ArbG Düsseldorf, Urteil vom 31.08.2018 - 14 Ca 766/18
Fundstelle
openJur 2019, 6363
  • Rkr:

Einzelfallentscheidung zur Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern im Rahmen von § 23 Abs. 1 KSchG sowie zur Sozialauswahl

Tenor

1.Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2018 aufgelöst worden ist.

2.Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als kaufmännische Mitarbeiterin weiter zu beschäftigen.

3.Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4.Der Streitwert beträgt 9.200,00 €.

5.Die Berufung wird - soweit sie nicht ohnehin zulässig ist - nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung.

Die 32-jährige verheiratete und einem minderjährigen Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit dem 1. August 2004 als kaufmännische Mitarbeiterin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt i.H.v. ca. 2.300,00 €, zuletzt auf Basis des am 31. Januar 2007 abgeschlossenen Arbeitsvertrages (Anl. K1 Bl. 7 ff. der Akte), bei der Beklagten beschäftigt.

Die Beklagte vertreibt Hygieneprodukte für Alten- und Pflegeeinrichtungen. Sie verfügte bis Dezember 2017 über drei Abteilungen: Vertrieb, Vertriebsverwaltung und Logistik. Im Dezember 2017 beschäftigte sie neben einer Auszubildenden vier Arbeitnehmer in der Logistik, zwei Außendienst-Mitarbeiter und drei kaufmännische Mitarbeiterinnen sowie den Prokuristen Herrn N.. Die Klägerin war ebenso wie Frau N., die Ehefrau des Prokuristen, in der Vertriebsverwaltung eingesetzt. Frau N. wird seit dem 1. Januar 2011 von der Beklagten beschäftigt und ist mindestens 15 Jahre älter als die Klägerin, ohne dass sie Unterhaltspflichten gegenüber Kindern hat. Sie verdient ca. 3.100,00 € brutto im Monat.

Die Abteilung Logistik wurde von Herrn I. geleitet. Bis Ende des Jahres 2013 hatte die Beklagte unter der Leitung von Herrn I. vier Vollzeitmitarbeiter als Fahrer und Mitarbeiter im Lager beschäftigt, namentlich die Herren W., F. und L. sowie Herr Q.. Im Laufe des Jahres 2013 endeten die Arbeitsverhältnisse der Herren W., F. und L. und die Beklagte beschäftigte seither durchgehend verschiedene vollzeitbeschäftigte Zeitarbeitnehmer als Fahrer.

Eine weitere Mitarbeiterin, Frau N., wurde bis Ende 2017 auch von der Beklagten vergütet, seit Januar 2018 jedoch von der französischen Alleingesellschafterin der Beklagten.

Es besteht kein Betriebsrat.

Am 31. Mai 2017 kündigte die Beklagte den Mietvertrag über die betrieblichen Räumlichkeiten mit Wirkung zum 31. Mai 2018.

Am 14. Dezember 2017 beschloss der Geschäftsführer der Beklagten, das Unternehmen umzustrukturieren, wonach die Abteilungen Logistik und Vertrieb zum 31. Mai 2018 vollständig geschlossen werden sollten, weil die Beklagte nur noch als Vermittlerin und Ansprechpartnerin der deutschen Vertriebspartner für ihre Bestellungen bei der Alleingesellschafterin fungieren sollte. Für die Vertriebsverwaltung beschloss der Geschäftsführer eine Reduktion des Personalbedarfs von drei auf künftig nur noch eine Mitarbeiterin. Weiterbeschäftigt werden sollte ausschließlich das Ehepaar N., also Herr N. als Prokurist und Frau N. als kaufmännische Mitarbeiterin. Frau N. sollte sich nach Vorstellung der Beklagten künftig insbesondere weiterhin um Anmeldungen in der IFA-Datenbank (Informationsstelle für Arzneispezialitäten) kümmern. Auf den Geschäftsführungsbeschluss (Anl. B2 Bl. 33 ff. der Akte) wird im Übrigen Bezug genommen.

