OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.09.2016 - 15 A 19/16
Fundstelle
openJur 2019, 6713
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 K 2393/14

Bei einem anderweitig voll erschlossenen Grundstück ist ein beitragsrechtlich relevanter Vorteil durch den Ausbau einer zweiten, nur über ein vorgelagertes Grundstück erreichbaren Straße zu bejahen, wenn der Eigentümer durch sein Verhalten nach außen hin kundtut, dass er diese Straße tatsächlich in Anspruch nehmen will, indem er nicht lediglich eine fußläufige Verbindung zu ihr anlegt, sondern eine - etwa öffentlichrechtlich durch Baulast gesicherte - Zufahrt über das Vorderliegergrundstück herstellt.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 604,91 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,

den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2014 aufzuheben,

im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, Rechtsgrundlage für die streitige Vorausleistung sei § 8 Abs. 8 KAG NRW in Verbindung mit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes für straßenbauliche Maßnahmen der Stadt F. vom 20. Juni 2005. Der Ausbau "K - M. / S. Straße - von N.-----straße bis F1.--------straße " vermittle dem Grundstück des Klägers C.-------straße 51 (Gemarkung F. , Flur 41, Flurstück 478) einen wirtschaftlichen Vorteil i.S.v. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW. Zwar grenze dieses Grundstück nicht unmittelbar an die ausgebaute Anlage, sondern an die C.-------straße . Es werde von der Anlage aber über eine Zufahrt zu rückwärtig auf dem Grundstück des Klägers gelegenen Stellplatzflächen als sog. "nicht gefangenes Hinterliegergrundstück" zweiterschlossen. Zu dem klägerischen Grundstück führe eine offene Torzufahrt bei dem Grundstück M. 117/119 (Gemarkung F. , Flur 41, Flurstück 231), die durch öffentliche Baulast gesichert sei. Angesichts seiner geringen Größe sei das Flurstück 478 als Ganzes zu betrachten. Es sei nicht künstlich in Nutzungseinheiten (Wohnhaus nebst Garagen, kleiner Garten/Stellplätze) aufzuteilen. Die privatrechtlich vom Kläger getroffene Vereinbarung hinsichtlich der Nutzung der Stellplätze ändern nichts an der öffentlichrechtlichen Zufahrtsmöglichkeit und Erschließungssituation des Gesamtgrundstücks. Abgesehen hiervon sei die Zuordnung weiterer Teilflächen ansonsten von Zufälligkeiten der konkreten Nutzungsausgestaltung durch den Kläger abhängig. So könnten durch Umbauten im rückwärtigen Bereich des Wohnhauses oder der Garagen ggf. weitere Zugangsmöglichkeiten eröffnet werden. Zu berücksichtigen sei im Übrigen auch, dass aufgrund der Baulasteintragung die Anfahrt von Rettungs- und Löschfahrzeugen im rückwärtigen Bereich des Wohnhauses abgesichert sei.

Die von dem Zulassungsantrag dagegen erhobenen Einwände stellen das Vorliegen eines beitragsrelevanten wirtschaftlichen Vorteils i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW zugunsten des gesamten Flurstücks 478 nicht durchgreifend in Frage.

Der wirtschaftliche Vorteil des § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW ist ein Erschließungsvorteil. Er liegt in der durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage verbesserten Erschließungssituation der Grundstücke. Der wirtschaftliche Vorteil muss maßnahmebedingt sein. Durch die Maßnahme müssen zusätzliche Gebrauchsvorteile an der Anlage für die von ihr erschlossenen Grundstücke entstanden sein, die den Gebrauchswert erhöhen. Im Allgemeinen wird darauf abzustellen sein, ob die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke nunmehr leichter und/oder sicherer erreichbar sind. Die Gebrauchsvorteile können auch in einem Erneuerungsvorteil bestehen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17. August 2016 - 15 B 652/16 -, vom 8. Juli 2016 - 15 B 643/16 -, juris Rn. 12, und vom 16. März 2016 - 15 B 1415/15 -, Urteil vom 26. Januar 2016 - 15 A 1006/14 -, juris Rn. 35, Beschlüsse vom 24. Juni 2015 - 15 A 2299/14 -, vom 8. Juni 2015 - 15 A 718/14 -, vom 15. März 2011 - 15 A 2314/10 -, juris Rn. 7, und vom 20. Juli 2007 -, juris Rn. 12, Urteil vom 29. Juni 1992 - 2 A 2580/91 -, juris Rn. 13; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 194 und 203 ff.

Eine Erschließung ist grundsätzlich anzunehmen, wenn es rechtlich und tatsächlich möglich ist, mit Privat- und Versorgungsfahrzeugen an die Grundstücksgrenze heranzufahren und von da ab das Grundstück unbeschadet eines dazwischen liegenden Gehwegs, Radwegs oder Seitenstreifens zu betreten. Die Inanspruchnahme der ausgebauten Anlage muss nur noch vom Willen des Grundstückseigentümers abhängen.

Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 17. August 2016 - 15 B 652/16 -, vom 8. Juni 2015 - 15 A 718/14 -, Urteil vom 19. Februar 2008 - 15 A 2568/05 -, juris Rn. 26, Beschlüsse vom 30. August 2010 - 15 A 646/07 -, juris Rn. 17 ff., und vom 5. Mai 2000 - 3 A 3132/99 -, juris Rn. 1; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 226 ff.

Bei einem - wie hier durch die C.-------straße - anderweitig voll erschlossenen Grundstück ist ein beitragsrechtlich relevanter Vorteil auch zu bejahen, wenn der Eigentümer durch sein Verhalten nach außen hin kundtut, dass er die Straße tatsächlich in Anspruch zu nehmen gedenkt und nicht lediglich eine fußläufige Verbindung zur ausgebauten Straße herstellt, sondern eine - etwa öffentlichrechtlich durch Baulast gesicherte - Zufahrt über das Vorderliegergrundstück hergestellt hat.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 2. April 2014 - 15 A 571/11 -, juris Rn. 71, vom 20. Juli 2012 - 15 A 2618/11 -, juris Rn. 7 ff. (zum Erschließungsbeitragsrecht), und vom 17. Mai 2004 - 15 B 747/04 -, juris Rn. 6; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 237, 242 und 251.

Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass die streitgegenständliche Ausbaumaßnahme dem Flurstück 478 einen wirtschaftlichen Vorteil i.S.d. § 8 Abs. 2 Satz 2 KAG NRW - in Gestalt eines Erneuerungsvorteils im Hinblick auf die Straße "M. " - vermittelt. Das Grundstück des Klägers wird von der Straße "M. " aus zweiterschlossen, weil es zu dieser Straße über das Flurstück 231 eine durch Baulast öffentlichrechtlich gesicherte Zufahrt hat. Allein über diese Zufahrt sind die hinter dem Haus C.-------straße 51 angelegten drei Pkw-Stellplätze zu erreichen.

Das Verwaltungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass das Flurstück 478 straßenbaubeitragsrechtlich als Einheit zu betrachten ist.

Im Straßenbaubeitragsrecht gilt der wirtschaftliche Grundstücksbegriff, der dem Charakter des Straßenbaubeitrags als einer Gegenleistung für die maßnahmebedingte Steigerung des Gebrauchswertes des Grundstücks gerecht wird. Grundstück im Sinne des Straßenbaubeitragsrechts ist daher, soweit von der möglichen Inanspruchnahme der Anlage die bauliche oder gewerbliche Nutzung abhängt, jeder demselben Eigentümer gehörende Teil der Grundstücksfläche, der selbständig baulich oder gewerblich genutzt werden kann. Eine selbständige wirtschaftliche Einheit kann mithin unter Umständen auch in der Zusammenfassung kleinerer Buchgrundstücke zu einer nur insgesamt bebaubaren Fläche bestehen. Wirtschaftliche Einheiten können des Weiteren durch Aufteilung größerer Buchgrundstücke entstehen, sei es, dass ein solches Buchgrundstück nur eine einzige, auf eine Teilfläche beschränkte wirtschaftliche Einheit aufweist, sei es, dass ein Buchgrundstück aus mehreren wirtschaftlichen Einheiten besteht, die jeweils selbständig baulich oder gewerblich genutzt werden können und demgemäß Bezugspunkt für den beitragsrelevanten Vorteil sind.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Juli 2016 - 15 B 643/16 -, juris Rn. 26, vom 18. November 2013 - 15 A 2300/12 -, juris Rn. 13 ff., vom 19. Februar 2013 - 15 A 2042/12 -, juris Rn. 13 ff., und vom 9. Oktober 2012 - 15 A 1910/12 -, juris Rn. 16 ff.; Dietzel/Kallerhoff, Das Straßenbaubeitragsrecht nach § 8 des Kommunalabgabengesetzes NRW, 8. Aufl. 2013, Rn. 257 ff.

Dies zugrunde gelegt ist aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen nicht ernstlich zweifelhaft, dass das - rechtlich ungeteilte - Flurstück 478 eine wirtschaftliche Einheit bildet. Diese schließt die hinter dem Haus errichteten Pkw-Stellplätze ein, auch wenn diese tatsächlich nur von der Straße "M. " aus angefahren werden können. Die drei Stellplätze sind - auch angesichts der relativ geringen Grundstücksgröße - für sich genommen keine wirtschaftliche Einheit, die selbständig nutzbar und deswegen von dem übrigen Grundstücksteil isoliert zu betrachten ist. Die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit des gesamten Grundstücks ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem vom Verwaltungsgericht verwerteten Umstand, dass die erwähnte Baulast auch die Anfahrt von Rettungs- und Löschfahrzeugen im rückwärtigen Bereich des Wohnhauses absichert. Das Verwaltungsgericht hat zudem richtig darauf hingewiesen, dass die aktuelle Grundstückssituation allein Folge privater Nutzungsentscheidungen des Klägers ist, die dieser als Grundstückseigentümer etwa durch Umbaumaßnahmen - mögen diese aus derzeitiger Sicht auch eine lediglich theoretische Option sein - jederzeit ändern könnte.

Soweit der Kläger pauschal auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt, genügt dies den Darlegungsanforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).