe auch in den letzen 50 Jahren den Rohstoff nicht zu wirtschaftlichen Bedingungen des Weltmarktpreises fördern und produzieren können. Es sei Verpflichtung der Tarifvertragsparteien, die Ansprüche zur Naturalleistung der Deputatkohle in den sog. Ewigkeitsfond zu übernehmen. Schließlich sei die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass der gewählte Abgeltungssatz den Preis und seinen - des Klägers - Anspruch auf Lieferung der Deputatkohle zutreffend abgelte. Hierzu sei die Beklagte jedweden Nachweis schuldig geblieben. Die Übung der Beklagten, dass er zusätzlich eine Tonne Kohle auf Attest beziehe, bestehe seit Jahrzehnten. Er weise einen seit 1983 bestehenden Grad der Behinderung (GdB) von 50 auf, bei seiner Ehefrau liege der GdB seit 2005 bei 80. Er und seine Ehefrau hätten aus gesundheitlichen Gründen einen erhöhten Wärmebedarf.

Der Kläger beantragt:

1) Unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Herne vom 10.11.2015, zugestellt am 04.12.2015, wird festgestellt, dass der Kläger Anspruch auf die Lieferung von Deputatkohle gegen die Beklagte über das Jahr 2018 hinaus hat, und zwar wie folgt:

2,5 Tonnen Deputatkohle, 1 Tonne auf ärztliches Attest aufgrund gesundheitlicher Gebrechen, 2 Tonnen verbilligte Kohle sowie eine Tonne zum Landabsatz;

2) hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, an den Kläger eine Abfindung für den Verlust des Naturalanspruches auf Deputatkohle zu zahlen, deren Höhe nach dem Verkaufspreis je Tonne Kohle bemisst, zu dem die Kohle gehandelt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und führt weiter aus, dass der Anspruch des Klägers sich nicht aus § 9 Abs. 1 BVSG NW herleiten lasse, da diese Bestimmung keine eigene Anspruchsgrundlage für Hausbrandkohle beinhalte. Zudem knüpfe der Besitz eines Bergmannsversorgungsscheins an die Risiken der Arbeitslosigkeit, nicht jedoch an die Risiken der betrieblichen Altersversorgung an. Was unter Hausbrand zu verstehen sei, werde in Ziffer I. 1. (§ 91) und Ziffer 2. (§ 39) definiert. Danach gälten als Hausbrandkohlen solche aus der eigenen Produktion des Deutschen Steinkohlebergbaus. Auch enthalte die Anlage 7 zum Manteltarifvertrag einen Änderungsvorbehalt. Die Bezugsrechte entständen vorbehaltlich späterer Regelungen der Tarifvertragsparteien. Mit Stilllegung ihrer bis heute noch vorhandenen Bergwerke in Deutschland bis zum 31.12.2018 fördere sie auch keine Steinkohle im Ausland; ebenso wenig importiere sie Steinkohle. Der Anspruch auf Deputatkohle habe sich inhaltlich gewandelt hin zu einer Energiebeihilfe; dies habe auch das Bundesarbeitsgericht längst anerkannt. Die Tarifvertragsparteien betrachteten "Hausbrand" und Energiebeihilfe als wirtschaftlich gleichwertig. Maßgebend sei hierfür die Grundsatzentscheidung der Tarifvertragsparteien schon seit 1976. Auch seien die Tarifvertragsparteien berechtigt gewesen, die Versorgungsregelung abzuändern. Es sei auszuschließen, dass der Kläger auf einen Fortbestand der bisherigen Regelungen vertrauen konnte. Denn die tarifvertraglichen Regelungen unterlägen von vornherein einem immanenten Vorbehalt späterer Abänderung durch die Tarifvertragschließenden. Hinzu komme, dass die Tarifvertragsparteien ausdrücklich in der Anlage 7 einen Änderungsvorbehalt aufgenommen hätten. Der Kläger habe also bei seinem Eintritt in das Unternehmen 1977 gewusst, dass tarifliche Änderungen vorbehalten seien. Auch werde der Kläger durch die Ablösung der Hausbrandkohle nicht benachteiligt, denn er erhalte eine wirtschaftlich gleichwerte Leistung. Jedenfalls sei sie aus Gründen der Störung der Geschäftsgrundlage berechtigt gewesen, durch den abändernden Tarifvertrag den Anspruch auf Hausbrandkohle abzulösen. Schließlich seien die Tarifvertragsparteien auch berechtigt gewesen, die Ansprüche auf laufende Leistung abzufinden. Die Tarifvertragsparteien seien an § 3 BetrAVG nicht gebunden gewesen. Zudem greife das gesetzliche Abfindungsverbot aus § 3 BetrAVG nicht, denn es sei gemäß § 30 g Abs. 2 BetrAVG nicht anzuwenden. Hinsichtlich der Höhe der Abfindung hätten die Tarifvertragsparteien von dem ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht.