Im Januar 2018 waren in der Logistik, noch immer unter der Leitung von Herrn I., Herr N. und Herr M. sowie der bereits seit 2015 erkrankte Herr Q. auf Basis eines Arbeitsvertrages bei der Beklagten beschäftigt, zudem als Leiharbeitnehmer Herr U. und S., die ebenfalls als Fahrer tätig waren. Auf den zur Akte gereichten Arbeitnehmerüberlassungsvertrag (Anl. K3 Bl. 63 der Akte) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 26. Januar 2018 (Anl. K2 Bl. 12 der Akte) kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2018. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 30. Januar 2018 zu.

Mit ihrer am 8. Februar 2018 bei Gericht eingegangenen und am 22. Februar 2018 der Beklagten zugestellten Klage setzt sich die Klägerin gegen die Kündigung zu wehr.

Die Klägerin behauptet, bei der Vornahme der Anmeldung in der IFA-Datenbank handele sich um Tätigkeiten einfachster Art. Es müsse lediglich ein Formblatt ausgefüllt werden, wofür ein Zeitaufwand von je fünf Minuten erforderlich sei. Dabei müssten technische Daten eingetragen werden, wie Größe, Saugstärke, Gewicht und Artikelnummer des jeweiligen Produktes.

Die Klägerin ist der Ansicht, das Kündigungsschutzgesetz sei anwendbar, weil die Beklagte unter Berücksichtigung der eingesetzten Leiharbeitnehmer einen ständigen Personalbedarf von über zehn Mitarbeitern habe. Auch Frau N. sei hierbei zu berücksichtigten. Die unternehmerische Entscheidung der Beklagten aus Dezember 2017 habe noch keine "greifbaren Formen" im Sinne der BAG-Rechtsprechung angenommen. Auf die mehrere Monate vor dem Geschäftsführer-Beschluss im Dezember 2017 erfolgte Kündigung der Mietverträge im Mai 2017 könne sich die Beklagte nicht berufen. Jedenfalls gegenüber Frau N. sei die Klägerin im Rahmen einer sozialen Auswahl schutzwürdiger.

Die Klägerin beantragt zuletzt - nach Rücknahme des Schleppnetzantrags - ,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2018 aufgelöst worden ist;

2. hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits als kaufmännische Mitarbeiterin zu beschäftigen;

3. hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1), die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Leiharbeitnehmer seien lediglich zur Krankheitsvertretung von Stammmitarbeitern eingesetzt worden.

Die einzig verbleibende Geschäftstätigkeit der Beklagten bestehe künftig in der Antragstellung zur Aufnahme von Produkten in die IFA-Datenbank und der Zuteilung von PZN-Nummern. Nur Frau N. verfüge über die hierfür erforderlichen Qualifikationen. Hierzu seien Spezialkenntnisse zu den jeweiligen Produkten, zu der Prozedur und den Voraussetzungen der Antragstellung erforderlich. Außer Frau N. könne und wolle keiner der Mitarbeiter der Beklagten diese Tätigkeiten eigenverantwortlich übernehmen. Frau N. verfüge zudem über gute Englischkenntnisse, die erforderlich seien für eine Kommunikation mit dem Geschäftsführer der Beklagten, und habe gegenüber der Klägerin und der weiteren Mitarbeiterin in der Vertriebsverwaltung eine übergeordnete hierarchische Position.

Die Beklagte ist der Ansicht, das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Frau N. sowie die Leiharbeitnehmer seien nicht zu berücksichtigen. Eine Sozialauswahl sei entbehrlich. Mit Frau N. sei die Klägerin nicht vergleichbar. Jedenfalls sei Frau N. als Leistungsträgerin aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Sofern eine Sozialauswahl erforderlich sei, überwiege das erheblich höhere Lebensalter von Frau N. die längere Betriebszugehörigkeit der Klägerin.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

I.

Der Kündigungsschutzantrag hat Erfolg. Die auf betriebsbedingte Gründe gestützte Kündigung vom 26. Januar 2018 hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG war fehlerhaft.

