OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 04.05.2016 - 14 B 362/16
Fundstelle
openJur 2019, 6335
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 8 L 183/16
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.462,32 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antrag,

den angegriffenen Beschluss teilweise zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 2636/15 vor dem Verwaltungsgericht Münster gegen die fünf Vergnügungssteuerbescheide der Antragsgegnerin vom 2.12.2015 in vollem Umfang anzuordnen,

hat keinen Erfolg. Dem Antrag ist nicht wegen der im Beschwerdeverfahren dargelegten, vom Senat alleine zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) stattzugeben. Sie begründen nämlich keine die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO rechtfertigenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide im Sinne des entsprechend anzuwendenden § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, soweit sie beschwerdebefangen sind. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Bescheide aus den dargelegten Gründen rechtswidrig sind.

Die Regelung des § 1 Nr. 1 der Vergnügungssteuersatzung der Antragsgegnerin vom 18.5.2006 i. d. F. der 4. Änderungssatzung vom 13.12.2012 (VS) ist hinreichend bestimmt. Nach dieser Vorschrift unterliegen Tanzveranstaltungen im Gebiet der Antragsgegnerin als Vergnügungen (Veranstaltungen) gewerblicher Art der Besteuerung. Das in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) und in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip begründet das Gebot hinreichender Bestimmtheit der Normen. Normative Tatbestände sind so zu fassen, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten daran ausrichten können. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind, lässt sich indes nicht generell und abstrakt festlegen, sondern hängt auch von der Eigenart des Regelungsgegenstands und dem Zweck der betroffenen Norm ab. Auch für öffentlichrechtliche Abgaben gelten keine einheitlichen, generellabstrakt formulierbaren Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit der Norm; vielmehr kommt es auch hier auf die Eigenart des geregelten Sachbereichs wie auf das Betroffensein von Grundrechten an. Für alle Abgaben gilt als allgemeiner Grundsatz, dass abgabebegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabepflichtige die auf ihn entfallende Abgabe - in gewissem Umfang - vorausberechnen kann.

Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.7.2003 - 2 BvL 1/99 u. a. -, BVerfGE 108, 186 (235); BVerwG, Urteil vom 27.6.2012 - 9 C 7.11 -, BVerwGE 143, Rn. 14.

Für die Einhaltung des Gebots der Normbestimmtheit genügt es, wenn sich der Regelungstatbestand im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8.11.2006 - 2 BvR 578, 796/02 -, BVerfGE 117, 71 (111),

Die Grenze einer Auslegung ist erst erreicht, wenn sie den Rahmen der Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen, sprengen würde.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 - 2 BvL 59/06 -, BVerfGE 127, 335 (356).

Nach diesen Maßstäben gibt es gegen die Verwendung des steuerbegründenden Merkmals "Tanzveranstaltungen" nichts zu erinnern. Es handelt sich um einen seit über einem halben Jahrhundert verwendeten vergnügungssteuerrechtlichen Rechtsbegriff, der unter Bestimmtheitsgesichtspunkten hinreichend auslegbar ist.

Vgl. die erste Verwendung des Begriffs in Nordrhein-Westfalen in § 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Vergnügungssteuer vom 14.12.1965 (GV.NRW. S. 361); zuvor wurde der Begriff "Tanzbelustigungen" verwendet, Art. II § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Vergnügungssteuer vom 5.11.1948 (GV.NRW. S. 9) wie schon davor auf reichsrechtlicher Grundlage in Art. II § 1 Abs. 2 Nr. 1 der Bestimmungen über die Vergnügungssteuer (RGBl. I 1926 S. 262).

Die Rechtsprechung hat verschiedentlich den Begriff der Tanzveranstaltung bzw. der Tanzbelustigung ausgelegt und damit präzisiert. So kommt es darauf an, dass durch den Veranstalter die Erwartungshaltung der Veranstaltungsbesucher geweckt wird, dass zum Tanz animierende oder den Tanz begleitende Musik geboten wird, und der inhaltliche Charakter der Veranstaltung auf das Vergnügen am Tanz gerichtet ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.8.2009 - 14 B 86/09 -, NJW 2010, 793, und Urteil vom 11.12.1991 - 22 A 858/91 -, NVwZ-RR 1992, 580, jeweils in Abgrenzung zu Musikveranstaltungen.

Dabei schließt es die Steuerpflicht nicht aus, wenn neben dem Vergnügungszweck auch noch andere Zwecke, etwa die Tanzbelehrung, verfolgt werden, wenn nur der auf das Vergnügen am Tanz ausgerichtete Charakter der Veranstaltung erhalten bleibt.

Vgl. PrOVG, Urteil vom 16.11.1937 - II.C. 43/37 -, PrOVGE 101, 60, (64 f.), zu einem Tanzstundenabschlussball.

Der Satzung kann weiter nicht entgegengehalten werden, sie regele in § 15 VS die Fälligkeit nicht in einer mit § 2 Abs. 1 Satz 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) zu vereinbarenden Weise. Die letztgenannte Vorschrift verlangt, dass die Satzung den Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgabe angeben muss. § 15 VS regelt dazu, dass bei rückwirkender Festsetzung die Steuer innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheides zu entrichten ist. Damit ist der Zeitpunkt der Fälligkeit ausreichend geregelt. Dass der Zeitpunkt nicht von Handlungen des Steuergläubigers abhängen dürfe, wie die Antragstellerin meint, verlangt § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG nicht. Das ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung, die ohnehin nicht zu dieser Vorschrift ergangen ist.