Auch habe der Kläger keinen Anspruch auf Überlassung von Kohle aus gesundheitlichen Gründen. Hierzu trage er auch in zweiter Instanz nichts Erhellendes vor. Insbesondere erkläre er nicht, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssten, um unter die betriebliche Übung zu fallen.

Wegen des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird verwiesen auf deren wechselseitige Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der öffentlichen Sitzungen in erster und zweiter Instanz, die insgesamt Gegenstand der letzten mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 lit. b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO an sich statthaft und auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden.

II. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts erweist sich im Ergebnis als zutreffend.

Mit dem Arbeitsgericht ist zwar von der Zulässigkeit von Haupt- und Hilfsantrag auszugehen. Doch stehen dem Kläger weder ab dem 01.01.2019 Ansprüche auf Lieferung von Deptutatkohle noch - mit dem Hilfsantrag verlangt - ein Abfindungsanspruch gegen die Beklagte zu.

1. Ansprüche des Klägers in dem begehrten Umfang aus dem ihm erteilten Bergmannsversorgungsschein bestehen nicht.

Insbesondere folgt ein Anspruch auf die Lieferung von Deputatkohle nicht aus § 9 des Gesetzes über einen Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen (BVSG NW). Gemäß § 9 Abs. 1 BVSG NW kann für die Dauer einer außerbergbaulichen Beschäftigung Hausbrandkohle oder eine entsprechende Barabgeltung nach den für aktive Bergleute geltenden tariflichen und betrieblichen Regelungen verlangt werden (Satz 1). Nach dem Ausscheiden aus einer außerbergbaulichen Beschäftigung erhalten auch Empfänger einer Altersrente Hausbrandkohlen oder Barabgeltung nach den für ausgeschiedene Bergleute mit verminderter Erwerbsfähigkeit geltenden tariflichen oder betrieblichen Regelungen (Satz 2). Es werden somit Inhaber eines Bergmannsversorgungsscheins mit Bergleuten und ausgeschiedenen Bergleuten gleichgestellt, ohne hierdurch eine Besserstellung zu erfahren. Eine Anspruchsgrundlage beinhaltet § 9 Abs. 1 BVSG NW im Ergebnis nicht.

Darüber hinaus weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der Besitz eines Bergmannsversorgungsscheins Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht auslösen kann, da er nicht an die Risiken der betrieblichen Altersversorgung, sondern an die Risiken der Arbeitslosigkeit anknüpft. Das BVSG NW sieht keine besondere Altersvoraussetzung vor und bezieht sich deshalb nicht auf ein "Langlebigkeitsrisiko". Auch dient es nicht der Abdeckung des Invaliditätsrisikos (BAG, 16.03.2010 - 3 AZR 594/09, BAGE 133, 289).

2. Ansprüche des Klägers auf Lieferung von Deputatkohle bestehen nicht.

Die Tarifvertragsparteien haben durch den Tarifvertrag zur Änderung des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer des rheinischwestfälischen Steinkohlenbergbaus (in der Fassung vom 11.03.2015) vom 29.04.2015 rechtswirksam mit Wirkung ab dem 01.01.2019 den Anspruch auf Hausbrandkohle durch die Gewährung einer Energiebeihilfe abgelöst. Darüber hinaus regelten sie tarifvertraglich, dass Ansprüche auf Energiebeihilfe für Ausgeschiedene durch den Arbeitgeber abgefunden werden können.

a) Soweit hier von Interesse, war ursprünglich Ansatzpunkt für die Gewährung von Deputatkohle die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktionsergebnis. Mit Tarifvertrag vom 24.11.1952 wurde den Arbeitern die Wahlmöglichkeit eingeräumt, anstatt der Deputatkohle eine finanzielle Beihilfe als Ausgleich für den Mehrverbrauch an Strom und Gas zu beanspruchen. Der Tarifvertrag vom 13.04.1976 ersetzte schließlich die finanzielle Beihilfe durch die bis heute geltende Energiebeihilfe.