1. Das KSchG ist nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG anwendbar. Die Beklagte beschäftigte zum Kündigungszeitpunkt in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer. Dies gilt unabhängig davon, ob Frau N. als Arbeitnehmerin der Beklagten zu berücksichtigen ist.

a) Die Beklagte beschäftigte - ausschließlich der Auszubildenden - im Kündigungszeitpunkt zehn Mitarbeiter. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

b) Hinzu kommt jedenfalls ein weiterer Leiharbeitnehmer, den die Beklagte in der Regel in der Logistikabteilung einsetzte.

aa) Leiharbeitnehmer sind nach der BAG-Rechtsprechung im Rahmen von § 23 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem in der Regel vorhandenen Personalbedarf beruht, d.h. wenn regelmäßiger Beschäftigungsbedarf abgedeckt wird (BAG 24.01.2013 - 2 AZR 140/12; BAG 20.06.2013 - 2 AZR 271/12). Dies gilt auch und gerade dann, wenn kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiherbetrieb fingiert wird (APS/Moll, 5. Aufl. 2017, KSchG § 23 Rn. 27).

Maßgebend ist die Beschäftigungslage, die im Allgemeinen für den Betrieb kennzeichnend ist. Hierfür bedarf es grundsätzlich eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke des Betriebs und einer Einschätzung seiner zukünftigen Entwicklung; Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls sind dabei nicht zu berücksichtigen (BAG 24.01.2013 - 2 AZR 140/12). Die Unternehmerentscheidung, den Betrieb stillzulegen oder durch Abbau von Arbeitsplätzen einzuschränken, führt nur dazu, dass künftig eine andere, regelmäßige Arbeitnehmerzahl gegeben sein soll. Im Kündigungszeitpunkt ist demgegenüber für den Betrieb noch die bisherige Belegschaftsstärke kennzeichnend (BAG 22.01.2004 - 2 AZR 237/03). Das Bundesarbeitsgericht legt den Schwerpunkt bei der Bestimmung der Betriebsgröße in solchen Sonderfällen demnach auf den Ist- und Vergangenheitsstand (APS/Moll, 5. Aufl. 2017, KSchG § 23 Rn. 29a).

bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist mindestens ein weiterer Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, weil der Rückblick auf die bisherige Entwicklung des Personaleinsatzes in der Logistikabteilung ergibt, dass die Beklagte einen Personalbedarf von mindestens vier Mitarbeitern neben dem Logistikleiter hatte.

Denn die Beklagte setzte in der Logistikabteilung seit 2013 ständig und ununterbrochen zwei bis drei Leiharbeitnehmer als zusätzliche Fahrer ein. Dem entsprechenden Vortrag der Klägerin (Schriftsatz vom 4. Juni 2018) ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Sie hat lediglich auf die Dauererkrankung von Herrn Q. verwiesen sowie darauf, dass Herr N. vom 27. März 2017 bis 19. Mai 2017 arbeitsunfähig erkrankt war, ebenso am 23. Februar 2018 und zwischen dem 19. und 30. April 2018. Diese Angaben als zutreffend unterstellt begründen aber nicht, dass die Beklagte - wie ihrerseits behauptet - die Leiharbeitnehmer ausschließlich zur Krankheitsvertretung eingesetzt und damit nur ein vorübergehender zusätzlicher Personalbedarf bestanden hätte. Auch wenn angesichts der Dauererkrankung von Herrn Q. einer der Leiharbeitnehmer nicht zusätzlich zu berücksichtigen ist, so bleibt es doch bei mindestens einem weiteren in der Regel eingesetzten Leiharbeitnehmer. Denn die Angaben der Beklagten zur Erkrankung der als Fahrer eingestellten Arbeitnehmer beschränken sich für den Zeitraum vor Ausspruch der Kündigung auf einen Zeitraum von lediglich zwei Monaten. Dass ein regelmäßiger Krankheitsvertretungsbedarf (neben dem mit Blick auf Herrn Q.) bestanden hätte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Der Personalbedarf lag damit insgesamt bei jedenfalls elf in der Regel beschäftigten Mitarbeitern.