Der Einwand der Antragstellerin, die angefochtenen Steuerschätzungsbescheide seien bereits deshalb rechtswidrig, weil mangels Schätzungsanlasses keine Schätzung habe erfolgen dürfen, trifft nicht zu. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG i. V. m. § 162 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) hat die Gemeinde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Ein Schätzungsanlass ist insbesondere dann gegeben, wenn der Steuerpflichtige trotz Aufforderung eine Steuererklärung nicht abgibt.

Vgl. Rüsken in: Klein, AO, 12. Aufl., § 162, Rn. 27.

Hier war die Antragstellerin gemäß § 13 Abs. 5 VS zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Die Antragsgegnerin hat sich auch bemüht, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, indem sie das Schreiben vom 29.10.2015 an die Antragstellerin mit der Aufforderung, eine Steuererklärung abzugeben, zur Post gegeben hat. Der Umstand, dass die Antragstellerin das Schreiben nicht erhalten haben will, steht der Schätzung nicht entgegen, denn die Tatsache der Nichtabgabe einer Steuererklärung trotz des genannten Schreibens gab Anlass zur Schätzung. Die Schätzungsbefugnis setzt nicht voraus, dass den Steuerpflichtigen ein Verschulden an der Nichtabgabe der Steuererklärung trifft. Eine Schätzungsbefugnis wäre erst dann zu verneinen, wenn die Antragsgegnerin gar nicht erst versucht hätte, eine Steuererklärung von der Antragstellerin zu erhalten.

Nach den oben genannten Maßstäben zum Begriff der Tanzveranstaltung kann bei lebensnaher Betrachtung kein Zweifel daran bestehen, dass die von der Antragstellerin veranstalteten Tanzabende den Begriff erfüllen. Weder der Zusammenhang mit den von der Antragstellerin angebotenen Tanzkursen noch die Zugangsbeschränkungen durch "Amigo-Cards" stehen dem entgegen. Aus der baurechtlichen Behandlung der Klägerin folgt steuerrechtlich nichts. An der Gewerblichkeit bestehen angesichts des Verkaufs von Getränken an die Teilnehmer durch die Antragstellerin und des Zusammenhangs mit den entgeltlichen Tanzkursen ebenfalls keine Zweifel.

Für eine unzulässige Erdrosselungswirkung der Steuer ist nichts erkennbar. Die Besteuerung stellt keinen unzulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl liegt vor, wenn die Steuer ihrer objektiven Gestaltung und Höhe nach es in aller Regel unmöglich macht, den angestrebten Beruf ganz oder teilweise zur wirtschaftlichen Grundlage der Lebensführung zu machen. Einer kommunalen Steuer kommt danach eine erdrosselnde Wirkung zu, wenn mit der Ausübung des in Rede stehenden Berufs in der Gemeinde infolge dieser Steuer nach Abzug der notwendigen Aufwendungen kein angemessener Reingewinn erzielt werden kann.

Dieser Betrachtung ist nicht der einzelne, sondern ein durchschnittlicher Betreiber im Gemeindegebiet zugrunde zu legen. Art. 12 GG gewährleistet keinen Bestandsschutz für die Fortsetzung einer unwirtschaftlichen Betriebsführung. Es ist daher zu ermitteln, ob der durchschnittlich zu erzielende Bruttoumsatz die durchschnittlichen Kosten unter Berücksichtigung aller anfallenden Steuern einschließlich eines angemessenen Betrages für Eigenkapitalverzinsung und Unternehmerlohn abdecken kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.10.2015 - 9 C 22.14 -, juris, Rn. 16 f.

Dass dies der Fall sein soll bei einer Belastung von 39,60 Euro je einzelner Tanzveranstaltung (nach den nicht reduzierten Beträgen der angefochtenen Bescheide), ist unglaubhaft.

Gegen die Richtigkeit der angesetzten Zahl der Veranstaltungstage gibt es jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Bedenken. Dem Verwaltungsvorgang ist zu entnehmen, wie sich die Zahl der Veranstaltungstage nicht nur im Jahre 2011, sondern auch im Jahre 2015 darstellte. Auf der Website der Antragstellerin vom 29.10.2015, 10 Uhr 15, wurde für Tanzveranstaltungen an jedem Mittwoch, Freitag und Samstag geworben (Bl. 3 der Beiakte 2a). Dies mag sich im hier nicht betroffenen Jahr 2016 geändert haben.

Auch die angesetzte Veranstaltungsfläche von 177 qm greift die Antragstellerin nicht in einer Weise an, die ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Bescheide weckt. Maßgebend ist der Flächeninhalt der für die Veranstaltung und die Besucher bestimmten Räume mit Ausnahme der Toiletten-, Garderoben- und ähnlicher Nebenräume (§ 6 Abs. 1 Satz 2 VS). Welche Fläche zum Tanzen benutzt wird, ist daher schon vom Ansatz her unerheblich. Ob für die Veranstaltungen Teile der Räumlichkeiten in einer diese Flächen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 VS ausscheidenden Weise abgetrennt wurden, ist bislang Gegenstand bloßer Behauptung, der im Tatsächlichen im summarischen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht nachzugehen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.