aa) Der Kläger kehrte nach einer Unterbrechung aus gesundheitlichen Gründen 1977 in den Bergbau zurück.

bb) Die durch den Tarifvertrag vom 13.04.1976 herbeigeführte Ersetzung der freiwilligen Beihilfe durch die Energiebeihilfe bewirkte eine grundsätzliche Gleichwertigkeit von Hausbrand-/Deputatkohle und Energiebeihilfe. Denn es hatte sich über die Jahre hinweg der rechtsgeschäftliche Zweck der Leistung einer kostenlosen Lieferung von Kohle an Betriebsrentner, obwohl das Bergbauunternehmen die Kohle selbst nicht mehr fördert, gewandelt. Nicht länger nämlich ging es den Arbeitnehmern um die Teilnahme am Produktionsergebnis, sondern allein um die Deckung von Heizbedarfen; das Deputat wurde zu einer allgemeinen Versorgungsleistung (BAG, 02.12.1986 - 3 AZR 123/86, EzA § 611 BGB Fürsorgepflicht Nr. 46 und juris). Hatten aber frühere Arbeitnehmer des Bergbauunternehmens keine Verwendung mehr für die Hausbrandkohle, hatte ihnen das Unternehmen den entsprechenden Wert als Energiebeihilfe zu zahlen. Damit geht auch das Bundesarbeitsgericht von einer grundsätzlichen Gleichstellung von Deputatkohle und Energiebeihilfe aus.

cc) Auch die Tarifvertragsparteien gingen im Laufe der Zeit von der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Deputatkohle und Energiebeihilfe aus. Gemäß Ziffer 12 Abs. 3 (§ 99) bzw. Ziffer 21 Abs. 3 (§ 44) der Anlage 7 zum MTV wurde die Höhe der Energiebeihilfe je Tonne für jedes Bezugsjahr von den Tarifparteien festgelegt, zuletzt zum 01.07.1992 (s. Rundschreiben Nr. MBZ 6 vom 25.09.1992, Bl. 60 d. A.).

b) Die Tarifvertragsparteien waren berechtigt, die bestehende Versorgungsregelung abzuändern.

aa) Die Tarifvertragsparteien können den Schutz der grundgesetzlich in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie beanspruchen. Dieser umfasst auch das Recht, Änderungen von Tarifverträgen vorzunehmen. Dabei unterliegen die Inhalte von Tarifverträgen keiner Billigkeitskontrolle. Tarifverträge sind von den Gerichten für Arbeitssachen nur daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen grundgesetzliche Wertungen oder anderes höherrangiges Recht verstoßen (BAG, 20.08.2002 - 3 AZR 14/01 m.w.N., NZA 2003, 1112). Ein derartiger Verstoß liegt nicht vor.

bb) Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Tarifvertrag vom 29.04.2015 die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Die Grundlage für schützenswertes Vertrauen besteht nicht mehr, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen (BAG, 22.10.2003 - 10 AZR 152/03, BABAGE 108, 176 mwN).

(1) Der Kläger konnte bereist im Zeitpunkt seiner Rückkehr in den Bergbau im Jahr 1977 nicht damit rechnen, dass der Anspruch auf Deputatkohle unabänderbar sein würde.

Dass der Kläger auf einen Fortbestand der bisherigen Regelungen vertrauen konnte, ist nicht anzunehmen. Denn tarifvertragliche Regelungen unterliegen von vorn herein einem immanenten Vorbehalt späterer Abänderung durch die Tarifvertragschließenden selbst (BAG, 21.08.2007 - 3 AZR 102/06, NZA 2008, 182).

Zudem hatten die Tarifvertragsparteien in der Anlage 7 des MTV ausdrücklich einen Änderungsvorbehalt aufgenommen. Unter II. 1. Ziffer 7 (§106) und II. 2. Ziffer 14 (§ 51) ist festgelegt, dass die Bezugsrechte vorbehaltlich späterer Regelungen der Tarifvertragsparteien entstehen. Der Kläger wusste somit bereits bei seinem Eintritt in das Unternehmen im Jahr 1977, dass die Tarifvertragsparteien sich hinsichtlich der Bezugsrechte Änderungen vorbehalten hatten.