Hieran ändert die unternehmerische Entscheidung aus Dezember 2017, den Betrieb weitgehend stillzulegen, nach der dargestellten Rechtsprechung des BAG nichts, weil in diesem Sonderfall der Ist- und Vergangenheitsstand maßgeblich ist, nicht aber eine Zukunftsprognose.

cc) Insofern war der Beklagten auch kein Schriftsatznachlass zu gewähren. Denn wie dargestellt kommt es für die Entscheidung der Kammer auf die konkretisierenden Ausführungen zur Personalentwicklung im Klägerschriftsatz vom 23. August 2018 nicht an; ebenso wenig auf die Beschäftigung von Frau N..

2. Die Kündigung ist nicht bereits nach § 7 i.V.m. § 4 Satz 1 KSchG wirksam geworden.

Denn die Klägerin hat die dreiwöchige Klagefrist, die mit Zustellung der Kündigung am 30. Januar 2018 begann, durch Eingang ihrer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht am 8. Februar 2018 gewahrt. Die Zustellung der Klage an die Beklagte am 22. Februar 2018 wirkt nach § 167 ZPO auf den 8. Februar 2018 zurück, weil die Zustellung "demnächst" erfolgte.

3. Die Kündigung ist jedenfalls nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG wegen fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt, auch wenn die Kammer zu Gunsten der Beklagten den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs unterstellt. Denn die Klägerin war gegenüber Frau N. sozial schutzwürdiger.

a) Die Klägerin war mit Frau N. im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG vergleichbar.

aa) Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die auf Grund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse (sog. "qualifikationsmäßige Vergleichbarkeit") sowie nach dem Vertragsinhalt (sog. "arbeitsvertragliche Vergleichbarkeit") austauschbar sind, wobei - genau gesagt - nur zu prüfen ist, ob der unmittelbar kündigungsbedrohte Arbeitnehmer den fortbestehenden Arbeitsplatz übernehmen kann. Eine wechselseitige Austauschbarkeit ist nicht erforderlich (APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 607).

Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, muss die Tätigkeit anderer Arbeitnehmer wahrnehmen können. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, d.h. nach der ausgeübten Tätigkeit. Eine Austauschbarkeit ist nicht nur bei völliger Identität der Arbeitsplätze, sondern auch dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner bisherigen Aufgaben im Betrieb angesichts seiner beruflichen Qualifikation dazu in der Lage ist, die andersartige, aber gleichwertige Arbeit eines anderen Arbeitnehmers zu verrichten. Bei einer partiellen Identität der Aufgabenbereiche kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, auf Grund seiner tatsächlichen Kenntnisse und Fähigkeiten die Funktion anderer Arbeitnehmer ausüben kann (BAG 20.06.2013 - 2 AZR 271/12 Rn. 12; BAG 10.06.2010 - 2 AZR 420/09). Kriterien für eine Vergleichbarkeit ergeben sich aus der formalen Qualifikation, vor allem auf Grund der Berufsausbildung, der Zugehörigkeit zu den gleichen Berufsgruppen sowie zur gleichen betriebshierarchischen Ebene (APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 608). Eine Vergleichbarkeit in diesem Sinne ist nicht schon auf Grund eines arbeitsplatzbezogenen "aktuellen Routinevorsprungs" zu verneinen oder deshalb, weil einzelne Arbeitnehmer bestimmte Tätigkeiten besonders beherrschen, etwa weil sie eine bestimmte Maschine bedienen können (BAG, 05.06.2008 - 2 AZR 907/06). Andererseits ist eine "alsbaldige Substituierbarkeit" zu verlangen. Ein wichtiger Anhaltspunkt für die zumutbare Anlernzeit ergibt sich daraus, wie lange ein neu eingestellter Arbeitnehmer im Falle einer Versetzung, Umsetzung oder Neueinstellung für die Einarbeitung benötigen würde (BAG, 05.05.1994 - 2 AZR 917/93). Zum Teil wird als Grenze für eine zumutbare Einarbeitungszeit auf die im Betrieb übliche Probezeit abgestellt, zum Teil auf die Dauer der Kündigungsfrist (APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 609 m. w. Nachw.).

bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Klägerin mit Frau N. vergleichbar.

(1) Die insofern darlegungs- und beweisbelastete Klägerin hat ihre Vergleichbarkeit mit Frau N. hinreichend konkret dargelegt. Denn beide waren als kaufmännische Mitarbeiter in der Abteilung "Vertriebsverwaltung" tätig. Sie haben jedenfalls teilweise auch die gleichen Aufgaben übernommen.

(2) Sofern die Beklagte sich darauf beruft, Frau N. habe eine hierarchisch der Klägerin übergeordnete Position gehabt, ist dies unsubstantiiert. Der auf die Vernehmung von Frau N. und dem Beklagtengeschaftsführer gerichtete Beweisantritt (Seite 7 des Schriftsatzes vom 2. Juli 2018) kann den fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich insbesondere nicht, worin etwaige Weisungsbefugnisse von Frau N. gegenüber der Klägerin und ihrer Kollegin bestanden haben sollen.

(3) Wenn sich die Beklagte ferner darauf beruft, Frau N. sei für die Buchhaltung, die Auszahlungen und das Steuerwesen zuständig, gilt im Ergebnis Gleiches; zumal nicht erkennbar ist, warum die Klägerin derartige Aufgaben nicht auch übernehmen könnte.

(4) Die Gehaltsunterschiede zwischen der Klägerin und Frau N. stehen ihrer Vergleichbarkeit ebenso wenig entgegen. Zum einen ist der Gehaltsunterschied zwischen 2.200,00 € (siehe Blatt 117 der Akte, korrigierender Schriftsatz der Beklagten vom 21. August 2018) bzw. 2.300,00 € (Angabe in der Klageschrift) und 3.900,00 € nicht derart erheblich. Zum anderen folgt die Vergütung keinem tariflichen Gefüge oder sonstigen Vergütungssystem. Anhaltspunkte für ein unterschiedliches Aufgabengebiet oder sich unterscheidende Weisungsbefugnisse lassen sich aus der Gehaltsdifferenz daher nicht ableiten. Gehaltsunterschiede können in diesem Fall vielmehr auch auf Grund unterschiedlichen Verhandlungsgeschicks entstanden sein.

(5) Sofern sich die Beklagte darauf beruft, dass Frau N. über besondere Spezialkenntnisse verfüge, die zur Antragsstellung bei der IFA-Datenbank erforderlich seien, ist auch dieser Vortrag unsubstantiiert. Welche Spezialkenntnisse "zu den jeweiligen Produkten und zu der Prozedur und den Voraussetzungen der Antragsstellung" erforderlich seien (vgl. Seite 7 des Schriftsatzes vom 2. Juli 2018, Blatt 99 der Akte), erklärt die Beklagte nicht. Dies wäre angesichts des substantiierten Vortrags der Klägerin (Seite 5 des Schriftsatzes vom 4. Juni 2018, Blatt 60 der Akte), wonach es sich um eine einfache Tätigkeit handele, die im Ausfüllen eines Formulars bestehe, was ca. fünf Minuten beanspruche, aber erforderlich gewesen für ein substantiiertes Bestreiten nach Maßgabe von § 138 Abs. 3 ZPO. Auf den weiteren konkretisierenden Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 23. August 2018 (Blatt 132 ff. der Akte) kommt es insofern für die Entscheidung der Kammer ebenfalls nicht an.

Auch aus der beklagtenseits behaupteten Ablehnung der Tätigkeit bzgl. der IFA-Datenbank durch die Klägerin ergibt sich kein Rückschluss auf eine fehlende Vergleichbarkeit. Die Beklagte hat bereits nicht dargetan, wann sie der Klägerin in welcher Form die Aufgabenübernahme während der Arbeitsunfähigkeit von Frau N. angetragen haben will und mit welcher Begründung die Klägerin dies abgelehnt haben soll. Auch insofern fehlt es an der Substantiiertheit des Vortrages.