(2) Der Kläger wird durch die Ablösung der Hausbrandkohle nicht benachteiligt. Denn er erhält eine wirtschaftlich gleichwertige Leistung. Dies folgt allein aus der durch die Tarifparteien vorgenommene Bewertung der Leistungen Deputatkohle und Energiebeihilfe als gleichwertig. Tatsächlich höhere Markt- bzw. Verkaufspreise des Brennstoffs Kohle gegenüber der tariflichen Energiebeihilfe kann der Kläger deswegen nicht erfolgreich einwenden.

Doch selbst in dem nicht unwahrscheinlichen Fall, dass der Kläger Nachteile durch die Ablösung der Deputatkohle erleidet, hätte er diese hinzunehmen. Da durch den tariflichen Änderungsvorbehalt die dem Kläger bis dahin zustehende Deputatkohle für die Zukunft eingeschränkt wurde, handelt es sich um keine echte, sondern um eine unechte Rückwirkung (vgl. BVerfG 18. Februar 1998 - 1 BvR 1318/86 -, - 1 BvR 1484/86, BVerfGE 97, 271; BAG, 19.11.2002 - 3 AZR 167/02, BAGE 104, 1). Sie ist zulässig, weil das schutzwürdige Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der bisherigen Regelungen nicht gegenüber dem Veränderungsinteresse der Tarifvertragsparteien überwiegt.

cc) Letztlich war die Beklagte jedenfalls aus Gründen der Störung der Geschäftsgrundlage berechtigt, durch abändernden Tarifvertrag den Anspruch auf Hausbrandkohle abzulösen.

Anlage 7 zu § 54 MTV sieht in seiner Ziffer II Ansprüche auf den sog. Hausbrand vor, auch für ausgeschiedene Arbeitnehmer und deren Witwen. Hausbrandkohlen im Sinne der Ziffer I 1. (§ 91) sind Festbrandstoffe aus der eigenen Produktion des deutschen Steinkohlenbergbaus. Mit der Einstellung des deutschen Steinkohlenbergbaus zum 31.12.2018 findet eine heimische Förderung über diesen Zeitpunkt hinaus nicht mehr statt. Die Beklagte wird nach dem 31.12.2018 wegen der Schließung ihrer heute noch vorhandenen Bergwerke keine Kohle "aus eigener Produktion" mehr fördern. Sie und auch die S AG B J GmbH werden die Förderung zum 31.12.2018 einstellen. Die Beklagte fördert auch keine Steinkohle im Ausland und importiert solche auch nicht. Die Tochtergesellschaft der Beklagten, die S-Verkauf GmbH, ist noch bis Ende 2018 zuständig für den Verkauf deutscher Steinkohle; ihre Tätigkeit entfällt mit der Einstellung der Förderung. All das vermochte der Kläger letztlich nicht mehr zu bestreiten. Sein Hinweis, die S-Verkauf GmbH importiere Kohle, mit der die Versorgung der Deputate bedient werde, widerspricht dem Vorbringen der Beklagten nicht. Einen über den 31.12.2018 hinaus erfolgenden Import von Kohle behauptet der Kläger substantiiert nicht. Ein Anspruch des Klägers auf Festbrennstoffe aus der eigenen Produktion des deutschen Steinkohlenbergbaus wird damit unmöglich und hat zur Folge den Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Anpassung des Tarifvertrags hinsichtlich der Umstellung des Deputatanspruchs auf den Anspruch auf Energiebeihilfe erweist sich somit auch unter diesem Gesichtspunkt rechtmäßig.

c) Die Tarifvertragsparteien waren zu dem berechtigt, den wiederkehrenden Anspruch auf Zahlung einer Energiebeihilfe abzufinden.

Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass die Tarifparteien nicht an § 3 BetrAVG gebunden waren. Denn § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG bestimmt, dass u.a. von § 3 BetrAVG in Tarifverträgen abgewichen werden kann. Zudem steht dem gesetzlichen Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG auch die Vorschrift des § 30 g Abs. 2 BetrAVG entgegen, wonach § 3 BetrAVG keine Anwendung auf laufende Leistungen findet, die vor dem 01.01.2005 erstmals gezahlt worden sind. Das ist bei der Hausbrandkohle/Energiebeihilfe der Fall.