(6) Sofern sich die Beklagte schließlich auf gute Englischkenntnisse von Frau N. beruft, ist ihr Vortrag bereits nicht schlüssig. Denn aus welchem Grund und in welchem Umfang eine direkte Kommunikation mit dem Geschäftsführer in Bezug auf die Antragsstellung bei der IFA-Datenbank erforderlich sein soll, erklärt die Beklagte nicht. Dies erscheint auch deswegen allenfalls selten vonnöten, da das Unternehmen künftig lediglich aus zwei Mitarbeitern bestehen soll, von denen einer der verbleibende Prokurist Herr N. ist, der ebenfalls als Sprach-Mittler fungieren kann. Auch ist nicht erkennbar, in welchem Umfang in der Vergangenheit bereits eine solche englischsprachige Kommunikation erfolgt und erforderlich gewesen wäre. Dass die Klägerin keine Englischkenntnisse habe, behauptet auch die Beklagte nicht. Worin sich die bei der Klägerin vorhandenen Englischkenntnisse von jenen der Frau N. unterscheiden, erklärt sie aber auch nicht.

b) Die Beklagte hat im Rahmen von § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die sozialen Gesichtspunkte nicht "ausreichend" berücksichtigt. Die Klägerin ist sozial schutzwürdiger als Frau N..

aa) § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG räumt dem Arbeitgeber einen gewissen Wertungsspielraum bei der Sozialauswahl ein, der mehrere Entscheidungen vertretbar und damit rechtmäßig erscheinen lässt. Der Arbeitgeber muss die im Gesetz genannten sozialen Gesichtspunkte in einem ausgewogenen Verhältnis berücksichtigen. Es gibt keinen allgemein verbindlichen Bewertungsmaßstab dafür, wie die einzelnen Sozialdaten bei dem Abwägungsvorgang zueinander ins Verhältnis zu setzen sind. Keinem Kriterium gebührt ein Vorrang gegenüber den anderen. Deshalb sind stets die individuellen Unterschiede zwischen den vergleichbaren Arbeitnehmern und deren "Sozialdaten" zu berücksichtigen und abzuwägen. Dabei braucht der Arbeitgeber nicht die "bestmögliche" Sozialauswahl vorgenommen zu haben. Ebenso wenig ist entscheidend, ob das Gericht dieselbe Auswahl getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich die sozialen Erwägungen hätte anstellen und die sozialen Grunddaten hätte gewichten müssen. Der dem Arbeitgeber einzuräumende Wertungsspielraum führt dazu, dass sich nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg auf einen Auswahlfehler berufen können (BAG, 29.01.2015 - 2 AZR 164/14, Rn. 11; APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 658 m. w. Nachw.).

bb) Vor diesem Hintergrund ergibt sich nicht nur, dass die Klägerin bei zwei der drei maßgeblichen Kriterien eine gegenüber Frau N. erhöhte Schutzbedürftigkeit aufweist, sondern vor allem, dass ihre Schutzbedürftigkeit bei beiden Kriterien deutlich höher ist als bei Frau N..

Die Klägerin ist doppelt so lange bei der Beklagten beschäftigt wie Frau N. (sieben vs. 14 Jahre) und ist einem minderjährigen Kind zum Unterhalt verpflichtet, während Frau N. keine entsprechende Unterhaltspflicht hat. Frau N. Alter von - zwischen den Parteien streitig - 47 oder 49 Jahren allein ist auch für sich genommen noch nicht geeignet, eine besondere Schutzwürdigkeit zu begründen. Bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage und der Ausbildung von Frau N. ist davon auszugehen, dass sie schnell eine Anschlussbeschäftigung findet. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Frau N. Ehemann als Prokurist der Beklagten weiterhin tätig sein wird. Ihre Unterhaltspflicht ihm gegenüber nach § 1601 BGB wiegt daher jedenfalls nicht besonders schwer - was der Beklagten auch bekannt war (zur Berücksichtigung des "Doppelverdienstes" im Zusammenhang mit der Bewertung von Unterhaltspflichten etwa APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 647).

cc) Dass die Sozialauswahl falsch ist, ergibt sich zusätzlich aus folgender Kontrollüberlegung: Arbeitgeber dürfen sich nach der Rechtsprechung des BAG für die Sozialauswahl dem Grundsatz nach auch sogenannter Punkteschemata bedienen (BAG, 05.12.2002 - 2 AZR 549/01). Daher hat die Kammer die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl anhand einiger Punkteschemata, welche durch das BAG akzeptiert worden sind, nachgeprüft (zu dieser Methode vgl. BAG, 29.01.2015 - 2 AZR 164/14), und dabei die Angabe der Beklagten als zutreffend unterstellt, Frau N. sei bereits 49 Jahre alt und nicht erst 47 Jahre, wie von der Klägerin behauptet.

Legt man danach das Punkteschema aus der Entscheidung des BAG vom 12. März 2009 (2 AZR 418/07) zu Grunde, ergeben sich für die Klägerin 75 Punkte und für Frau N. 63 Punkte ohne Berücksichtigung ihres Ehemanns und bei Berücksichtigung ihres Ehemanns 68 Punkte.

Bei Anwendung des Punkteschemas aus der Entscheidung des BAG vom 6. Juli 2006 (2 AZR 442/05) ergibt sich für die Klägerin eine Punktzahl von 64 Punkten und für Frau N. eine Punktzahl von 59,5 Punkten ohne Berücksichtigung ihres Ehemanns und bei Berücksichtigung ihres Ehemanns von 63,5.

Ausgehend von dem vom BAG nicht beanstandeten Punkteschema aus der Entscheidung vom 6. November 2008 (2 AZR 523/07) erhielte die Klägerin 47 Punkte und Frau N. 44,5 Punkte ohne Berücksichtigung ihres Ehemanns und bei Berücksichtigung ihres Ehemanns 46,5 Punkte.

Legt man das Punkteschema aus der Entscheidung des BAG vom 5. Dezember 2002 (2 AZR 697/01) zu Grunde, ergeben sich für die Klägerin 47 Punkte und für Frau N. 38 Punkte ohne Berücksichtigung ihres Ehemanns und bei Berücksichtigung ihres Ehemanns 44 Punkte.

Bereits diese Unterschiede verdeutlichen, dass die Beklagte eine Sozialauswahl getroffen hat, die nicht mehr als "ausreichend" bezeichnet werden kann.

c) Frau N. ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG als Leistungsträgerin aus der Sozialauswahl herauszunehmen.

aa) Will der Arbeitgeber einen einzelnen Arbeitnehmer insbesondere aufgrund seiner Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht in die soziale Auswahl einbeziehen, hat er eine Abwägung zwischen dem betrieblichen Interesse an der Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers und dem sozialen Schutzbedarf eines bestimmten anderen Arbeitnehmers vorzunehmen. Die Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers muss für den Betrieb einen nicht unerheblichen Vorteil einbringen, der es "berechtigt" erscheinen lässt, dass der sozial weniger schutzbedürftige Arbeitnehmer weiterbeschäftigt wird (BAG, 22.?03.2012 ? 2 AZR 167/11; zum Prüfungsschema: APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 678). Dabei muss der Arbeitgeber die Tatsachen, die die betrieblichen Interessen i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG begründen sollen, im Kündigungsschutzprozess darlegen und beweisen. Er hat insbesondere substantiiert darzulegen, worin für ihn der nicht unerhebliche Vorteil einer Weiterbeschäftigung des nach sozialen Gesichtspunkten weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmers liegt. Er muss nachvollziehbar darlegen, dass die besonderen Kenntnisse, Leistungen und Fähigkeiten des Beschäftigten im betrieblichen Alltag auch tatsächlich zum Einsatz gelangen und einen konkreten, "greifbaren" Vorteil für das Unternehmen darstellen, der bei Durchführung der Sozialauswahl ohne Herausnahme des betreffenden Mitarbeiters wegfiele. Das Gericht muss - unter Berücksichtigung eines Beurteilungsspielraums des Arbeitgebers - voll nachvollziehen können, ob die vom Arbeitgeber vorgebrachten Gründe tatsächlich existieren und ob sie zur Weiterbeschäftigung des oder der sozial stärkeren Arbeitnehmer "berechtigen" (APS/Kiel, 5. Aufl. 2017, KSchG § 1 Rn. 679).

bb) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht.