Hinsichtlich der Höhe der Abfindung haben die Tarifvertragsparteien in den Anhängen 1 und 2 zur Anlage 7 a zum MTV diese festgelegt und damit von dem ihnen eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht. Die Berechnung der Abfindung beruht einerseits auf einem Betrag je Tonne von 122,20 Euro, andererseits auf versicherungs- und finanzmathematischen Kriterien (Überlebenswahrscheinlichkeit der Bezugsberechtigten nach den "Richttafeln 2005G"). Auf die entsprechenden Ausführungen im Urteil des Arbeitsgerichts, dort S. 3 (Bl. 97 d. A.), wird verwiesen. Die Beklagte hat im einzelnen dargelegt, wie sich der im Tarifvertrag festgesetzte Wert von 122,20 Euro für eine Tonne Deputatkohle errechnet (vgl. Schriftsätze der Beklagten vom 03.09.2015 und 28.10.2015, Bl. 43 ff. und 83 ff. d. A.). Dass der Anpassungsbetrag durch die Beklagte nicht zutreffend ermittelt wurde, ist von der Berufung nicht substantiiert gerügt worden.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf weitere Zuwendung von Kohle bzw. auf verbilligte Kohle.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Überlassung auf Kohle aus "gesundheitlichen Gründen". Für den Fall der Annahme eines Anspruchs aus betrieblicher Übung hat der Kläger auch zweitinstanzlich nicht dargelegt, worin diese Übung bestanden haben soll. Die konkreten Bedingungen, unter denen weiterer Kohlebezug erfolgen sollte, sind nicht dargetan. Weder äußert der Kläger sich dazu, dass zusätzliche Kohle bei bestimmten (Schwere-)Graden von Erkrankung oder gar, da "aus gesundheitlichen Gründen", gar prophylaktisch bezogen werden konnte noch trägt er über die Benennung seines und seiner Ehefrau Gdb und einen hieraus resultierenden erhöhten Wärmebedarf vor, welche "gesundheitlichen" bzw. Krankheitsgründe den erhöhten Zuwendungsanspruch (aus betrieblicher Übung) begründen. Der Kläger trägt auch nichts dazu vor, welche Voraussetzungen erfüllt werden mussten, um ggfls. unter eine betriebliche Übung zu fallen. Die bloße Anerkennung als schwerbehinderter Mensch kann dafür nicht ausschlaggebend sein, da der Kläger bereits seit 1983 mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert war, aus dem Arbeitsverhältnis jedoch erst mit dem 31.08.1987 ausschied. Ein schlüssiger Vortrag, dass ihm Kohle "auf Attest" zur Verfügung zu stellen sei, liegt nicht vor. Die Behauptung, er und seine Ehefrau hätten aus gesundheitlichen Gründen erhöhten Wärmebedarf, ist nicht näher begründet worden. Insbesondere lässt eine Schwerbehinderung an sich nicht auf einen höheren Wärmebedarf schließen.

Dies kann letztlich offen bleiben. Denn die Tarifvertragsparteien haben in der Anlage 7 a zu § 54 MTV, die die Anlage 7 ergänzt, der getroffenen Abfindungsregelung jedweden Anspruch auf Hausbrandkohlen unterworfen, indem sie sie bestimmt haben, dass ab dem 01.01.2019 der Anspruch auf Hausbrandkohlen entfällt und dass anstelle dessen alle Anspruchsberechtigten Energiebeihilfe erhalten mit der Maßgabe, dass "die Ansprüche auf Energiebeihilfe nach Anlage 7 II. (Ausgeschiedene)" abgefunden werden können.

b) Ebensowenig kann der Kläger weitere Tonnen verbilligter Kohle sowie Kohle "zum Landabsatz" beanspruchen.

Mangels tarifvertraglicher Anspruchsgrundlage ist unter Annahme des Bestehens einer betrieblichen Übung mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass dem Anspruch immanent ist, dass die Beklagte zum einen noch über den 31.12.2018 über den Rohstoff verfügt und ihn zum anderen noch am Markt zum Verkauf anbietet. Dies ist - wie dargelegt - in der Zukunft nicht mehr der Fall.

4. Aus den Gründen zum Hauptantrag hatte auch der hilfsweise verfolgte Abfindungsanspruch der Abweisung zu unterliegen. Ansprüche auf Abfindung wegen verlustigen Naturalanspruchs enthält allein die Anlage 7a zu § 54 MTV, weitere Abfindungen sind tariflich nicht vorgesehen. Auch ist eine anderweitige Anspruchsgrundlage für eine Abfindungszahlung nicht ersichtlich.

Nach alledem hatten die Anträge des Klägers der Abweisung zu unterliegen.

III. Die Kostenentscheidung zu Lasten des mit dem Rechtsmittel unterlegenen Klägers beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war zuzulassen gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.