Insofern kann auf die obigen Ausführungen zur Vergleichbarkeit beider Arbeitnehmerinnen verwiesen werden. Sofern der Beklagtenvortrag nicht ausreicht, um die klägerseits substantiiert behauptete Vergleichbarkeit substantiiert zu bestreiten, genügt er auch nicht, um nachvollziehbar darzulegen, dass besondere Kenntnisse, Leistungen und Fähigkeiten von Frau N. im betrieblichen Alltag auch tatsächlich zum Einsatz gelangen und einen konkreten, "greifbaren" Vorteil für das Unternehmen darstellen, der bei Durchführung der Sozialauswahl ohne Herausnahme des betreffenden Mitarbeiters wegfiele. Welchen nicht unerheblichen Vorteil sich die Beklagte durch die Weiterbeschäftigung von Frau N. gegenüber der Klägerin verspricht, erklärt sie nicht. Der unsubstantiierte Vortrag der Beklagten wiederholt sich insofern lediglich.

d) Ein weiterer Schriftsatznachlass war der Beklagten auch insofern nicht zu gewähren.

Die Kammer hat ihre Entscheidung nicht auf eine rechtliche Beurteilung gestützt, die die Parteien nicht bereits schriftsätzlich ausgetauscht haben.

Sofern der Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung einen Schriftsatznachlass beantragt hat, um auf den klägerischen Schriftsatz vom 23. August 2018 erwidern zu können, war diesem Antrag nicht stattzugeben, weil die Kammer ihre Entscheidung auch mit Blick auf die Sozialauswahl nicht auf neuen klägerischen Sachvortrag vom 23. August 2018 gestützt hat. Zudem hat der Beklagtenvertreter nicht dargelegt, warum es ihm nicht möglich gewesen sei, den Schriftsatz vom 23. August 2018, den er am selben Tag per E-Mail erhalten hat, mit der Beklagten bis zum 31. August 2018, dem Tag der mündlichen Verhandlung, zu besprechen; zumal die mündliche Verhandlung sehr lange unterbrochen worden ist, um ihm Gelegenheit zu geben, sich mit dem Geschäftsführer auch über Vergleichsmöglichkeiten zu beraten.

II.

Die Klägerin obsiegte in der Folge auch mit dem Weiterbeschäftigungsantrag.

1. Ihr Antrag ist zulässig.

Er ist hinreichend bestimmt und vermengt die Beschäftigung nicht mit anderen Vertragsbedingungen (vgl. etwa LAG Düsseldorf, 07.12.2015 - 9 Sa 685/15; Hamacher, Antragslexikon Arbeitsrecht, "Beschäftigung" m. w. Nachw.).

2. Der Antrag ist auch begründet. Denn die Klägerin hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

a) Nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil ergeht und keine besonderen Umstände vorliegen, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers begründen, den Arbeitnehmer nicht weiter zu beschäftigen (BAG, 27.02.1984 - GS 1/84).

b) Etwaige Interessen der Beklagten, die der Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr überwiegt ihr vorläufiges Beschäftigungsinteresse nach erstinstanzlichem Obsiegen mit der Kündigungsschutzklage.

III.

Der nur für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag gestellte Zeugnisantrag fiel der Kammer nicht zur Entscheidung an.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

V.

Die Streitwertentscheidung erging gem. §§ 61, Abs.1, 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 3 ZPO. Hierbei wurde für den Kündigungsschutzantrag der Quartalsbezug der Klägerin zu Grunde gelegt, zzgl. eines weiteren Gehalts für den Beschäftigungsantrag.

Die Festsetzung gilt zugleich als Festsetzung nach § 63 Abs. 2 GKG.

VI.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da kein Fall des§ 64 Abs. 3 ArbGG vorliegt.

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